PraxisSeiten: 96-103, Sprache: DeutschZurnieden, Fabian / Schulte, Andreas G. / Egermann, MichaelEinleitung und allgemeine Fallbeschreibung: Der Fallbericht soll die Herausforderungen beschreiben, die bei der zahnmedizinischen Betreuung eines Patienten mit Morbus Wilson (MW) auftreten können. Diese Erkrankung kann bei fehlender oder insuffizienter medizinischer Therapie zu neurologischen und hepatischen Ausfällen führen.
Anamnese und Befund: Ein 51-jähriger Mann mit MW stellte sich erstmals im Januar 2018 in der Abteilung für Behindertenorientierte Zahnmedizin (BOZ) der Universität Witten/Herdecke mit der Bitte um Therapie vor. Bei dem Patienten fehlten sechs Zähne. Weitere elf Zähne wiesen kariöse Defekte auf. Da bei dem Patienten neben der Spastik im Armbereich und der Dysphasie ein starker Tremor des Kopfes vorlag, hatte der Hauszahnarzt den Patienten zur konservierenden und prothetischen Therapie in Allgemeinanästhesie (AA) an einen MKG-Chirurgen überwiesen. Da dieser jedoch nur oral- oder MKG-chirurgische Therapien in AA durchführte, überwies er den Patienten weiter in die Abteilung der Autoren.
Therapie: Der Patient und die Behandler der BOZ einigten sich darauf, die Therapien kleinschrittig im Wachzustand durchzuführen. Eine dritte Person sollte dabei den Kopf des Patienten stabilisieren. So konnte der Behandlungsumfang pro Sitzung sukzessive gesteigert werden, und es war möglich, alle Therapien (zehn direkte Restaurationen, zwei Wurzelkanalfüllungen, drei Extraktionen sowie eine Brücke und eine Krone) im Wachzustand durchzuführen. Begleitend wurden engmaschig Zahnreinigungen und Mundgesundheitsaufklärungen durchgeführt. Zur Überwindung der sprachlichen Barriere trug die Ehefrau des Patienten bei, indem sie die undeutliche Sprache „übersetzte“. Für diese Therapiemaßnahmen wurden im Zeitraum von März 2018 bis Mai 2021 31 Sitzungen benötigt.
Schlussfolgerungen: Bei Patienten mit MW mit ausgeprägtem Tremor ist eine zahnmedizinische Therapie in Allgemeinanästhesie nicht zwingend erforderlich. Bei Vorliegen einer Dysphasie ist die Anwesenheit einer Person, die als Dolmetscher fungieren kann, zur Überwindung der Kommunikationsbarriere sehr hilfreich. Wenn aufgrund einer Spastik die Fähigkeit zur Mundpflege reduziert ist, muss ein engmaschiger präventiver Recall durchgeführt werden.
Schlagwörter: Behindertenorientierte Zahnmedizin, Behinderung, Morbus Wilson, zahnmedizinische Therapie
WissenschaftSeiten: 104-110, Sprache: DeutschHillebrecht, Anna-Lena / Vach, Kirstin / Maurer, Christoph / Spies, Benedikt C.Hintergrund: Obwohl der zahnmedizinische Behandlungsbedarf und damit der Bedarf an speziellen Therapieoptionen für Menschen mit Demenz zunimmt, gibt es nur wenige Forschungsarbeiten, die die Optimierung der zahnmedizinischen Versorgung dieser vulnerablen Klientel direkt adressieren. Dieser Artikel informiert über die Möglichkeiten und Chancen von partizipativen Forschungsprojekten im zahnmedizinischen Kontext und stellt ein partizipatives Studienprotokoll zur Analyse der Machbarkeit verschiedener Abformmethoden bei Personen mit fortgeschrittener Demenz vor.
Methoden: Zunächst wurden Aufklärungs- und Einwilligungsdokumente in Leichter Sprache gemeinsam mit der Zielgruppe gestaltet. Im Studienteil werden der Vergleich der Durchführbarkeit von klassischen intraoralen Abformungen und intraoralen Scans bei Personen mit Demenz und die Messung des subjektiven Empfindungsniveaus (Proband/-in/Behandler/-in) während beider Interventionen angestrebt.
Einschlusskriterien: Demenzdiagnose/Mini-Mental State Examination (MMSE) ≤ 24 Punkte, mindestens drei Restzähne im Oberkiefer, Einwilligung zur Teilnahme an der Studie. Nach Studieneinschluss erfolgt die Durchführung eines intraoralen Scans und einer konventionellen Abformung des Oberkiefers bei jeder/jedem Probanden/-in. Zur Quantifizierung des Komforts wird den Testpersonen unmittelbar nach jeder Abformtechnik eine visuelle Analogskala (VAS) vorgelegt. Zusätzlich erfolgt eine Qualitätsbewertung der Scans und Abformung im Experten/-innenkonsens. Registrierung der Studie: Deutsches Register für Klinische Studien: DRKS00027119
Ergebnisse: Dieser Artikel enthält eine Beschreibung neuer methodischer Ansätze zur partizipativen Forschung im zahnmedizinischen Kontext.
Schlussfolgerung: Die Integration von Personen mit Behinderungen in zahnmedizinische Forschungsprojekte ist möglich und notwendig.
Schlagwörter: Abformungen, Demenz, Intraoralscans, Menschen mit Behinderungen, partizipative Forschung
WissenschaftSeiten: 112-118, Sprache: DeutschSchulz-Weidner, Nelly / Jung, Linda / Hofmann, Maria / Krämer, NorbertEinführung: Eine geistige Behinderung kann als Folge vielfältiger Störungen des Gehirns auftreten und führt dazu, dass Fähigkeiten im sprachlichen, motorischen und sozialen Bereich eingeschränkt sein können. Fallberichte und Studien zu unterschiedlichen Patientengruppen zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung im Vergleich zu Kindern und Jugendlichen ohne geistige Behinderung mehr Karieserfahrung und ein höheres Kariesrisiko aufweisen. Ziel der vorliegenden retrospektiven Untersuchung war es, die Kariesprävalenz sowie den Schweregrad der Karies bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung zu evaluieren.
Material und Methode: Es wurden 54 Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung (Studiengruppe (SG); Durchschnittsalter: 7,79 ± 4,02 Jahre) und 34 Kinder ohne geistige Behinderung (Kontrollgruppe (KG); Durchschnittsalter: 4,95 ± 2,11 Jahre) gemäß WHO-Kriterien zahnärztlich untersucht. Zu den aufgenommenen Parametern gehörten der dmft/DMFT-Wert (inklusive dt/DT, mt/MT, ft/FT), der Kariessanierungsgrad (KSG), der Significant Caries Index (SiC) und für die Kinder unter sechs Jahren die Einteilung der Schweregrade der frühkindlichen Karies. Die Studienteilnehmer wurden abhängig vom Alter in die Untergruppen Vorschul- und Schulkinder unterteilt. Die statistische Auswertung erfolgte mittels ANOVA (p ≤ 0,05) unter Verwendung des Statistikprogramms SPSS 26.0.
Ergebnisse: Kinder und Jugendliche ohne geistige Behinderung hatten einen kleineren dmft/DMFT-Wert (5,8 ± 4,0 vs. 9,1 ± 5,2/4,2 ± 2,5 versus 8,0 ± 1,5) und einen größeren ft/FT als Kinder mit geistiger Behinderung, ohne signifikanten Unterschied. Bei den Vorschulkindern fiel der dmft/DMFT-Wert höher aus als in der Schulgruppe. Der SiC war in beiden Altersgruppen in der Studiengruppe höher als in der Kontrollgruppe. Hinsichtlich des KSG zeigte sich, dass in der Gruppe der Schulkinder die Kinder und Jugendlichen mit geistiger Behinderung besser versorgt waren.
Schlussfolgerung: In der vorliegenden Studie zeigten Kinder und Jugendliche mit und ohne geistige Behinderung eine hohe Karieserfahrung, jedoch war die Kariesprävalenz in der Studiengruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe höher. Die Studie zeigt, dass ein besonderes Augenmerk auf frühzeitige zahnärztliche Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen mit hoher Karieserfahrung gelegt werden sollte, um die Zahn- und Mundgesundheit zu erhalten.
Schlagwörter: Behandlungsbedarf, geistige Behinderung, Jugendliche, Kariesprävalenz, Kinder
WissenschaftSeiten: 120-132, Sprache: DeutschSchmidt, Peter / Scheiderer, Marie-Lene / Suchy, Laura / Schulte, Andreas G.Ziel der Studie: In Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa 50.000 Personen mit einem Down-Syndrom (PDS). Aufgrund der nationalen Dokumente zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) könnten diese PDS erwarten, dass im deutschen Gesundheitssystem Leistungen und Gesundheitsangebote speziell wegen des Down-Syndroms ermöglicht werden. Bislang gibt es jedoch kaum Informationen darüber, welche Wünsche und Erwartungen Betroffene selbst oder deren Angehörige in Bezug auf die zahnmedizinische Versorgung von PDS in Deutschland haben. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung war es, entsprechende Informationen aus der Sicht der Eltern von Kindern mit Down-Syndrom aufzuarbeiten.
Methodik: Im Rahmen einer fragebogenbasierten anonymen Querschnittsstudie wurden im Zeitraum zwischen 11/2017 bis 04/2018 alle 610 Mitglieder des „Arbeitskreises Down-Syndrom Deutschland e. V.“ befragt. Der Fragebogen enthielt 75 Fragen, darunter fünf offene Fragen mit der Möglichkeit zur Freitextangabe. Die erhobenen Daten wurden sowohl deskriptiv (Microsoft Excel 2010) als auch qualitativ ausgewertet und für verschiedene geschlossene Fragen bereits publiziert (Schmidt et al. 2022). Gegenstand der vorliegenden Publikation war die Aufbereitung der Inhalte von zwei der fünf offenen Fragen, die mittels strukturierender Inhaltsanalyse anhand des diesbezüglichen Freitextmaterials mit induktiver Kategorienbildung in Anlehnung an Mayring (2022) erfolgte. Vor Studienbeginn wurde ein positives Votum von der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke eingeholt (Nr. 165/2017).
Ergebnisse: Eltern von PDS in Deutschland gaben verschiedene Themen an, die aus ihrer Sicht in Bezug auf die zahnmedizinische Versorgung ihrer Kinder eine Rolle spielen. Die drei häufigsten Angaben betrafen einerseits das Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen, das speziell für PDS angepasst werden sollte, andererseits wurde in Bezug auf die Belange von PDS eine Verbesserung der Kommunikation und des Verhaltens seitens der Zahnärzteschaft gewünscht und drittens eine spezielle Aus-, Fort- und Weiterbildung für die Zahnärzteschaft vorgeschlagen.
Schlussfolgerung: Die von den Eltern genannten Defizite bei der zahnmedizinischen Versorgung von PDS bedeuten, dass die Inhalte der UN-BRK (§ 25) in Deutschland immer noch nicht vollständig umgesetzt sind. Die formulierten Wünsche und Erwartungen an die Zahnmedizin sollten nun von den Akteuren im Gesundheitssystem auch im Austausch mit den Betroffenen diskutiert und so weit wie möglich umgesetzt werden.
Schlagwörter: Defizite, Menschen mit geistiger Behinderung, Trisomie 21, Versorgungssituation, Zahnarzt