PraxisDOI: 10.3238/dzz.2021.0007Pages 78, Language: GermanBehr, Michael / Fanghänel, JochenThe deglutition act/swallowing reflexFragestellung
Welche Bedeutung hat der Schluckakt/Schluckreflex für Regulations- und Rückkopplungsmechanismen des stomatognathen Systems?
Hintergrund
Der Schluckakt ist eine der häufigsten motorischen Funktionsabläufe in unserem Körper, bei dem mehr als 50 Muskelpaare koordiniert werden müssen. Er kann als ein komplexes Refluxgeschehen aufgefasst werden. Im Wachzustand schlucken wir, zumeist unbewusst, einmal pro Minute rund 0,5–1,5 ml Speichel. Im Tiefschlaf ruhen Speichelbildung und Schluckaktivitäten weitgehend. Neben einer Regulation des Speichelflusses scheint der Schluckakt auch einen wichtigen Einfluss auf Regula‧tions- und Rückkopplungsmechanismen des gesamten stomatognathen Systems zu haben. Da in der Regel beim Schluckakt der Unterkiefer nach dorsal und die Zahnreihen des Ober- und Unterkiefers kurz in Kontakt kommen [2, 4, 7], ist ein physiolo‧gischer Ablauf der Schluckaktivität für die Steuerung der Kaumuskulatur essenziell. Über die Rezeptoren der Zahnhalteapparate, der Rezeptoren in der Kaumuskulatur und im Kiefergelenk erfolgt beim physiologischen Schluckakt eine Rückkopplung, welche für die Einrichtung wichtiger Stellgrößen des stomatognathen Systems wie der Ruheschwebelage bei entspannter Kaumuskulatur zuständig ist. Jeder Muskel arbeitet, indem er sich verkürzt. Ein sich ständig verkürzender (arbeitender) Muskel benötigt aber auch eine Information, welche "Länge" er im entspannten Ruhemodus einhalten oder einstellen sollte. Die Skelettmuskeln beispielsweise rückkoppeln ihre "Länge" in der Ruhephase über die Aktivität ihrer direkten Antagonisten, also durch eine Wechselwirkung von "Beugern" und "Streckern". Im stomatognathen System ist diese einfache Zuordnung, wie sie bei den Extremitäten vorliegt, nicht so offensichtlich vorhanden. Auch müssen wir berücksichtigen, dass das stomatognathe System zwei Funktionen dienen muss. Es nimmt einerseits die Kaufunktion wahr, andererseits ist es Teil des Sprachorgans, sodass unterschiedliche Zentren im Gehirn (z.T. konkurrierende) Steuerfunktionen auf das stomatognathe System ausüben. Von daher ist ein "Reset", in dem das stomatognathe System seine physiologische Ruhe‧position immer wiederfindet, ein notwendiges Regelwerk zur störungsfreien Funktion des stomatognathen Systems. Die Tatsache, dass beim Schlucken der Unterkiefer relativ gut reproduzierbar in eine zentrische Position gelangt und dies im Wachzustand sehr häufig und unbewusst abläuft, spricht dafür, dass die Schluckaktivität eine wichtige Steuerfunktion innehat. Der im Schluckakt entstehende okklusale Kontakt zwischen der oberen und unteren Zahnreihe ruft eine vertikal wirkende Kraft von etwa 30 N hervor. Die beim Schlucken wirkenden Okklusionskräfte können das resultierende Kraftsystem modifizieren. Die Kraft ist somit nicht konstant; es findet eine ständige Zu- und Abnahme statt.