Ein wissenschaftliches Symposium, welches dem Anspruch einer vollumfänglichen Fortbildungsveranstaltung gerecht wird, dies aber in einem kompakten Zeitraum und online – das ist das Konzept des Formats „ITI-Kontrovers“ der ITI Sektion Deutschland. Kürzlich fanden sich in Köln Experten zur dritten Auflage dieser Online-Fortbildung zusammen.
Standen im Startjahr 2016 Fragen um die (Un-)Ersetzlichkeit des autologen Knochentransplantat und im Folgejahr Zirkonoxid als Alternative in der Implantologie im Fokus der Diskussion, wandten sich die Experten des Internationalen Teams für Implantologie dem Weichgewebe zu und diskutierten die Bedeutung des Biotyps.
Praktische Schublade oder mehr
Gleich zu Beginn der Diskussion gab es eine bemerkenswerte Feststellung: „Wir Zahnärzte lieben Schubladendenken! Und hier ist der Biotyp ein probates Mittel, Patienten zu klassifizieren", so der Münchener Kieferchirurg Prof. Dr. Dr. Andreas Schlegel, der zusammen mit dem ebenfalls in München beheimateten Oralchirurgen Privatdozent Christian Schmitt die Fraktion der eher chirurgisch orientierten Implantologen vertrat.
Dies wollten die aus der Parodontologie kommenden Professores Stefan Fickl (Würzburg) und Anton Friedmann (Witten-Herdecke) so nicht stehen lassen: „Nein, ich denke schon, dass es einen Biotypen gibt", so Fickl, der jedoch einräumte, dass die daraus folgende Klassifizierung nicht allen Fragestellungen gerecht wird.
Datenlage nicht üppig
An dieser Stelle schuf der erste Videoeinspieler vom amtierenden ITI-Sektionschair, Prof. Dr. Dr. Kleinheinz (Münster) eine ideale Basis der weiteren Diskussion. Der Münsteraner Hochschullehrer und Kieferchirurg hatte sich der Kernerarbeit unterzogen und die Literatur unter dem Aspekt durchforstet, welche Evidenz zum Biotyp vorliegt. Die Datenlage ist nicht so üppig, wie man es eigentlich erwartet hätte, so sein überraschendes Fazit, und bezüglich der Langzeitprognose beim sogenannten Biotype-Changing gibt es erhebliche Defizite.
In der Klinik durchaus gute Ergebnisse
An dieser Stelle setzte der Autor des zweiten Videoeinspielers, Dr. Arndt Happe, Münster, einen Kontrapunkt, indem er in seinen hervorragend dokumentieren und faszinierenden Fallbeispielen aufzeigen konnte, dass mit heutigen Methoden durchaus langzeitstabile Ergebnisse erzielt werden können. Dies bestätigte in der Diskussion auch Professor Dr. Anton Friedmann (Witten-Herdecke), der darauf hinwies, wie technik- und materialintensiv diese heute angewandten Verfahrensmethoden sind.
Biomaterialien gewinnen Einfluss
Und hier, auch dies eine Erkenntnis der eingehenden Diskussion, bahnt sich ein Paradigmenwechsel an – Biomaterialien gewinnen immer mehr Einfluss in der ästhetisch orientierten Implantologie. Dies wurde durch Prof. Dr. Adrian Kasaj (Mainz) im dritten Videoeinspieler des ITI-Kontrovers-Symposiums bestätigt. Kasaj legte den Fokus seiner Ausführungen auf den Patienten selbst, vor allem individuelle Gegebenheiten und die hiermit verbundenen Therapieoptionen wurden durch den Mainzer Hochschullehrer dargestellt. Eine muntere, durchaus kontrovers geführte Diskussion belegte, dass es keine einheitlichen Wertungen und Aussagen zum Biotypen an sich gibt, zumindest momentan.
Klares Plädoyer für den Zahnerhalt
Die Abschlussfrage des Moderators nach einer Take-home-message beantwortete Fickl schnell und spontan – allerdings stellte er nun nicht eine implantogische Aussage in den Vordergrund, sondern den Zahn: „Achten Sie darauf, ob es nicht Möglichkeiten gibt, den vorhandenen Zahnbestand zu erhalten! Die Zeiten, in denen jeder Zahn einem Implantat im Weg stand, sind vorbei!" Wahrhaft ein salomisches Fazit der gelungenen Veranstaltung.
Dr. Georg Bach, Fachzahnarzt für Oralchirurgie, Freiburg