Der vorliegende Beitrag von Prof. Dominik Groß et al. für die Quintessenz Zahnmedizin 09/2022 identifiziert und problematisiert – am Anwendungsbeispiel „Zahnheilkunde“ – zentrale ethische Herausforderungen im Kontext der künstlichen Intelligenz (KI). Sie reichen von Fragen des Datenschutzes bei komplexen Datensätzen über technikassoziierte Veränderungen der Zahnarzt-Patient-Beziehung bis hin zu Problemen der Evidenzgewinnung. Der Aufsatz betont den hohen Stellenwert KI-gestützter Technologien, verweist aber zugleich auf die Zweckbindung derselben: Demnach sollte der Einsatz von KI-basierten Systemen stets anhand ihrer konkreten Auswirkungen auf den Patienten, das Behandlungsteam und/oder die Zahnarzt-Patienten-Beziehung beurteilt werden. Nur Technologien, die bei Zahnärzten, ihren Patienten und der Gesellschaft Akzeptanz finden, werden langfristig Bestand haben.
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Einleitung
Es besteht kein Zweifel, dass KI-getriebene technische Innovationen die Zahnmedizin und den Umgang mit dem zahnärztlichen Patienten auf eine neue Grundlage stellen. Doch die Chancen und Grenzen der künstlichen Intelligenz (KI) und der Digitalisierung der Zahnmedizin bemessen sich nicht allein an der technischen Machbarkeit, sondern ebenso an der gesellschaftlichen Akzeptanz und der ethischen Akzeptabilität – der Angemessenheit und „Annehmbarkeit“ – der betreffenden Innovationen.
Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des vorliegenden Aufsatzes, zentrale ethische Herausforderungen im Kontext der KI zu identifizieren und zu problematisieren. Besagter Beitrag fußt auf früheren Arbeiten zu ethischen Fragen im Kontext der Digitalisierung in der Zahnheilkunde17–19.
Verhältnis von KI beziehungsweise Digitalisierung zur Ethik
Prinzipiell lässt sich feststellen, dass KI und hierauf beruhende Innovationen – wie jede grundlegende technologische Revolution – ein ethisches „Dilemma an zwei Fronten“ schaffen9: Zum einen besteht ein Dilemma im Hinblick auf den Grad der Informationsverfügbarkeit (Informationsdimension). Es ist initial kaum möglich, die ethischen Implikationen und unerwünschten Nebenwirkungen technologischer Innovationen abzuschätzen, da diese in jenem Stadium noch wenig erprobt beziehungsweise etabliert sind. Zum anderen ergibt sich später ein Dilemma in Bezug auf die Kontrollierbarkeit (Kontrolldimension). Sind KI-gestützte Technologien erst einmal weit verbreitet und etabliert, ist es wiederum schwierig, sie zu kontrollieren oder gar rückgängig zu machen. Bildhaft gesprochen: Ist der Geist einmal aus der Flasche entwichen, lässt er sich nicht mehr „einfangen“ und kontrollieren.
Dieses doppelte Dilemma bringt es mit sich, dass die ethische Analyse zumeist mindestens einen Schritt hinter der betrachteten technischen Entwicklung zurückbleibt. Dies gilt umso mehr für technologische Entwicklungen, die nicht inkrementell, sondern – wie im Fall von KI-Anwendungen – revolutionär und multidimensional sind. Gleichwohl sind einzelne KI-Anwendungen in der (Zahn-)Medizin zumindest in Teilbereichen so weit fortgeschritten, dass es möglich ist, damit verbundene Herausforderungen zu identifizieren und anhand von Beispielen zu verdeutlichen (Tab. 1).
Umgang mit komplexen Datensätzen („Big data“) und Datenmanipulation
Dass bei der Anwendung KI-gestützter Systeme stets Fragen des Datenschutzes berührt werden, ist offensichtlich. Datenschutz und Datensicherheit gehören zweifellos zu den meistdiskutierten Problemfeldern4,27,31,36,40,48. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, die informationelle Selbstbestimmung der Patienten zu wahren, ihnen also die Möglichkeit zuzugestehen, über die Verwendung der eigenen Daten zu entscheiden. Viele der früher analog gespeicherten Daten (zum Beispiel Anamneseerhebungen und Gesundheitsakten) werden heute in digitaler Form aufbewahrt beziehungsweise nachträglich digitalisiert und lassen sich somit einfach nutzen, extrahieren, übertragen oder verknüpfen2,8,26,37. Das Gleiche gilt für Daten, die auf elektronischen Versicherungskarten, in Gesundheits-Apps etc. gespeichert sind21. Doch je mehr Daten generiert werden, desto komplexer wird die Situation und desto größer ist das Risiko des Datenmissbrauchs zum Beispiel für kommerzielle Zwecke, für Risikobewertungen durch Krankenversicherungen usw. Es gibt eine Reihe von rechtlichen Maßnahmen, um diesem Problem zu begegnen. In vielen Ländern müssen zum Beispiel E-Mails im geschäftlichen Kontext (zum Beispiel Arztpraxen) archiviert werden. Bei der Nutzung von Cloud-Diensten sind beispielsweise Datenschutzrichtlinien bezüglich des Speicherplatzes zu beachten, was vielerorts bedeutet, dass Patientendaten nur auf nationalem Territorium in Cloud-Speichern gespeichert werden dürfen. Die Datenspeicherung muss zudem den Datenschutzgesetzen des jeweiligen Landes entsprechen27.
Digitale Daten lassen sich zudem in vielen Fällen leichter verfälschen als analoge Daten36. Als Beispiel können digitale Zahnröntgenbilder genannt werden. Selbst für Fachleute ist es unter Umständen schwierig, manipulierte oder gefälschte digitale Röntgenbilder zu erkennen. Díaz-Flores-García et al. untersuchten im Jahr 2017 die Fähigkeit eines Zahnarztes, ein manipuliertes Zahnröntgenbild im Vergleich zum Original zu identifizieren. Die Ergebnisse waren alarmierend: Die teilnehmenden Zahnärzte erkannten das manipulierte Bild in 56 Prozent der Fälle richtig, was nur 6 Prozent über dem erwartbaren Zufallswert von 50 Prozent lag11. Visser und Kruger waren zuvor zu noch ungünstigeren Ergebnissen gelangt47. Tatsächlich wird das Problem seit einigen Jahren vertieft diskutiert7,32 (Abb. 1).
Zahnarzt-Patient-Beziehung
Auch die Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient steht vor Herausforderungen. Die Rolle des Zahnarztes hat sich unter dem Einfluss der KI-gestützten Technisierung und Digitalisierung verändert: Die traditionelle direkte Zweierbeziehung ist durch die Integration von technischen Sys-temen in die Patientenbehandlung vielschichtiger und komplexer geworden – und diese Tendenz wird weiter zunehmen16,20,30. Ein Beispiel liefert die Reduzierung der (direkten) zahnärztlichen Handlungen am Patienten. Musste der Zahnarzt bislang etwa einen Abdruck von den Zähnen des Patienten nehmen und damit physisch mit ihm interagieren, so kann dies künftig ein Scanner „übernehmen“ – ohne direkten Körperkontakt51. Aber auch „Expertensysteme“ nehmen Einfluss auf das Verhältnis zwischen Zahnarzt und Patient. Jene KI-gestützten Systeme sollen zum Beispiel die Diagnosestellung des einzelnen Zahnarztes unterstützen, während die Diagnose früher allein aufgrund anamnestischer und diagnostischer Erhebungen am Patienten gestellt wurde42,45,50. Natürlich bieten die skizzierten Werkzeuge Chancen. Entscheidungsunterstützende Systeme können gerade unerfahrenen Behandlern helfen, weniger Fehlentscheidungen zu treffen. Andere Dienste (zum Beispiel Teledentistry) können die Versorgungsgerechtigkeit erhöhen, indem sie den Zugang zu zahnärztlicher Beratung und Betreuung erleichtern25,38. Dennoch gilt: Je mehr derartige technische Hilfsmittel in die Interaktion von Zahnarzt und Patient eingreifen, desto stärker verändert sich ihre Beziehung.
Ähnliches gilt für (oftmals nicht validierte) KI-gestützte Werkzeuge zur Selbstdiagnose oder Gesundheits-Apps10,21,33,41. Die letztgenannten Angebote führen einerseits zur „Selbstermächtigung“ der Patienten und zu mehr Unabhängigkeit von ihren Behandlern, können aber beispielsweise bei schlechter Funktionalität und Validität patientenseitig auch (falsche) Erwartungshaltungen wecken, die der Zahnarzt nicht erfüllen kann.
Übernahme von Verantwortung in komplexen technischen Systemen
Menschliches Handeln wird durch den Einsatz von Technik deutlich komplexer. Bei KI-gestützten Systemen sind viele Menschen an der Entwicklung, Operationalisierung und Anwendung der jeweiligen Technik beteiligt. Solange ein solches System reibungslos und fehlerfrei funktioniert, gibt es keinen Grund zur Klage. Treten jedoch Fehler auf – möglicherweise mit negativen Folgen für involvierte zahnärztliche Patienten –, so stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich zu machen ist23. Liegt der Fehler beim Entwickler, beim Ausbilder oder beim Nutzer des technischen Systems? Was hier deutlich wird: In komplexen Mensch-Maschine-Systemen, an denen viele Akteure beteiligt sind, wird es zusehends schwieriger, eine individuelle Verantwortung zuzuweisen15,39. Dieses ethisch und rechtlich problematische Phänomen wird auch als „Verantwortungsdiffusion“ bezeichnet.
Besagte Situation kann zudem dazu führen, dass die juristische und die moralische Bewertung auseinanderfallen. Wenn zum Beispiel eine zahnmedizinische Technologie wie etwa ein entscheidungsunterstützendes oder ein CAD/CAM-System bereits bei der Auslieferung falsch justiert beziehungsweise programmiert war und der Zahnarzt bei der Anwendung unzureichende Ergebnisse erzielte und seine Patienten schädigte, wird der Zahnarzt rechtlich für das unzureichende Endergebnis haftbar gemacht. Moralisch betrachtet ist der betreffende Zahnarzt jedoch nur eine von vielen handelnden Parteien und Entscheidungsinstanzen in diesem System. Wurde ihm das technische System in fehlerhaftem Zustand ausgeliefert und hat der Zahnarzt in der Folge keinen individuellen Bedienungsfehler begangen, wäre er aus moralischer Sicht eher als Opfer zu betrachten, während er – wie erwähnt – juristisch als Täter anzusehen wäre.
Veränderungen von zahnärztlichem Berufsbild und Selbstverständnis
Der Einzug von KI und Digitalisierung führt überdies zu veränderten beruflichen Anforderungen und Berufsprofilen. Der Zahnarztberuf ist beziehungsweise wird zunehmend technologisch geprägt. Mit dem Einzug moderner Technologien verändern sich aber auch die Rahmenbedingungen und Strukturen der Praxen und Dentallabore. Technische Investitionen sind kostenintensiv. Dies wirkt unter anderem auf die Labor- und Praxisgrößen zurück. So ist in Deutschland die Zahl der kleinen Dentallabore seit Jahren rückläufig, während der Anteil von Großlaboren tendenziell steigt. Heute erwirtschaften 10 Prozent der Labore rund 50 Prozent des Branchenumsatzes. Auch die Größe der Zahnarztpraxen nimmt seit einigen Jahren kontinuierlich zu – zulasten des Einzelpraxis-Modells. Ebenso ändert sich die Zusammenarbeit zwischen Praxen und Laboren. Ein augenfälliges Beispiel hierfür bieten zahnärztliche Chairside-Systeme wie zum Beispiel CAD/CAM6,49 (Abb. 2).
KI-Expertise beziehungsweise digitale Kompetenz
Jedes KI-gestützte technische System ist nur so gut wie sein Anwender. Techniken, die fortgesetzten Aktualisierungen und Veränderungen unterworfen sind, erfordern eine umfassende und kontinuierliche Lernbereitschaft des Nutzers.
Probleme entstehen vor allem dann, wenn der Zahnarzt eine Technologie nutzt, die er nicht hinreichend „beherrscht“, etwa weil er die Bedienungsanleitung nicht (richtig) liest oder Schulungen fernbleibt5,34,44,46. Van der Zande et al. unterscheiden dementsprechend – mit Blick auf Anwender neuer Technologien – zwischen „Early adopters“, „Late adopters“ und „Non-adopters“43. Fehlt es an technischer Kompetenz, ist nicht nur die Nutzung der Technologie ineffizient; überdies kann auch der Patient, bei dem die Technologie angewandt wird, Schaden nehmen.
Aber auch die Kompetenz des Patienten stellt eine Herausforderung dar. Jeder am Patienten vollzogenen Maßnahme muss eine informierte Einwilligung des Patienten vorausgehen3. Eine informierte Einwilligung kann aber sensu stricto nur dann gegeben werden, wenn der Patient die Informationen über die anzuwendende Technologie versteht und die Tragweite der von ihm zu treffenden Entscheidung tatsächlich übersehen kann. Zweifellos gibt es für solche Informationsbedarfe KI-gestützte Hilfsmittel. So können technisch komplexe Behandlungsoptionen mithilfe digitaler Visualisierung optisch so aufbereitet werden, dass sie für den Patienten verständlicher sind. Zunehmend wird auch „Gamification“ eingesetzt35. Dabei werden spielartige Elemente und Verfahren angeboten, um dem Patienten spielerisch technische Sachverhalte zu vermitteln. Das Problem dabei ist, dass es sich bei Visualisierung und „Gamification“ wiederum um technische Anwendungen handelt, für die technikaffine Patienten deutlich empfänglicher sind als technophobe, während doch gerade Letztere einen besonderen Informationsbedarf haben (Abb. 3).
Amortisationsdruck und Risiko der Überbehandlung
Hohe Praxisinvestitionen in KI-gestützte Technik – etwa in den Bereichen Diagnostik und Therapie – erfordern in der Folge eine hochfrequente Nutzung der neuen Technologie, um die entstandenen Kosten zu amortisieren (Amortisationsdruck).
Besagter Druck wiederum erhöht das Risiko von Überdiagnosen und Überbehandlungen – kurz: von Überdehnungen der Indikationsstellung für den Einsatz eines technischen Hilfsmittels (Amortisationsfalle; Abb. 4). Überdiagnosen und Überbehandlungen schaden dem Patienten (und unter Umständen auch der Versichertengemeinschaft) und stellen daher ein erhebliches ethisches Problem dar22. Darüber hinaus birgt die fortgesetzte technische „Aufrüstung“ die Gefahr einer Verschiebung des bisherigen Standards. Damit ist gemeint, dass bestimmte technische Verfahren vor allem deshalb breit eingesetzt werden, weil sie in hoher Zahl angeschafft wurden und damit „verfügbar“ sind. Sie werden damit gegebenenfalls auch in Fällen genutzt, in denen sie keinen Vorteil gegenüber konventionellen Verfahren bieten. Als Beispiel sei die computernavigierte Implantation angeführt13: Allein die Tatsache, dass diese möglich (und mehr und mehr verfügbar) ist, sollte sie nicht zu einer faktischen Notwendigkeit werden lassen. Tatsächlich ist ihr Einsatz nicht in jedem Fall erforderlich oder sinnvoll. Und doch lehrt die Erfahrung, dass Technologien, die in hohem Maße verfügbar geworden sind, à la longue als neuer Standard wahrgenommen werden. Sie verschieben damit faktisch den bisherigen Status quo – zum Teil weitgehend unabhängig von der Frage, ob dies dem einzelnen Patienten nützt oder nicht13.
Die genannten Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, die technischen Möglichkeiten mit den ethischen Notwendigkeiten abzuwägen. Kriterien für diese Abwägung sind die medizinische Zumutbarkeit, das Patientenwohl und die wirtschaftliche Vertretbarkeit.
„Evidenzlücken“
Während beispielsweise die Zulassung von Arzneimitteln stets von aussagekräftigen klinischen Studien abhängig gemacht wird, fehlen bei der Markeinführung patientenbezogener Technologien initial häufig belastbare Informationen zur Evidenz. Doch selbst in Fällen, in denen im Verlaufe oft mehrjähriger Studien eine entsprechende Evidenz gewonnen und ein Wirksamkeitsnachweis geführt wurde1,12,24,28,29,51, sagt dies noch nichts über die klinische Relevanz des Evidenzgewinns aus. Oft ist eine bestimmte Technologie oder ein bestimmtes technisches System bei der Veröffentlichung entsprechender Studien nämlich bereits durch ein Nachfolgesystem ersetzt worden. Dies liegt nicht zuletzt am erheblichen Wettbewerbsdruck der Technikproduzenten sowie an den immer schnelleren Entwicklungs- und Erneuerungszyklen, denen moderne technische Produkte ausgesetzt sind. Aus ethischer Sicht ist diese Situation unbefriedigend, denn die Evidenzlage hinkt bei allem Bemühen der Technikentwicklung hinterher. Insofern gehört es zu den Desideraten, Entwickler und Studienleiter an einen Tisch zu bringen, um derartige „Evidenzlücken“ zu schließen.
Diskussion
Die KI bietet neue Potenziale und exzellente Anwendungsmöglichkeiten – auch und gerade in der Zahnheilkunde. Die Herausforderung besteht jedoch darin, den Umgang mit KI-gestützten Anwendungen verantwortungsvoll zu gestalten und auf bestehende Probleme konstruktiv zu reagieren. KI-Anwendungen sind kein Selbstzweck, sondern sollten stets beurteilt werden anhand ihrer Auswirkungen
- auf den Patienten,
- auf das Behandlungsteam beziehungsweise
- auf die Zahnarzt-Patienten-Beziehung14.
Auswirkungen auf den Patienten
Das Kernelement zahnärztlichen Wirkens ist der Dienst am Patienten. Jedweder KI-Einsatz muss sich an diesem Ziel messen lassen. Zu sinnvollen Zielen zählen die Verbesserung der Diagnose- und/oder Therapiequalität, die Erweiterung bestehender diagnostischer oder therapeutischer Möglichkeiten, die Verkürzung der Dauer und/oder Häufigkeit der Behandlung, die Verbesserung des Behandlungskomforts, die Erhöhung der Patientensicherheit, die Stärkung der Patientenautonomie, die Verbesserung bzw. Erleichterung des Zugangs zur zahnärztlichen Versorgung und/oder die Senkung der Kosten für den Patienten beziehungsweise die Solidargemeinschaft der Versicherten.
Auswirkungen auf das Behandlungsteam
Ähnlich positiv sind KI-Anwendungen dann zu bewerten, wenn sie sich günstig auf den Zahnarzt und sein Team auswirken. Dies ist dann gegeben, wenn sie diese in ihrer Arbeit unterstützen – sei es in Form technischer Hilfe im Arbeitsprozess oder im Sinne einer Entscheidungshilfe, zum Beispiel bei jungen, noch unerfahrenen Zahnärzten. Gleiches gilt, wenn sie das Team von anderen, zum Beispiel administrativen Aufgaben entlasten, (zeitliche) Freiräume schaffen oder neue Handlungsspielräume eröffnen. Letzteres kann selbstverständlich auch ökonomische Spielräume für den Praxisinhaber bedeuten, solange dies nicht zulasten der Versorgungsqualität geht und nicht zu Überdiagnosen oder Überbehandlungen führt.
Auswirkungen auf die Zahnarzt-Patienten-Beziehung
Schließlich sind auch positive Auswirkungen von KI-Anwendungen auf die Zahnarzt-Patienten-Beziehung denkbar – etwa in Form qualitativ verbesserter Kommunikation (zum Beispiel durch anschauliche digitale Visualisierung von Behandlungsmöglichkeiten) oder in Form einer Zeitersparnis (dank digitaler Technik und nachfolgender Nutzung der gewonnenen Zeit für die Arzt-Patienten-Kommunikation und -Interaktion). Auch positive Effekte auf die Patientenaufklärung können hier zum Tragen kommen. Sie führen letztlich zu einem Abbau der klassischen Asymmetrie zwischen dem Zahnarzt als medizinischen Experten und dem Patienten als medizinischen Laien. Je besser ein Patient informiert ist, desto selbstbestimmter sind seine Entscheidungen – und beides dürfte seine Therapieadhärenz positiv beeinflussen.
Fazit
Grundsätzlich sollte den normativen Herausforderungen und Fallstricken KI-gestützter Technik ebenso viel Aufmerksamkeit gewidmet werden wie ihren Potenzialen. Tatsächlich ist der adäquate Einsatz KI-gestützter Technologien keine rein fachliche, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ohnehin gilt: Entscheidend für den „Markterfolg“ einer technologischen Innovation ist nicht allein die technische Machbarkeit, sondern genauso ihre gesellschaftliche Akzeptanz und ethische Akzeptabilität. Nur Technologien, die bei Zahnärzten, ihren Patienten und der Gesellschaft als nützlich und vertretbar gelten, werden langfristig Bestand haben.
Ein Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Dominik Groß, Dr. Saskia Wilhelmy und Dr. Karin Groß, Aachen
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de