Neulich auf dem „Kongress Orale Medizin“: Ich war zu früh dran für einen Termin und entschloss ich mich deshalb, an einer der Gastro-Inseln einen Kaffee zu trinken, um die Zeit zu überbrücken.
Die meisten Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer waren noch im Saal, entsprechend wenig war an der Kaffee-Bar los. Schnell kam ich mit der Dame, die mir Kaffee und Wasser servierte, ins Gespräch. Eine gepflegte Frau um die fünfzig, die ganz begeistert war vom Buchangebot des Quintessenz-Verlags zum Thema „Ästhetische Zahnmedizin“. Der Buchstand befand sich direkt gegenüber, und sie hatte offensichtlich die Arbeitspausen genutzt, sich dort umzuschauen.
Enttäuschte und verunsicherte Patientin
Sie erzählte mir, dass sie Stewardess sei und sich auf Messen immer wieder mal etwas dazuverdiene, um sich besondere Wünsche erfüllen zu können. Und sie zeigte mir ihren Zahn 21, an dem distal ein Stück der Schneidekante abgebrochen war. Deswegen hatte sie umgehend ihre Zahnärztin aufgesucht.
Dort sei man aber nicht besonders auf den eigentlichen Grund ihres Besuchs, die abgebrochene Schneidekante, eingegangen. Sie habe dann ihren ganzen Mut zusammengenommen und die Zahnärztin noch einmal auf den Defekt an ihrem Zahn angesprochen, den sie äußerst unschön fand.
Man müsse den Zahn nicht behandeln, sei ihr nach einer Röntgenaufnahme erklärt worden. Aber wenn doch, dann müsse der „Zahn abgeschliffen werden“ und durch eine Krone „ersetzt“ werden, habe man ihr gesagt – so ihr Bericht.
Wir ahnen es: Die Patientin verließ die Praxis enttäuscht und verunsichert. Und das, obwohl die Behandlerin das Prädikat „Zahnärztin für Angstpatienten“ trug.
Als ich ihr von Veneers erzählte, strahlten ihre Augen. Niemand in der Praxis hatte sie auf diese Möglichkeit hingewiesen, die ja oft in solchen Fällen gewählt wird. Und ich habe ihr in sanfter Wortwahl das Procedere Krone und Veneer erklärt. Auch eine Lösung mit ästhetischen Kompositen wäre vermutlich eine Option gewesen.
Warum nutzte die Zahnärztin diese Chance nicht? Weil die Patientin eine „Kassenpatientin“ ist und Veneers eine Privatleistung sind? Weil der Zahn aus Sicht der Zahnärztin keiner Behandlung bedarf?
Fragen statt Verordnen
Mein Tipp: Sich in den Patienten hineinversetzen können, schafft Vertrauen. Für die Patientin war der Defekt an der Schneidekante ihres Zahns ein Makel, der sie störte. Sie erhoffte sich Lösungsvorschläge und Hilfe.
„Fragen statt Verordnen“ klärt Bedürfnisse. Sie können nie im Vorhinein wissen, was der Mensch, der in Ihre Praxis kommt, bereit ist, für seine Zahngesundheit und/oder ästhetische Verbesserungen auszugeben. Zumal er oft die heutigen Möglichkeiten nicht kennt und kennen kann – Sie sind die Experten. Mehrkosten- oder Privatvereinbarungen sind für alle Patientinnen und Patienten eine Option – man muss sie nur anbieten! Hier wurde eine Chance auf Patientenzufriedenheit – und Honorar – verschenkt. Schade!
Sybille David-Hebgen, Groß-Gerau
Sybille David-Hebgen bietet seit 1984 zahnärztliche Praxisberatung und hat 2012 das Praxisknigge-Konzept entwickelt. Zu ihrem Angebot gehören Seminare, Workshops, Praxisberatung, Coaching von Teams, Einzelcoaching für Zahnärztinnen/Zahnärzte und Führungskräfte und sie ist als Praxisknigge-Lehrcoach tätig.
Seminarthemen und Praxistrainings gibt es zu den Themen Kommunikation, Service-Exzellenz/Praxisknigge, Positionierung und Praxismarketing (Emotional Branding), Mitarbeiterführung, Mitarbeiter-Trainings (Behavioral Branding), Teamkultur und Rezeptionstraining. Sie ist Personalanalytikerin Reiss Profile (RMP-Master) und erstellt Persönlichkeitsanalysen für Zahnärztinnen und Zahnärzte, insbesondere in Mehrbehandlerpraxen. David-Hebgen ist zudem Buchautorin von Der Praxisknigge, Der Azubiknigge und Der Rezeptionsknigge sowie regelmäßige Fachautorin in namhaften Fachmedien.
Kontakt: Sybille David-Hebgen, Zahnärztliche Praxisberatung/Praxisknigge,
Telefon (0 61 52) 18 88 30, www.sybille-david.de, www.praxis-knigge.de