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Individuelle Situation des Patienten wichtiger als Lebensalter – DGI legt erste S2k-Leitlinie zum Thema Implantatversorgung im fortgeschrittenen Lebensalter vor

Impressionen aus der Arbeit an der Leitlinie.

(c) Bostelmann/DGI

Ihre ältesten Patienten seien deutlich über 90 gewesen, berichteten Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas, Prof. Dr. Samir Abou-Ayash und Dr. Leonie Spilker im Pressegespräch der DGI am 27. Januar 2025. Doch das chronologische Alter sei in Bezug auf die Option einer Implantatversorgung ohnehin von untergeordneter Bedeutung, machte Abou-Ayash direkt klar.

Und das spiegelt sich auch die neue S2k-Leitlinie zum Thema Implantatversorgung im fortgeschrittenen Lebensalter. „Wir haben uns bewusst für eine Leitlinie entschieden, die den Kolleginnen und Kollegen in der Praxis Orientierung im Alltag geben soll“, so Abou-Ayash, der die Leitlinie als federführender Autor betreut hat. Es sei daher auch eine qualitäts- und Outcome-orientierte S2K-Leitlinie, keine auf Quantität der Studien und Zahlen fokussierte S3-Leitlinie entstanden. Die insgesamt 19 Empfehlungen sind angelehnt an den Weg, den ein potenzieller Implantatpatient in der Praxis von der Anamnese bis zur Nachsorge gehen würde.

Fokus nicht auf chirurgischen Eingriff verengen

Dabei solle der Fokus nicht nur auf die Frage gerichtet werden, ob ein chirurgischer Eingriff bei der Patientin/dem Patienten möglich ist. Hier lasse sich heute durch die Wahl des Implantats und der OP-Technik die Belastung deutlich reduzieren, so Bilal Al-Nawas, Leitlinienkoordinator und Vizepräsident der DGI. Die für die erfolgreiche Therapie ebenso wichtige Frage sei, ob die nötigen Folgesitzungen bis zur prothetischen Versorgung von Patientin/Patient bewältigt werden können, so Samir Abou-Ayash: „Kann der Patient es zum Beispiel noch leisten, den Mund entsprechend lange geöffnet zu halten?“

Verminderte Adaptationsfähigkeit berücksichtigen

Grundsätzlich sei bei älteren Patienten auch die häufig verminderte Fähigkeit, sich an neuen Zahnersatz zu adaptieren, in der Therapieplanung unbedingt zu berücksichtigen. Hier wird empfohlen, auch Logopäden und Ernährungsberatung heranzuziehen, um nach erfolgter Versorgung zum einen die Adaptation zu erleichtern, zum anderen aber auch die Ernährung an die neu gewonnene Kaufähigkeit anzupassen. Abou-Ayash wies darauf hin, dass viele Patienten aufgrund ihrer verminderten Kaufähigkeit häufig fehlernährt seien, was auch mit Problemen wie Übergewicht und Diabetes einhergehe. Werden sie nun mit funktionalem, implantatbasierten Zahnersatz versorgt, der ein normales Essen und Kauen wieder möglich mache, würden sie die einmal eingeübten Essgewohnheiten trotzdem nicht direkt ändern.

Bilal Al-Nawas hob hervor, wie wichtig für die Menschen das in Gesellschaft Essen können sei, und dies gelte nicht nur für Tumorpatienten. „Feste“ Zähne seien ein wichtiger Faktor für Wohlbefinden und soziale Kontakte.

Ästhetik rückt auch bei Älteren in den Fokus

Dr. Leonie Spilker, Praktikerin aus Münster und neue Pressesprecherin der DGI, berichtete, dass Überweisungen zum Logopäden auch in ihrer Praxis ausgestellt werden. Was die Wünsche der älteren Patienten angehe, stehe in der Regel weniger die Funktion als die Ästhetik im Vordergrund – eine Beobachtung, die auch Abou-Ayash und Al-Nawas bestätigten. Auch ältere und hochbetagte Menschen kämen mit dem Wunsch, Einzelzahnlücken zu schließen oder verkürzte Zahnreihen auch aus ästhetischen Gründen aufzufüllen. Dazu habe vielleicht auch die vermehrte Kommunikation über Video mit der Familie in der Corona-Zeit beigetragen, so Spilker.

Implantatgetragene Prothetik ist Tertiärprävention

Was den Zeitpunkt einer implantatgetragenen Versorgung und die Wahl der Prothetik angeht, rieten die Referenten zu einer proaktiven Ansprache. Implantatgetragene Prothetik sei ein Teil der Tertiärprävention und sollte ins Auge gefasst werden, wenn sich Probleme abzuzeichnen begännen – das gelte auch für kognitive und körperliche Defizite bei den Patientinnen und Patienten. Bei älteren Patienten sollten auch immer das Umfeld und die Angehörigen einbezogen werden. Hinsichtlich abnehmender kognitiver Fähigkeiten und der Entscheidungsfähigkeit der Patienten sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte auf die empfohlenen Tests zurückgreifen, ebenfalls sinnvoll sei die Rücksprache mit Hausarzt und gegebenenfalls Geriater.

Vorausschauendes Agieren und Fingerspitzengefühl seien erforderlich, wenn Zahnersatz verändert werden soll, weil zum Beispiel die Mundhygienefähigkeit abnimmt– von festsitzend zu bedingt abnehmbar bis zu herausnehmbar. Patienten empfinden dies häufig als Eingriff in ihre Autonomie, so Abou-Ayash.

Konsens von Expertinnen und Experten

Gruppenfoto der Leitlinienkonferenz der DGI.
Gruppenfoto der Leitlinienkonferenz der DGI.
Bostelmann/DGI
Erstellt wurde die Leitlinie von Fachleuten aus 23 wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Organisationen und Patienten-Gruppen, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI e.V.) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK) die erste deutschsprachige Leitlinie zum Thema Implantate im fortgeschrittenen Lebensalter entwickelt haben.

Da die wissenschaftliche Evidenz trotz steigender Fallzahlen in den ausgewerteten Daten unterrepräsentiert ist, handelt es sich bei dieser Leitlinie um eine SK2-Leitlinie: Sie basiert auf dem Konsens von Expertinnen und Experten, da keine systematische Aufbereitung der wissenschaftlichen Evidenz zugrunde gelegt werden konnte. Dieser Mangel an Studien hat auch damit zu tun, dass bei entsprechenden Untersuchungen allgemeinmedizinische Erkrankungen mitunter als Ausschlusskriterien benannt sind – also Patienten mit gesundheitlichen Risikofaktoren oder bestimmten Erkrankungen nicht in Studien eingeschlossen werden können.

Gleichwohl liefere die Leitlinie relevante Antworten auf Fragen nach Überlebens- und Komplikationsraten von Implantaten und prothetischen Suprastrukturen bei Älteren und gibt wichtige Hinweise, auf die Auswirkungen einer Implantattherapie, so die DGI.

Die Empfehlungen der neuen Leitlinie im Überblick

Da es viel zu berücksichtigen und zu bewerten gilt, umfasst die neue Leitlinie eine ungewöhnlich hohe Zahl von Empfehlungen. Insgesamt 19 Empfehlungen decken alle Abschnitte einer Behandlung ab, von der Planung der Therapie bis zur Nachsorge.

Alle prothetischen Möglichkeiten vorstellen: „Bei der Therapieplanung für den Ersatz fehlender Zähne soll unabhängig vom Patientenalter unter Vorstellung der verschiedenen Therapieoptionen auch eine Implantattherapie in Betracht gezogen werden. Sowohl festsitzender als auch abnehmbarer implantatgetragener Zahnersatz kann eine Therapieoption sein.“ Implantate zur Verankerung von Zahnersatz sind eine etablierte Option für Patienten nach Zahnverlust. Zunehmend versorgen Zahnärztinnen und Zahnärzte darum auch ältere Menschen mit den künstlichen Zahnwurzeln. Hinzu kommen Seniorinnen und Senioren, die schon länger Implantate tragen und bei denen sich Nachsorge- und Therapie-Bedarfe im Laufe der Jahre ändern.

Ein breites Indikationsspektrum bei Älteren: Seit vielen Jahren steigt bei älteren Menschen die Zahl der verbliebenen eigenen Zähne. Darum unterscheidet sich das Spektrum der Indikationen für Implantate im fortgeschrittenen Alter mittlerweile kaum noch von jenem bei jüngeren Menschen: Es reicht vom Ersatz einzelner Zähne bis zu festsitzenden oder abnehmbaren implantatgetragenen Versorgungen der ganzen Kiefer. Auch die Erfolgsraten einer Implantattherapie bei Älteren können sich sehen lassen: „Die Implantattherapie ist auch bei fortgeschrittenem Lebensalter eine vorhersagbare Therapieform mit ähnlichen Implantatüberlebensraten wie bei jüngeren Patienten“, lautet ein wichtiges Fazit der Fachleute. Die Patienten profitieren von einer höheren mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität und einer besseren oralen Funktion zum Beispiel einer verbesserten Kaufähigkeit.

Risikofaktoren beachten: Gleichwohl müssen bei älteren Menschen stets besondere Risikofaktoren beachtet werden. Alterstypische Erkrankungen und Polypharmazie können den Erfolg einer Implantatbehandlung gefährden. Auch können sich im Alter die kognitive und manuelle Leistungsfähigkeit eines Menschen schnell ändern. Dann sind die Betroffenen auf fremde Hilfe bei der Mundhygiene angewiesen und der implantatgetragene Zahnersatz muss dementsprechend angepasst werden.

Risiko und Nutzen abwägen

Risiko und Nutzen abwägen auf Basis von Anamnese und Tests: Schon bei der Planung der Therapie soll die Indikation nach Abwägung von patientenspezifischen Risiken gegen den Nutzen der Behandlung und unter Beachtung der allgemeinmedizinischen und speziellen Anamnese gestellt werden. Bei Risiko-Patienten soll die Nachsorge sichergestellt sein und bei der Planung berücksichtigt werden. Der Allgemeinzustand soll ebenfalls berücksichtigt werden, wenn die Invasivität der Therapie sowie Dauer und Tageszeit der Therapiesitzungen geplant werden.

Ebenso gilt es, bei der Planung auf die Ähnlichkeit des Zahnersatzes zur Restdentition beziehungsweise der prothetischen Versorgung zu achten, da die Neuroplastizität des Gehirns mit steigendem Alter sinkt. Adaptationsschwierigkeiten sollten darum minimiert werden. Falls erforderlich, können die kognitiven Fähigkeiten von Patientinnen und Patienten mit einfachen Tests geprüft werden.

Um die Invasivität eines geplanten Eingriffs besser einschätzen und minimieren zu können, kann – so die Empfehlung Nr. 8 der Fachleute – eine 3D-Röntgenuntersuchung eingesetzt werden. Einfache Tests stehen für die Beurteilung der Kaufähigkeit zur Verfügung, aus der eine Therapie-Indikation abgeleitet werden kann. Mit einfachen Tests lässt sich auch die manuelle Geschicklichkeit der Patienten überprüfen.

Drei Empfehlungen zur Chirurgie: „Um Behandlungsdauer und Invasivität zu reduzieren, kann eine geführte Chirurgie angewandt werden“, heißt es in der Empfehlung 11. Dies verkürzt die Dauer des Eingriffs und mindert das postoperative Komplikationsrisiko. Allerdings ist dieses Vorgehen vor allem bei zahnlosen Patienten fehleranfällig. Darum muss die Genauigkeit bei der Übertragung der virtuellen Planung in den Patientenmund intraoperativ sichergestellt werden.

Kieferkamm-Augmentationen vermeiden

Kieferkamm-Augmentationen vermeiden: Kurze Implantate (sechs Millimeter) können eine vertikale Augmentation des Kieferkamms vermeiden, durchmesserreduzierte Implantate (unter 3,5 mm) sind eine Alternative zur horizontalen Augmentation. Systematische Übersichtsarbeiten belegen bei kurzen Implantaten durchschnittliche Fünf-Jahres-Überlebensraten von mehr als 90 Prozent. Für Implantate unter vier Millimeter ist die Evidenz geringer. Diese sollten daher nur in Ausnahmefällen in Erwägung gezogen werden.

Bei durchmesserreduzierten Implantaten (3,0 – 3,5 mm) sind die Überlebensraten mit jener von Standardimplantaten vergleichbar. Sogenannten Mini-Implantate sind zumeist einteilig und haben einen Durchmesser von weniger als 3 Millimeter. Sie kommen vor allem bei horizontal stark atrophierten Kieferkämmen zum Einsatz, um abnehmbare Teil- oder Totalprothesen zu stabilisieren. Die Verlustraten sind bei diesen Implantaten im Oberkiefer höher als im Unterkiefer.

Zwei Empfehlungen zur Prothetik: Alterstypische degenerative Veränderungen des Kiefergelenks und der Verlust der parodontalen Propriorezeptoren erschweren im Alter die Okklusion. Ein Okklusionskonzept, das mehr Freiheiten gibt, kann diesen Problemen entgegenwirken. Möglichst vor der Fertigstellung der prothetischen Versorgung sollte die autonome Handhabung und Reinigungsfähigkeit des implantatgetragenen oder implantatgestützten Zahnersatzes durch die Patienten oder Helfende überprüft und sichergestellt werden.

Nachsorge von Anfang an sicherstellen

Vier Empfehlungen zur Nachsorge: Eine Vielzahl von Studien belegen den positiven Effekt einer regelmäßigen Nachsorge inklusive einer professionellen Mund- und Prothesenhygiene. Darum lautet die erste Empfehlung zur Nachsorge, dass Patientinnen und Patienten in ein systematisches Nachsorgeprogramm aufgenommen werden sollten. Ein fester Bestandteil in diesem Programm sollte auch die Überprüfung der Handhabung und Reinigungsfähigkeit des Zahnersatzes sein, damit eine Umgestaltung der Versorgung diese verbessern kann.

Ist eine suffiziente Mund- und Prothesenhygiene nicht gewährleistet, sollte zur Verminderung des Risikos von Aspirationspneumonien vom nächtlichen Tragen der Prothesen abgeraten werden. In ihrer letzten Empfehlung mit der Nummer 19 betonen die Fachleute, dass eine alleinige prothetische Neuversorgung und die daraus folgende Verbesserung der Kaufähigkeit nicht zwingend zu einer verbesserten Ernährung führt. Bei Gewichtsverlusten, die auf die prothetische Versorgung zurückgeführt werden können, sollte darum neben der prothetischen Neuversorgung eine Ernährungsberatung durch entsprechendes Fachpersonal und/ oder ein Prothesenadaptationstraining eingeleitet werden. (MM)

Mit Material der DGI.

Reference: Implantologie Interdisziplinär Prothetik Zahnmedizin Implantatprothetik Alterszahnmedizin Patientenkommunikation

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