Menschen, die 100 Jahre oder länger leben, sind für die medizinische Wissenschaft eine bedeutsame Gruppe, anhand derer sich „erfolgreiche“ Alterungsvorgänge näher erfassen lassen. Auch in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde werden Hochbetagte unter Berücksichtigung bereits bekannter Zusammenhänge von Allgemeingesundheit und oraler Gesundheit zukünftig wichtige Hinweise zu unterschiedlich verlaufenden Alterungsprozessen liefern. In dieser Arbeit wird auf den aktuellen Kenntnisstand unter besonderer Berücksichtigung von Untersuchungen der Heidelberger Arbeitsgruppe zur Erforschung der Mundgesundheit von Hochbetagten Bezug genommen. Bei den 100-jährigen und hochbetagten Studienteilnehmern (n = 35) sind im Bereich der Parodontologie Erkrankungen des Zahnhalteapparats und periimplantäre Mukositis in moderatem Maß vorhanden, wobei insgesamt 74 % eine nicht näher definierte generalisierte Parodontitis aufweisen. Eine moderate Parodontitis wiesen 54,8 % der 100-Jährigen auf. Die Prävalenz einer schweren Parodontitis lag bei etwas weniger als 20 %. Der Attachmentverlust war im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen ebenfalls als moderat anzusehen. Bei 39,4 % der bezahnten 100-Jährigen wurden Sondierungstiefen zwischen 3,5 und 5,5 mm gemessen. Ein Drittel hatte mindestens einen Zahn mit einer Sondierungstiefe größer 5,5 mm. Einige der 100-Jährigen hatten Implantate in Kombination mit herausnehmbarem oder festsitzendem Zahnersatz. Unter den untersuchten Implantaten wurde die Mehrheit als gesund eingestuft, 29,6 % hatten eine periimplantäre Mukositis und 11,1 % hatten eine Periimplantitis. Dies zeigt, dass parodontale Destruktion vorhanden ist, jedoch in höherem Alter nicht linear ansteigt, höchstwahrscheinlich weil die 100-Jährigen die meisten ihrer Geburtskohorte überlebt haben. Der Erhalt eigener Zähne mit einem Zustand ausreichender parodontaler Gesundheit kann aus heutiger Sicht für den Zeitraum eines ganzen Jahrhunderts als möglich angesehen werden, wobei die Prävention in der Seniorenzahnmedizin eine zentrale Rolle einnimmt. Der größte Teil der 100-Jährigen und Hochbetagten lebt lange Zeit funktionell unabhängig zu Hause. Damit ein möglichst hoher Grad oraler Gesundheit langfristig erhalten werden kann, sollten präventive Interventionen zielgenau eingesetzt werden. Deutlicher Handlungsbedarf besteht unter anderem darin, das Bewusstsein um die Relevanz guter Mundhygiene sowohl bei den Hochbetagten selbst als auch den Pflegenden zu schärfen. Außerdem sollten Informationen und Hilfestellungen zur häuslichen Mundhygiene bei Bedarf leicht zugänglich sein, damit stabile parodontale Verhältnisse auch bis ins hohe Alter gehalten werden können, wenn die sensomotorischen und kognitiven Fähigkeiten abnehmen. Welche Faktoren für „erfolgreiches orales Altern“ im Detail verantwortlich sind, ist Bestandteil zukünftiger grundlagenwissenschaftlicher und klinischer Untersuchungen.
Manuskripteingang: 10.07.2023, Annahme: 27.09.2023
Schlagwörter: 100-Jährige, Hochbetagte, gingivale Gesundheit, parodontale Gesundheit, periimplantäre Gesundheit, Prävention, epidemiologische Daten