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Eine Diskussion über die Kombination beider Therapien als valide Option anhand von Patientenfällen

Röntgenologische Kontrolle nach 13 Monaten.

Auch die partiell entzündete Pulpa kann durch vielfältige Therapieoptionen vital erhalten werden, sodass eine vollständige Exstirpation und anschließende Wurzelkanalbehandlung unter Umständen vermieden werden kann und sowohl die biologischen Funktionen als auch die Zahnhartsubstanz erhalten bleiben können. Bei Entzündungen der Pulpa, die sich bis tief in den Wurzelkanal erstrecken, ist eine Vitalerhaltung nicht mehr indiziert und es sollte eine konventionelle Wurzel­kanalbehandlung durchgeführt werden. Bei mehrwurzeligen Zähnen können abhängig vom Ausprägungsgrad der Entzündung beide Zustände koexistieren. Dabei kann eine Kombinations­therapie aus Vitalerhaltung und Wurzelkanalbehandlung sinnvoll sein. Anhand von drei Fällen diskutieren die Autoren Dr. Sascha Herbst und Prof. Dr. Falk Schwendicke in ihrem Beitrag für die Endodontie 1/2022, inwiefern eine solche Kombinationstherapie bei Zähnen mit moderater bis schwerer Pulpitis indiziert ist.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Die Therapie der bereits entzündeten Pulpa kann sowohl durch vitalerhaltende Maßnahmen wie eine partielle oder vollständige Pulpotomie, als auch durch die Vitalexstirpation und konsekutive Wurzelkanalbehandlung erfolgen1. Vorteile der vitalerhaltenden Maßnahmen sind der Erhalt der immunologischen Funktion und der Propriozeption sowie die Vermeidung von Zahnhartsubstanzverlust mit einhergehender Schwächung des Zahnes2. Somit ist anzunehmen, dass langfristig das Frakturrisiko reduziert wird und Folgebehandlungen vermieden oder aufgeschoben werden können3

Histologische Studien haben gezeigt, dass mehrere Entzündungsstadien in einer Pulpa koexistieren können4, weshalb die traditionelle binäre Klassifikation von reversibler und irreversibler Pulpitis und die damit verbundenen Therapieempfehlungen klinisch nicht immer ausreichend präzise und handlungsleitend sein können2. Daher wurden in jüngster Zeit auch alternative Klassifizierungen der Pulpaerkrankungen vorgeschlagen. Im Folgenden wird die Nomenklatur von Wolters et al.2 verwendet, die eine Einteilung in initiale, milde, moderate und schwere Pulpitis vornimmt.

Entlang einer solchen komplexeren Klassifikation kann eine Reihe von Therapiestrategien zur Vitalerhaltung diskutiert werden, die den histologischen und klinischen Status der Pulpa besser abbilden. Neben den präoperativ zu erhebenden klinischen Pulpabefunden, wie Reaktion auf Reize und Beschreibung der vorliegenden Symptomatik, lassen sich verschiedene intraoperative Parameter zur definitiven Therapieplanung bestimmen:

  • Blutungszeit: Die Deutsche Gesellschaft für Endodontologie und Traumatologie (DGET) empfiehlt in ihrer wissenschaftlichen Stellungnahme zur Vitalerhaltung der Pulpa eine maximale Hämo­stasezeit von ca. 5 Minuten5. Längere Blutungszeiten scheinen mit einer reduzierten Re­generationsfähigkeit der Pulpa zusammenzuhängen, da ein entsprechender Entzündungsgrad vorliegt6, und werden als Kontraindikationen für die Vitalerhaltung betrachtet.
  • Integrität des Gewebes: Neben der Blutungszeit stellt der Gewebezustand einen weiteren wichtigen Marker dar, der im Zusammenhang mit der Hämostasezeit zu bewerten ist. Des­integriertes Pulpagewebe besitzt ebenfalls ein vermindertes Regenerationspotenzial, da keine ausreichende Perfusion gewährleistet ist7. Meist geht dieser Befund mit einer reduzierten Pulpablutung einher.

Wenn eine verlängerte Blutungszeit über 5 Minuten hinaus und/oder desintegriertes Gewebe vorliegen, sollte eine Entfernung des betroffenen Gewebeabschnitts bis hin zum gesunden Gewebe mit entsprechenden klinischen Zeichen erfolgen. Eine solche Therapie wird je nach Durchführung als partielle (Entfernung von 2−3 mm des Pulpagewebes) oder vollständige Pulpotomie (Entfernung der gesamten Kronenpulpa) bezeichnet5. Dementsprechend kann über die finale Therapie vielfach erst intraoperativ entschieden werden.

Bei mehrwurzeligen Zähnen besteht die Möglichkeit, dass intraoperative klinische Parameter für eine Vitalexstirpation/Wurzelkanalbehandlung in einer Wurzel sprechen, jedoch in einer oder meh­reren anderen Wurzeln die Befunde auch eine Vital­erhaltung erlauben. Hierbei ergibt sich die Fra­gestellung, ob die vollständige Wur­zelkanal­be­hand­lung in allen Wurzelkanälen erfolgen sollte oder selektiv eine Vitalerhaltung durchgeführt werden kann, also Wurzel­kanal­behandlung und Vital­er­hal­­tung kombiniert werden könnten (hy­brid­end­odon­tischer Ansatz). In einer randomisiert-klinischen Studie mit 60 Zähnen wurde untersucht, inwieweit die Kombination aus Vitalerhaltung und Wurzel­kanalbehandlung bei Zähnen mit tiefer Karies (Extension bis in das innere Dentindrittel) und Parodontitis apicalis
an einer Wurzel funk­tio­nieren kann8. Hierbei wurde innerhalb eines Zahnes, abhängig von der Diagnose der jeweiligen Wurzel, entweder eine Pulpotomie (vitales Pulpagewebe in situ) oder eine konventionelle Wurzel­kanal­behandlung (Wurzel mit apikaler Par­odon­titis) durchgeführt. Verglichen wurde diese kombinierte Therapie mit einer konventionellen Wurzelkanalbehandlung aller Wurzelkanäle. Es wurde gezeigt, dass kein signifikanter Unterschied hinsichtlich des rönt­genologischen Erfolgs (Reduktion der apikalen Aufhellung) innerhalb von 12 Monaten bestand (hybridendodontische vs. konventionelle Therapie: 93,3 % vs. 90,0 %)8.

Im Folgenden soll anhand von drei klinischen Fällen diskutiert werden, ob eine Kombination aus Vitalerhaltung und Wurzelkanalbehandlung (hy­bridendodontische Therapie) eine sinnvolle Alternative zur vollständigen Wurzelkanalbehandlung bei moderater bis schwerer Pulpitis darstellen kann.

Fall I

Ein gesunder 32-jähriger Patient stellte sich 16 Monate nach Entfernung des retinierten und verlagerten Zahnes 38 mit diffusen, teils reizunabhängigen Beschwerden an Zahn 37 vor. Klinisch reagierte der Zahn 37 positiv auf Kälte (−40°C, Endo Coldspray, Fa. Henry Schein, Melville, USA). Zusätzlich lagen eine Perkussionsempfindlichkeit und Aufbissbeschwerden vor. Die Sondierungstiefen waren distolingual mit 4 mm am auffälligsten. Auf dem präoperativen Einzelbild (Abb. 1) zeigte sich eine Schädigung der distalen Wurzel im mittleren Wurzeldrittel, die sich bis in das innere Dentindrittel erstreckte. Okklusal war der Zahn mit einer suffizienten Füllung restauriert. 

Zur Abklärung der Defektausdehnung und anatomischen Verhältnisse wurde ein kleinvolumiges digitales Volumentomogramm (DVT) 40 x 40 mm (Veraviewepocs 3D R100, Fa. Morita, Kyoto, Japan) angefertigt (Abb. 2). Der Defekt hatte eine Größe von 4,5 x 4,0 mm und reichte bis in das mittlere Dentindrittel. Eine Perforation des Wurzelkanals konnte ausgeschlossen werden (Abb. 2).

Die periapikalen Verhältnisse zeigten sich unauffällig. Des Weiteren wurde in der mesialen Wurzel ein mittlerer mesialer Kanal identifiziert, der jedoch im mittleren Wurzeldrittel mit dem mesiolingualen Kanal konfluierte.

Präoperativ wurde der Pulpastatus folgendermaßen bewertet: Distal war eine sekundär infizierte Pulpanekrose als Folge der Wurzelschädigung anzunehmen, wodurch sich ebenfalls die Aufbissbeschwerden erklären ließen. Aufgrund der reproduzierbaren Reaktion auf Kälte wurde vitales, initial bis moderat entzündetes Gewebe in der mesialen Wurzel vermutet.

Es wurden drei Möglichkeiten zur Therapie diskutiert:

  1. Versuch des Vitalerhaltes des mesialen Pulpagewebes und konventionelle Wurzelkanalbehandlung der distalen Wurzel
  2. Konventionelle Wurzelkanalbehandlung aller Kanalsysteme
  3. Zahnentfernung.

Aufgrund der Substanzschonung entschied sich der Patient für den Versuch der Kombinationstherapie. Klinisch zeigte sich, wie vermutet, distal eine Pulpanekrose. Mesial konnte innerhalb von 3 Minuten mit einem sterilen Schaumstoffpellet und 1 % Natriumhypochlorit (NaOCl) eine Hämostase erreicht werden und das Gewebe zeigte eine physiologische Struktur (Abb. 3). 

Daher wurde mesial eine Pulpaüberkappung mit einem hydraulischen Kalziumsilikatzement (MTA/ProRoot MTA, Fa. Dentsply Sirona, York, USA) durchgeführt. Distal erfolgte nach einer Kontrastaufnahme zur Längenbestimmung die Präparation bis zur Größe 45.05 (WaveOne Gold Large, Fa. Dentsply Sirona). Nach vollständiger Aushärtung des MTAs erfolgten in der zweiten Sitzung die Abschlussspülung mit 3 % Natriumhypochlorit und 17 % Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA/CanalPro EDTA, Fa. Coltène, Altstätten, Schweiz), die Obturation des distalen Kanals apikal mit MTA sowie das Backfill mit AH Plus (Fa. Dentsply Sirona) und warmer Guttapercha (Abb. 4).

13 Monate postoperativ war Zahn 37 weiterhin asymptomatisch und zeigte röntgenologisch gesunde periapikale Verhältnisse. Eine Obliteration des mesialen Kanalsystems war nicht zu erkennen (Abb. 5).

Fall II

Mit moderaten Aufbissbeschwerden im rechten Unterkieferbereich stellte sich eine 69-jährige Patientin in der Klinik vor. Anamnestisch war ein mit Valsacor 80 mg (Fa. TAD Pharma, Cuxhaven) eingestellter Bluthochdruck zu vermerken. Der Zahn 47 wies eine provisorische Zementfüllung auf, die nach der Entfernung einer Amalgamfüllung aufgrund ähnlicher Symptomatik gelegt worden war. Der Zahn reagierte verstärkt auf den Kältereiz (−40°C, Endo Coldspray, Fa. Henry Schein), war vertikal perkussionsempfindlich und zeigte physiologische Sondierungstiefen. Röntgenologisch waren eine apikale Aufhellung an der mesialen Wurzelspitze sowie ein Dentikel in der Pulpakammer zu erkennen (Abb. 6). 

Klinisch zeigten sich mehrere Frakturlinien und eine aktive Karies distal. Aufgrund der speziellen Anamnese und des klinischen Erscheinungsbildes wurde ein Cracked-Tooth-Syndrom diagnostiziert. 

Folgende Therapiemöglichkeiten wurden mit der Patientin besprochen:

  1. Entfernung des koronalen Pulpagewebes bis zum klinisch sichtbaren Ende der Frakturlinien
  2. Konventionelle Wurzelkanalbehandlung des gesamten Kanalsystems
  3. Zahnentfernung.

Eine Zahnentfernung stellte für die Patientin keine Alternative dar, daher wurden die zahnerhaltenden Möglichkeiten diskutiert. Eine apikale Aufhellung im Röntgenbild stellt a priori keine Kontraindikation für eine Pulpotomie dar; die Indikation für die Pulpotomie kann in solchen Fällen erst intraoperativ nach Inspektion des Gewebes gestellt werden. In der Literatur werden zahlreiche erfolgreiche Fälle beschrieben, in denen nach einer Pulpotomie die apikale Parodontitis ausheilte9. Die Patientin entschied sich für den minimalinvasiven Ansatz und es wurde eine vollständige Pulpotomie geplant. 

Zunächst wurden die provisorische Füllung entfernt, die aktive distale Karies vor der Eröffnung der Pulpakammer exkaviert und mit einer Kompositfüllung restauriert (Scotchbond Universal Plus und Filtek Supreme XTE, Fa. 3M, Saint Paul, USA) sowie die Ausdehnung der Fraktur­linien beurteilt (Abb. 7). In weiteren Schritten erfolg­ten die vollständige Pulpotomie (Abb. 8) mit 1 % NaOCl (Hämostasezeit 5 Minuten) und die Überkappung mit Biodentine (Fa. Septodont, Saint-Maur-des-Fossés, Frankreich) mit anschließender röntgenologischer Kontrolle (Abb. 9).

Zunächst war die Patientin beschwerdefrei, jedoch stellte sie sich 4 Monate postoperativ erneut mit einer ähnlichen Schmerzsymptomatik wie bei der Erstbefundung vor. Es wurde angenommen, dass die Ausdehnung der Frakturlinien bei der ersten Behandlung unterschätzt wurde und folglich eine Wurzelkanalbehandlung indiziert gewesen wäre. Des Weiteren wurde die Patientin auf­geklärt, dass eine Zahnentfernung notwendig werden konnte.

Nach Entfernung des Überkappungsmaterials zeigte sich mesial eine vollständige Pulpanekrose (Abb. 10a), distal wurde jedoch eine intakte Dentinbrücke identifiziert (Abb. 10b), weshalb auf vitales Gewebe geschlossen wurde. Dies bestätigte sich durch eine reproduzierbare Reaktion der Patientin auf den Kältereiz (−40°C, Endo Coldspray, Fa. Henry Schein; Schaumstoffpellet). Während der Behandlung wurde dann entschieden, dass die mesiale Wurzel konventionell präpariert, desinfiziert und obturiert sowie die Pulpa in der distalen Wurzel weiterhin vital erhalten werden sollte. Nach der Röntgenkontrastaufnahme erfolgten die Präparation bis zur Größe 35.04 (HyFlex CM, Fa. Coltène), die Abschlussspülung wie in Fall I und eine Obturation in Single-Cone-Technik mit biokeramischem Sealer (Bioroot RCS, Fa. Septodont). Die Dentinbrücke wurde erneut mit Biodentine überkappt. Anschließend erfolgte eine röntgenolo­gische Kontrolle der Wurzelkanalfüllung (Abb. 11).

Sechs Monate später wurde die Patientin für eine klinische und röntgenologische Nachkon­trolle vorstellig. Der Zahn 47 zeigte gesunde periapikale Verhältnisse und war klinisch symptomfrei (Abb. 12). Eine indirekte Restauration ist bei dem überweisenden Zahnarzt in Planung.

Fall III

Zwei Wochen nach einer Caries-profunda-Therapie und adhäsiver Eingliederung einer Inlayrestauration stellte sich ein gesunder 41-jähriger Patient mit starken Schmerzen an Zahn 17 vor. Der Zahn reagierte verstärkt auf Kälte, war berührungs- und perkussionsempfindlich; zudem beschrieb der Patient Schmerzen in der Nacht und führte eine Selbstmedikation mit Ibuprofen 600 mg (3x täglich) durch. Das Röntgenbild zeigte unauffällige periapikale Verhältnisse (Abb. 13), sodass klinisch eine schwere Pulpitis diagnostiziert werden konnte. Wie in Fall II standen Pulpotomie, Wurzelkanalbehandlung und Zahnentfernung zur Diskussion. Auch in diesem Fall entschied sich der Patient für die Pulpotomie. 

Nach Eröffnung der Pulpakammer zeigte sich eine profunde Blutung (Abb. 14a), die nicht mit 1 % NaOCl und sterilem Schaumstoffpellet innerhalb von 6 Minuten arretiert werden konnte (Abb. 14b). Jedoch war zu erkennen, dass die Blutung ausschließlich aus dem palatinalen Kanal persistierte und eine Hämostase in den mesio- und distobukkalen Wurzelkanälen erreicht wurde. Deshalb waren die Voraussetzungen für eine Vitalerhaltung der mesiobukkalen und distobukkalen Kanäle gegeben; für den palatinalen Kanal war eine Pulpektomie indiziert. 

Dementsprechend wurden die Vitalexstirpation im palatinalen Kanal und eine Überkappung der Pulpa in den bukkalen Wurzelkanälen mit einem hydraulischen Kalziumsilikatzement (Biodentine, Fa. Septodont) vorgenommen. Nach vollständiger Aushärtung des Silikatzements wurden eine medikamentöse Einlage mit Ledermix (Fa. Esteve Pharmaceuticals, Barcelona, Spanien) und ein provisorischer Verschluss (Ketac Fill, Fa. 3M) appliziert. In der zweiten Sitzung war der Patient symptomfrei und es erfolgten die Präparation (Hyflex CM 40.04, Fa. Coltène), Desinfektion (wie in Fall I) und Obturation des palatinalen Kanals nach röntgenologischer Kontrolle des Masterpoints in Single-Cone-Technik mit bioke­ramischem Sealer (Bioroot RCS, Fa. Septodont). Abschließend wurde eine röntgenologische Kontrolle der Wurzelfüllung durchgeführt (Abb. 15). Zehn Monate postoperativ zeigten sich sowohl röntgenologisch als auch klinisch keine pathologischen Befunde (Abb. 16).

Diskussion

Anhand der drei aufgeführten Fälle wurde die Machbarkeit der hybridendodontischen Therapie bei moderater bis schwerer Pulpitis nichtkariöser Genese gezeigt, wenngleich die Aussagekraft über den langfristigen Therapieerfolg bei Nach­untersuchungszeiträumen von 6−13 Monaten limitiert ist. 

Bei der hybridendodontischen Therapie besteht die diagnostische Herausforderung darin, diejenige Wurzel zu identifizieren, welche sich für die Vitalerhaltung eignet. Generell muss hierbei bedacht werden, dass nur eine Therapieform (Vitalerhaltung oder Wurzelkanalbehandlung) pro Wurzel durchgeführt werden kann, auch wenn in dieser Wurzel zwei Wurzelkanäle vorliegen. Hintergrund ist hierbei, dass die anatomische Situation nicht vollumfänglich eingeschätzt werden kann, in vielen Fällen nicht erkennbare Isthmen, Verbindungen und Anastomosen vorliegen und es durch die Wurzelkanalbehandlung zur Schädigung des vitalen Gewebes kommen kann. 

In der oben zitierten randomisierten Studie von Koli et al. zur Kombinationstherapie wurde die vital zu erhaltende Wurzel aufgrund der vorliegenden apikalen Parodontitis präoperativ identifiziert8. Generell werden klinischen Studien zur partiellen oder vollständigen Pulpotomie zumeist bei kariös induzierten Pulpaerkrankungen durchgeführt10. Histologische Studien zeigten, dass ein Zusammenhang zwischen Karieslokalisation und Entzündungstiefe der Pulpa besteht11. Bei einer distal diagnostizierten Karies ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass eher die distale Wurzel als die mesiale Wurzel eine profunde Entzündung mit erweitertem Therapiebedarf aufweist11. Bei nichtkariös induzierten Pulpitiden hingegen sind die Lage und Extension der entzündeten Pulpaareale präoperativ schwerer zu bestimmen, wodurch die Identifikation der vital zu erhaltenden Wurzel bei unauffälligen radiologischen Befunden ausschließlich klinisch via Blutungszeit und Gewebeintegrität erfolgen kann.

In Fall I lag eine iatrogen induzierte Pulpitis vor, weshalb die konventionell zu behandelnde Wurzel bereits präoperativ bestimmt werden konnte. Bei den Fällen II und III ließ sich die erfolgende Therapie präoperativ nicht sicher festlegen, da Extension und Lage der entzündeten Pulpa­areale unbekannt waren. 

Bekannte Risiken bei der vollständigen Pulpotomie sind Obliterationen/Kalzifikationen des Kanalsystems, die in circa 30 % der Fälle auftreten12. Deswegen ist insbesondere bei dieser Therapie eine dichte koronale Restauration eine Conditio sine qua non. Generell ist bei einer röntgenologisch detektierten Obliteration in 25 % der Fälle eine endodontische Therapie indiziert13. Somit errechnet sich aus der zitierten Literatur eine kombinierte Wahrscheinlichkeit von 7,5 %, dass eine Obliteration mit Behandlungsbedarf nach einer vollständigen Pulpotomie resultiert. Generell wird die Prognose der vollständigen Pulpotomie nach 2 Jahren in einer Übersichtsarbeit mit 92 % angegeben, die damit eine vergleichbare Prognose aufweist wie die konventionelle Wurzelkanalbehandlung bei Zähnen ohne apikale Parodontitis (95,4 %)14.

Ein Vorteil der hybridendodontischen Therapie ist, dass natürliche biologische Strukturen erhalten bleiben können. Allgemein trägt der Erhalt pulpalen Gewebes mit propriozeptiver Funktion zu einer Senkung des Frakturrisikos bei, da Längsfrakturen nur zu 12,3 % in vitalen und zu 87,7 % in nicht vitalen Zähnen (39 % bei nicht vitaler Pulpa, 48,7 % nach Wurzelkanalbehandlung) auftreten15. Zudem kann die Vermeidung präparativer Maßnahmen − insbesondere bei Unterkiefermolaren mit vorhandenem mittleren mesialen Kanal oder mesiobukkalen Wurzeln von Oberkiefermolaren − zu einer Reduktion des Frakturrisikos führen16,17. Generell liegt die Prävalenz von Wurzellängsfrakturen bei 3−5 %, wobei die Tendenz zunehmend ist, da heutzutage Zähne über längere Zeiträume erhalten werden können18. Ein erhöhtes Risiko für Längsfrakturen nach präparativen Maßnahmen war in zwei Fällen gegeben: in Fall I durch Vorhandensein eines mittleren mesialen Kanals und in Fall II durch manifeste Infrakturen als Folge einer merkuroskopischen Expansion. 

In der praktischen Durchführung ist für die Patienten eine kürzere Behandlungszeit als positiv zu vermerken, da sich die Anzahl der zu behandelnden Kanäle reduziert. Wichtig sind jedoch die umfas­sende Patientenaufklärung und die Aushändigung eines Arztbriefes, da bei einem Zahnarztwechsel das Risiko besteht, dass die durchgeführte hybridendodontische Therapie röntgenologisch als insuffiziente konventionelle Wurzelkanalbehandlung interpretiert wird.

Offene Fragen bezüglich dieser Therapieform existieren weiterhin und müssen durch klinische sowie histologische Studien beantwortet werden. Unklar ist zum Beispiel, inwiefern bereits eine einzelne vitale Wurzel in mehrwurzeligen Zähnen tatsächlich eine ausreichende Propriozeption gestattet oder ob doch mehrere Wurzeln mit vitaler Pulpa hierfür notwendig sind. Zudem muss durch klinische Studien geklärt werden, ob tatsächlich eine verbesserte langfristige Prognose besteht und die bisher vorhandenen Studien mit kurzem bis mittlerem Zeithorizont diese nur unzureichend abbilden.

Schlussfolgerung

Die hybridendodontische Therapie stellt eine Alternative zur konventionellen Wurzelkanalbehandlung dar. Der Erhalt von biologischen Strukturen und die damit einhergehende Vermeidung präparativer Maßnahmen können sich positiv auf den langfristigen Therapieerfolg auswirken. Jedoch fehlen bisher umfassende klinische Studien, die eine tatsächliche Überlegenheit dieser hybrid­endodontischen Therapie gegenüber der konventionellen Wurzelkanalbehandlung bestätigen.

Interessenkonflikt

Dr. Sascha Herbst ist Referent bei der Fa. Septodont. Bei beiden Autoren liegen keine Interessenkonflikte vor.

Ein Beitrag von Dr. Sascha Herbst und Prof. Dr. Falk Schwendicke, München

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Endodontie 01/2022 Endodontie Zahnmedizin