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Zahnärztinnen und Zahnärzte spielen eine wesentliche Rolle bei der Frühdiagnose hämatologischer Erkrankungen

Wulstartige Gingivahyperplasie im linken Ober- und Unterkiefer als erstes Anzeichen einer akuten myeloischen Leukämie, Patientin, 52 Jahre: Die Verdachtsdiagnose Leukämie erfolgte durch die Zahnärztin. (Quelle: Ebhardt et al.31).

(c) Ebhart/Reichart/Schmidt-Westhausen

Die Mundhöhle ist der erste Teil des Verdauungstrakts und zeichnet sich durch die Präsenz unterschiedlicher funktioneller Oberflächen aus. Hierzu zählen zum Beispiel die Zungenschleimhaut sowie die mastikatorische und die auskleidende Schleimhaut. Ätiologisch können Erkrankungen dieser Schleimhautgewebe lokale oder systemische Hintergründe haben. In der aktuellen Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen und Zustände sind diese Erkrankungen präzise dargestellt. Wichtige Beispiele für derartige Erkrankungen sind benigne und maligne Tumoren, immunologische Erkrankungsformen, Infektionserkrankungen und hämatologische Erkrankungen.

Ein solides Wissen bezüglich Anatomie und Physiologie der Mundhöhle ist entscheidend, wenn Veränderungen der Schleimhäute frühzeitig erkannt und therapiert werden sollen. Die Diagnostik einzelner Erkrankungen kann ein weites Spektrum von Befunderhebungen, inklusive sämtlicher intraoraler Befunde, mikrobiologischer Nachweisverfahren, zytologischer Untersuchungen sowie der histologischen Aufbereitung von Biopsien, beinhalten, bevor eine sichere Diagnose gestellt werden kann. Dies erfordert Erfahrung und Wissen, kann jedoch auch die frühzeitige Überweisung von Patienten mit Mundschleimhautveränderungen an entsprechend ausgewiesene Kollegen bedeuten. Das therapeutische Spektrum von Mundschleimhauterkrankungen ist zudem sehr weit und benötigt neben der zahnärztlichen Kompetenz zuweilen fachärztliche Kompetenz aus den Fächern der Dermatologie, Immunologie, Infektiologie, Hämatologie und schließlich Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Der Beitrag von Prof. Henrik Dommisch und Prof. Dr. Andrea M. Schmidt-Westhausen, Berlin, aus der Parodontologie 1/21 soll eine kurze Übersicht bezüglich wichtiger Erkrankungen der Mundschleimhaut bieten, die anhand von Frühsymptomen in der Mundhöhle erkannt werden können, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Die Mundhöhle wird auch als Spiegel innerer Erkrankungen bezeichnet. So können durch eine sorgfältige Untersuchung der Mundhöhle Hinweise auf eine zugrundeliegende systemische Erkrankung entdeckt werden. Hierzu gehören klinische Zeichen und Symptome von Erkrankungen des Immunsystems, von Endokrinopathien, häma­to­logischen Erkrankungen, Infektionen und Ernährungsstörungen. Erkrankungen der oralen Weichgewebe sind seit Jahren in den Schemata der Klassifikation parodontaler Erkrankungen implementiert1. In die aktuelle Klassifikation parodontaler und periimplantärer Erkrankungen und Zustände sind zudem einige systemisch relevante Erkrankungen, die Manifestationen an der oralen Schleim­haut zeigen können, wie zum Beispiel Tuberkulose und die Hand-Mund-Fuß-Krankheit, (teilweise wie­der) aufgenommen worden2. Die Früherkennung oraler Manifestationen systemischer Erkrankungen ist nicht nur für die Parodontologie, sondern für die gesamte Zahnmedizin von entscheidender Bedeutung und stets ein brisantes Thema. Jeder Zahnarzt sollte in der Lage sein, physiologische von patholo­gischen Schleimhautverhältnissen zu unterscheiden beziehungsweise orale Befunde entsprechen­den Erkrankungen zuzuordnen. Patienten mit Mundschleimhautveränderungen, inklusive jene mit Hinweisen auf systemische Erkrankungen, können so einer schnellen Diagnose und Therapie zugeführt werden. 

Die Zeitschrift „Parodontologie“ vermittelt dem interessierten Zahnarzt in Praxis und Klinik die neuesten Erkenntnisse, Entwicklungen und Tendenzen auf dem Gebiet der Parodontologie. Die hochwertige Ausstattung mit vielen, meist farbigen Abbildungen und der ausgeprägte Fortbildungscharakter sprechen für diese Fachzeitschrift. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.

Lues (Syphilis)

Orales Frühsymptom: schmerzloses Ulkus, meist an Unterlippe oder Gaumen (< 5 Prozent)

Die Lues ist eine bakterielle, durch die Spirochäten­art Treponema pallidum verursachte Erkrankung, die sexuell, durch Blut und intrauterin von der Mutter auf das Kind übertragbar ist. Diese verläuft typischerweise in drei Stadien: Ein sogenannter Primäraffekt, ein meist schmerzloses Ulkus an der Eintrittsstelle, bildet sich wenige Tage bis Wochen nach der Infektion. Im Sekundärstadium macht sich die Erkrankung durch Allgemeinsymptome und Hauterscheinungen bemerkbar, im Tertiär­stadium (Jahre nach der Erstinfektion) kann es zur Schädigung des Gehirns und der Blutgefäße kommen. Kontagiös sind Personen im Primär- und Sekundärstadium sowie während der Frühlatenz. Die Infektion kann durch Antibiotika geheilt werden, wiederholte Infektionen sind möglich3. Die Bedeutung der Lues hat in den vergangenen 20 Jahren zugenommen. So stieg die Anzahl der an Lues Erkrankten in Deutschland von ca. 2.000 im Jahr 2001 auf nahezu knapp 7.500 im Jahr 2018, wobei große Unterschiede in der Syphilis-Inzidenz zwischen den Bundesländern zu beobachten sind. Die mit Abstand höchsten Inzidenzen wurden in den Stadtstaaten Berlin (32,5 pro 100.000 Einwohner p. a.) und Hamburg (24,1 pro 100.000 Einwohner p. a.) registriert3

Bei ca. 5 Prozent der Infektionen ist die Mundhöhle beteiligt, wobei sich der Primäraffekt als orales Frühsymptom 3−4 Wochen nach Infektion zeigen kann. Klinisch findet sich ein schmerzloses, (dunkel-)rotes, leicht erhabenes, induriertes Ulkus va­riabler Größe (wenige mm bis zu 3 cm) (Abb. 1). Es besteht zudem eine regionäre, ipsilaterale Lymphadenopathie. Dieser als Primärkomplex bezeichnete Affekt ist infektiös und heilt typischerweise spontan ab. Bei etwa 60−90 Prozent der infizierten Patienten schließt sich ca. acht Wochen nach Infektion eine sekundäre Lues an4. Diese entspricht einer Generalisation der Infektion und geht mit grippeähnlichen Symptomen einher. Begleitend besteht eine generalisierte Lymphadenopathie. Intraoral finden sich potenziell Plaques muqueuses im Sinne weißlich- plaqueförmiger Effloreszenzen mit erythematösem Randsaum oder unspezifische Enantheme mit häufig aphthoidem Bild (Abb. 2 und 3). Exantheme sind in der Regel ebenfalls unspezifisch bzw. suggerieren andere Krankheitsbilder. Eine Beteiligung der Hand- und Fußflächen (sogenanntes Palmoplantarsyphilid) ist jedoch suspekt bezüglich einer Lues II. Haut- und Schleimhautmanifestationen können schubweise rezidivierend auftreten. Auch Läsionen der sekundären Lues sind infektiös.

Etwa zwei von drei Infizierten zeigen anschließend eine Abwesenheit von Symptomen für einen variablen Zeitraum, das Latenzstadium. Bis einschließlich ein Jahr nach Remission des letzten Exan­thems (Frühlatenz) gelten Betroffene als konta­giös. Bei etwa einem Drittel der Patienten wird die Latenz durch eine tertiäre Syphilis abgelöst. Je nach betroffenem Organsystem existieren eine gummöse, eine kardiovaskuläre und eine neu­rologische Form. Der Begriff Gummae bezeichnet fokal ne­krotisierende Herde. Diese können intraoral auftreten und perforierende Läsionen verursachen.  Effloreszenzen des tertiären Stadiums sind nicht infektiös. Die Lues III tritt in der heutigen Zeit in industrialisierten Ländern praktisch kaum noch in Erscheinung4. Die Sicherung der Verdachtsdiagnose einer Lues erfolgt mittels Serologie. Bei der medikamentösen antiinfektiven Therapie kommen vorrangig Depotpenicilline zur Anwendung. Syphilis ist nicht die einzige Geschlechtskrankheit, die Läsionen in der Mundschleimhaut ver­ursachen kann. Gonorrhoe ist zum Besipiel eine weitere Infektionskrankheit, die im klinischen Bild der Lues I ähnlich ist und daher differenzialdiagnostisch (über mikrobiologische Nachweisverfahren) abgeklärt werden sollte.

Hand- Fuß- Mund-Krankheit

Orales Frühsymptom: multiple Aphthen

Hierbei handelt es sich um eine Infektion mit Enteroviren (Coxsackie-Viren, humanes Enterovirus 71). Sie verläuft in den meisten Fällen harmlos und betrifft vorwiegend Kinder unter 10 Jahren, kann aber auch bei Erwachsenen auftreten. Die Inkubationszeit der Krankheit beträgt 3−4 Tage, nach der in 100 Prozent der Fälle eine vesikulöse Stomatitis auftritt – das Hauptsymptom und gleichzeitig orales Frühsymptom der Krankheit. Die Bläschen sind unregelmäßig verteilt und am harten Gaumen (Abb. 4), seltener an Wangenschleimhaut, Zunge, Gingiva und Pharynx lokalisiert. Diese persistieren nur kurze Zeit und können sich in aph­thenähnlichen Herden formieren. An der Haut tritt gleichzeitig oder kurze Zeit später ein symmetrisches Exanthem, das durch längliche Bläschen charakterisiert ist, auf, vor allem an den Fingerbeeren, an den Beugeseiten der Finger sowie an den Handtellern und Fußsohlen (Abb. 5).
Die Allgemeinsymptome ähneln einem grippalen Infekt mit Fieber, Appetitlosigkeit und Halsschmerzen. Die Diagnose beruht auf der typischen klinischen Symptomatik, die Labordiagnostik ist oft weniger hilfreich. Ein kultureller Virusnachweis ist möglich, aber aufwendig. Die Therapie erfolgt symptomatisch (mit schmerzstillenden Mundgels oder Mund­spüllösungen, Paracetamol oder Ibuprofen)5. Differenzialdiagnostisch sollte eine Infektion mit Herpes-Viren anamnestisch und gegebenenfalls mikrobiologisch ausgeschlossen werden. Weiterhin sollten bei multiplen rezidivierenden Aphthen andere systemisch relevante Erkrankungen, wie zum Beispiel Morbus Beçet, in Erwägung gezogen werden.

Eisenmangelanämie

Orales Frühsymptom: Mundwinkelrhagaden, Aphthen

Abb. 6  47-jährige Patientin mit Eisenmagelanämie (PlummerVinson-Syndrom) mit multiplen aphthoiden Läsionen am linken Planum buccale.
Abb. 6 47-jährige Patientin mit Eisenmagelanämie (PlummerVinson-Syndrom) mit multiplen aphthoiden Läsionen am linken Planum buccale.
Die Eisenmangelanämie, verursacht durch mangelhafte Eisenzufuhr mit der Nahrung, Blutungen verschiedener Genese oder Malabsorption, ist die häufigste Form der Anämie. Diese tritt am häufigsten bei Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf. Auch während des Wachstums kann ein Eisenmangel infolge eines erhöhten Eisenbedarfs entstehen. Die Eisenmangelanämie ist eine mikrozytäre hypochrome Anämie, das heißt, das Hämoglobin ist erniedrigt (etwa Hb < 13,5 g/dl beim Mann und < 12,0 g/dl bei der Frau). Klinisch finden sich neben anfänglicher Mundtrockenheit und Zungenbrennen Mundwinkelrhagaden und Aph­then, die Zunge ist atrophisch und gerötet, später kommt es zu allgemeiner Blässe der Schleimhaut6.
Eine Form der Eisenverwertungsstörung stellt das Plummer-Vinson-Syndrom (Sideropenische Dysphagie) dar. Sie betrifft meist Frauen mittleren Alters und ist ebenfalls durch eine hypochrome Anämie gekennzeichnet. Zu den Aphthen als orales (Früh-)Symptom (Abb. 6) kommen Ver­änderungen im Rachen und Ösophagus in Form einer schmerzhaften Dysphagie. Das Syndrom wurde nach den Ärzten Henry Stanley Plummer (1874−1936) und Porter Paisley Vinson (1890−1959) benannt, die Fälle von Eisenmangel und Dysphagie bei Verdacht auf einen Spasmus der oberen Speiseröhre oder eine abnorme Abwinkelung der Speiseröhre feststellten.
In Großbritannien wird diese Erkrankung auch als Paterson-Brown-Kelly-Syndrom bezeichnet, nach­dem die Laryngologen Paterson und Brown-Kelly 1919 darüber publiziert hatten. Paterson war der Erste, der einen Zusammenhang zwischen diesem Syndrom und dem Plattenepithelkarzinom vermutete. So zählt die Eisenmangelanämie zu den ätiologischen Faktoren, die mit dem Plattenepithelkarzinom assoziiert sind7. Die Therapie besteht in einer hochdosierten oralen Eisenzufuhr, wodurch die enoralen Veränderungen schnell in Remission gehen.

Pemphigus vulgaris

Orales Frühsymptom: gefüllte Blasen

Abb. 7 Intraorale dünnwandige Blasen/Erosionen als erstes Zeichen eines Pemphigus vulgaris am weichen Gaumen einer 73-jährigen Patientin.
Abb. 7 Intraorale dünnwandige Blasen/Erosionen als erstes Zeichen eines Pemphigus vulgaris am weichen Gaumen einer 73-jährigen Patientin.
Der Pemphigus vulgaris ist eine blasenbildende Autoimmundermatose und gehört zu den seltenen Erkrankungen. Die Inzidenz liegt bei 0,6 Neu­erkrankungen pro 100.000 Einwohner p. a., besonders betroffen sind Patienten zwischen dem 30.−60. Lebensjahr, darunter meist Frauen in der 4. und 5. Lebensdekade8. Die Ursache der Erkrankung ist nicht endgültig geklärt. Bekannt ist, dass sich Autoantikörper gegen desmosomale Adhä­sionsmoleküle bilden, die zu einer suprabasalen Spaltbildung führen. Die Autoantikörper richten sich primär gegen Desmoglein 3, ein desmosomales Adhäsionsmolekül epidermaler Keratinozyten9. Veränderungen an der Mundschleimhaut treten in 100 Prozent der Fälle auf, wobei die orale Symptomatik den Hautsymptomen meist vorausgeht10.
Klinisch zeigen sich an der Schleimhaut mit geschichtetem Plattenepithel kurz bestehende große blutig oder serös gefüllte Blasen (Abb. 7), die erst blutige, dann fibrinbedeckte Erosionen hinterlassen. Lokalisiert sind diese bevorzugt an der posterioren Wangenschleimhaut, seltener am Gaumen, an der Gingiva, der Zunge und am Mundboden. Erosionen am Lippenrot sind häufig mit hämorrhagischen Krusten belegt, bei längerem Verlauf werden Blasen und Erosionen am verhornenden Integument diagnostiziert. Es besteht ein Foetor ex ore. Die Mitbeteiligung der Konjunktiven, von Oro- und Nasopharynx und des Larynx können eine Sialorrhoe, Dysphagie und Heiserkeit zur Folge haben11. Die Therapie erfolgt systemisch mit Gluko­kor­ti­koiden, meist kombiniert mit anderen Immun­sup­pressiva (Azathioprin, Methotrexat, Cyclophos­pha­mid, Ciclosporin A), und lokal antiseptisch. Un­ter der Therapie kommt es zu einer narben­losen Heilung. Spontanremissionen sind möglich. Vor der Entwicklung effektiver Therapien lag die Mortalitätsrate bei 90 Prozent, heutzutage liegt sie bei 10 Prozent.

Systemische Sklerose

Orales Frühsymptom: verkürztes Lippen- und Zungenbändchen

Derzeit leiden etwa 10.000 Deutsche an einer systemischen Sklerose (Sklerodermie), weltweit sind es schätzungsweise 200.000 Patienten. Die Inzidenz liegt bei 0,6 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner p. a. Frauen sind etwa vier Mal häufiger betroffen als Männer. Die Erkrankung tritt meist im Alter von 30−50 Jahren auf, Verlauf und Schwere können von Patient zu Pa­tient sehr unterschiedlich sein.  Anstelle des alten Begriffs der Sklerodermie (Verhärtung der Haut) wird hier auch der Begriff systemische Sklerose verwendet, da damit die systemische (den ganzen Körper betreffende) Sklerose mit Beteiligung innerer Organe zum Ausdruck kommt. Die Ursache der Sklerodermie ist nicht bekannt. Genetische Faktoren und pathologische autoimmunologische Prozesse wurden nachgewiesen. Die diffuse Verlaufsform ist mit der genetischen Variante HLA-DR5 assoziiert, die limitierte mit HLA-DR1, HLA-DR4 und HLA-DR812. Mög­licher­weise sind stimulierende Autoantikörper gegen den Rezeptor des Wachstumsfaktors „Platelet Derived Growth Factor“ (PDGF) Ursache der Erkrankung13. Eine Heilung ist bisher nicht möglich. Die Thera­pie erfolgt individuell anhand vorliegender Symptome und Organbeteiligungen. Bei der Systemerkrankung des Bindegewebes mit Kollagenanhäufung und Fibrose werden auch im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich charakteris­tische Veränderungen beobachtet. Die Mundschleimhautveränderungen durchlaufen ebenfalls die drei Stadien Ödem – Induration – Atrophie.

Extraorale Veränderungen

Mit fortschreitendem Verlust der Mimik (Amimie) ist der Lidschluss erschwert, Stirnrunzeln und Pfeifen werden unter Umständen unmöglich. Klinisch geht diese mimische Starre des Gesichtes einher mit einer Verringerung der Mundöffnung (Mikro­stomie) und radiärer Faltenbildung um den Mund herum sowie Verengung des Lippenrots (Mikrocheilie). Die Gesichtshaut ist ebenmäßig, straff, fahl, glänzend, sodass diese fast jugendlich im­poniert.

Intraorale Veränderungen

Abb. 8 Verkürztes wächsern erscheinendes Zungenbändchen (Skleroglosson) bei einer 30-jährigen Patientin mit systemischer Sklerose.
Abb. 8 Verkürztes wächsern erscheinendes Zungenbändchen (Skleroglosson) bei einer 30-jährigen Patientin mit systemischer Sklerose.
Ein Frühsymptom der systemischen Sklerose ist das verdickte und verkürzte Zungenbändchen (Skleroglosson, Abb. 8) mit eingeschränkter Mobilität der Zunge. Der Zungenkörper selbst kann schrumpfen (Mikroglossie). Die fortschreitende Sklerosierung kann die Glandula parotis, submandibularis und sublingualis betreffen, sodass es zur Hyposalivation kommt.  Die Gaumenbögen können sich sehnig-weißlich darstellen, die Uvula ist in vielen Fällen verkürzt, während die Pharynxhinterwand feinnarbig erscheint. Die Funktionsfähigkeit des stomatognathen Systems ist abhängig von einer konsequent durchgeführten Prophylaxe und Erhaltungstherapie. Die permanente Instruktion des Patienten zu einer effizienten Mundhygiene und die Motivation unter Berücksichtigung der oralen Manifestation des Krankheitsverlaufes sind die Primäraufgaben des Zahnarztes14.

Morbus Crohn (Enteritis regionalis)

Orales Frühsymptom: wellenförmige Gewebeproliferationen, Aphthen

Abb. 9 44-jähriger Patient mit proliferierendem Gewebe im linken Vestibulum des Unterkiefers als Zeichen eines Morbus Crohn (Enteritis regionalis).
Abb. 9 44-jähriger Patient mit proliferierendem Gewebe im linken Vestibulum des Unterkiefers als Zeichen eines Morbus Crohn (Enteritis regionalis).
Der Morbus Crohn ist eine chronisch-granulomatöse Entzündung des gesamten Magen-Darm-Trakts. Er zählt wie die Colitis ulcerosa zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Die Inzidenz liegt in Deutschland bei 7−8 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner p. a. Obwohl die zugrundeliegende Pathogenese noch nicht geklärt ist, deuten neuere Daten darauf hin, dass es sich bei Morbus Crohn um eine inadäquate Entzündungsreaktion auf intestinale Mikroorganismen und andere Umweltfaktoren bei einem genetisch suszeptiblen Wirt handelt15. Insgesamt wurden mehr als 150 Risikogene/Loci ermittelt, die eine Rolle bei der Empfänglichkeit für Morbus Crohn spielen­16.

Die Erkrankung beginnt vorwiegend in jungen Jahren − zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Grundsätzlich kann Morbus Crohn aber auch erst bei älteren Menschen auftreten. Klinische Symptome sind abdominale Schmerzen, Diarrhoe, rektale Blutungen, Appetitlosigkeit, Fieber und Wachstumsstörungen bei Kindern. In der Regel verläuft die Erkrankung in Schüben. Das heißt, Episoden von Exazerbationen werden von asymptomatischen Intervallen oder Remissionen unterbrochen17. Orale Manifestationen bei Patienten mit Morbus Crohn wurden zuerst im Jahre 1969 beschrieben18. Seitdem wurden Prävalenzraten von 0,5−37 Prozent publiziert19. Diese Unterschiede sind auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen: Alter, Region, Erfahrung des Untersuchers, Patienten mit oder ohne Therapie zum Zeitpunkt der Untersuchung20

Orale Manifestationen können den intestinalen Veränderungen vorausgehen. In einer retrospektiven Studie mit 40 Patienten wurde gezeigt, dass 42 Prozent orofaziale Manifestationen aufwiesen, und zwar 1−39 Jahre vor der Diagnose eines Morbus Crohn. 50 Prozent entwickelten orale Veränderungen 1−45 Jahre nach gastrointestinaler Beteiligung21.  An Mundschleimhaut und Lippen tritt Morbus Crohn spezifisch in Form multipler, irregulärer, weicher nodulärer Hyperplasien auf geröteter Schleimhaut und unspezifisch in Form aphthoider Veränderungen auf (Abb. 9). Zusätzlich kann es zu Gesichtsschwellungen kommen. Histologisch finden sich in der Schleimhaut typischerweise epitheloidzellige, nicht verkäsende Granulome. Die Diagnose erfolgt anhand des klinischen Bildes und des histopathologischen Befundes. Das alleinige Auftreten oraler Manifestationen des Morbus Crohn ist selten, daher sollte bei deren Vorliegen ein gastroenterologisches Konsil erfolgen19.

Graft-versus-Host-Disease (GvHD)

Orales Frühsymptom: lichenoide Veränderungen nach Stammzell- oder Knochenmarktransplantation

Bei der Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion (engl.: Graft versus Host Disease, GvHD) reagieren immun­kompetente T-Lymphozyten des Transplantats (Graft) mit den Antigenstrukturen des immun­supprimierten Empfängergewebes (Host)22,23. Diese kann vor allem nach Stammzelltransplantation als Therapie von Leukämien, Lymphomen, Multiplem Myelom oder Autoimmunerkrankungen auftreten. Die Spenderzellen vermitteln im Organismus des Empfängers zelluläre Immunreaktionen und bilden spezifische, gegen den Wirt gerichtete zytotoxische T-Zellen und Antikörper. Die GvHD kann sich an allen Geweben mit lymphoiden Zellen und epithelialen Strukturen ma­nifestieren, besonders aber an den Zielorganen (Schleim-)Haut, Leber und Gastrointestinaltrakt. Bei Empfängern, bei denen die Immunabwehr durch Bestrahlung oder immunsuppressive Behandlung unterdrückt ist, kann die GvHD zur sogenannten Sekundärreaktion führen, einer schweren, akuten oder chronischen Erkrankung mit Leber- und Milz­vergrößerung, Atrophie der lymphatischen Orga­ne, Durchfall, Hautveränderungen und Kachexie.  Man unterscheidet zwischen akuter (innerhalb der ersten 100 Tage post transplantationem) und chronischer GvHD (nach dem 100. postopera­tiven Tag).

Mundschleimhautveränderungen bei akuter GvHD (Abb. 10)

Symptome der Mundschleimhautbeteiligung sind vor allen Hypersalivation als Zeichen der Speicheldrüsendysfunktion und Schmerzen bei der Nahrungsaufnahme. Veränderungen der Mundschleimhaut als Frühsymptome einer GvHD können denen eines oralen Lichen planus (OLP) ähneln und sich klinisch wie folgt darstellen:

  • Epitheliolyse
  • Ulzerationen
  • Erythem

Mundschleimhautveränderungen bei chronischer GvHD (Abb. 11 und 12)

Die chronischen GvHD − eine Multisystemerkrankung – kann sich ab dem 100. Tag post transplantationem, aber auch erst nach Jahren bei ca. 30−50 Prozent der Transplantierten manifestieren24,25. Ein Risikofaktor für das Auftreten einer chronischen GvHD ist eine vorausgegangene akute Form, wobei auch eine „de novo“-Variante existiert, die entsprechend ohne vorherige akute GvHD auftritt. Veränderungen der Mundschleimhaut können sich klinisch wie folgt darstellen:

  • plaqueförmige weißliche Herde (ähnlich denen eines plaqueförmigen OLP)
  • retikuläre Zeichnungen (Wickham-Striae, ähnlich denen eines OLP)
  • Erosionen, Ulzeration (ähnlich der erosiven bzw. ulzerativen Variante eines OLP)

Die initialen Veränderungen der Mundschleimhaut bei GvHD sind von einer oralen lichenoiden Läsion oder einem oralen Lichen planus klinisch nicht zu unterscheiden. Auch machten Unter­suchungen deutlich, dass zwischen dem histologischen Bild des OLP und der GvHD kein Unterschied besteht26,27.  Die Primärprophylaxe zur Vermeidung einer GvHD liegt in der möglichst genauen Übereinstimmung des Spenders hinsichtlich der Histokompatibilitätsmerkmale. Bei bereits vorhandener akuter GvHD besteht die Therapie in den meisten Fällen in einer zusätzlichen Gabe immunsuppressiv wirkender Pharmaka (Glukokortikoide und Ciclosporin A). Bei der Behandlung der chronischen GvHD wird zunächst Ciclosporin A eingesetzt, zusätzlich erfolgt die Gabe von Glukokortikoiden bzw. bei therapierefraktärer GvHD der Immunsuppressiva Mycophenolatmofetil und Tacrolimus.

Die Tatsache, dass sich die GvHD in mehr als 90 Prozent der Fälle primär an Haut und Schleimhaut manifestiert und dass die initialen Veränderungen klinisch und histologisch oft nur schwer einzuordnen sind, macht deutlich, wie wichtig eine Zusammenarbeit zwischen Hämatoonkologen und Zahnarzt in der Betreuung von Patienten nach Stamm­zelltransplantation (SCT) ist. Auch aufgrund der erhöhten Inzidenz von Sekundärtumoren nach SCT und der Möglichkeit einer Transformation der GvHD in ein Plattenepithelkarzinom auch noch Jahre nach deren Diagnose28,29 sind regelmäßige Kontrollen notwendig, um entsprechende Veränderungen frühzeitig zu erkennen.

Leukämie

Orales Frühsymptom: Gingivaschwellung, Blutungen, Ulzera

Die Leukämie ist die häufigste Neoplasie der weißen Blutzellen mit einer Inzidenz von 9 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner p. a. Die aktuelle Klassifikation der Leukämie ist komplex, eine detaillierte Darstellung findet sich in der „WHO Classification of Tumours of Haematopoietic and Lymphoid Tissues“ aus dem Jahr 201630. Vereinfacht kann die Leukämie in vier Subgruppen geteilt werden: akute myeloische Leukämie (AML), akute lymphatische Leukämie (ALL), chronische myeloische Leukämie (CML) und chronische lymphatische Leukämie (CLL). Akute Leukämien führen unbehandelt in wenigen Wochen bzw. Monaten zum Tod, chronische Leukämien können hingegen über mehrere Jahre hinweg symptomlos verlaufen.

Orale Veränderungen entstehen als Symptom akuter oder chronischer Formen der Leukämie, häufiger sind sie im akuten Stadium32. Diese entwickeln sich primär als Folge direkter Infiltration leukämischer Zellen oder sekundär durch die zugrundeliegende Thrombozytopenie, Neutropenie oder eingeschränkte Granulozytenfunktion33. Des Weiteren ist in der Mundhöhle das Gleichgewicht zwischen Erregern und Immunabwehr gestört, sodass sich an der Gingiva als Locus minoris resistentiae die ersten klinischen Symptome zeigen. Es entstehen entzündliche Infiltrate mit atypischen Zellen, die nicht mehr in der Lage sind, den Erregereinstrom suffizient zu bewältigen. Es folgt eine verstärkte Entzündungsreaktion mit einer ausgeprägten hyperplastischen Gingivitis, die rasch ulzeriert und spontan blutet34. D

ie enoralen Veränderungen gehören zu den Initialsymptomen einer Leukämie und äußern sich klinisch in Form von Gingivablutungen (Abb. 13), Gingivahyperplasie (oft bläulich, wulst­artig) (Abb. 14), Petechien (Abb. 15) und Ulzera (zerfallen mit unterminierten Rändern) an Gingiva, Zunge, Tonsillen mit Foetor ex ore. Leukämische Infiltrate, das heißt, tumorartige Akkumulationen neoplastischer Leukämiezellen, finden sich gelegent­lich auch an anderen Lokalisationen, vor allem am Gaumen. Diese können, wenn auch selten, isoliert auftreten, noch bevor Knochenmark- und Blutbildveränderungen vorhanden sind34.

Da sich die ersten Anzeichen einer Leukämie in der Mundhöhle zeigen, stellen sich Patienten oft bei Zahnärzten vor, da sie davon ausgehen, dass die Veränderungen lokalen Ursprungs sind. Der Zahnarzt spielt also eine wesentliche Rolle bei der Frühdiagnose hämatologischer Erkrankungen. Besonders hervorzuheben ist, dass gemäß einer retrospektiven Studie von Stafford et al. bei einem Drittel von 500 untersuchten Patienten mit myelomonozytärer Leukämie der Zahnarzt die Erstdiagnose stellte32. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass Zahnärzte in der Lage sind, die Manifestationen einer Leu­kämie zu erkennen, damit der betroffene Patient frühzeitig einem spezialisierten Facharzt zur weiteren Untersuchung vorgestellt wird und so ohne Verzögerung die endgültige Diagnose gestellt werden kann.

Ein Beitrag von Univ.-Prof. Dr. Henrik Dommisch und  Prof. Dr. Andrea M. Schmidt-Westhausen, Berlin

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Parodontologie 01/21 Parodontologie