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Kariesarretierung mit Fissurenversiegelungen, Hall-Technik, SDF

Bei der Hall-Technik (HT) wird eine Stahlkrone ohne Lokalanästhesie, Kariesentfernung oder Präparation über einen kariösen Milchmolaren zementiert, für den eine irreversible Pulpitis beziehungsweise Pulpanekrose ausgeschlossen werden sollte.

Karies ist immer noch eine der weltweit am häufigsten auftretenden Erkrankungen. Die wissenschaftliche Klärung der Kariesätiologie in den 1950er-Jahren hat zu einer außerordentlichen Erfolgsgeschichte in der Kariesprävention geführt, die sich inzwischen über alle Altersgruppen und Sozialschichten erstreckt. Allerdings sind die Kariesreduktionen im Milchgebiss unterdurchschnittlich und frühkindliche Karies stellt ein deutliches Problem in Deutschland dar. Traditionelle restaurative Ansätze lösen das Problem der Erkrankungsaktivität nicht und daher werden Prävention und Therapie unter dem Konzept des Kariesmanagements zusammengefasst, was zu deutlich veränderten Handlungskonsequenzen führt. Gerade in der Kinderzahnheilkunde wurde dies sehr konsequent umgesetzt, da aufgrund der häufig geringen Kooperation alternative Techniken sinnvoll sind. Dies sind vor allem die Kariesarretierung mittels Silber(diamin)fluorid (SDF), Versiegelungen oder Stahlkronen, wie im Folgenden dargestellt wird.

Kariesmanagement war auch das Thema des Vortrags von Prof. Christian Splieth auf dem diesjährigen Berliner Zahnärztetag. Daher veröffentlichen wir diesen Beitrag aus der Märzausgabe der Quintessenz Zahnmedizin 2021 als Hintergrundwissen zum Vortrag und, weil das Thema nach wie vor brisant ist.

Die aktuelle epidemiologische Situation in Deutschland und vielen anderen Ländern weist klare Schwachpunkte bei den bisherigen Präventionsbemühungen auf. Daten aus der letzten nationalen Studie bei Kindern zeigten, dass bereits etwa 15 Prozent der dreijährigen Kinder und etwa 45 Prozent der 6- bis 7-jährigen Kinder Karieserfahrung (auf Kavitätenebene) mit einem niedrigen Sanierungsgrad (26,1 Prozent bzw. 57,5 Prozent) aufweisen35. Dies verdeutlicht, dass bereits in frühen Lebensjahren effektive Präventions- und Therapiemaßnahmen erforderlich sind. Obwohl einige Studien die Bedeutung der Kariesbehandlung von Milchzähnen infrage stellen37, wurden in diversen Studien Assoziationen zwischen der Existenz unbehandelter kariöser Milchzähne und Abszessen, Schmerzen23,24, mangelndem somatischen Wachstum und niedrigerer Lebensqualität beobachtet16.

Der wissenschaftliche Blick auf Karies als Erkrankung hat sich in den vergangenen Jahren genauso wie die dazugehörige Terminologie erkennbar verändert. Karies wird heute nicht mehr als Defekt, sondern als Prozess eines chronischen Ungleichgewichts zwischen de- und remineralisierenden Faktoren begriffen, bei dem die kariöse Kavität eine Folge darstellt31. Der pathogene Biofilm, also die reife, ca. 48 Stunden alte dentale Plaque, verstoffwechselt im Wesentlichen Kohlenhydrate zu Säure, die die Demineralisation der unter der Plaque liegenden Zahnhartsub­stanzen bewirkt. Der Defekt ist damit nur spätes Symptom der Erkrankung. Mundhygiene, Speichel und Fluoride können sowohl die primäre Demineralisation vermeiden als auch zur Remineralisation von Läsionen führen. Dieses dynamische Konzept einer chronischen Erkrankung hebt sich deutlich vom früheren technisch-mechanischen Ansatz in der Zahnmedizin ab und verändert den klinischen Alltag in der Zahnmedizin deutlich13,31: Kariesprävention und Therapie verschmelzen zum Kariesmanagement und die Kontrolle der Kariesaktivität – nicht die Restaurationsform – wird zur zentralen Aufgabe.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

 

Die nicht- beziehungsweise minimalinvasive Behandlung von kariösen Läsionen ist ein Konzept, bei dem der Erhalt der Zahnstruktur eine große Rolle spielt. Dieses Konzept wird heutzutage nicht mehr nur für die Behandlung von Initialkaries in Betracht gezogen, sondern auch für die Behandlung von Dentinläsionen9. Diese auf dem biologischen Konzept basierenden Methoden implizieren ein spezifisches Spektrum von Kariesbehandlungstechniken29. Sie umfassen beispielsweise die selektive Kariesentfernung und die Kariesinaktivierung („Non-restorative cavity control“, NRCC). Bei der Technik der selektiven Kariesentfernung wird in Pulpanähe bis zum weichen oder festen beziehungsweise lederartigen Dentin und in der Peripherie der Kavität bis zum harten Dentin exkaviert. Anschließend erfolgt eine Restauration der Kavität16,17. Als NRCC wird eine Technik bezeichnet, bei der keine Dentinkaries entfernt wird, sondern eine Öffnung der Läsion erfolgt, damit diese von den Eltern beziehungsweise Kindern gebürstet werden kann; der Biofilm wird durch kontinuierliche mechanische Reinigung verändert10,17, sodass die kariöse Läsion mittels Plaquekontrolle und durch Fluoridprodukte inaktiviert werden kann. Darüber hinaus schließen sie auch „Versiegelungstechniken“ wie die Hall-Technik (HT) ein, bei der der kariöse Zahn mit einer Stahlkrone versorgt wird, aber vorher keine Kariesentfernung und auch keine Zahnpräparation durchgeführt wird14.

Trotz der großen Vielfalt der bereits existierenden Techniken zur Behandlung von kariösen Milchzähnen gab es lange nur eine sehr begrenzte Datenlage für die effektivste Therapiemethode. Bislang war die vollständige Kariesentfernung mit anschließender Füllung für die Behandlung von kariösen Milchzähnen in den Praxen Standard, während alternative Techniken zumindest in Deutschland eher selten durchgeführt werden27. In den vergangenen zehn Jahren gab es daher viele Diskussionen über die Vorzüge und Nachteile der konventionellen Methoden zur Behandlung asymptomatischer kariöser Milchzähne und über die Frage, ob diese Therapiemethoden als Standardtechnik bei der Behandlung von Milchzähnen beibehalten oder im Rahmen eines biologischen Kariesverständnisses weiterent­wickelt oder um Therapiealternativen erweitert werden sollten.

Hall-Technik

Einen eindrucksvollen Beleg für die Wirksamkeit der neuen Ansätze des Kariesmanagements liefert eine Greifswalder Studie zur Versorgung von kariösen Milchmolaren28. Das Ziel dieser Studie war es, die klinische Wirksamkeit von drei Kariesbehandlungsmethoden (HT, Kariesinaktivierung/-arretierung, kon­ventionelle Kompomerfüllungen) über einen Zeitraum von zwei Jahren bei Kindern zu vergleichen. In diese dreiarmige, randomisierte, kontrollierte Pa­rallelgruppenstudie wurden 169 Kinder im Alter von 3 bis 8 Jahren mit mindestens einem approximal kariösen Milchmolaren (ICDAS 3 bis 5) aufgenommen, bei dem jeweils nur ein Zahn eingeschlossen wurde. Die Zuweisung zu den folgenden drei Therapieformen erfolgte nach dem Zufallsprinzip:

Bei der HT wird keine Lokalanästhesie, Kariesentfernung oder Präparation vorgenommen und die Restauration des Zahns erfolgt mit einer konfektionierten Stahlkrone (Abb. 1), die mit einem dünnfließenden Glasionomerzement befüllt (Fuji Triage, Fa. GC, Bad Homburg) und zementiert wird.

Die NRCC wird approximal durch die Eröffnung der Kavität ohne Kariesentfernung und eine Fluoridlackapplikation unterstützt. Aber die Hauptarbeit haben die Betreuungspersonen durch gezieltes Putzen der Läsion mit Fluoridzahnpaste zuhause zu leisten (Abb. 2).

Die etablierte vollständige Kariesentfernung und nachfolgende Kompomerfüllung (KF) mit Adhäsivtechnik diente als Kontrollgruppe mit der Standardtherapie. Daher erfolgte eine nichtselektive, komplette Kariesentfernung bis zum festen Dentin mit einem langsamen Handstück und einem Rosenbohrer, nachdem die Kavität mit einem hochtourigen Diamantbohrer in der Peripherie der Kavität eröffnet wurde. Die approximale KF wurde nach den empfohlenen Standardprozeduren (Matrizenband Porta-Matrix bzw. T-Band, Holzkeil, Kompomer Dyract mit Adhäsiv Prime&Bond NT,  Dentsply Sirona) laut Herstellerangaben appliziert. Das Kompomer wurde schichtweise in die Kavität eingebracht und jeweils 40 Sekunden polymerisiert.

Die (Miss-)Erfolgrate der drei Therapieansätze wurde über irreversible Probleme (irreversible Pulpitis, Abszess oder nicht mehr restaurierbare Zähne, Verlust des Zahns) und reversible Probleme (Pulpitis, Füllungsverlust/-fraktur oder Sekundärkaries, wenn Korrektur möglich) bewertet. Insgesamt umfassten die „kleineren Misserfolge“ alle reversiblen Probleme, bei denen die betroffenen Zähne so therapiert werden konnten, dass die Vitalität der Pulpa erhalten blieb. Zu den schwerwiegenden Misserfolgen gehörten alle irreversiblen Probleme, die eine Pulpabehandlung oder Extraktion erforderten.

Die Ergebnisse der Studie waren sehr eindeutig: Bei den 142 Kindern mit einer Mindestbeob­ach­tungszeit von 2 Jahren (84 Prozent) wiesen 25 Zähne
(17,7 Prozent; HT = 2; NRCC = 9; KF = 14; p = 0,013; Tab. 1) mindestens ein reversibles und damit zu behebendes Problem auf (reversible Pulpitis, Kariespro­gression, Füllungsverlust/-abnutzung/-fraktur, geringfügige Sekundärkaries etc.). Bei 10 Kindern (7 Prozent) trat mindestens ein irreversibles Problem auf, das zum Zahnverlust führte (irreversible Pulpitis, Verlust der Vitalität, Abszess oder unrestaurierbarer Zahn: HT = 1, NRCC = 4, KF = 5).

Tab. 1 Erfolgsraten der Behandlung von Approximalkaries bei Milchmolaren nach 2 Jahren, unterschieden nach den 3 randomisiert zugeordneten Behandlungsgruppen (HT = Hall-Technik; NRCC = Kariesinaktivierung; KF = konventionelle Kompomerfüllungen; reversibles Problem: Füllungsverlust/-fraktur oder Sekundärkaries, Pulpitis, wenn Korrektur möglich; irreversibles Problem: irreversible Pulpitis, Abszess, nicht mehr restaurierbare Zähne, Zahnverlust).
Tab. 1 Erfolgsraten der Behandlung von Approximalkaries bei Milchmolaren nach 2 Jahren, unterschieden nach den 3 randomisiert zugeordneten Behandlungsgruppen (HT = Hall-Technik; NRCC = Kariesinaktivierung; KF = konventionelle Kompomerfüllungen; reversibles Problem: Füllungsverlust/-fraktur oder Sekundärkaries, Pulpitis, wenn Korrektur möglich; irreversibles Problem: irreversible Pulpitis, Abszess, nicht mehr restaurierbare Zähne, Zahnverlust).

Für reversible Probleme fand sich im Paarvergleich kein Unterschied zwischen NRCC und KF (p = 0,59); die Füllung zeigt hier also gegenüber der Kariesinaktivierung keinen Vorteil. Jedoch war die HT der NRCC oder der Füllung klar überlegen (p = 0,011 bzw. p = 0,004). Als Schlussfolgerung ergibt sich damit, dass die HT deutlich höhere Erfolgsraten als die KF oder die Karies­ar­retierung aufwies. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass sie auf Zahnebene keinerlei Angriffsmöglichkeit für weitere bakterielle Demineralisation bietet und damit jede Kariesaktivität unterbindet – unabhängig von der Mundhygiene oder Ernäh­rung.

Als Fazit aus dieser Studie lässt sich feststellen, dass in Übereinstimmung mit anderen ähnlichen Untersuchungen und systematischen Reviews1,4,7,12,14 die HT als realistische Therapiealternative laut Pa­tientenrechtegesetz bei approximalkariösen Milchmolaren ohne erkennbare irreversible Pulpabetei­ligung zwingend aufzuklären ist, insbesondere bei Kindern mit relevantem Kariesrisiko beziehungsweise -aktivität. Die Erfolgsraten der HT entsprechen der konventionellen Stahlkronentechnik mit Präparation und oft not­wen­diger Pulpotomie, allerdings bei einem er­heblich geringeren Aufwand4,8, der häufig eine Narkosebehand­lung überflüssig macht.

Die Kosteneffizienz der HT wird in einer aktuellen Kohortenstudie2 beleuchtet, die die Erfolgsraten konventioneller Kariesbehandlungsmethoden (nicht­- selektive Kariesentfernung, Pulpotomie) mit biologisch basierten Methoden (HT, selektive Kariesentfernung) verglich. Die langfristig hohen Erfolgsraten bei den biologischen Methoden, die mit denen konven­tioneller Behandlungsmethoden vergleichbar waren, führten insbesondere bei der HT in ver­schiedenen Settings zu signifikant niedrigeren Behandlungskosten2,8,30. Dies einspricht der recht konsis­tenten Evidenz, dass die Erfolgsraten der kon­ventionellen Stahlkrone andere Restaurationen für mehrflächige kariöse Milchzähne deutlich übertreffen14,15 – mit Fehlerraten von 11,6 Prozent für Stahl­kronen und 88,7 Prozent für Amalgamfüllungen25 sowie 8, 21 und 30 Prozent für Stahlkronen, Amalgamfüllungen beziehungsweise Kompositfüllungen34. Außerdem zeigte eine aktuel­le retro­spektive 7-Jahres-Studie über die HT eine Erfolgsrate von mehr als 92 Prozent bei Stahl­kronen, die mit dieser Technik durchgeführt wurden21. Trotz Empfehlungen für (konventionelle) Stahlkronen beschränkt sich ihre Anwendung vor allem auf Kinderzahnärzte, während allgemeine Zahnärzte Stahlkronen als zu komplex, zeitauf­wendig, teuer und nicht kosmetisch akzeptabel empfinden27,36.

Kariesinaktivierung mit Silberfluorid

Die Kariesinaktivierung beziehungsweise -arretierung als nichtoperative Karieskontrolle (NRCC) hat auch nach der bereits beschriebenen Greifswalder Studie von Santa­maría Sánchez et al.28 das Potenzial, den Ka­riesprozess biologisch zu kontrollieren, die Zahnhartsubstanz zu schonen und den Beginn des res­taurativen Zyklus zu vermeiden oder zu verzögern. Sie ist auf Zahnebene anscheinend genauso erfolgreich wie eine konventionelle, adhäsive Füllungs­therapie mit Kompomeren. Bei beiden Karies­managementverfahren entscheidet am Ende die Kariesaktivität des Kindes über den Erfolg, unabhängig davon, ob eine Läsion mit einer Füllung versorgt ist. In der spezialisierten Kinderzahnheilkunde können 20 bis 30 Prozent der Kinder trotz zahnmedizinischer Prävention eine weiterhin hohe Kariesaktivität aufweisen. Statt die Zähne mit einer Stahlkrone zu ummanteln, kann über die hohe antimikrobielle Wirksamkeit von Silberionen ebenfalls die Kariesaktivität – auch bei mäßiger Mundhygiene – bei dentinkariösen Läsionen eindrucksvoll gestoppt werden.

Die Fähigkeit von Silberdiaminfluorid (SDF), das Fortschreiten kariöser Läsionen zu hemmen und gleichzeitig die Bildung neuer kariöser Läsionen zu verhindern, unterscheidet diese Substanz von an­deren Materialien in der Kariesprävention wie zum Beispiel Natriumfluorid (NaF)26. Die SDF-Lösung besteht aus Diaminsilber- und Fluoridionen, welche den Demineralisationsprozess und den Abbau von Dentin­kollagen verhindern und zusätzlich die Remineralisation von kariösem demineralisiertem Schmelz und Dentin fördern18. SDF besitzt zudem antibakterielle Eigenschaften, die innerhalb der bakteriellen Mikroflora ihre Wirkung entfaltet19. Ein kürzlich durchgeführtes systematisches Review ergab, dass SDF das Wachstum kariogener Bakterien inhibiert41.

Wissenschaftlich wurde bereits mit mehr als 10 randomisierten klinischen Studien eindeutig belegt, dass kavitierte kariöse Läsionen durch die halbjährliche Applikation von 38 Prozent SDF-Lösung im Vergleich zur Anwendung von 5 Prozent NaF-Lack besser inaktiviert werden11,20. Im Jahr 2014 wurde SDF von der United States Food and Drug Administration (FDA) zur Kariesinaktivierung und Behandlung von Zahnüberempfindlichkeit zugelassen39. In Deutschland wird SDF allerdings bis jetzt hauptsächlich als Desensibilisierungsmittel bei überempfindlichen Zähnen angewandt (Riva-Star, Fa. SDI, Köln). Es ist zu be­achten, dass in der Gebrauchsanweisung für Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern die Behandlung von Karies nicht als Anwendungsindikation aufgeführt wird. Für einen kurzen Überblick sind in Tabelle 2 die in der Forschungsliteratur32 beschriebenen Indikationen und Kontraindikationen bei der Anwendung von SDF auf Zahnebene zu­sammengefasst.

Mit diesem einfachen, biologisch basierten Ansatz zur Behandlung kariöser Milchzähne ist es möglich, Dentinkaries ohne Kariesexkavation zu inaktivieren (Abb. 3), auch wenn die nötige Mitarbeit von Eltern und Kindern beim häuslichen Zähneputzen nicht optimal ist. Auch im bleibenden Gebiss ist diese Therapieoption natürlich anwendbar, insbesondere in der Alterszahnheilkunde und/oder bei Wurzelkaries. Nichtrestaurative Ansätze stellen allerdings die funktionelle Form oder Ästhetik nicht wieder her. Bei Kindern und im Seitenzahnbereich kann dies ausreichen. In anderen klinischen Situationen kann aber die nachfolgende Restauration wünschenswert sein.

Aufgrund der sehr klaren Evidenzlage aus verschiedenen randomisierten klinischen Studien und systematischen Reviews6,22,38 wurde der Einsatz von Silberfluoriden von der American Dental Association“ (ADA), der Deutschen Gesellschaft für Zahn­erhaltung (DGZ), der European Foundation for Conservative Dentistry (EFCD) sowie Organisa­tion for Caries Research (ORCA) empfohlen32.

Zur Visualisierung kann mittels Youtube-Videos sowohl die SDF-Applikation bei einem Kleinkind mit frühkindlicher Karies („Early childhood caries“, ECC, https://www.youtube.com/watch?v=zxlvbhUx3QE) bzw. die HT am Milchmolaren (https://www.youtube. com/watch?v=ndxQEDw0rAM) angeschaut werden.

Fissurenversiegelungen

Auch bei den Fissurenversiegelungen ist ein deutliches Umdenken zu erkennen. Während früher fast jeder Molar zur Vermeidung einer Füllung versiegelt wurde, sehen die deutschen Leitlinien schon seit 2004 bis zur aktuellen Fassung von 2017 nicht mehr die generelle präventive Versiegelung vor5. Für jede Versiegelung muss eine individuelle Indikation gefunden und dokumentiert werden, was ein relevantes Kariesrisiko auf Zahn- oder Personenebene ist. Damit liegt die Indikation – wie schon auf europäischer Ebene festgestellt – nicht mehr so sehr bei der präventiven Versiegelung, sondern eher bei der therapeutischen Versiegelung von initialkariösen Läsionen, die durch primäre, nichtinvasive Maßnahmen nicht inaktiviert werden können. Diese Linie wurde aktuell durch einen internationalen Konsens der DGZ, EFCD sowie ORCA bestätigt33 (Tab. 3). Die „Kariesversiegelung“, also das Versiegeln von klar erkennbaren, unterminierenden okklusalen kariösen Läsionen oder gar offenen Defekten ohne Karies­entfernung durch Versiegler oder Flows, hat zurzeit keine ausreichende wissenschaftliche Absicherung. Daher sieht der erwähnte Konsens auch vor, dass kavitierte okklusale kariöse Läsionen mit Füllungen restauriert und dabei vorzugsweise defektorientiert mit Kompositkunststoffen, nach konventioneller Karies­entfernung sowie gegebenenfalls einer nachfolgenden Versieglung der übrigen Fissuren bei bestehendem Kariesrisiko, versorgt werden sollten. Der traditionelle Ansatz des „Extension for prevention”, bei dem das gesamte Fissurensystem in die Restauration einbezogen wird, wird nicht mehr empfohlen. Bei tiefen kariösen Läsionen sollte die Karies selektiv entfernt und der Defekt mit einer dichten Füllung restauriert werden33.

 

Tab. 3 Konsensus-Empfehlungen der European Organisation for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD/DGZ) zum Management okklusaler Karies im bleibenden Gebiss33. Es wird die Evidenzstärke (schwach, moderat, hoch) und die Zustimmung der Konsensusgruppe zu den Statements (von 0 [stimme gar nicht zu] bis 10 [stimme voll zu]) angegeben. Ein Votum von 7 bis 10 wurde als Zustimmung gewertet. Die prozentuale Zustimmung rundet nicht immer auf 100 %. Zusätzlich wird der Median aller Voten (0 bis 10) angegeben.
Tab. 3 Konsensus-Empfehlungen der European Organisation for Caries Research (ORCA) und der European Federation of Conservative Dentistry (EFCD/DGZ) zum Management okklusaler Karies im bleibenden Gebiss33. Es wird die Evidenzstärke (schwach, moderat, hoch) und die Zustimmung der Konsensusgruppe zu den Statements (von 0 [stimme gar nicht zu] bis 10 [stimme voll zu]) angegeben. Ein Votum von 7 bis 10 wurde als Zustimmung gewertet. Die prozentuale Zustimmung rundet nicht immer auf 100 %. Zusätzlich wird der Median aller Voten (0 bis 10) angegeben.

Schlussfolgerungen

Für die zahnmedizinische Praxis stehen neue, evidenzbasierte Kariestherapiemethoden wie die Karies­inaktivierung über das Zähneputzen, die Unter­stützung durch SDF oder auch die HT als einfache und sehr erfolgreiche Therapieoption zur Verfügung. Bezüglich der Versiegelung permanenter Molaren besteht laut internationalem Konsens eine Verschiebung der Indikation weg von der rein präventiven Versiegelung hin zu einer therapeutischen Versiegelung von initial­kariösen Läsionen, da ein relevantes Kariesrisiko auf Zahn- oder Personenebene vorliegen sollte. Die beschriebenen Kariesmanagementoptionen sollten folglich individuell auf Patienten- und Zahnebene entsprechend der jeweiligen Vor- bzw. Nachteile berücksichtigt, aufgeklärt und genutzt werden.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Christian H. Splieth, Dr. Ruth M. Santamaria Sánchez und Dr. Julian Schmoeckel, alle Greifswald

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 3/21 Zahnmedizin