Das mütterliche Skelett hat die faszinierende Fähigkeit, sich während der Stillzeit rasch zu erholen. Das Gehirnhormon CCN3 wird während des Stillens aus dem Hypothalamus freigesetzt und wirkt wie ein Turbo für die Knochenregeneration. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich vielfältige, potenzielle Einsatzmöglichkeiten. Diese hat Prof. Lorenz Hofbauer vom Universitätsklinikum der Carl Gustav Carus Universität Dresden nun in einem Artikel im New England Journal of Medicine erläutert und eingeordnet.
Kalziumverluste durch Schwangerschaft und Stillzeit
Stillen ist von enormer Bedeutung für die Entwicklung des Neugeborenen und spielt – neben den immunologischen und psychosozialen Aspekten – eine Schlüsselrolle in der Versorgung des Säuglings mit Nährstoffen. Ein wichtiger Aspekt der Muttermilchproduktion ist der Transfer von Kalzium von der Mutter auf das Kind zur Reifung des kindlichen Skeletts. Bei den Müttern geht der Körper bereits in der Schwangerschaft eine „Kalziumschuld“ von etwa 30 Gramm Kalzium ein – weitere 60 Gramm Kalzium werden bei einer Stillzeit von sechs Monaten verloren. Dieses kurzfristige Defizit hätte ohne adäquate Kompensation einen deutlichen Verlust von Knochenmasse und eine erhöhte Fragilität zur Folge, insbesondere bei längeren Stillzeiten infolge mehrerer Geburten.
Hormon fördert Skelettstammzellen
Aktuelle Forschungsergebnisse einer kalifornischen Arbeitsgruppe [1] haben nun anhand von Mausmodellen einen erstaunlichen Mechanismus entdeckt, der es der Mutter ermöglicht, den Knochenverlust während der Laktation schnell zu kompensieren. Spezielle Nervenzellen (ARCKiss1-Neurone) im Hypothalamus, einer Region im Zwischenhirn, setzen ein neu entdecktes osteoanaboles Hormon namens CCN3 frei, das die Knochenbildung stark fördert. Während der Laktation steigt die Produktion von CCN3, was zu einer Steigerung der Knochendichte und einer Verbesserung der Knochenheilung führt. Diese verbesserte Knochenregeneration konnte im Rahmen der Studie auf eine vermehrte Zahl und Aktivität von Skelettstammzellen zurückgeführt werden.
Neuer Ansatz für Osteoporose
In der Rubrik Clinical Implications of Basic Research im New England Journal of Medicine [2] ordnet Prof. Lorenz Hofbauer, Professor für Endokrinologie und Altersmedizin von der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, die klinische Translation und das therapeutische Potenzial ein. „Diese Entdeckung bietet einen faszinierenden neuen Ansatz, um die Regulation der Knochengesundheit während der Laktation zu verstehen“, erklärt er. „Abgesehen vom evolutionären Aspekt eröffnen sich neue Perspektiven für ein besseres Verständnis von Knochenerkrankungen, vor allem bei Frauen mit Osteoporose nach mehreren Schwangerschaften und längeren Stillzeiten aber auch bei der postmenopausalen Osteoporose.“
Originalpublikation:
[1] Babey ME, Krause WC, Chen K, Herber CB, Torok Z, Nikkanen J, Rodriguez R, Zhang X, Castro-Navarro F, Wang Y, Wheeler EE, Villeda S, Leach JK, Lane NE, Scheller EL, Chan CKF, Ambrosi TH, Ingraham HA. A maternal brain hormone that builds bone. Nature. 2024 Aug;632(8024):357-365. doi: 10.1038/s41586-024-07634-3
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11306098/pdf/41586_2024_Article_7634.pd...
[2] Hofbauer LC. Building bone while making milk. N Engl J Med 2024;391:2052-2054.
https://www.nejm.org/doi/pdf/10.1056/NEJMcibr2409260
Interessante Hirnregion
Da in der Hirnregion, in der die CCN3-Bildung erfolgt, auch die Energiebalance und die Freisetzung der Gonadotropin-Releasing Hormone und somit die weibliche Reproduktion und Pubertät kontrolliert werden, könnten auch andere Krankheiten ihren Ursprung in einer gestörten CCN3-Produktion haben. „Vor allem bei Frauen mit verspäteter Pubertät, Anorexia nervosa oder relativer Energiedefizienz bei Sport (REDS; Athletinnen-Trias) treten Fragilitätsfrakturen sehr häufig auf“, erläutert Prof. Hofbauer.
Neue Therapieoptionen für ältere Patienten
In diesem neuen Konzept könnte auch ein Schlüssel für die Entwicklung neuer Therapieoptionen liegen. Angesichts der Rolle von CCN3 als schneller Schalter zwischen katabolen und anabolen Prozessen könnte die gezielte Förderung der endogenen Produktion von CCN3 oder die Entwicklung von CCN3-Analoga neue therapeutische Strategien zur Verbesserung der Knochengesundheit und der Knochenheilung eröffnen. „Das klinische Potenzial dieser Entdeckungen ist enorm“, sagt Prof. Hofbauer. „Wenn diese Ergebnisse in klinischen Studien am Menschen bestätigt werden, könnten wir einen entscheidenden Fortschritt in der Behandlung von Osteoporose und der Heilung von Knochenbrüchen erleben, insbesondere bei älteren Patienten, bei denen die aktuellen Therapien nur begrenzte Wirksamkeit zeigen.“