0,00 €
Zum Warenkorb
  • Quintessence Publishing Deutschland
Filter
1355 Views

Anthropologie: Anatomische Ausrichtung fossiler Molarenwurzeln gibt Hinweise auf Ausmaß und Richtung der Kaukräfte

Seit der Entdeckung der fossilen Überreste von Australopithecus africanus in Taung vor knapp einem Jahrhundert sowie darauffolgender Funde von Paranthropus robustus diskutiert die Wissenschaft darüber, wovon sich diese beiden Homininenarten aus Südafrika ernährt haben. Ein internationales Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der Universität Chile und der Universität Oxford in Großbritannien hat nun die Ausrichtung der Zahnwurzeln dieser fossilen Arten genau untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass Paranthropus robustus seine Nahrung auf völlig andere Art und Weise zerkaut haben muss als andere Homininen, so eine Meldung bei IDW online.

Ernährung als Schlüssel zur Evolutionsgeschichte

Bevor Nahrung geschluckt und dann verdaut werden kann, muss sie in der Mundhöhle zerkleinert werden. Wie dies genau geschieht, ist von vielen Faktoren abhängig, beispielsweise von den mechanischen Eigenschaften der Nahrung oder der Morphologie des Kauapparats. Paläoanthropologen verwenden viel Zeit darauf, die Ernährung unserer Vorfahren zu rekonstruieren, denn Ernährung ist der Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Evolutionsgeschichte. So hat eine qualitativ hochwertige (und fleischhaltige) Nahrung wahrscheinlich die Entwicklung unserer großen Gehirne erst möglich gemacht, während ein Mangel an Nährstoffen zum Aussterben anderer Arten (zum Beispiel Paranthropus boisei) beigetragen haben dürfte. Besonders umstritten geblieben ist jedoch, wie sich die südafrikanischen Homininen ernährt haben.

Gespreizte Wurzeln deuten auf seitwärts gerichtete Kräfte

Ausgehend von der Ausrichtung der Zahnwurzeln im Kiefer hat nun ein Forschungsteam aus Leipzig, Santiago de Chile und Oxford mit Hilfe hochauflösender computertomograpischer Verfahren und der Gestaltanalyse die Hauptrichtung der Kräfte bestimmt, die während des Kauvorgangs wirken. Anhand von virtuellen Rekonstruktionen von fast 30 oberen Backenzähnen von Homininen aus Süd- und Ostafrika stellte das Forscherteam fest, dass die Zahnwurzeln von Australopithecus africanus sehr viel stärker gespreizt waren als die von Paranthropus robustus und die des ostafrikanischen Paranthropus boisei. „Das ist ein Zeichen für ein stärkeres Wirken seitwärts gerichteter Kaukräfte bei Australopithecus africanus, während bei den beiden Paranthropus-Arten eher vertikale Kräfte zum Tragen kommen“, erläutert Kornelius Kupczik vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Unterschiede in der Zahnstruktur

Im Unterschied zu den anderen in der Studie untersuchten Arten weisen die Zahnwurzeln von Paranthropus robustus eine ungewöhnliche Ausrichtung auf, eine Art „Verdrehung “, was auf eine leichte Rotations- sowie Vor- und-Rückwärtsbewegung des Kiefers während des Kauens schließen lässt. Für diese Interpretation sprechen weitere morphologische Merkmale des Schädels von Paranthropus robustus. Beispielsweise deutet die Struktur des Zahnschmelzes auf komplexe, multidirektionale Krafteinwirkungen hin. Auch das ungewöhnliche Abnutzungsmuster der Zähne lässt eher auf eine abweichende Kieferbewegung als auf das Kauen neuartiger Nahrungsressourcen schließen. Offensichtlich wird die Morphologie des Schädels nicht nur davon bestimmt, was Hominine aßen und wie kräftig sie zugebissen haben, sondern auch davon, wie die Kiefer während des Kauvorgangs aufeinandertrafen.

Was wurde gegessen – und wie?

Die aktuelle Studie zeigt, dass die Analyse der Ausrichtung der Zahnwurzeln im Kiefer viel dazu beitragen kann, die Ernährungsökologie unserer Vorfahren und ausgestorbenen Verwandten besser zu verstehen. „Vielleicht haben Paläoanthropologen die fossilen Funde nicht immer unter den richtigen Gesichtspunkten betrachtet“, folgert Gabriele Macho von der Universität Oxford. „Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, was unsere ausgestorbenen Verwandten aßen, sondern auch darauf, wie sie ihre Nahrung kauten.“

Rückschluss auf Kaumuster von Patienten

Die Variabilität in der Ausprägung der Wurzeln der Backenzähne bei den Homininen verraten uns wahrscheinlich mehr als bislang vermutet. „Für mich als Anatomin und Zahnärztin ist es sehr wichtig zu verstehen, wie die Kiefer unserer Vorfahren arbeiteten, da wir diese Erkenntnisse schlussendlich auf das Gebiss des heutigen Menschen übertragen können. Das hilft uns, Pathologien wie zum Beispiel Zahnfehlstellungen besser zu verstehen“, fügt Viviana Toro-Ibacache von der Universität Chile und Co-Autorin der Studie hinzu.

Originalpublikation:
Kornelius Kupczik, Viviana Toro-Ibacache, Gabriele A. Macho. On the relationship between maxillary molar root shape and jaw kinematics in Australopithecus africanus and Paranthropus robustus, Royal Society Open Science 5: 180825, http://dx.doi.org/10.1098/rsos.180825


Das Titelbild zeigt den Fossilienfund SK 46: Paranthropus robustus aus Südafrika sowie die für die Analyse verwendete virtuelle Rekonstruktion des ersten oberen Backenzahns. Bild: Kornelius Kupczik, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Reference: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie Bunte Welt Nachrichten

AdBlocker active! Please take a moment ...

Our systems reports that you are using an active AdBlocker software, which blocks all page content to be loaded.

Fair is fair: Our industry partners provide a major input to the development of this news site with their advertisements. You will find a clear number of these ads at the homepage and on the single article pages.

Please put www.quintessence-publishing.com on your „adblocker whitelist“ or deactivate your ad blocker software. Thanks.

More news

  
30. Apr 2025

So unterstützen Krankenkassen bei Impfungen gegen FSME, HPV oder Gürtelrose

Europäische Impfwoche startete am 27. April – Zeckensaison beginnt
30. Apr 2025

„Deutschlands liebstes Kind“ bekommt Unterstützung

Unilever ist neuer Personal Care Partner der Frauen- und Männer-Fußballnationalmannschaft
29. Apr 2025

Wie die Pollenvorhersage-App PollDi wirkt

Aktuelle Studie der Uni Augsburg zeigt ein eindrucksvolles Beispiel für das Potenzial digitaler Gesundheitsanwendungen
29. Apr 2025

Influencer, E-Zigaretten und die Sprache der Nikotinindustrie

Lücken und Verharmlosung – Lungenmediziner fordern konsequenten Jugendschutz
24. Apr 2025

LZK Baden-Württemberg feierte 70-jähriges Bestehen

„Ohne Baden-Württemberg stünde die Zahnärzteschaft in Deutschland nicht da, wo sie heute ist“
24. Apr 2025

Wie Ibuprofen den Fettstoffwechsel im Gehirn beeinflusst

Aktuelle Studie zeigt positive Effekte auf Lipidstoffwechsel, aber negative Einflüsse auf Zellgesundheit
23. Apr 2025

Von Unternehmerinnen und Führungsfrauen lernen

„ladies dental talk“ am 25. April in Oldenburg – nächste Termine 7. Mai in Mainz und 9. Mai in Osnabrück
22. Apr 2025

(Arbeits-)Rechtliche Herausforderungen bei der Praxisübernahme

RA Dr. Justin Doppmeier: Transparente Kommunikation und Team-Einbindung sorgen für einen reibungslosen Übergang