Seiten: 255-262, Sprache: DeutschBinger, Thomas / Spitzer, Wolfgang J. / Lisson, Jörg A.Für Patienten mit ausgeprägter maxillärer Retrognathie stellt die Distraktionsosteogenese eine Therapiealternative zur konventionellen Umstellungsosteotomie dar. Während zur Behandlung mit extraoralen Distraktoren umfangreiche Literatur existiert, ist die Datenlage für die Anwendung enoraler Distraktoren gering. Das Verfahren wurde daher am eigenen Patientengut evaluiert. Im Zeitraum von Dezember 2004 bis Juni 2009 wurde bei zehn Patienten eine Mittelgesichtsdistraktion mit enoralen Distraktoren in der Le-Fort-I-Ebene durchgeführt. Es handelte sich dabei um vier Patienten ohne und sechs Patienten mit Spaltbildung. Der Distraktionsablauf wurde durch Auswertung von Fernröntgenseitenbildaufnahmen untersucht. Weiterhin wurden die Behandlungsunterlagen im Hinblick auf die Art und Häufigkeit behandlungsassoziierter Komplikationen ausgewertet. Alle Distraktoren zeigten eine Rotation im Uhrzeigersinn (MW 8,4° ± 6,4°). Diese war umso ausgeprägter, je größer der Anfangswinkel zwischen den Distraktoren und der Okklusionsebene war (MW 12,9° ± 6,3°). Die Rotation korrelierte weiterhin positiv mit dem Ausmaß der Vorverlagerung und war signifikant größer bei Patienten mit einer Spaltbildung. Trotzdem blieb die Neigung der Okklusionsebene nahezu unverändert (MW -1,4° ± 2,4°), sodass bei allen Patienten die angestrebte Mittelgesichtsvorverlagerung ohne klinisch relevante Veränderung der Neigung der Okklusionsebene erreicht wurde. Die Zunahme der Vertikalen (2,0 mm ± 1,2 mm) hatte in keinem Fall negative Auswirkungen auf das ästhetische Ergebnis, was auf die begleitende Distraktion des Weichgewebes zurückzuführen ist. Bei sieben der zehn Patienten war zur Einstellung der Zielokklusion zusätzlich eine Korrekturosteotomie notwendig (bei zwei Patienten im Oberkiefer, bei fünf Patienten im Unterkiefer bei mandibulärer Prognathie). Als Komplikationen trat ein Distraktorbruch während der Konsolidierungsphase (5% aller Distraktoren) auf und bei drei Patienten (33%) entstanden intermittierende Infektionen. Bei allen Patienten war es möglich, die Distraktoren bis zum Abschluss der Konsolidierungsphase zu belassen. Mithilfe enoraler Distraktoren ist eine vorhersehbare Vorverlagerung des Oberkiefers auch bei ausgeprägten Formen der maxillären Retrognathie möglich. Da die vertikale Komponente der Bewegung nicht ausreichend kontrolliert werden kann, muss eine zusätzliche Korrekturosteotomie zur Einstellung der Okklusion eingeplant werden.
Schlagwörter: maxilläre Retrognathie, enorale Distraktionsosteogenese, Distraktionsvektor