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Ein seltenes Krankheitsbild, das eher zufällig diagnostiziert und häufig mit einer versteckten Karies verwechselt wird – Fallbericht und Diskussion

Röntgenaufnahme 1 Jahr postoperativ: Aufgrund des Würge­reflexes ist die Wurzelspitze nicht abgebildet. Es ist zu erkennen, dass der resorptive Defekt mesial und distal nicht vollständig erschlossen und restauriert wurde. Ein Rezidiv der Resorption ist nicht zu entdecken.

Der Fallbericht von Prof. Dr. Michael Hülsmann und Sven-Olav Pabel für die Endodontie 3/21 schildert Diagnostik und Therapie einer präeruptiven koronalen Resorption und diskutiert die zugrundeliegende Ätiologie. Darüber hinaus wird die nur spärliche Literatur zu dieser seltenen dentalen Erkrankung vorgestellt.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Unter der präeruptiven intrakoronalen Resorption (pre-eruptive intracoronal resorption; PEIR) wird eine Resorption verstanden, die bereits vor dem Zahndurchbruch beginnt und das Kroneninnere der noch nicht eruptierten Zähne auflöst. Einzelne Fallberichte dieses seltenen Phänomens finden sich bereits in den 40er Jahren. Als erste diesbezügliche Publikation gilt eine Fallbeschreibung von Skillen aus dem Jahre 19411. Aufgrund der unklaren Ätiologie ist die verwendete Terminologie sehr vielfältig: „radiolucent lesions resembling caries“, „pre-eruptive intracoronal resorption“, „idiopathic external resorption of unerupted permanent teeth“2, aber auch irreführende Bezeichnungen wie „intra-follicular caries“, „occult caries“, „pre-eruptive caries“, „hidden caries“, „fluoride bomb“ und „fluoride syndrome“ finden sich in der Fachliteratur2−4. Die beiden letzten Bezeichnungen resultieren aus der Vermutung, dass Fluoride die Remineralisation des Schmelzes nach Entwicklung einer versteckten Karies bewirkt hätten. Die publizierte Kasuistik soll etwa 50 Fälle umfassen, darunter nur zwei über entsprechende Erkrankungen an Milchzähnen2.

Die Prävalenz der PEIR wird mit ca. 1 Prozent bei Kindern angegeben2, Auswertungen von Röntgenaufnahmen (OPGs und Bissflügelaufnahmen mit nicht durchgebrochenen Zähnen) ergaben Prävalenzen von 2-6 Prozent bei Kindern und 1-2 Prozent bei noch nicht durchgebrochenen Zähnen. In einer Übersichtsarbeit wird eine Häufigkeit von 0,2-27,3Prozent bei den erfassten Kindern und von 0,2-3,5 Prozent bei den untersuchten Zähne angegeben2. In einer Untersuchung der OPGs von 1.571 Personen in Jordanien im Alter von 6-10 Jahren wurden PEIR in 8,1 Prozent der Untersuchten und 0,62 Prozent der Zähne entdeckt. Kein Betroffener zeigte mehr als einen befallenen Zahn, erste Unterkiefer-Prämolaren waren die am häufigsten befallenen Zähne5. Özden et al. und Uzun et al. beschrieben hingegen, dass nicht selten mehrere Zähne einer Person betroffen sind6,7. Demirtas et al.8 ermittelten in einer Auswertung von 1.317 DVTs eine Prävalenz von 15,3 Prozent (42 von 278 Patienten) und 3,5 Prozent bei den nicht durchgebrochenen Zähnen (48 von 1.384 Zähnen), überwiegend waren dritte Molaren betroffen (30 von 48 Zähnen). Die berichteten Daten zur Prävalenz streuen stark, abhängig von der untersuchten Altersgruppe und der Art der Röntgenaufnahme. Es überwiegen Prämolaren und zweite oder dritte Molaren. Dies ist aber zumindest teilweise auf methodische Probleme zurückzuführen, da diese Zähne im Gegensatz zu den anderen Zähnen zum Zeitpunkt der ersten Röntgenaufnahmen häufig noch nicht durchgebrochen sind und daher beispielsweise in der Bissflügelaufnahme nicht dargestellt werden5−7. Nach vollständigem Durchbruch ist eine sichere Diagnosestellung mit Abgrenzung zur „klassischen“ externen zervikalen Resorption oft nicht mehr möglich. Systematische Studien zur Häufigkeit von PEIR im Milchgebiss liegen naturgemäß nicht vor. Zusammenhänge mit Geschlecht, Ethnie, Gesundheitsstatus oder Fluoridierungsstatus wurden nicht beschrieben6,7.

Ätiologie

In der Literatur finden sich zahlreiche Erklärungsansätze beziehungsweise -versuche für die Entstehung prä­eruptiver intrakoronaler Resorptionen2−4:

  • Entzündungen der Milchzähne mit Zerstörung des den permanenten Zahn schützenden Epi­thels: Dies würde allerdings PEIR in bleibenden Molaren nicht erklären.
  • Karies: Es erscheint unwahrscheinlich, dass Karies verursachende Mikroorganismen den Zahn vor Durchbruch in die Mundhöhle besiedeln; in allen Falldarstellungen wird kariöse intrakoronale Zerstörung nicht beschrieben.
  • Dentindefekte,
  • Schmelzdefekte (hypoplastischer oder hypomineralisierter Schmelz),
  • idiopathische Ursache,
  • interne oder externe Resorptionen.

Es wird vermutet, dass − ähnlich wie bei der zervikalen invasiven Resorption − ein Mineralisationsdefekt in Höhe der Schmelz-Zement-Grenze vorliegt, über den auf einen bestimmten Trigger hin Klasten in das Kroneninnere vordringen und das Dentin resorbieren können. Vermutet wird auch, dass Defekte im Schmelzepithel während der Zahn­entwicklung durch den direkten Kontakt zwischen Bindegewebe und Schmelz interne Resorptionen induzieren könnten. Die Resorptionszellen rekrutieren sich vermutlich aus undifferenzierten Zellen der Zahnpapille oder dem umgebenden Knochen3. Das resorbierte Dentin wird durch eine granulomatöse, körnige Substanz ersetzt, neben der sich regulär strukturiertes Dentin und eine entzündungsfreie Pulpa finden. Aus Untersuchungen zur zervikalen invasiven Resorption ist bekannt, dass die Pulpa durch die sogenannte „pericanalar resorption-resistant sheet“ (PRRS) gut vor Resorptionen geschützt ist9,10. Die histologischen Beschreibungen des intrakoronal gefundenen Gewebes variieren jedoch beträchtlich2, unter anderem wurden Osteoklasten, multinukleäre Riesenzellen, Granulationsgewebe und Entzündungszellen beschrieben.

Systemische ätiologische Faktoren sind nicht bekannt, ein Zusammenhang mit lokalen entwicklungsbedingten Defekten und Unregelmäßigkeiten, zum Beispiel mit ektopischer Zahnposition (13-28 Prozent der Zähne mit PEIR), verzögerter dentaler Entwicklung oder überzähligen Zähnen, wird vermutet2. Ein Defekt im Schmelzepithel während der Entwicklung der Zahnkrone, der das Eindringen von Bindegewebe mit direktem Kontakt zum Dentin erlaubt und in der Folge die intrakoronale Resorption initiiert, gilt als plausibelste Theorie2−4

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ätiologie der PEIR weiterhin ungeklärt ist; eine Invasion resorptiver Zellen von extern in das sich bildende Dentin erscheint am wahrscheinlichsten. Da in den meisten Fallberichten eine vitale Pulpa, oft mit noch geschlossener Hartsubstanzdecke, vorgefunden wurde, ist eine interne Ursache eher unwahrscheinlich. Inwieweit die präeruptive intrakoronale Resorption und die invasive zervikale Resorption (ICR), beziehungsweise nach neuer Terminologie die externe zervikale Resorption (ECR), Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen und ob die PEIR nicht möglicherweise nur eine Variante der invasiven zervikalen Resorption darstellt, wurde bislang noch nicht diskutiert oder untersucht.

Klinik und Diagnostik

Da sich Resorptionen klinisch zunächst stumm entwickeln, sind PEIR häufig radiologische Zufallsbefunde. Präeruptiv werden die bereits manifesten Resorptionen nur entdeckt, wenn Röntgenaufnahmen der Region angefertigt werden, wozu aber in der Regel in diesem kindlichen Alter keine Indikation vorliegt. Die Resorption entwickelt sich erst nach Ausbildung der Zahnkrone4 und verläuft langsam3. Nach dem Durchbruch des Zahns in die Mundhöhle ist die Progression der Resorption in der Regel ebenfalls langsam. Posteruptiv zeigt sich zunächst eine intakte Zahnkrone ohne erkennbare kariöse Läsionen. Kommt es posteruptiv zusätzlich zur bakteriellen Besiedelung über kariöse oder nichtkariöse Schmelzdefekte, kann auch eine rapide Progression der Resorption die Folge sein, wobei der Defekt äußerlich und röntgenologisch einer kariösen Läsion ähneln oder kariös überlagert sein kann. Einige Autoren2,3,7 vermuten, dass nicht wenige Fälle von „hidden caries“ ursprünglich intrakoronale Resorptionen waren, in denen sich nach Zahndurchbruch und assoziierter bakterieller Besiedelung des Zahns eine Karies manifestierte. Schmerzen oder klinische Symptome treten erst auf, wenn es zur Entzündung und Infektion der Pulpa kommt3

In Einzelzahn- oder Flügelbissaufnahmen werden mehr PEIR entdeckt als im Orthopantomogramm. Die beste Darstellung gelingt mithilfe einer DVT, die zudem auch besser Auskunft über die dreidimensionale Ausdehnung der Resorption und eine mögliche Mitbeteiligung der Pulpa gibt. Eine Indikation der DVT zur Diagnostik präeruptiver Zahnschäden mit derart geringer Prävalenz/Inzidenz liegt aber gerade im Kindesalter nicht vor2,8,11. In der Regel ist nur ein einzelner Zahn betroffen2, aber auch der Befall mehrerer Zähne wurde bereits beschrieben6,7,12.

Im Röntgenbild − OPG, Einzelzahnaufnahme oder Bissflügel − imponiert eine scharf begrenzte Aufhellung im Bereich der Zahnkrone, in der Regel in Höhe der Schmelz-Zement-Grenze mit unterschiedlich ausgeprägter Ausdehnung in das koronale Dentin2. Differenzialdiagnostisch sind Karies und interne Resorptionen in Betracht zu ziehen. Die scharfe Begrenzung hilft bei der Abgrenzung zu einer „hidden caries“, bei der die Läsionsränder eher diffus auslaufen. Eine interne Resorption geht von einer chronisch entzündeten Pulpa aus. Radiologisch wäre eine Kommunikation der Resorptionslakune mit der Pulpa zu erkennen. Da es vor dem Zahnbruch nicht zur Entwicklung einer Pulpitis kommt, ist eine interne Resorption als Differenzialdiagnose auszuschließen. Eine externe zervikale Resorption, bei der es durch einen Defekt im Wurzelzement zur Invasion resorbierender Zellen in das Dentin und zu dessen Resorption zirkulär um die Pulpa herum sowie fingerförmig in die Tiefe des Dentins hinein kommt, kann nicht ausgeschlossen werden. Möglicherweise stellt die präeruptive koronale Resorption aber auch eine Unterform der externen zervikalen Resorption dar. Wird die Resorption erst längere Zeit nach dem Zahndurchbruch entdeckt, kann es zum Einbruch der okklusalen Schmelzdecke und/oder zur Überlagerung mit einer Karies kommen13. Erst am bereits durchgebrochenen Zahn entdeckte intrakoronale Resorptionen
werden unter Umständen als “hidden caries“ fehldiagnos­tiziert2,3,14. Auf die wichtige Rolle von Kiefer­orthopädinnen und Kieferorthopäden bei der frühzeitigen Diagnostik intrakoronaler Resorptionen wird hingewiesen15.

Histologie

Zur Histologie und Mikrobiologie präeruptiver Resorptionen liegen nur wenige und teilweise widersprüchliche Informationen vor: Nichtentzündetes, aber nekrotisches Weichgewebe wurde ebenso beschrieben wie bakteriell infiziertes Gewebe und entzündetes Pulpagewebe. Mehrfach wurden resorptive Zellen (multinukleare Zellen, Osteoklasten, Makrophagen) nachgewiesen2,3.

Management

Für die Therapie präeruptiver interner Resorptionen liegen naturgemäß keine evidenzgestützten Behandlungskonzepte vor. Alle diesbezüglichen Vorschläge basieren auf der Auswertung von Einzelfällen beziehungsweise publizierter Kasuistik. Es lassen sich – situationsabhängig – die folgenden Therapieziele formulieren:

  • Da die Pulpa in der Mehrzahl der Fälle nicht involviert und nach wie vor von einer intakten Dentinschicht bedeckt ist, wird eine Vitalerhaltung angestrebt, um ein Fortschreiten des Wurzelwachstums zu gewährleisten. 
  • Kommt es zur Exposition der Pulpa, sollte durch eine Pulpotomie die Vitalerhaltung zumindest eines Teiles der Pulpa angestrebt werden, um einen regulären Abschluss des Wurzelwachstums zu ermöglichen. Die möglichen Therapiemaßnahmen reichen von der Pulpotomie bis zu regenerativen Verfahren.
  • Wird bei der notwendigen Entfernung des resorbierenden Granulationsgewebes der externe Zugang entdeckt, sollte er dicht verschlossen werden, um ein Rezidiv der Resorption zu verhindern.

Die unter Umständen massiv unterminierte koronale Hartsubstanz soll so restauriert werden, dass eine langfristige Kaufunktion sichergestellt und wei­terer Substanzverlust vermieden werden kann.

Das Therapieprotokoll muss individuell und fallbezogen festgelegt werden. Größe, Progression der Resorption sowie Umfang der koronalen De­struktion sind ebenso zu berücksichtigen wie Al­ter, voraussichtliche Durchbruchszeit, strategische Be­deu­tung des Zahns, die Kooperation beziehungsweise Kooperationsfähigkeit des Patienten. Wird eine Resorption vor der Eruption entdeckt, werden Röntgenkontrollen im Abstand von maximal 6 Monaten (große Läsionen) und 12 Monaten (kleine Läsionen) empfohlen2. Die Behandlungsmöglichkeiten reichen von der chirurgischen Freilegung und Restauration vor dem Durchbruch über Monitoring und Restauration nach dem Durchbruch bis zur Ex­traktion nicht mehr restaurierbarer Zähne3,5,16−19.

Fallbericht

Ein zum Zeitpunkt der Erstvorstellung 10-jähriges Mädchen wurde vom Hauszahnarzt, einem Spezialisten in Kinderzahnheilkunde, zur Diagnostik und Behandlung einer atypischen intrakoronalen Aufhellung im Kronenbereich des im Durchbruch befindlichen symptomatischen Zahns 45 überwiesen. 

Die Allgemeinanamnese war unauffällig. Die zahnärztliche Anamnese ergab Molaren-Inzisiven-Hypomineralisationen an allen bleibenden ersten Molaren und am Zahn 11. Die junge Patientin hatte sich mit ihren Eltern im Mai 2020 mit sehr starken Schmerzen in der Region 45 in der Kinderpraxis vorgestellt. Sie gab an, nachts Eiter im Mund geschmeckt zu haben. Klinisch imponierte nach Angaben des überweisenden Kollegen eine Schwellung der Umschlagfalte am Zahn 45 (Abb. 1).

Nach Inspektion und Anfertigung einer Röntgenaufnahme in der Kinderpraxis (Abb. 2) wurde die Patientin zur Weiterbehandlung in die Klinik überwiesen. Zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Klinik war die junge Patientin schmerzfrei, auch die Umschlagfalte war weder palpationsempfindlich noch geschwollen. Es entleerten sich auf vorsichtiges Massieren weder Eiter noch Exsudat. Auf den Sensibilitätstest mit Kälte reagierte der Zahn positiv. Klinisch wurde keine Karies entdeckt, der Zahn war nicht gelockert, der Perkussionstest verlief negativ und die Sondierungstiefen waren unauffällig. Da das Röntgenbild des Überweisers nur die koronale Zahnhälfte abbildete, wurde eine neue Einzelzahnaufnahme angefertigt (Abb. 3).

Die Verdachtsdiagnose lautete koronale Resorption und es wurde in Diskussion mit den Eltern der Patientin beschlossen, eine okklusale Zugangskavität zu präparieren, um eine Inspektion des Defektes zu ermöglichen.

Nach Infiltrationsanästhesie wurde unter relativer Trockenlegung eine koronale Kavität präpariert. Sofort nach Penetration des klinisch völlig intakt erscheinenden Schmelzes imponierte eine heftige Blutung (Abb. 4), kariös verändertes Dentin wurde nicht gefunden. Es zeigte sich etwas derberes, heftig blutendes Granulationsgewebe (Abb. 5), das mit Rosenbohrern und einem Löffelexcavator schrittweise entfernt wurde. Hierbei kam es zur Exposition des Pulpakavums. Immer wieder unternommene Versuche der Blutstillung mit 3 Prozent Natriumhypochlorit (NaOCl) blieben zunächst erfolglos. Erst nach vollständiger Darstellung des Pulpakavums konnte die Blutung schließlich schnell etwa in Höhe des Wurzelkanaleingangs gestoppt werden. Die Inspektion mit dem Mikro­skop zeigte keine verbliebenen Reste des Granulationsgewebes, eine mögliche Eintrittsstelle für das Granulationsgewebe wurde nicht entdeckt. Die mesialen Kavitätenwände, an denen eine Perforation des Wurzelzementes vermutet wurde, erschienen intakt.

Die Abdeckung der großflächig exponierten, nicht mehr blutenden Wurzelpulpa erfolgte mit Biodentine (Septodont) (Abb. 6). Nach adhäsiver koronaler Restauration mit einem Komposit (Abb. 7) wurde eine abschließende Röntgenkontrollaufnahme angefertigt, um die Platzierung des Biodentine zu überprüfen (Abb. 8).

Bei der 1-Jahreskontrolle berichtete die Patientin über durchgehende Beschwerdefreiheit und Symptomlosigkeit, was durch die klinische Untersuchung bestätigt wurde (Abb. 9). Der Zahn war weiter durchgebrochen und hatte fast das Okklusionsniveau erreicht. Der Sensibilitätstest ergab eine schwach positive Reaktion, Perkussion und Palpation verliefen unauffällig. Eine aussagekräftige vollständige Einzelzahnaufnahme konnte aufgrund eines extremen Würgereflexes der Patientin nicht angefertigt werden (Abb. 10). Die zusätzlich angefertigte Übersichtsaufnahme (Abb. 11) demonstriert ein Fortschreiten des Wurzelwachstums in Länge und Dicke der Wurzelwände und peri­apikal unauffällige Verhältnisse. Weitere vergleichbare resorptive Defekte an den anderen Prämolaren oder Molaren sind nicht zu erkennen. Die Gegenüberstellung der Röntgenaufnahmen (Abb.12a bis b), der positive Sensibilitätstest und der weitere Durchbruch bestätigen den bislang positiven Verlauf der vitalerhaltenden Behandlung.

Diskussion

Die präeruptive invasive Resorption stellt eine seltene und kaum untersuchte Pathologie dar. Aufgrund der geringen Fallzahl und der nur spärlich publizierten Kasuistik ist die Ätiologie nach wie vor ungeklärt. Parallelen zur externen invasiven zervikalen Resorption sind aber deutlich zu erkennen: die Eintrittsstelle des resorbierenden Gewebes in Höhe der Schmelz-Dentin-Grenze und die zirkuläre Ausbreitung um die vital bleibende Pulpa herum. Während sich die externe invasive zervikale Resorption in vielen Fällen um den Wurzelkanal herum fingerförmig apikalwärts erstreckt9,10, finden sich bei der PEIR überwiegend auf die Kronenpulpa begrenzte Resorptionen.

Ausgangspunkt der PEIR ist die Schmelz-Zement-Grenze. In einer rasterelektronenmikroskopischen Studie wurden vier unterschiedliche Formationen dieser Grenze identifiziert:

  • Schmelz, der von Zement überlappt wird,
  • direktes Angrenzen von Schmelz und Zement,
  • Zement, der von Schmelz überlappt wird,
  • kein Kontakt zwischen Schmelz und Zement mit einem Spalt freiliegenden Dentins20.

An einem Zahn können mehrere unterschiedliche Formen vorliegen.

Röntgenologisch erstreckt sich der intrakoro­nale Defekt im vorgestellten Fall mesial und distal bis an die Schmelz-Zement-Grenze, klinisch wurde hier aber keine makroskopisch erkennbare Kommunikation zur Zahnaußenseite festgestellt. Unklar bleiben auch die Art und Ursache des resorptionsinduzierenden Reizes. Ob die für externe invasive zervikale Resorptionen diskutierten Faktoren Hypoxie und Ischämie infrage kommen, konnte nicht beantwortet werden10

Aufgrund ihres frühen Eintritts noch vor Durchbruch der betroffenen Zähne und der sich später nach Durchbruch klinisch kariesfrei darstellenden Krone sowie des häufigen Fehlens von Beschwerden handelt es sich bei der Entdeckung einer PEIR in der Regel um Zufallsbefunde oder die Entdeckung durch die Röntgendiagnostik bei einer Schmerzbehandlung. Da zudem die Ätiologie ungeklärt ist, besteht keine Präventionsmöglichkeit.

Im vorliegenden Fall wurde die Resorption erst zu einem eher späten, posteruptiven Zeitpunkt erkannt, als die Patientin sich mit Schmerzen in der Praxis vorstellte und ein Röntgenbild angefertigt wurde. Aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Wurzelwachstums wurde trotz intraoperativer Pulpaexposition der Versuch einer Vitalerhaltung unternommen, der sich bislang als erfolgreich erwiesen hat. Aufgrund des zum damaligen Zeitpunkt noch unvollständigen Zahndurchbruchs und der limitierten Compliance der jungen Pa­tientin musste die Behandlung unter suboptimaler relativer Trockenlegung erfolgen. Weitere Kon­trollen sind notwendig, um den Fortschritt und den Abschluss des Wurzelwachstums zu kon­trollieren.

Schlussfolgerungen

Bei der präeruptiven intrakoronalen Resorption handelt es sich um ein seltenes Krankheitsbild, das in der Regel eher zufällig diagnostiziert und häufig mit einer versteckten Karies verwechselt wird. Frühzeitige (Röntgen-)Diagnostik und Therapie beeinflussen die Prognose positiv.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Michael Hülsmann, Zürich, Sven-Olav Pabel, Göttingen

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Endodontie 03/2021 Endodontie