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Eine Alternative zu Augmentationen im Oberkiefer

Oberkieferansicht 10 Tage nach Freilegung mit abgeheilten Verhältnissen.

Die Verankerung von Zahnersatz im reduzierten Restgebiss über Doppelkronen ist in Deutschland nach wie vor eine Standardversorgung zum Ersatz fehlender Zähne im teilbezahnten Gebiss. Anzahl und Lokalisation der Pfeilerzähne beeinflussen die Langzeitprognose der prothetischen Versorgung. Insbesondere bei einer anterioren Restbezahnung können posterior inserierte Implantate das Abstützungspolygon der prothetischen Versorgung klinisch relevant vergrößern. Aufgrund der anatomischen Bedingungen ist die Implantation von Standardimplantaten im posterioren Kieferbereich häufig ohne augmentative Maßnahmen nicht möglich. Diese lehnen viele Patienten aber aus finanziellen oder anderen Gründen ab. In ihrem Beitrag für die Implantologie 3/20 zeigen die Autoren Prof. Dr. Nicole Passia, Dr. Mohamed Sad Chaar und Prof. Dr. Matthias Kern anhand eines Patientenfalls, wie durch die Insertion von kurzen dentalen Implantaten im posterioren Oberkiefer eine Sinusbodenelevation umgangen, das Abstützungspolygon der Prothese vergrößert und die Zufriedenheit des Patienten deutlich gesteigert werden können.

In keiner anderen Disziplin der Zahnmedizin schreitet die Entwicklung so schnell voran wie in der Implantologie. Ziel der Zeitschrift ist es, dem Fortbildungsangebot im Bereich der Implantologie durch die Veröffentlichung praxisbezogener und wissenschaftlich untermauerter Beiträge neue und interessante Impulse zu geben und die Zusammenarbeit von Klinikern, Praktikern und Zahntechnikern zu fördern. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Die Verankerung von Zahnersatz im Restgebiss über Doppelkronen ist eine schon früh beschriebene und seit Langem bewährte Methode zum Ersatz fehlender Zähne im teilbezahnten Gebiss1. In Deutschland sind ca. 90 Prozent der eingegliederten Teilprothesen auf Doppelkronen verankert2. Anzahl und lokale Verteilung der Pfeilerzähne nehmen einen Einfluss auf die Langzeitprognose dieser prothetischen Versorgungsmöglichkeit. Hierbei gelten eine punktuelle oder lineare Abstützung der Teilprothese als ungünstiger, verglichen mit einer tri- oder quadrangulären Abstützung. Dies spiegelt sich in einer signifikant höheren Verlustrate der Pfeilerzähne von Konuskronenprothesen bei punktueller Abstützung im Vergleich zur Mehrfachabstützung wieder3. Eine Untersuchung von Heners und Walther ergab einen Verlust der Pfeilerzähne bei Konuskronenprothesen von 12 Prozent nach 5 und von 31 Prozent nach 10 Jahren Tragezeit4. Dabei wurde ein signifikanter Unterschied zwischen Teilprothesen, die auf 1 bis 3 Pfeilern abgestützt waren, und Prothesen, die auf mehr als 3 Zähnen abgestützt waren, festgestellt. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurde die durchschnittliche Überlebensrate von teleskoptragenden Pfeilerzähnen nach 4–10 Jahren mit 60,6–95,3 Prozent angegeben5. Die Überlebensrate von zahngetragenen Teleskopprothesen lag nach 4–5,3 Jahren bei 90–95,1 Prozent. Wöstmann et al. konnten zeigen, dass die Anzahl der Teleskoppfeiler einen signifikanten Einfluss auf die Überlebensrate von Teleskopprothesen und auf die Interventionsmaßnahmen im Rahmen der Nachsorge nimmt6.

Dentale Implantate bewähren sich zur Verankerung sowohl von festsitzendem als auch von herausnehmbarem Zahnersatz. Die Überlebensrate dentaler Implantate, auf denen festsitzende oder herausnehmbare Versorgungen verankert sind, liegt für einen Zeitraum über 5–8 Jahre für den Unterkiefer bei mehr als 94 Prozent, für den Oberkiefer zwischen 72 Prozent und 95 Prozent7.

Ebenso ist die Kombination von Zähnen und Implantaten zur Verankerung von abnehmbarem Zahnersatz in der Literatur beschrieben8–10. In einer Nachuntersuchung über einen Zeitraum von bis zu 11 Jahren zu rein implantat- und kombiniert zahn-/implantatgetragenen Doppelkronenprothesen lag die Überlebensrate der Implantate bei einer mittleren Nachuntersuchungszeit von 4,2 Jahren bei 93,4 Prozent bei implantatgetragener Versorgung beziehungsweise 99,5 Prozent bei zahn-/implantatgetragener Versorung11. Die kumulative Erfolgsrate lag nach 5 Jahren bei 85,9 Prozent (implantatgetragen) beziehungsweise 97,2 Prozent (zahn-/implantatgetragen). Die Autoren schlussfolgern, dass die Kombination von Zähnen und Implantaten bei Doppelkronenversorgungen einen positiven Effekt auf die Prognose der Pfeiler haben könnte.

Zur Umgehung einer punktuellen oder linearen Abstützung von Doppelkronenprothesen scheinen Implantate als zusätzliche Pfeiler insbesondere dann sinnvoll zu sein, wenn die Prothese auf einer anterioren Restbezahnung verankert ist. In diesen Situationen ist der Verlust endständiger Pfeilerzähne eine häufige Komplikation3. Zusätz­liche posteriore Implantate können relativ einfach unter vorhandene Teilprothesen inseriert und relativ kostengünstig mit konfektionierten Reten­tionselementen versorgt werden. Aber gerade im posterioren Bereich von Ober- und Unterkiefer ist das vorhandene Knochenangebot häufig aufgrund von vorangegangener Resorption und vorhandenen anatomischen Strukturen (Sinus maxillaris, N. alveolaris inferior) limitiert, und nicht selten sind zur Insertion von Standardimplantaten augmentative Maßnahmen erforderlich. Viele Patienten scheuen jedoch damit verbundene operative Aufwände und Risiken oder lehnen diese Maßnahmen aus finanziellen Gründen ab. Abhilfe können hier kurze dentale Implantate als zusätzliche Pfeiler unter vorhandenen Prothesen schaffen.

Anhand des vorliegenden Fallberichts soll das chirurgische und prothetische Vorgehen bei dieser Art der Versorgung gezeigt werden.

Falldarstellung

Ein 68-jähriger gesunder Patient stellte sich zur prothetischen Beratung in der Klinik für zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Kiel, vor. In der Anamnese gab er den Konsum von 20 Zigaretten täglich an.

Intraoral zeigte sich im Oberkiefer eine anteriore Restbezahnung der Zähne 12, 21 und 23 (Abb. 1). Die 3 Pfeilerzähne waren ursprünglich mit Doppelkronen versorgt, alle übrigen Zähne ersetzt. Der endständige Pfeilerzahn 12 war kürzlich 1 mm supragingival frakturiert und im Nachgang mit einer Wurzelstiftkappe versorgt worden. Im Unterkiefer trug der Patient eine suffiziente Modellgussprothese. Der Patient hatte eine „Lockerung“ seines Oberkieferzahnersatzes nach der Pfeilerzahnfraktur bemerkt und äußerte nun den Wunsch nach einem festeren und stabileren Sitz seiner Versorgung. Die erst vor etwa 2 Jahren eingegliederte obere Doppelkronenprothese sollte möglichst erhalten bleiben. Der Patient zeigte sich offen gegenüber einer Pfeilervermehrung durch Implantate, die im zweiten Quadranten erforderliche Augmentation mittels Sinuslift zur Insertion eines Standardimplantats lehnte er jedoch ab. Final entschied der Patient sich für die Insertion von kurzen Implantaten. Hierbei sollten im Oberkiefer rechts 2 Implantate inseriert werden. Im Oberkiefer links sollte ein Implantat inseriert werden. Hier war der Eckzahn noch vorhanden.

 

Abb. 1 Oberkieferansicht mit 2 Doppelkronen in Regio 21 und 23 und einer Wurzelstiftkappe in Regio 12.
Abb. 1 Oberkieferansicht mit 2 Doppelkronen in Regio 21 und 23 und einer Wurzelstiftkappe in Regio 12.

Implantationsplanung

Zur Beurteilung des vorhandenen Knochenangebots im prospektiven Implantationsbereich erfolgte die Anfertigung einer Panoramaschichtaufnahme. Hierzu wurden röntgenopake Messkugeln an der vorhandenen Oberkieferprothese befestigt. Nach Auswertung der Panoramaschichtaufnahme konnten Implantate im Oberkiefer rechts in der Region des Eckzahns und des ersten Prämolaren sowie im Oberkiefer links im Bereich des zweiten Prämolaren ohne augmentative Maßnahmen geplant werden.

Chirurgisches Vorgehen

Nach Infiltrationsanästhesie und Bildung eines Mukoperiostlappens im Bereich der Implantationsstellen erfolgte die Aufbereitung der Implantatlager mit Formbohrern aufsteigenden Durchmessers gemäß Protokoll des Implantatherstellers (Bicon Integra-CP, Bicon). Hierbei wurde die Osteotomie so angelegt, dass eine 2 mm subkrestale Lage der Implantate sichergestellt war. Im rechten Oberkiefer konnten zwei Implantate mit einer Länge von 6 mm und einem Durchmesser von 4,5 mm inseriert werden. Aufgrund des geringeren vertikalen Knochenangebots im Bereich des zweiten linken oberen Prämolaren wurde hier eine Implantatlänge von nur 5 mm mit einem Durchmesser von 5 mm verwendet. Die nicht schraubenförmigen Implantate wurden durch leichtes Einklopfen über den Einheilpfosten in ihre endgültige Position gebracht. Im Anschluss wurde der Kunststoffeinheilpfosten mit steriler Schere auf ein epikrestales Niveau eingekürzt und als Deckkappe auf das Implantat zurückgesetzt. Die im Laufe der Implantatbettaufbereitung gesammelten autologen Knochenspäne konnten im Anschluss auf die Implantatschultern aufgelagert werden. Danach erfolgten speicheldichte Nahtverschlüsse (Seralene 6.0, Serag Wiessner) und eine röntgenologische Kontrolle (Abb. 2 und 3). Nach zehn Tagen konnten die Nähte bei reizlosen Wundverhältnissen entfernt werden.

Vier Monate nach Implantation erfolgte die Freilegung der Implantate in Lokalanästhesie und daran anschließend in der gleichen Sitzung die prothe­tische Versorgung der Implantate mit den Reten­tionselementen. Zunächst wurde der Einheilpfosten aus dem Implantatschaft entfernt und durch den sogenannten Positionierungspin ersetzt. Mithilfe des Sulkus-Reamers (Bicon)konnte im Anschluss überschüssiger Knochen von der Implantatschulter entfernt werden. Die Druckknopfretentionselemente (Locator, Bicon) wurden durch vorsichtiges Klopfen mittels Multifunktionsgriff in ihre finale Position im Implantatschaft mit 1,5°-Locking-Taper-Verbindung verankert (Abb. 4).

Prothetisches Vorgehen

Nach Isolation des Wundbereichs mit Polymerisationsmanschetten konnten die korrespondierenden Matrizen (Locator, Bicon) auf die Abutments gesetzt werden (Abb. 5). Die vorhandene Oberkieferprothese wurde im Bereich der Implantate ausgeschliffen. Es erfolgte eine Platzkontrolle mit Fließsilikon (Fit-Checker, GC Europe). Der Prothesenkunststoff und freiliegende Gerüstanteile wurden im ausgeschliffenen Bereich mit Aluminiumoxidpulver abgestrahlt und mit Universaladhäsiv (Monobond Plus,  Ivoclar) konditioniert. Zur Gewährleistung eines passiven Prothesensitzes auf den Implantaten erfolgte das Einpolymerisieren der Matrizengehäuse in die Oberkieferprothesenbasis mit einem autopolymerisierenden Bisacrylatkunststoff (LuxaPick-up,  DMG) intraoral (Abb. 6). Der Patient wurde abschließend in Handhabung und Pflege der Prothese instruiert.

Nachsorge

Zehn Tage nach Freilegung stellte der Patient sich zur Kontrolle und Nahtentfernung vor. Es zeigten sich reizlose Wundverhältnisse (Abb. 7). Ein- und Ausgliederung sowie Reinigung der Prothese waren problemlos möglich. Insgesamt war der Patient mit dem deutlich verbesserten Prothesensitz sehr zufrieden.

 

Abb. 7 Oberkieferansicht 10 Tage nach Freilegung mit abgeheilten Verhältnissen.
Abb. 7 Oberkieferansicht 10 Tage nach Freilegung mit abgeheilten Verhältnissen.

Diskussion und Schlussfolgerung

Die Versorgung des teilbezahnten Kiefers mit zahn-/implantatgetragenen, abnehmbaren Prothesen ist eine in diversen klinischen Studien untersuchte Therapieoption mit vielversprechenden Ergebnissen11,12. In einer klinischen Untersuchung zu rein implantat- und zahn-/implantatgetragenen Versorgungen waren die Überlebens- und Erfolgsraten der Implantate in der zahn-/implantatgetragenen Untersuchungsgruppe etwas höher als in der rein implantatgetragenen Untersuchungsgruppe11. In einer weiteren klinischen Studie zeigte sich über einen durchschnittlichen Nachuntersuchungszeitraum von 11,3 Jahren, dass sich eine größere Anzahl an Pfeilern positiv auf den Erfolg der Implantatpfeiler auswirkte, jedoch keinen direkten Einfluss auf den Erfolg der Pfeilerzähne nahm. Auch die Pfeilervermehrung durch Implantate unter vorhandenem Zahnersatz ist in der Literatur beschrieben. In einer klinischen Studie zu dieser Therapieoption konnten sowohl die Kaueffektivität als auch die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten durch Insertion von Implantaten gesteigert werden13,14. Die strategische Pfeilervermehrung scheint insbesondere dann sinnvoll zu sein, wenn durch zusätzliche Pfeiler das Abstützungspolygon der prothetischen Versorgung deutlich vergrößert werden kann. In dem hier vorliegenden klinischen Fall einer anterioren Restbezahnung konnte aus einer nahezu linearen Abstützung durch die Insertion von Implantaten eine quadranguläre Abstützung erzielt werden. Die Insertion eines Standardimplantats wäre im linken Oberkiefer ohne eine Sinusbodenelevation nicht möglich gewesen. Zum einen lehnte der Patient dieses Verfahren ab, zum anderen wäre die Gefahr von Komplikationen bei ihm als Raucher erhöht gewesen15. Durch die Insertion von kurzen dentalen Implantaten konnten die mit einer Augmentation verbundenen zusätzlichen Risiken vermieden werden. Zur Pfeilervermehrung unter vorhandenen Teilprothesen mit kurzen dentalen Implantaten liegen bisher keine Daten aus klinischen Studien vor. Allerdings kommt eine multizentrische Studie zu implantatgetragenem Einzelzahnersatz im atrophierten posterioren Oberkiefer zu dem Schluss, dass sowohl eine Versorgung mit Sinusbodenelevation und Standardimplantaten als auch eine Versorgung mit kurzen Implantaten (6 mm) geeignete Therapieoptionen sind16. Laut einer systematischen Übersichtsarbeit zu kurzen dentalen Implantaten versus Standardimplantaten im posterioren Bereich gibt es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Implantatüberlebensraten, marginalem Knochenabbau, Komplikationen und prothetischen Misserfolgen17. Allerdings weisen die Autoren darauf hin, dass das Risiko für Komplikationen bei einer Implantatlänge von unter 8 mm zunimmt.

Der hier vorgestellte Patient, der Teilnehmer an einer prospektiven klinischen Studie zur beschriebenen Therapieoption ist, war nach prothetischer Versorgung der Implantate mit der verbesserten Prothesenfunktion sehr zufrieden. Durch den Einsatz konfektionierter prothetischer Bauteile und den Erhalt der vorhandenen prothetischen Versorgung konnten die Gesamtkosten für den Patienten moderat gehalten werden.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Nicole Passia, Dresden, Dr. Mohamed Sad Chaar und Prof. Dr. Matthias Kern, beide Kiel

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Implantologie 3/20 Implantologie