Die Epidermolysis bullosa dystrophica (DEB) beschreibt eine Form der erblichen Epidermolysis bullosa (EB), welche durch Fragilität von Haut und Schleimhäuten gekennzeichnet ist und sich mit Blasenbildung manifestiert. Im Zusammenhang mit zahnärztlichen und oralchirurgischen Maßnahmen ist bei diesen Patienten insbesondere mit Blasenbildungen und dem Ablösen der Mundschleimhaut an allen Arealen, die Druck und Berührung ausgesetzt sind, zu rechnen. Die zahnärztlich-prothetische Versorgung von Patienten mit DEB ist herausfordernd – insbesondere, wenn die Erkrankung mit einer Mikrostomie einhergeht. Generell sollten nach Möglichkeit festsitzende Versorgungen angestrebt werden. Implantate können dabei einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität leisten. Im Rahmen dieses Beitrags für die Implantologie 3/19 präsentieren die Autoren Marcel Hanisch, Boris Kapitza, Dominik Suwelack und Johannes Kleinheinz den komplexe Fall einer Patientin mit DEB, welcher durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Oralchirurgie und Prothetik versorgt werden konnte.
In keiner anderen Disziplin der Zahnmedizin schreitet die Entwicklung so schnell voran wie in der Implantologie. Ziel der Zeitschrift ist es, dem Fortbildungsangebot im Bereich der Implantologie durch die Veröffentlichung praxisbezogener und wissenschaftlich untermauerter Beiträge neue und interessante Impulse zu geben und die Zusammenarbeit von Klinikern, Praktikern und Zahntechnikern zu fördern. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
Einleitung
Die Epidermolysis bullosa dystrophica beschreibt eine Form der erblichen Epidermolysis bullosa, welche durch Fragilität von Haut und Schleimhäuten gekennzeichnet ist und sich mit Blasenbildung manifestiert. Die Blasen entwickeln sich bei der DEB unterhalb der Basalmembran und heilen mit erheblicher Narbenbildung ab1. Ursächlich für die DEB sind Mutationen im COL7A1-Gen (3p21.31)2. Grundsätzlich kann sich die EB mit unterschiedlichen Phänotypen manifestieren, es wurden bislang mehr als 1.000 Mutationen in 13 Strukturgenen detektiert3. Die Prävalenz liegt bei ein bis neun Fällen pro 1.000.0001, damit zählt die DEB zu den seltenen Erkrankungen.
Nach der aktuellen Klassifikation3,4 wird die EB in Abhängigkeit vom Ausmaß der Blasenbildung in vier Haupttypen (EB simplex/EBS, junktionale EB/JEB, dystrophe EB/DEB und Kindler-Syndrom) sowie in die dazugehörigen Subtypen unterteilt. Die Blasen können durch Verletzungen, Druck, aber auch spontan entstehen5. Es sollte beachtet werden, dass die Betroffenen ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung von oralen Plattenepithekarzinomen aufweisen6, diese können sich bereits im Kindesalter entwickeln7.
Für die kaufunktionelle Rehabilitation sollten, in Abhängigkeit von der Fragilität der Mundschleimhaut, tendenziell festsitzende Versorgungen, wenn erforderlich auch mit Implantaten, angestrebt werden8–10.
In einem systematischen Übersichtsartikel von Strietzel et al. wurden die Daten von 27 Patienten (152 Implantate) mit EB analysiert, demnach zeigte sich eine implantatbezogene gewichtete mittlere Überlebensrate von 98,7 Prozent nach einem durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 32,6 Monaten11. An intraoperativen Komplikationen bei zahnärztlichen und oralchirurgischen Maßnahmen muss insbesondere mit Blasenbildungen und dem Ablösen der Mundschleimhaut an allen Arealen, die Druck und Berührung ausgesetzt sind, gerechnet werden12.
In diesem Beitrag soll der komplexe Fall einer Patientin mit DEB, welcher durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Oralchirurgie und Prothetik versorgt werden konnte, präsentiert werden.
Fallbericht
Eine damals 44-jährige Patientin stellte sich erstmals im Februar 2018 in der Spezialsprechstunde „Seltene Erkrankungen mit oraler Beteiligung“ vor. Anamnestisch berichtete die Patientin von einer DEB. Durch die Grunderkrankung bedingt, träten bei ihr immer wieder Ösophagusstrikturen sowie regelmäßig intraorale Blasen und Schleimhautablösungen auf. Diese entstünden durch tägliche Nahrungsaufnahme oder bereits bei Druck mit dem Mundspiegel im Rahmen von zahnärztlichen Untersuchungen. Sie habe einige Jahre in England gelebt, dort seien 2012 vier Implantate inseriert worden, von denen jedoch nur zwei prothetisch belastet worden sind. Infolge des fortgeschrittenen Zahnverlusts sei ihr Biss nun soweit abgesunken, dass sie sich traumatisch in den Gaumen beiße, die Nahrungsaufnahme sei inzwischen massiv erschwert und sie habe erheblich an Körpergewicht abgenommen.
Klinisch imponierte bei der Patientin ein prothetisch insuffizient versorgtes Gebiss mit dem kaufunktionellen Verlust aller Stützzonen (Abb. 1) sowie ausgeprägtem Overjet und Overbite. Bereits die Anwendung eines mit Vaseline benetzten Mundspiegels führte zur Entstehung von intraoralen Blasen (Abb. 2). Zudem lag eine ausgeprägte Mikrostomie (Schneidekantenabstand ca. 15 mm) vor (Abb. 3). In der Panoramaschichtaufnahme (Abb. 4) imponierten neben vier Implantaten mit insbesondere an 36 und 44 sichtbarem periimplantärem Knochenverlust ein zerstörter Wurzelrest in Regio 25 sowie eine kariöse Läsion an Zahn 34; diese konnten auch klinisch verifiziert werden.
Seitens der Patientin bestand der Wunsch nach einer festsitzenden, kaufunktionellen Rehabilitation. Aufgrund der Mikrostomie und der Blasenbildung schlossen wir einen herausnehmbaren Zahnersatz von vornherein aus. Zur weiteren Planung wurden nach intraoralem Scan (Trios-Intraoralscanner, 3Shape) Planungsmodelle erstellt, welche den traumatischen Tiefbiss weiter verdeutlichten (Abb. 5). Nach gemeinsamer Falldiskussion mit den Kollegen der Prothetik entschieden wir uns, die bestehenden Implantate trotz des periimplantären Knochenverlusts in eine neue Versorgung zu integrieren. Die Zähne 25 und 34 waren leider nicht erhaltungswürdig und sollten entfernt und durch Implantate ersetzt werden. Zur Reduzierung der Anzahl der chirurgischen Eingriffe sollte die Technik der Sofortimplantation gewählt werden. Zusätzlich planten wir die Insertion eines Implantats in Regio 45. Eine vorherige Bisserhöhung durch eine Schienentherapie hielten wir aufgrund der beschriebenen Problematik (Mikrostomie, Blasenbildung) für nicht geeignet.
Um die Mundöffnung zu verbessern, empfahlen wir zudem das Training mit einer Jeckel-Spreize. Nachdem das Konzept der Patientin vorgestellt wurde und diese sich einverstanden erklärte, wurde die Versorgung bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beantragt und zunächst abgelehnt. Die Patientin widersprach der Entscheidung der GKV, woraufhin ein Gutachter hinzugezogen wurde, welcher letztlich im Sinne einer Einzelfallentscheidung unser Konzept zulasten der GKV befürwortete.
Leider konnte aufgrund des ausgeprägten Overjets keine entsprechende Fixierung der Jeckel-Spreize erzielt und lediglich durch Spatelübungen die Mundöffnung geringfügig verbessert werden.
Unter intravenöser Sedierung (Midazolam) wurden zunächst die Zähne 25 und 34 entfernt und im Sinne einer Sofortimplantation zwei Tissue-Level-Implantate (Straumann Standard Plus, SLActive, Straumann) inseriert. Der knöcherne Spalt zwischen bukkaler Knochenlamelle und Implantatoberfläche wurde mit einem xenogenen Knochenersatzmaterial (cerabone, botiss biomaterials) augmentiert. Im rechten Unterkiefer wurde das ursprünglich in Regio 45 geplante Implantat aufgrund eines ausgeprägten horizontalen Knochendefizits in Regio 45 und zur Vermeidung einer umfangreichen Augmentation nun in Regio 46 inseriert (Abb. 6). Intraoperativ traten Blasen, welche sofort eröffnet wurden, um eine großflächige Ausbreitung zu vermeiden, und Schleimhautablösungen auf. Die Patientin erhielt zudem eine präoperative systemische antiinfektive Prophylaxe durch einmalige Gabe von 2 x 875 mg Amoxicillin + 125 mg Clavulansäure. Der postoperative Verlauf gestaltete sich zunächst ohne besondere Vorkommnisse, jedoch stellte sich die Patientin nach acht Wochen mit dem Verlust des Implantats 46 vor.
Wir entschieden uns nach einer Einheilzeit von insgesamt zwölf Wochen dafür, die verbliebenen Implantate zu belasten und zunächst erneut digital mittels intraoralem Scan abzuformen. Aufgrund der Indikation zur Bissanhebung wegen der traumatischen Einbisse bei vorliegendem Stützzonenverlust im Seitenzahnbereich erfolgten die arbiträre Scharnierachs- und Kieferrelationsbestimmung mittels Check-Bite-Registrat. Zunächst wurden Polymethylmethacrylat(PMMA)-Kronen angefertigt (Abb. 7), welche anschließend okklusal verschraubt inseriert wurden (Abb. 8 und 9).
In den ersten Wochen beschrieb die Patientin zunächst neben einem Fremdkörpergefühl auch heftige Muskelschmerzen, welche nach etwa sechs Wochen abklangen. Nach insgesamt vier Monaten Tragezeit ist die Patientin nun beschwerdefrei. Sie beschreibt durch die wiederhergestellte Kaufunktion deutliche Verbesserungen: eine halbierte Zeitdauer bei der Nahrungsaufnahme und zugleich wesentliche Verringerung von Blasenbildungen im Zungenbereich und infolgedessen Erleichterung beim Sprechen. Die Patientin hat einen erheblichen Zugewinn an Lebensqualität erfahren, sodass inzwischen die definitive Versorgung eingesetzt worden ist. Auf eine erneute Implantation in Regio 45 wird zunächst verzichtet, hier scheint ein erneuter Handlungsbedarf möglicherweise bei Verlust des Implantats 44 erforderlich zu werden.
Diskussion
Seltene Erkrankungen können nicht nur die generelle, sondern auch die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität beeinflussen13. Auch wenn bislang keine Studien zur mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Betroffenen mit EB vorliegen, scheint es nachvollziehbar, dass intraorale Blasen die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität negativ beeinflussen. Da die Blasen den gesamten Gastrointestinaltrakt betreffen können, werden Ernährungsstörungen insbesondere bei der DEB als ein typisches Problem beschrieben14.
Im vorliegenden Fall war die Ernährung der Patientin, zusätzlich zu den intraoralen Blasen und den Ösophagusstrikturen, die regelmäßig bouchiert werden, durch die insuffiziente prothetische Versorgung erschwert. Bedingt durch die eingeschränkte Mundöffnung sowie die durch Druck induzierte Blasenbildung war eine herausnehmbare Versorgung indiskutabel, auch wenn diese der Regelversorgung entsprochen hätte. Aufgrund der oftmals im Zusammenhang mit der EB einhergehenden Mikrostomie wird von mehreren Autoren das Konzept der verkürzten Zahnreihe vorgeschlagen8,15. Diese Empfehlung wurde im vorliegenden Fall ebenso umgesetzt wie die Forderung, möglichst einen festsitzenden Zahnersatz anzufertigen8–10.
Um die Anzahl der chirurgischen Eingriffe und die damit einhergehende Narbenbildung zu reduzieren, wurden die Implantate 25 und 34 im Sinne einer Sofortimplantation inseriert. Mit derselben Begründung argumentieren auch Larrazabal-Moron et al., die in ihrem Fall simultan Implantation und Knochenblockaugmentation durchgeführt hatten16.
Keine Aussagen können derzeit zum Risiko der Entwicklung einer Periimplantitis bei Patienten mit EB getroffen werden. Hier konnten die Autoren in der Literatur keine Hinweise finden, auch wenn generell von hohen Überlebensraten von Implantaten bei EB berichtet wird11. Auffällig im vorliegenden Fall ist, dass insbesondere die bereits einige Jahre zuvor alio loco inserierten Implantate 36 und 44 einen deutlichen periimplantären Knochenverlust (Abb. 6) aufzeigen, wobei zumindest Implantat 44 nicht prothetisch versorgt/belastet worden ist. Generell ist bekannt, dass Patienten mit DEB, bedingt durch die reduzierte Widerstandsfähigkeit des epithelialen junktionalen Komplexes, erhöhte Parodontitisraten aufweisen17, sodass hierin eine mögliche Erklärung für den periimplantären Knochenverlust liegen könnte. Dies muss weiter im Verlauf beobachtet werden.
Wir konnten bei unserer Patientin durch die Wiederherstellung der Kaufunktion durch eine festsitzende implantatvermittelte Versorgung die Nahrungsaufnahme verbessern, den traumatischen Einbiss in den Gegenkiefer beheben und somit einen erheblichen Beitrag zur Verbesserung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität im Speziellen und der Lebensqualität im Allgemeinen leisten.
Im SGB V finden sich unter § 28 Ausnahmeindikationen, die eine implantatgetragene, prothetische Rehabilitation zulasten der GKV ermöglichen18. Bedauerlicherweise sind blasenbildende Mundschleimhauterkrankungen bislang ebenso wenig im SGB V aufgelistet wie Mikrostomien, die möglicherweise einen herausnehmbaren Zahnersatz unmöglich machen. Hier sollte, trotz der Möglichkeit der Einzelfallentscheidung, das Indikationsspektrum überdacht werden.
Schlussfolgerungen
Die zahnärztlich-prothetische Versorgung von Patienten mit Epidermolysis bullosa dystrophica ist herausfordernd, insbesondere wenn die Erkrankung mit einer Mikrostomie einhergeht. Generell sollten nach Möglichkeit festsitzende Versorgungen angestrebt werden. Implantate können dabei einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität leisten.
Ein Beitrag von Dr. Marcel Hanisch, Boris Kapitzka, Dr. Dominik Suwelack und Prof. Dr. Dr. Johannes Kleinhenz, alle Münster
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