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Dentale, skelettale und funktionelle Aspekte, Konsequenzen und Auswirkungen

Apparatur mit Spirale und Gewinde aus dem Jahr 1910.

Eine transversale Gaumenerweiterung ist aufgrund der Anatomie des Oberkiefers möglich. In Abhängigkeit von der Ossifikation der Sutura palatina mediana kann eine rein kieferorthopädische Gaumennahterweiterung (GNE) bis ins frühe Erwachsenenalter erfolgen. Später ist eine chirurgisch unterstützte Erweiterung („surgically assisted rapid palatal expansion“, SARPE) nötig. Zahngetragene oder skelettal verankerte Apparaturen mit Hyraxschrauben werden, vergleichbar dem Vorgehen bei der Distraktionsosteogenese, in kurzen Intervallen aktiviert. Dabei treten dentoalveoläre, skelettale und funktionelle Effekte auf. Neben einem Diastema mediale kommt es zu Kippungen der Seitenzähne mit hängenden palatinalen Höckern, zu einer basalen Erweiterung der Maxilla und zur Verbesserung der Nasenatmung. Ihr Einsatzgebiet findet die GNE in der Frühbehandlung und häufig als erste Maßnahme in der Hauptbehandlung, während die SARPE bei Erwachsenen als alleinige transversale Maßnahme oder vor vertikalen und/oder sagittalen Umstellungsosteotomien angewendet wird. Eine Checkliste für das Praxisteam mit einem Protokoll, das alle Abläufe im Zusammenhang mit der GNE aufführt, hat sich bewährt.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Der im deutschen Sprachraum häufig verwendete Begriff Gaumennahterweiterung, kurz GNE, erweckt fälschlicherweise den Eindruck, dass die so benannte Behandlungsmethode mit einer direkten Einwirkung an der Sutura palatina mediana verbunden sei. Zutreffender ist die englische Bezeichnung RME ­(„rapid maxillary expansion“) oder RPE („rapid palatal expansion“), da bei einer schnellen Erweiterung der Maxilla ein Abriss nicht zwangsläufig innerhalb der Sutur, sondern auch paramedian stattfinden kann. Die „Gaumennaht“ durchläuft den Processus alveolaris maxillae, die Maxilla und das Os palatinum. Im Hinblick auf die transversale Stabilität ist es wichtig, dass eine durchgehende Erweiterung von der Spina nasalis anterior bis zur Spina nasalis posterior erfolgt.

Im Kindes- und Jugendalter ist die Ossifikation der Sutura palatina mediana noch nicht endgültig abgeschlossen. Vielmehr geschieht diese erst später, nicht selten sogar bis ins vierte Lebensjahrzehnt hinein, mit einer hohen interindividuellen Spannbreite16. Die Rigidität der Gesichtspfeiler jedoch nimmt graduell zu, so dass eine konventionelle, rein kieferorthopädische GNE zeitlich begrenzt ist. In der Literatur finden sich sehr unterschiedliche Angaben darüber. Bereits ab dem 15. Lebensjahr sollte in der Aufklärung die Möglichkeit der Nichtöffnung ausführlich erörtert werden. Oft ist eine GNE bis ins 20. Lebensjahr und in Einzelfällen sogar darüber hinaus möglich2,4,18.

Das chirurgische Prozedere bei der Gaumenerweiterung wird als SARPE („surgically assisted rapid palatal expansion“) oder auch als SARME („surgically assisted rapid maxillary expansion“) bezeichnet. Beide Begriffe sind gleichbedeutend und werden international verwendet. Sie umfassen alle operativen Vorgehensweisen von minimalinvasiv bis zu einer Le-Fort-I-Osteotomie mit Einsatz der Downfracture-Technik und totaler Mobilisierung der Maxilla. Als Nebenwirkungen der SARPE können eine unerwünschte asymmetrische Expansion der Kieferhälften sowie Spannungen und Verformungen im Mittelgesicht auftreten. Diese Risiken sind bei der totalen Mobilisierung der Kieferhälften geringer als bei SARPE-Methoden mit einer weniger umfangreichen Mobilisierung11,21. Eine enge Zusammenarbeit von Kieferorthopäden und MKG-Chirurgen ist unverzichtbar.

Sowohl die rein kieferorthopädische GNE als auch die chirurgisch unterstützte SARPE sind weitreichende Eingriffe mit spürbaren Veränderungen des Belastungsprofils der Maxilla und des gesamten Mittelgesichts. Gemäß dem 1892 formulierten Wolff’schen Gesetz von der Transformation der Knochen führen Veränderungen der auf den Knochen einwirkenden Belastungen zu gegebenenfalls massiven Alterationen seiner inneren Architektur und äußeren Form28. Somit ist bei der kieferorthopädischen GNE und der chirurgisch unterstützten SARPE von einem deutlichen behandlungsinduzierten Knochenumbau auszugehen.

Methode

Abb. 1 Die 3-D-Reformatierung eines computer­tomographischen Befundes zeigt die weitreichenden Effekte auf Suturen bis zur Sutura nasofrontalis und Sutura nasomaxillaris direkt nach der GNE bei einem 16-jährigen Jungen.
Abb. 1 Die 3-D-Reformatierung eines computer­tomographischen Befundes zeigt die weitreichenden Effekte auf Suturen bis zur Sutura nasofrontalis und Sutura nasomaxillaris direkt nach der GNE bei einem 16-jährigen Jungen.
Die GNE ist eine umfassend erforschte Methode. Zunächst klinisch beobachtet und bereits 1860 publiziert1, ab 1907 auf Röntgenaufnahmen dargestellt16 und besonders in den 1950er Jahren von Derichsweiler5 ausgiebig beschrieben, gilt die GNE heute als unverzichtbar zur Behebung transversaler maxillärer Defizite. Behandler sollten auf Nebenwirkungen im Mittelgesichtsskelett achten, die in Form von Schmerzen auftreten und in seltenen Fällen mit Schwellungen oder einer Höckerbildung im Bereich der Nasenwurzel einhergehen können5,12. Anhand von computertomographischen Befunden nach maximaler Suturenöffnung wird die Reaktion im Mittelgesicht deutlich erkennbar belegt8 (Abb. 1).

Apparaturen

Eine Vielzahl von Modifikationen zahngetragener und skelettal verankerter Apparaturen stehen zur Verfügung (Abb. 2a bis f). Die Wahl wird vorrangig vom Stand der Dentition bestimmt. Abbildung 2a zeigt die erste publizierte GNE-Apparatur. Im Jahr 1860 existierten noch keine Belege durch Röntgenaufnahmen, und das vom Autor im Text beschriebene Diastema mediale fehlte auf der Zeichnung. Die damalige Fachwelt verwarf Angells Schlussfolgerung und diskreditierte ihn nachhaltig1. Abbildung 2b stammt aus dem Jahr 1910. Das Besondere an dem dargestellten Gerät ist, dass darin eine Spirale und ein Gewinde integriert sind, wodurch bei der Aktivierung sowohl kontinuierliche als auch intermittierende Kräfte ausgeübt werden, biomechanische Effekte, die im Hinblick auf die Gewebsreaktion bis heute diskutiert werden10.

Für die Behandlung im Milch- und Wechselgebiss ist die Kappenschienenapparatur beliebt. Sie wird nach Abformung des Ober- und Unterkiefers sowie Situationsbissnahme im Labor hergestellt und erfordert gerade bei kleinen Patienten nur eine kurze Stuhlzeit. Nachteilig sind hier die Irritation der Gingiva infolge einer erschwerten Mundhygiene und die zeitaufwendige Reinigung nach Abnahme der Apparatur27 (Abb. 2e).

Die klassische GNE-Apparatur nach Derichsweiler5 besteht aus einer an Bänder mit Verbindungsstegen gelaserten oder gelöteten Hyraxschraube mit (Abb. 2c) oder ohne (vgl. Abb. 5a) Protraktionshäkchen. Eine Modifikation zeigt Abbildung 2d. Auch Hybridgeräte, die teils an Molarenbändern zahngetragen und im anterioren Gaumen mittels Schrauben skelettal befestigt werden, wurden entwickelt9. Mommaerts19 präsentierte als Erster eine rein skelettal verankerte Hyraxapparatur (Abb. 2f), zunächst um parodontal geschädigte oder reduzierte Dentitionen zu entlasten. Mittlerweile behaupten skelettal verankerte Varianten einen festen Platz in der Gaumenerweiterung. In Abhängigkeit von der Kapazität der Hyraxschraube kann eine Erweiterung von mehr als 10 mm vorgenommen werden. Falls in seltenen Fällen eine noch größere Erweiterung nötig ist, lässt sich nach Austausch der Hyraxschraube weiterarbeiten.

Wirkungsweise

Die GNE hat vielfältige direkte wie indirekte Auswirkungen, die in dentoalveoläre, skelettale und funktionelle unterteilt werden können.

Dentoalveolär

Obwohl die GNE eine skelettale Wirkung zum Ziel hat, sind dentoalveoläre Veränderungen unvermeidbar, und zwar bei allen Apparaturvarianten, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Am auffälligsten ist das Diastema mediale, das während der Aktivierungsphase entsteht und sich nach deren Beendigung trotz Belassens der Apparatur innerhalb weniger Wochen durch die Zugwirkung der zirkumferierenden Fasern auf den Anfangsbefund zurückbildet. Zahngetragene Apparaturen haben anfänglich im Seitenzahnbereich einen Rotationseffekt, der dann zu einer Translationsbewegung führt, wenn die GNE ihre skelettale Wirkung erreicht hat. Bei skelettal verankerten Apparaturen fällt dieser initiale Rotationseffekt weg. Je nach Ausgangsbefund ist jedoch individuell mit mehr oder weniger stark hängenden palatinalen Höckern zu rechnen, die in der nachfolgenden Behandlung mittels Torque korrigiert werden müssen. Eine Überexpansion wird in dem für die korrekte bukkopalatinale Einstellung der Seitenzähne kalkulierten Umfang erforderlich.

Skelettal

Die transversale basale maxilläre Erweiterung, die auf Dauer recht stabil bleibt, wird von einer nach kaudal und anterior gerichteten vertikalen und sagittalen Komponente begleitet, welche der physiologischen Entwicklung des Oberkiefers durch primäres Wachstum und sekundäre Verlagerung entspricht3,24. Als Folge werden Frontzähne, die initial in Kopfbiss­relation oder im Kreuzbiss standen, häufig ohne Einsatz einer Protraktionsmaske überstellt. Wenn beim Patienten neben einer transversalen Abweichung auch eine maxilläre Retrognathie vorliegt, ist die sagittale Reaktion der Maxilla unmittelbar nach einer GNE mittels einer Protraktionsmaske besonders effizient, da die Suturen des Mittelgesichts durch die GNE bereits beeinflusst sind22,26.

Funktionell

Von allgemeinmedizinischer Bedeutung ist eine dauerhafte Verbesserung der Nasenatmung infolge der GNE, was sich bei Erkrankungen des Respirationstraktes günstig auswirken kann und von Hals-Nasen-­Ohren- und Kinderärzten geschätzt wird. Zahlreiche Studien belegen diesen positiven Effekt, der darauf beruht, dass die Erweiterung des Gaumendaches mit einer Verbreiterung des Nasenbodens einhergeht16,17,25.

Einsatzspektrum

Die kieferorthopädische Diagnostik mit Schwerpunkten auf Anamnese, einer individualisierten kephalometrischen Analyse, Kiefermodellen, Funktionsanalyse und Fotos erfasst für jeden Patienten individuell transversale, vertikale und sagittale Verhältnisse. Transversale Abweichungen mit Defiziten in der Maxilla sind meist bei Behandlungsbeginn zu therapieren. Ein- oder beidseitige Kreuzbisse, Kopfbisse und Zwangsbissführungen werden nach ihrer Ursache im Oberkiefer, im Unterkiefer oder in beiden Kiefern differenziert. Während für eine transversale Erweiterung im Unterkiefer klare Grenzen bekannt sind, gibt es im Oberkiefer umfangreiche Möglichkeiten sowohl für dentoalveoläre als auch skelettale Erweiterungen. Eine basale Erweiterung ist ab einem transversalen maxillären Defizit von mehr als 4 mm mittels GNE sinnvoll, wohingegen geringere Defizite dentoalveolär behoben werden können. Übergroße rein dentoalveoläre Korrekturen führen zu hängenden palatinalen Höckern im Seitenzahnbereich und somit zu kaufunktionellen Störfaktoren. Ein skelettales Defizit erfordert zwingend eine GNE. Ein Aspekt, der für die Entscheidung zur Extraktions- oder Non­extraktionstherapie bedeutend sein kann, ist die Frage nach den Platzverhältnissen. Pro Millimeter transversaler basaler Erweiterung beträgt der Platzgewinn 0,7 mm innerhalb des Zahnbogens.

Frühbehandlung

Die Indikation für eine Frühbehandlung betrifft häufig junge Patienten mit einer Klasse-III-Dysgnathie, mit maxillärer Retrognathie und transversaler Hypoplasie der Maxilla mit uni- oder bilateralem Kreuzbiss, meist verbunden mit behinderter Nasenatmung. Das Vorliegen einer lateralen und/oder sagittalen Zwangsbissführung, insbesondere ein frontaler Kreuzbiss, erfordert bereits in der Milchgebiss- und in der ersten Wechselgebissphase begrenzte orthopädisch-orthodontische Maßnahmen. Diese sollen, primär im Sinne einer interzeptiven Behandlung, Abweichungen beheben und eine weitere eu­gnathe Gebissentwicklung ermöglichen. In der Frühbehandlung ist eine Kombination aus transversaler Erweiterung und sagittaler Protraktion gerade bei einer Klasse-III-Dysgnathie sehr effizient, da mit einer günstigen Reaktion der Suturen und Synostosen im Mittelgesicht gerechnet werden kann. An der Apparatur sind hierfür Protraktionshäkchen vorgesehen, an denen eine Protraktionsmaske zum Beispiel nach Delaire und Verdon26 befestigt werden kann.

Bei individuell ungünstiger Wachstumsprognose für die Mandibula kann es sinnvoll sein, nach einer Frühbehandlung auf eine weitere transversale Erweiterung der Maxilla zu verzichten, denn es gilt zu vermeiden, dass bei einer viele Jahre später erfolgenden OP-Planung ein überbreiter Oberkiefer im Zielbiss vorliegt, ein Befund, der die prächirurgische kieferorthopädische Dekompensation erschwert. Unter Beachtung dieser Prämissen hat die Frühbehandlung einen hohen Wert.

Kasuistik 1

Die Frühbehandlung eines 6-jährigen Jungen wurde im Übergang vom Milchgebiss in die erste Wechselgebissphase eingeleitet. Die Überweisung veranlasste der Hals-Nasen-Ohren-Arzt mit der Frage, ob eine GNE erfolgen könne. In der allgemeinen Anamnese wurden häufige Erkrankungen des Respirationstraktes und eine behinderte Nasenatmung angegeben. Es lag eine Kopfbissrelation in Zentrik (Abb. 3a) mit einer Zwangsbissführung nach rechtslateral in einen rechtsseitigen Kreuzbiss vor (Abb. 3b). Das basale maxilläre Defizit betrug 6 mm. Eine Kappenschienenapparatur (Abb. 3c) bewirkte mit 32 Aktivierungen der Hyraxschraube von je 0,2 mm die gewünschte Erweiterung innerhalb von 13 Tagen (Abb. 3d und e). Die Liegedauer der Apparatur betrug 4 Monate, danach wurde für weitere 9 Monate mit einer nachts zu tragenden herausnehmbaren Platte retiniert.

Diese mit begrenzten orthopädisch-orthodontischen Maßnahmen geplante Frühbehandlung konnte nach 18 Monaten abgeschlossen werden. Bei den halbjährlichen Überwachungsterminen wurde über eine deutliche Verbesserung der Nasenatmung und eine Abnahme der Allgemeinkrankheiten berichtet. Die Dentitionsentwicklung verlief weiterhin regelrecht, wie die im Alter von 10 Jahren erstellte Abbildung 3f dokumentiert.

Hauptbehandlung

In der späten Wechselgebissphase und in der bleibenden Dentition findet die GNE häufig als erste Maßnahme im Rahmen der Hauptbehandlung statt. Meist wird nach der GNE unverzüglich eine feste Multiband-/Multibracketapparatur eingesetzt. Das Ausmaß der zum Behandlungsende notwendigen Erweiterung wird zu Beginn prognostiziert. Hierbei wird einkalkuliert, inwieweit die bukkolinguale Achsenneigung der Seitenzähne durch palatinalen Kronentorque korrigiert werden muss, was eine entsprechende Überkorrektur erfordert.

Kasuistik 2

Die Abbildungen 4a bis d und 5a bis d zeigen den Behandlungsverlauf bei einer 10 Jahre alten Patientin mit retrognathem Gesichtstyp sowie vertikal offener und sagittal neutraler Basenrelation. Es wurde ein transversales basales Defizit in der Maxilla von 6,5 mm gemessen. Bei der Patientin fielen sowohl ein Kreuzbiss der rechten Seitenzahnreihe als auch ein Kopfbiss der linken Seitenzahnreihe und der Frontzähne auf. Es bestand ein Platzmangel im oberen Zahnbogen, insbesondere für die Eckzahneinstellung. Die Anfangs- und Schlussbefunde werden in den Abbildungen 4a bis d anhand der jeweiligen intraoralen Frontalansichten und der Profilbilder mit projizierten Fernröntgenseitenaufnahmen gegenübergestellt.

Zum Behandlungsverlauf (Abb. 5a bis d): Als erste Maßnahme wurde eine GNE-Apparatur mit Bändern auf den ersten Prämolaren und den Molaren eingesetzt. Gemäß Protokoll aktivierte die Patientin die Hyraxschraube 36-mal, was nach 15 Tagen zur gewünschten Erweiterung führte. Die Liege­dauer der Apparatur betrug 5 Monate. Um einem Rezidiv der transversalen Erweiterung vorzubeugen, wurde ein stabiler Transpalatinalbogen auf den ersten Molaren befestigt. In der bleibenden Dentition erfolgte mittels festsitzender Straight-Wire-Technik im Oberkiefer eine achsengerechte Einstellung der Zähne. Zur Retention diente eine herausnehmbare Platte im Oberkiefer.

Erwachsenenbehandlung

Die chirurgisch unterstützte Gaumenerweiterung SARPE verlangt eine enge Vernetzung zwischen Kieferorthopäden und MKG-Chirurgen. Sind außer der SARPE auch Umstellungsosteotomien geplant, wird die Einstellung der sagittalen Relation bei einer Klasse-II-Dysgnathie eine individuell größere transversale Erweiterung als bei einer vergleichbaren Klasse-III-Dysgnathie erfordern, was anhand des bekannten „Fuß im Pantoffel“-Vergleichs von Körbitz23 gut nachvollziehbar ist.

Dem Kieferorthopäden obliegt die prächirurgische Vorbehandlung einschließlich des Einsetzens der Hyraxapparatur. Die SARPE mit Le-Fort-I-Osteotomie, Downfracture und totaler Mobilisierung der Maxilla führt auch im posterioren Zahnbogen dauerhaft zu einer stabilen Erweiterung. Diese SARPE-Methode wurde von Paulus entweder mit einer Zweifach- oder einer Dreifachteilung der Maxilla durchgeführt und in einer retrospektiven Vergleichsstudie prä­sentiert7,20.

Generell stehen zum postchirurgischen Verlauf Fragen im Hinblick auf die knöcherne Konsolidierung an. Aus einer retrospektiven Gegenüberstellung von prä- und postoperativem Computertomogramm lassen sich Schlussfolgerungen über den erfolgten behandlungsinduzierten Knochenumbau ableiten. Die Grauwerte des Computertomogramms stehen in direkter Korrelation mit der Dichte des dargestellten Gewebes. Mit neueren Methoden der medizinischen Visualisierung13-15 kann die Verteilung der unterschiedlichen Grauwerte zum Beispiel einer Maxilla am 3-D-Modell dargestellt werden. Das Ergebnis sind 3-D-Profile mit Bezug zur Knochendichte. In der Original-Software lassen sich alle Modelle drehen, schneiden und zoomen. Auf diese Weise wird es möglich, den behandlungsinduzierten Knochenumbau dreidimensional am Patientenmodell nachzuvollziehen.

Die gezeigten Anwendungsbeispiele (Abb. 6 sowie 7a und b) sind im Rahmen einer Visualisierungsstudie in Kooperation mit der Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Frankfurt am Main (Leitung: Prof. Dr. mult. R. Sader) entstanden13-15. Sie veranschaulichen den Behandlungsverlauf bei einem 32-jährigen Patienten nach einer SARPE mit Le-Fort-I-Osteotomie. Abbildung 6 ist eine Visualisierung des neu gebildeten Knochens im OP-Spalt. Hierfür wurde auf eine abgestufte Zwei-Ton-Darstellung zurückgegriffen. Die Neubildung des Knochens ist entlang des OP-Spaltes sehr unterschiedlich, dafür aber nahezu symmetrisch zu beiden Seiten des Schnittes. Die Abbildungen 7a und b zeigen die prä- und postoperativen Veränderungen der frontalen und der vestibulären Knochendichte in Fehlfarben (aufsteigend: dunkelblau – hellblau – grün – gelb – orange – rot). Vor allem vestibulär ist eine deutliche Reduzierung der Knochendichte zu beobachten. Für den frontalen Knochen in der Umgebung des OP-Spaltes (Abb. 7a) trifft dies auch zu, allerdings in wesentlich geringerem Maße14.

Die kieferorthopädische postchirurgische Behandlung wird ab der achten postoperativen Woche zur Harmonisierung der Zahnbögen und zum Feineinstellen der Okklusion weitergeführt.

Schlussbemerkung

Die weitreichenden Auswirkungen der Gaumenerweiterung auf das Mittelgesicht rechtfertigen die Empfehlung, dass die Methode nur nach umfassender Diagnostik von erfahrenen Behandlern durchgeführt werden sollte. Der Umgang mit möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen wie Schmerzen, fehlender basaler Reaktion bei einer Spätbehandlung, Fenestrierung des alveolären Knochens, Lockerung der Apparatur und Einlagerung in die Gaumenschleimhaut erfordern allesamt genaue Kenntnisse und eine hohe Kompetenz des Behandlers3,4,6,12.

Hinweis

Interessierten Lesern stellt die Erstautorin gern eine Checkliste für die tägliche Praxis zur Verfügung. Diese kann im Internet unter www.viking-orthodontics.de durch Angabe des Stichworts „GNE-Quintessenz 2019“ im Kontaktformular abgerufen werden.

Ein Beitrag von Dr. Karin Habersack, Weilheim, und Prof. Dr. Cornelia Kober, Hamburg

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 11/19 Kieferorthopädie Zahnmedizin