Ob Zahnarzt- oder Arztpraxis, Klinik oder Apotheke – eines betrifft derzeit alle: ein toxisches Compositum aus sich brutal verschärfenden Personalmangel, gleichzeitig massiv steigenden Kosten und in der ambulanten Versorgung strikten Budgetgrenzen. Daran ändern auch die seitens des Gesundheitsministers primär aus populistischen Gründen erfolgten „Entbudgetierungen“ wie in der Kinderheilkunde nichts.
In der Zahnmedizin ging Lauterbach sogar so weit, die nach vielen Jahren der Vorarbeit allseits konsentierte und an der Morbidität orientierte PAR-Strecke mir nichts, dir nichts wieder einzukassieren. Und nun steht ein weiterer Protesttag des Verbands medizinischer Fachberufe in Berlin an.
Willkommen im Jahr eins des GKV-FinStG
Um in der oben beschriebenen Situation die Zukunftsfähigkeit der Praxen wie auch der Apotheken zu erhalten, sollte man seine Hoffnungen weder auf die Politik setzen noch auf Hilfe von dort warten. Denn der Großteil der Probleme, denen wir derzeit ausgesetzt sind, kommt genau von dort (Stichwort GKV-Finanzstabilisierungsgesetz). Und wenn dann großspurig und lautsprecherisch ideologisch getriebene Lösungen aus dem Olymp der Politik herabregnen, steht die Chance bei nahezu 100 Prozent, das es sich lediglich um ein Pflaster für einen Beinbruch handeln wird. Und wie immer: Selbst dieses Pflaster wird es nicht für alle Betroffenen geben.
Zweierlei politisches Maß
Damit sind wir mitten in dem aktuell unter engpasszentrierter Analyse wichtigsten Thema überhaupt: dem Personalmangel in den Praxen. Denn vom zweierlei politischen Maß im Hinblick auf den Wert der Arbeit (Stichwort systemrelevant) wie auch der im Vergleich zu den Pflegekräften per se deutlich geringeren Bezahlung können ZFA und MFA seit der Corona-Krise ein Lied singen. Spricht man mit dem Fachpersonal in Zahnarztpraxen über dieses Thema, verstetigt sich der Eindruck, dass es eben nicht nur um die Höhe des Einkommens geht, sondern auch um die Anerkennung der „Systemleistung“ der ZFA und MFA. Diese Anerkennung teilt sich jedoch – in eine öffentliche und eine arbeitgeberseitige. Bei der gesellschaftlichen Anerkennung hat es die Politik grandios verkackt (für diesen Ausdruck bitte ich um Nachsicht, aber er trifft nun mal den Punkt).
Dimension unterschätzt
Die Dimension, in der sich diese fehlende Anerkennung auswirkt, wird jedoch gemeinhin unterschätzt. Denn auch der potenzielle Nachwuchs ist in der Lage, das Signal der politischen Minderwertigkeit des Berufs zu decodieren. Dann also lieber Krankenschwester oder -pfleger lernen. Man verdient besser und jeder weiß um die wichtige Aufgabe derer, von denen bekanntermaßen in allen Kliniken Mangel herrscht – und zwar ein öffentlich beklagter. Genau hier zeigt sich erneut der große Unterschied!
Der Freiberufler im Gesundheitswesen – ein suspektes Wesen
Die andere Seite der Medaille ist die Anerkennung von Chefin oder Chef. Ob es daran liegt, dass der Politik – diese Verallgemeinerung sei mir erlaubt, denn sobald Parteien, egal welche, in Regierungsverantwortung gelangen, fremdeln sie nach meiner Einschätzung mit dem ambulanten System – die Vielzahl der selbständigen Freiberuflerinnen und Freiberufler suspekt sind? Wegen viel zu viel nicht direkt kontrollierbarer Entscheidungskompetenz? Die überbordende Kontroll-Bürokratie spricht jedenfalls für dieses Annahme.
Ebenso wie eine Honorarlogik, bei der die Geräte-, Vorhalte-, Verbrauchs-, Versicherungs- und Personalkosten und deren Kostendynamik im Honorar nur nachrangig betrachtet werden. Stichwort Brutto-Grundlohnsumme. Reicht das Honorar dann ganz aktuell bei den niedergelassen HNO-Ärzten für ambulante Tonsillektomien bei Kindern zur Deckung der Kosten nicht mehr aus, ist das unreflektierte Geschrei seitens Politik und in schändlicher Weise auch der hochrangigen Kassenvertreter groß. Gerade letztere müssten es nämlich besser wissen.
Der Schwarze Peter geht an die Praxisinhaber
Aber entschuldigt das die vielfache und immer wieder beklagte mangelnde Anerkennung durch die Praxisinhaberinnen und -inhaber? Aus der Perspektive der Niedergelassenen ist der jetzige Zeitpunkt alles andere als ideal, um mit Gehaltssteigerungen auf die Personalproblematik zu reagieren – weder das sogenannte Sentiment der Branche noch die Deckelung, vulgo Budgetierung, der „Umsätze“ sprechen dafür.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Das Gegenteil ist jedoch richtig. Denn es gab nie einen besseren Zeitpunkt für den Schulterschluss mit dem Assistenzpersonal. Das setzt allerdings die richtige und angemessene Reaktion auf die Situation voraus. Dummerweise kann man dafür nicht auf eine Schönwetterperiode warten. Vielmehr wird Zukunft in schweren Zeiten – um das Wort „schlechten“ zu vermeiden – gestaltet. Womit wir beim erneuten Protesttag der medizinischen und zahnmedizinischen Angestellten am Mittwoch (8. Februar 2023) vor dem Brandenburger Tor in Berlin angekommen sind. Der Verband medizinischer Fachberufe e.V. hat dazu aufgerufen. Nun ist deren Präsidentin Hannelore König nicht für aggressiven Lautsprech bekannt. Umso genauer sollte man also hinhören.
43 Cent mehr als Mindestlohn für Pflegehilfskräfte
Nachfolgend ein Zitat aus der Pressemeldung: „Unsere Ziele sind klar: Wir fordern angemessene Gehälter für die MFA und ZFA in den ärztlichen und zahnärztlichen Praxen, die die Wertschätzung ihrer Leistungen in der Patientenversorgung widerspiegeln. Ohne MFA und ZFA funktioniert das ambulante Gesundheitswesen nicht. Das gilt für die Zeit vor, während und nach der Pandemie. Doch für die Gesundheitspolitik sind wir nicht sichtbar. Dringend benötigte Änderungen in der Finanzierung des ambulanten Gesundheitswesens, die es ermöglichen, dass die Angehörigen dieser Gesundheitsberufe von ihrem Gehalt leben können, werden nicht angegangen. Für 2021 gibt die Bundesarbeitsagentur für ZFA in Vollzeit ein durchschnittliches Gehalt von weniger als 2.300 Euro an, während die Krankenkassen den Sozialversicherungsfachangestellten mehr als 4.200 Euro zahlten, finanziert aus den Sozialbeiträgen der Versicherten. Das mittlere Gehalt von MFA beträgt 2.655 Euro. Damit liegt es nur 43 Cent über dem Mindestlohn für qualifizierte Pflegehilfskräfte mit mindestens einjähriger Ausbildung.“
Ohne an dieser Stelle einen falschen Zungenschlag hineinbringen zu wollen: Die Ausbildung zur ZFA dauert drei Jahre.
Körperschaften und Verbände sagen Unterstützung zu
Die Körperschaften Kassenzahnärztliche und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Bundeszahnärzte- und Bundesärztekammer und deren Vertretungen in den Bundesländern haben ebenso wie die relevanten zahnärztlichen und ärztlichen Verbände und Berufsfachverbände haben ihre Unterstützung für den Protesttag zugesagt. Das ist das eine. Die Unterstützung auch zu leben, zum Beispiel in Honorarverhandlungen die Perspektive der Praxisangestellten aktiv einzubringen, das andere. Das Instrument der Grundlohnsumme hat bei allseitiger Praktikabilität auch eine negative Seite, denn es fixiert niedrige Einkommen. Den Spruch „Es gibt nichts Gutes außer man tut es“ kann man auch so übersetzen: Es ist an der Zeit, endlich das politische Gewicht der ambulanten Versorgung um das der 550.000 ZFA und MFA zu erhöhen. Dann fürchtet sich, platt formuliert, nicht mehr nur die FDP…
Loyalität kann man nicht kaufen
An dieser Stelle nun der Perspektivwechsel. Als Praxisinhaberin oder -inhaber werden sie jetzt sagen: Ist ja alles schön und gut, aber bezahlen muss doch ich. Stimmt, denn Sie sind die verantwortliche Unternehmerin, der verantwortliche Unternehmer. Um den Praxisgewinn zu verbessern, hilft es jedoch nicht, dauerhaft niedrige Löhne zu zahlen. Loyalität entsteht so nicht. In der Konsequenz bildet man nur für besser zahlende Kolleginnen und Kollegen aus. Auf der anderen Seite sollte man auch nicht, um im Bild zu bleiben, gegen den Personalmangel anzahlen und dabei die Wirtschaftlichkeit der Praxis opfern.
Eine ganz andere Frage wird zum Ziel führen
Meines Erachtens ist eine ganz andere Frage – und deren ehrliche und selbstkritische Beantwortung – zielführend: Kann oder würde ich meinem Kind empfehlen, ZFA zu werden? Auch wenn Sie die Frage für despektierlich, vielleicht sogar für dämlich halten, schreiben Sie sich doch einmal je fünf Punkte Pro und Kontra auf, die Ihnen diesbezüglich durch den Kopf gehen. Danach – diese Prognose erlaube ich mir – ist das Thema Mindestlohn vom Tisch ist.
Vielmehr wird eine andere Frage dominieren: Wie kann ich als Unternehmer die Notwendigkeiten der Praxis und die Bedürfnisse und Vorstellungen meiner Angestellten mit den meinigen unter einen Hut bringen? Auch wenn ich mich jetzt aus dem Fenster lehne: Ich garantiere Ihnen, Sie denken nicht mehr so viel über Gehälter nach, sondern viel mehr über Patientenklientel, Wertschöpfung und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten.
Gesicherte Finanzierung der ambulanten Regelversorgung
Doch zurück zu den Forderungen des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V. Dieser fordert (zitiert gemäß Pressemeldung) neben angemessenen Gehältern, die der Verantwortung für die Gesundheit von Menschen gerecht werden, die Anerkennung und Wertschätzung der Leistungen von MFA und ZFA in der Patientenversorgung als Gesundheitsberuf sowie die gesicherte Finanzierung der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Regelversorgung, damit die ärztlichen und zahnärztlichen Arbeitgeber im Wettbewerb um die MFA und ZFA als Fachkräfte und Berufsexperten wieder konkurrenzfähig werden.
Das klingt wie „Wir sitzen alle in einem Boot“. Und dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.