Vom Gewebeersatz mit Tissue Engineering-Knochen zum 3D-Bioprinting von komplexen Geweben mit individueller Form für den patientenspezifischen Kieferaufbau: Die meist komplizierten dreidimensionalen Gebilde zur Deckung von Knochendefekten oder -defiziten im MKG-Bereich werden zunehmend computergestützt designt (Computer Aided Design, CAD) und hergestellt (Computer Aided Manufacturing, CAM). Gängige Materialien sind Titan, Keramiken, Kunststoffe wie PEEK und Hydroxylapatit sowie weitere, spezielle Biomaterialien.
Das neue Verfahren des 3D-Bioprintings vereint jetzt die computergesteuerte Fertigung mit der Methode des Tissue Engineerings. Dies ermöglicht erstmals die Produktion von individuell an den jeweiligen Defekt angepassten Strukturen, die ein lebendes Gewebe darstellen. Erfahrungen, Forschungsstand und Zukunftsperspektiven dieser Technologie wurden auf der Jahres-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) anlässlich des großen 68. Kongresses vom 6. bis 9. Juni 2018 in Dresden vorgestellt.
Implantate zur Defektdeckung: Bisherige Möglichkeiten
Im Kiefer-Gesichtsbereich sind Knochendefekte oder Knochendefizite meist komplexe dreidimensionale Gebilde. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Kieferspalte bei Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, wie es eindrucksvoll in 3D-rekonstruierten Röntgenbildern sichtbar wird. Auch Zysten oder Kieferabschnitte mit Knochenschwund beispielsweise nach Zahnverlust zeigen komplexe Formen, die keinen einfachen geometrischen Figuren gleichen. Zur Deckung beziehungsweise Überbrückung solcher Defekte hat besonders in der kraniofazialen Chirurgie die Anfertigung von individuellen Implantaten (Scaffolds) zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Besiedelung mit Zellen während der Herstellung
Die Anfertigung erfolgt mittels computergestütztem Design und computergestützter Fabrikation (Computer Aided Design/Computer Aided Manufacturing, kurz CAD/CAM). Die Materialien hierfür sind vielfältig: Neben Titan werden unter anderem Keramiken, Kunststoffe wie PEEK und Hydroxylapatit eingesetzt. Bei den genannten Materialien ist jeweils ein Sinterschritt bei erhöhter Temperatur zur Stabilisierung notwendig, der zu einer hohen Resorptionsbeständigkeit führt, aber einer unmittelbaren Besiedelung mit lebenden Zellen während der Herstellung – während des Drucks – diametral entgegensteht.
Es gibt aber auch Biomaterialien, die bei Raumtemperatur abbinden und aus denen Gerüststrukturen hergestellt werden können, was die Einbeziehung lebender Zellen in den Druckvorgang erlaubt. Ein geeignetes, klinisch etabliertes Knochenersatzmaterial ist zum Beispiel synthetischer, nanokristalliner Hydroxylapatit in Form von Granulaten oder pastösen Kalziumphosphat-Knochenzementen. Trägermaterialien für Zellen sind zum Beispiel Gele auf Agar-, Alginat- oder Fibrinbasis.
Pasten und Gele bringen Zellen und extrazelluläre Matrix zusammen
Eine aktuelle, vielversprechende Entwicklung ist der Druck biologischer Gewebe. Schon früh kam die Idee auf, die Gewebearchitektur mithilfe von 3D-Druckern nachzubauen und dabei Zellen und extrazelluläre Matrix miteinander zu vermischen und entsprechend aufzubringen.
Beim 3D-Bioprinting werden beispielsweise aus Kalziumphosphatzement-Paste, kombiniert mit einer Hydrogel-Zellsuspension Gewebekonstrukte für Knochen hergestellt.
Dieses „Bioprinting“ vereint die computergesteuerte additive Fertigung, die eine exakte Vorgabe der Porenstruktur sowie, für die spätere klinische Anwendung entscheidend, eine individuelle Formgebung erlaubt, mit der Methode des Tissue Engineerings.
Mit der Anwendung des Bioprintings kann die Integration von mesenchymalen Stromazellen in den Scaffolds schon während des Druckens und damit sehr homogen und nahezu verlustfrei erfolgen, was mit der konventionellen Besiedlung nach dem Herstellungsprozess nicht erreichbar ist. Mesenchymale Stromazellen sind multipotente Vorläuferzellen verschiedener Zelltypen. Sie können sich unter anderem in Osteoblasten (Knochenzellen), Chondrozyten (Knorpelzellen), Myozyten (Muskelzellen) und Adipozyten (Fettzellen) differenzieren.
Auch wurde ein Verfahren des 3D-Plottens etabliert, mit dem sich direkt hohle Stränge erzeugen lassen. Solche können als Leitschienen für das Einwachsen von Gefäßen fungieren und damit die Blutversorgung der künstlichen Gewebe sicherstellen. Außerdem ist die Auskleidung von schlauchförmigen Strukturen mit den geeigneten Zelltypen, zum Beispiel mit Endothelzellen (Gefäßzellen) denkbar, um so ein Knochengewebe herzustellen, das dem freien autologen Knochentransplantat entspricht. Schließlich ist die Herstellung von Weichgewebestrukturen denkbar, denn es wurde erfolgreich demonstriert, dass sich die so eingebetteten Stammzellen noch zu Adipozyten differenzieren und für mehr als drei Wochen beispielsweise weiter kultivieren lassen. Das additive Verfahren des Bioprintings ermöglicht somit eine Fertigung von individuell an den jeweiligen Defekt angepassten Strukturen, die ein lebendes Gewebe darstellen.
Vorteile und Anwendung des 3D-Bioprintings: Beispiel Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
Vor dem klinischen Hintergrund des Behandlungskonzeptes für Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, wo der Spaltverschluss schrittweise in mehreren Operationen erfolgt, ist eine direkte klinische Anwendung für den Patienten sehr von Vorteil beziehungsweise gewinnbringend. Im ersten Operationsschritt – dem Verschluss der Lippe – kann gut die Gewinnung beispielsweise von Knochengewebe erfolgen. Die enthaltenen Zellen (Gefäßzellen, Knochenzellen, Stammzellen) können selektiert, getrennt kultiviert und im Sinne einer individuellen „Zellbank“ kryokonserviert werden. Wenn dann der Verschluss der Kieferspalte ansteht, ist die Herstellung von individuell geformtem Knochengewebe nach dem Verfahren des Bioprintings umsetzbar.
Das klinische Vorgehen
Vom Patienten wird eine dreidimensionale Bildgebung der Kieferspalte erstellt. Auf Basis dieser Daten kann dann mittels Bioprinting aus Knochenzement, Hydrogel und kryokonservierten Knochen- und Gefäßzellen ein „lebendes Knochentransplantat“ gedruckt werden. Dieses können die MKG-Chirurgen dann zukünftig zur Kieferspaltosteoplastik anstelle des heute noch üblichen Transplantates aus dem Becken einsetzen. Für den meist jungen Patienten wird die lästige, oft mit Schmerzen und Gehbehinderungen einhergehende Entnahme von Knochen aus dem Becken umgangen. Deshalb wird das Bioprinting an der Klinik für MKG-Chirurgie gemeinsam mit dem Zentrum für Knochen-, Gelenk- und Weichgewebeforschung des Universitätsklinikums Dresden intensiv weiter erforscht. Weitere Infos zur modernen MKG-Chirurgie unter www.dgmkg.de.