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Chasing realities: Wenn die Politik der Realität hinterherjagt
Die aktuell gehandelten Summen wirken sie Speed auf Politik und Lobbyisten – doch noch ist nichts geregelt, warnt Dr. Uwe Axel Richter
(c) miniartkur/Shutterstock.com
Man reibt sich immer noch verwundert die Augen, was vor kurzem noch strikt abgelehnt wurde und jetzt von der Politik möglich gemacht werden soll: Die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD sind abgeschlossen. Dem am 8. März 2025 veröffentlichten gemeinsamen Sondierungspapier haben die Parteigremien als Basis für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen am 9. März schon zugestimmt. Als wesentlicher nächster Schritt steht nun die Aufgabe an, in den letzten Tagen des abgewählten 20. Bundestags die Grundgesetzänderung zur Schuldenbremse zu verabschieden. Noch ist nicht final sicher, ob das klappen wird, aber schon werden die Begehrlichkeiten hinsichtlich der vorgesehenen Gelder überall laut.
Aber erst einmal zu den Formalien. Folgender Zeitplan ist dafür vorgesehen: Am 13. März 2025 soll der alte Bundestag über die Reform der Schuldenbremse und das Infrastruktur-Sondervermögen beraten, am 18. März sollen die Grundgesetzänderungen vom Bundestag beschlossen werden. Das Votum des Bundesrates erfolgt dann am 21. März. (Der neu gewählte Bundestag tritt dann am 25. März 2025 zusammen.)
Alter versus neuer Bundestag
Für die Änderung des Grundgesetzes ist jedoch eine Zwei-Drittel Mehrheit im Bundestag nötig. Es wird interessant werden, welchen Preis die Grünen und die FDP für ihre Zustimmung aufrufen werden. Letztere hatte zugesagt, einer Erhöhung des Sondervermögens Bundeswehr auf bis zu 200 Milliarden Euro zustimmen zu wollen, jedoch nicht dem Sondervermögen für Infrastruktur. Die AfD-Fraktion hat hingegen angekündigt, gegen den vorgesehenen Ablauf zu klagen. Begründung: Die Entscheidung ist von so großer zukünftiger Bedeutung, dass diese von dem neu gewählten Bundestag vollzogen werden müsse (in dem die FDP nicht mehr vertreten ist und die AfD eine Änderung verhindern könnte …).
Es wird sich daher bald zeigen, ob der politische Schachzug der CDU/CSU, auch für die SPD und deren gewünschten politischen Spielraum das eigene zentrale Wahlkampfversprechen über Bord zu kippen, keine weiteren Schulden zu Lasten kommender Generationen zu machen sowie die grundgesetzliche Schuldengrenze nicht anzutasten, ein genialer Zock um die politische Macht war. Oder schlichtweg der harte Aufschlag auf dem Boden der aktuell besonders herausfordernden Realpolitik. Aus meiner Sicht ist dadurch das Blatt auf Seiten der CDU/CSU jedenfalls nicht besser geworden.
Handgeld in der Politik?
Mich erinnert das Vorgehen der Union an eine geniale Szene aus der Fernsehserie „Kir Royal“. In der sagt Mario Adorf zu Franz Xaver Kroetz: „Ich mach dich nieder, Schimmerlos, wenn du mich jetzt hier stehen lässt wie 'ne Deppen. Dann mach ich dich nieder. Ich ruinier dich. Isch mach disch fertisch. Isch kleb dich zu von oben bis unten. Mit meinem Geld. Isch kauf disch einfach. Isch kauf dir 'ne Villa, da stell isch dir noch 'n Ferrari davor. Deinem Weib schick' isch jeden Tag en' Fünfkaräter. Isch schieb et dir hinten und vorne rein. Isch scheiß dich sowat von zu mit meinem Geld, dass de keine ruhige Minute mehr hast. Und die Versuchung is' so groß, da nimmst's und dann hab isch dich, dann jehörste mir. Und dann biste mein Knecht. Isch mach mit dir, wat isch will, verstehste, Junge.“
Sondervermögen nur ein anderes Wort für Schulden
Die Vorstellung eines Friedrich Merz als Klebstoff-Fabrikant Heinrich Haffenloher und dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil in der Rolle des Klatschreporters „Baby“ Schimmerlos mag sehr unterhaltsam sein. Wer letztlich am längeren Hebel saß, sei des Lesers Phantasie überlassen. Blöd ist halt nur, dass das sogenannte Sondervermögen nicht dem Geldsack eines erfolgreichen Fabrikanten entstammt, sondern Schulden sind, die am Kapitalmarkt als Anleihen aufgenommen und von den Steuerzahlern und eben nicht Friedrich Merz wieder abgestottert werden müssen. Von den weiteren Nebenwirkungen auf die Finanzmärkte einmal abgesehen.
Politiker und Lobbyisten auf Speed
Doch wie immer im Leben kommt es auch hier auf den Blickwinkel an. Während sich die einen angesichts der vorgesehenen Schuldenorgie mit Grausen abwenden, wirkt die Aussicht auf einen 500 Milliarden Euro schweren Infrastrukturstimulus auf Politiker und Lobbyisten hingegen wie Speed (Amphetamin). Wie sich CDU/CSU und SPD die Realisierung dieser finanziellen Megasause vorstellen, haben die Sondierer in dem elfseitigen Papier dokumentiert. Und schade eigentlich: In dem Sondierungspapier werden die in der Öffentlichkeit wabernden bis zu 400.000 Millionen Euro für die Verteidigung nicht mehr genannt.
Stabilität und Aufbruch
Wie sich CDU/CSU und SPD die Leitschnur für die kommende gemeinsame Legislatur vorstellen, haben sie so formuliert: „Deutschland braucht Stabilität und Aufbruch – für eine sichere Zukunft, für wirtschaftliche Stärke und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt […] Wir wollen unseren Staat wieder leistungsfähig machen durch eine grundlegende Modernisierung, Reformanstrengungen, einen umfassenden Rückbau der Bürokratie und durch Digitalisierung […] Mit einem Sondervermögen von 500 Milliarden Euro bringen wir unser Land wieder in Form – durch Investitionen in Straßen, Schienen, Bildung, Digitalisierung, Energie und Gesundheit.“
Drei Zeilen für Gesundheit
Puh, Gesundheit gibt es doch noch. Immerhin rekurrieren von den 402 Zeilen des Papiers ganze drei Zeilen auf den größten Wirtschaftssektor Deutschlands: „Pflege und Gesundheit: Die Gesundheitsversorgung muss für alle gesichert bleiben. Wir wollen eine Pflegereform auf den Weg bringen. Wir stehen für eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung in der Stadt und auf dem Land.“ So weit, so inhaltsleer. Das war es jedoch noch nicht zur Gänze, denn im Kapitel „Finanzierung“ findet sich unter dem Sondervermögen Infrastruktur der Hinweis auf „Krankenhaus-Investitionen“.
Bürokratiekosten sollen um ein Viertel sinken
Ja, auch der Bürokratieabbau wird explizit genannt. Hier wollen sich die zukünftig Regierenden der Abschaffung von Berichts-, Dokumentations-, und Statistikpflichten besonders widmen und zudem die Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsbeauftragten signifikant reduzieren. Immerhin gibt es ein konkretes Ziel: Die Bürokratiekosten sollen in den kommenden vier Jahren um 25 Prozent reduziert werden.
Konkrete Verbesserungen für Bauern und Gastronomie
Um eine vergleichende Relation zum Gesundheitswesen herzustellen: Auch Gastronomie und Verbraucher sollen durch die dauerhafte(!) Senkung der Umsatzsteuer auf Speisen auf 7 Prozent entlastet werden. Ach ja, und die Agrardiesel-Rückvergütung soll wieder vollständig eingeführt werden. Bauern und Gastronomen waren den Sondierern immerhin auch drei Zeilen wert. Nachvollziehbar, denn ohne Mampf kein Kampf. Zudem haben die Bauern immer noch die größeren Fahrzeuge. Und Mist. Es ist daher durchaus empfehlenswert, die Zeit für das Lesen des elfseitigen Papiers zu investieren, um die Fahrtrichtung der potenziellen neuen Regierung zu kennen. Denn Druck bewirkt nur etwas, bevor Festlegungen getroffen werden.
Von Karl nur Allgemeinplätze
Angesichts der minimalen Gedanken zum Thema Gesundheitswesen im Sondierungspapier – man könnte es auch maximale Vorstellungslosigkeit nennen – darf man sich fragen: Wo war eigentlich „Propeller-Karl“? Es war schon wundersam, dass der oberste Umverteiler in der Gesundheitsbranche, Noch-Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten diesbezüglich vergleichsweise „sparsam“ in der Öffentlichkeit zu vernehmen war. Selbst zur Digitalisierung kein Wort von ihm. Nun gut, Karl Lauterbach gehörte nicht dem Sondierungsteam der SPD an, dafür Achim Post, Co-Vorsitzender der SPD in NRW.
Dennoch waren seitens des Gesundheitsministers nur Allgemeinplätze zu hören, wie toll doch das Infrastruktur-Sondervermögen für das Land sei. Die Forderung, dass die notwendigen Krankenhausinvestitionen statt von den Beitragszahlern via Transformationsfonds aus dem geplanten Infrastrukturfonds zu bezahlen seien, war von ihm jedenfalls nicht zu vernehmen. Das überließ er den Krankenkassen.
„Zäng useinander“ für echte Entlastungen
Zu hoffen bleibt, dass Karl Lauterbach wenigstens bei den kommenden Koalitionsverhandlungen „de Zäng useinander kriecht“ und die Entlastung der Krankenkassen von versicherungsfremden Leistungen samt der Rücknahme des Transformationsfonds nachhaltig – will heißen wirksam – kommuniziert. Denn die lauten Forderungen der Krankenkassen, hier insbesondere des GKV-Spitzenverbands, nach einem Kostenmoratorium sind beim Blick auf die Kostenentwicklung im Verhältnis zu den Einnahmen zwar nachvollziehbar, aber im Hinblick auf die Wirkungen vor allem in der ambulanten hausärztlichen Versorgung höchst gefährlich. Und das nicht nur, weil mal wieder die Morbiditätsentwicklung einer zunehmend alternden Bevölkerung auf die Leistungserbringer verlagert werden soll, sondern weil in nicht allzu ferner Zukunft auch jeder Niedergelassene anhand seiner Abrechnung sehen wird, dass eine Entbudgetierung so lange keine sein kann, wenn im Gesetz steht, dass „die Regelungen so auszugestalten sind, dass sie weder zu Mehrausgaben noch zu Minderausgaben der gesetzlichen Krankenkassen führen“.
Von solchen Absurditäten der Abrechnungsgestaltung ist das Thema Prävention noch weit entfernt. Der Grund ist einfach: Prävention findet einfach nicht statt. Die Hauptprobleme benennt eine Analyse des Leibnitz Instituts (deu/de/news/nachrichten/politik/ein-system-das-krankheiten-verwaltet-statt-sie-zu-verhindern. Eine davon lautet: Lobbys verhindern wirksame Maßnahmen wie zum Beispiel Zuckersteuer und Regulierungen für Tabak und Alkohol.
Blackout bei den Körperschaften?
Apropos Lobbys: Bisher war ich der festen Überzeugung, dass Kammern und Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen keine Lobbys sind, sondern Körperschaften des öffentlichen Rechts. Was bedeutet: Klarer Handlungsauftrag, klarer Rechtsrahmen. Aber kaum erblickten die seitens einer zukünftigen Regierung geplanten Summen für die Sondervermögen Verteidigung und Infrastruktur das Licht der bundesdeutschen Welt, verhielten sich die Vorstände von KBV und BÄK keinen Deut anders als die Wirtschaftslobbyisten und forderten ebenfalls einen Teil vom Geldhaufen. Diesen Haufen gibt es zwar noch gar nicht, aber bei den Forderungen sollte man möglichst vorne in der Schlange stehen, scheint das Motto zu sein.
Im Ernst: Ein Praxiszukunftsgesetz ist nicht deshalb nötig, weil gerade Geld zur Verteilung anstehen könnte. Nötig sind endlich auskömmliche Honorare, die eine Investitionskomponente enthalten. Das gehört aber in die Kalkulationsgrundlage der zu fordernden Preise. Die Frage ist demnach: Tun sie das heute?
Und ob man sich einen Gefallen tut, eine umfassende Resilienzstrategie für den Bündnis- beziehungsweise Verteidigungsfall zu fordern und dann nur auf Notstromaggregate abzuheben, scheint doch fachlich sehr kurz gesprungen. Oder sieht man die Stromversorgung grundsätzlich als gefährdet an. Aber dann käme die Forderung nach Notstromaggregaten gegebenenfalls etwas spät, oder?
Wir haben jedenfalls spannende Tage vor uns.
Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf
Foto: Verena GaliasDr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.
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