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Immer mehr gesundheitsfördernde Effekte durch unverdauliche Nahrungsbestandteile nachgewiesen

(c) shutterstock.com/Kerdkanno

Ein wesentliches Merkmal von modernen Ernährungsweisen in den Industrienationen ist der Konsum von prozessierten Lebensmitteln, welche reich an isolierten Makronährstoffen wie Zucker, Stärke und gesättigten Fettsäuren sind, aber nur wenige Mikronährstoffe und Ballaststoffe enthalten. Dabei hat die Entfernung von Ballaststoffen aus der Nahrung erhebliche physiologische Konsequenzen für den Blutzuckerspiegel, das Sättigungsgefühl und die langfristige Stabilität des Körpergewichts sowie die Bildung von antiinflammatorischen Substanzen durch Darmmikrobiota. In Bezug zur Parodontitis zeigen sowohl Querschnitts- als auch Interventionsstudien durchgehend positive Effekte eines hohen Ballaststoffkonsums im Verhältnis zur Reduktion von parodontalen Entzündungen. Der Artikel beleuchtet die zugrunde liegenden Mechanismen und gibt klinische Empfehlungen zur Ernährungsberatung in der parodontalen Therapie.

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Einleitung

Auch wenn eine einheitliche und verbindliche Definition von „Ballaststoffen“ bis heute fehlt und nicht festgeschrieben wurde, können sie als Sammelbegriff für unverdauliche Bestandteile pflanzlicher Nahrung, primär Saccharide, verstanden werden1. Historisch wurden Ballaststoffe eher als überflüssiger unverdaulicher Faserbestandteil der Nahrung gesehen, mit dem keinerlei gesundheitlicher Nutzen verbunden war, wovon wahrscheinlich auch die etymologische Bedeutung von „Ballast“ herrührt2. Dies änderte sich vor allem durch die Arbeiten von Denis Burkitt und Hugh Trowell, die bei Untersuchungen von nativen Populationen gerade den Ballaststoffen einen immensen gesundheitlichen Nutzen zuschrieben3.

Tab. 1 Einteilung der Ballaststoffe nach ihren chemischen Eigenschaften [1].
Tab. 1 Einteilung der Ballaststoffe nach ihren chemischen Eigenschaften [1].

Arten und Vorkommen von Ballaststoffen

Tab. 2 Auswahl verschiedener Lebensmittel mit unterschied­lichen Ballaststoffgehalten [1].
Tab. 2 Auswahl verschiedener Lebensmittel mit unterschied­lichen Ballaststoffgehalten [1].
Durch moderne Analysemethoden kann man heute verschiedene Arten von Ballaststoffen differenzieren (Tab. 1). Ballaststoffe kommen in der Natur vornehmlich in pflanzlichen Nahrungsmitteln vor (abgesehen von verarbeiteten Milchprodukten). Tabelle 2 stellt eine Auswahl von Lebensmitteln mit verschiedenem Ballaststoffgehalt dar. Besonders ballaststoffreich sind dabei Vollkorn­getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse, Gemüse und Obst.

Effekte von Ballaststoffen auf die allgemeine Gesundheit

Bezüglich der allgemeinen Gesundheit werden Ballaststoffen heute diverse gesundheitsförderliche Eigenschaften zugeschrieben, wie eine Senkung der postprandialen Hyperglykämie, eine höhere Sättigung nach Nahrungsaufnahme, eine Assoziation zu geringerem Körpergewicht, eine Senkung des LDL(Low-density Lipoprotein)-Cholesterins, eine Senkung des Blutdrucks, eine geringeres Auftreten von kolorektalen Tumoren und eine Assoziation zu einer geringeren Gesamtsterblichkeit4–7. Damit sind Ballaststoffe von besonderer Bedeutung bei ernährungsassoziierten Erkrankungen wie Übergewicht und Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, metabolischem Syndrom, koronaren Herzerkrankungen und kolorektalen Tumoren. Zudem stellen Ballaststoffe einen wesentlichen Teil der Präbiotika, also der Nährstoffe für probiotische Keime dar8.

Als möglicher negativer Effekt von Ballaststoffen wird eine erhöhte Bindung von Mineralien wie Kalzium, Eisen und Zink im Dünndarm diskutiert, wobei dem jedoch Humanstudien entgegenstehen, die eher eine bessere Bioverfügbarkeit von Mineralien bei hoher Ballaststoffaufnahme zeigen1.

Trotz dieser beeindruckenden Gesundheitseffekte ist die Gesamtaufnahme von Ballaststoffen in der deutschen Bevölkerung noch immer gering und liegt bei durchschnittlich 19 g/Tag bei Männern und bei 18 g/Tag bei Frauen. Internationale Fachgesellschaften sowie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfehlen hingegen eine Aufnahme von mindestens 30 g/Tag9. In wildlebenden Jäger- Sammler-Populationen wird eine Aufnahme von mehr als 70 g/Tag angenommen10. Dementsprechend gilt ein geringer Ballaststoff­anteil als ein Faktor der vornehmlich in Industrienationen konsumierten Ernährung (Western Diet)3.

Bedeutung von Ballaststoffen für die parodontale Entzündung

Betrachtet man die vorhergehenden beschriebenen positiven Gesundheitseffekte der Ballaststoffe und die aufgeführten Erkrankungen, finden sich eine Reihe von gemeinsamen Assoziationen zu parodontalen Erkrankungen, insbesondere bezüglich der engen Wechselbeziehung zwischen Diabetes und Parodontitis11. Auf der Ebene von Querschnittsstudien wird daher auch tatsächlich eine inverse Beziehung zwischen dem Ballaststoffkonsum und dem Vorhandensein einer Parodontitis festgestellt. So zeigten Nielsen et al. anhand der NHANES(National Health and Nutrition Examination Survey)-Daten von 2009–2012 bei 6.052 erwachsenen US-Amerikanern im Alter von ≥ 30 Jahren eine signifikant negative Korrelation des Ballaststoffkonsums in Bezug zum Vorhandensein einer Parodontitis (Odds Ratio 1,30)12. Merchant et al. untersuchten die Assoziation zwischen Vollkornverzehr anhand der Daten von 34.160 männlichen Probanden aus Gesundheitsberufen der Health Professionals Follow-up Study und fanden eine signifikant negative Korrelation zwischen Vollkornverzehr und Vorkommen einer Parodontitis13. Schwartz et al. zeigten in einer Längsschnittstudie an 625 Männern eine signifikant langsamere Progression des alveolären Knochenabbaus ab ≥ 65 Lebensjahren. Dabei war der protektive Nutzen von ballaststoffhaltigen Früchten am größten14. Staudte et al. verglichen die Ernährungsgewohnheiten von 42 Parodontitispatienten mit 38 gesunden Kontrollpatienten und stellten einen geringeren Ballaststoffkonsum bei den Parodontitispatienten fest (neben einer geringeren Aufnahme von Vitamin C, Folsäure und Magnesium)15. Die Patienten mit Parodontitis nahmen hierbei im Schnitt 22 g/Tag zu sich im Vergleich zu 25,3 g bei den parodontal Gesunden.

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Ergebnisse klinischer Studien

Historisch gesehen haben ballaststoffarme Ernährungsweisen eine wesentliche Bedeutung in der experimentellen Gingivitis am Tiermodell. Hierbei formulierten Hamp et al. eine ideale Ernährung zur Betrachtung der experimentellen Gingivitis an Beagle-Hunden, bestehend aus Würstchen, Kartoffelmehl, Zucker und Wasser16. Abgesehen von der proinflammatorischen Zusammenstellung der Makronährstoffe enthielt diese Formel auch kaum Ballaststoffe. Vor diesem Hintergrund erscheint es interessant, dass wesentliche Grundlagen der tier­experimentellen Forschung zur Parodontitis auf Grundlage dieser proinflammatorischen Ernährungsformel entstanden17.

Aber auch auf Ebene von humanen Interventionsstudien zeigen ballaststoffreiche Ernährungsweisen positive Effekte bezüglich der Reduktion von parodontalen Entzündungen. Hierbei muss beachtet werden, dass nach Kenntnisstand der Autoren keine Studie isoliert den Einfluss von Ballaststoffen untersucht hat (was auch schwierig wäre), sondern immer in Kombination mit Veränderungen der Makro- und Mikronährstoffzusammensetzung. So untersuchten Kondo et al. den parodontalen Effekt einer ballaststoffreichen, fettarmen Ernährung an 21 Probanden, die entweder übergewichtig waren oder eine verringerte Insulinsensitivität hatten18. Nach acht Wochen der Ernährung reduzierten sich sowohl signifikant Sondierungstiefen als auch das Bluten auf Sondieren (von 16,2 auf 13,2 %). Zudem sanken Körpergewicht, HbA1c-Werte sowie C-reaktives Protein signifikant. Die Studie wurde allerdings ohne Kontrollgruppe durchgeführt. Eben­so untersuchten Holmer et al. den Effekt einer Okinawan-based Nordic Diet nicht kontrolliert an acht diabetischen Patienten. Die Ernährungsformel bestand aus einer weitgehend unprozessierten Nahrung, reich an Vollkorn, Gemüsen, Hülsenfrüchten, Fisch und Geflügel. Neben einer signifikanten Reduktion des Blutens auf Sondieren (von 28,5 auf 13,3 %), sanken auch allgemeinmedizinische Parameter wie HbA1c, Triglyzeride, Blutdruck und Gewicht. Die Autoren verglichen den parodontalen Effekt der Ernährungsintervention mit dem einer professionellen Zahnreinigung19.

In einer kontrollierten Interventionsstudie der eigenen Arbeitsgruppe wurden vier Wochen einer mundgesundheitsoptimierten Ernährung, die unter anderem reich an Ballaststoffen war, mit einer Western Diet an Patienten mit Gingivitis untersucht20. Auch hier sank die gingivale und parodontale Inflammation signifikant, obwohl die Probanden während des Studienzeitraums keine Interdentalraumreinigung mehr durchführten. Allerdings enthielt auch hier das Ernährungsprotokoll neben der Mehraufnahme von Ballaststoffen einen höheren Konsum von Omega-3-Fettsäuren, mikronährstoffreichen Früchten und Gemüsen sowie eine weitestgehende Vermeidung von einfachen prozessierten Kohlenhydraten.

Zusammenfassend finden sich nach Kenntnisstand der Autoren derzeit keine klinischen Interventionsstudien, die isoliert den Effekt von Ballaststoffen auf parodontale Entzündungen untersucht hätten. Jedoch betonen einige vielversprechende parodontale Ernährungsinterventionen Ballaststoffe als ein wichtiges Merkmal ihrer Ernährungsproto­kolle. Auf Grundlage der beschriebenen biologischen Mechanismen, Querschnittstudien und klinischen Untersuchungen erscheint ein positiver Effekt von Ballaststoffen zur Reduktion von parodontalen Entzündungen auch plausibel. In diesem Sinne müssen nach Ansicht der Autoren Ballaststoffe vielmehr als Marker für gesundheitsfördernde Lebensmittel gesehen werden, die wiederum – klinisch belegt – signifikant parodontale Entzündungen reduzieren können. Neben den parodontalen Effekten lassen sich durch einen erhöhten Ballaststoffkonsum auch diverse Para­meter der allgemeinen Gesundheit positiv beeinflussen.

Empfehlungen

Patienten mit Gingivitis und/oder Parodontitis sollte die Empfehlung ausgesprochen werden, sich ballaststoffreich zu ernähren. Dies beinhaltet sowohl den gezielten Konsum von Vollkorn, Gemüse, Obst, Nüssen und Hülsenfrüchten als auch das Vermeiden von prozessierten und ballaststoffarmen Lebensmitteln (wie Zucker, Säften oder Weißmehlen) und eine Reduktion von tierischen Produkten. Durch diese Empfehlung könnten sich Marker der parodontalen und auch der allgemeinen Gesundheit verbessern lassen.

Ein Beitrag von PD Dr. Johan Wölber, Freiburg, und PD Dr. Christian Tennert, Bern, Schweiz

Erstveröffentlichung in Parodontologie 1/19

 

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Parodontologie 1/19 Parodontologie