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Prof. Dr. med. dent. Jochen Jackowski, Universität Witten/Herdecke

Zahnärzte werden immer häufiger mit Patienten konfrontiert, die an chronischen Erkrankungen leiden. Auch die Zahl der multimorbiden Patienten mit mehreren Krankheitsbildern und Syndromen häuft sich – nicht nur bei älteren Menschen. Der Beitrag von Prof. Jochen Jackowski befasst sich mit den Herausforderungen für die Implantologie.

Die zeitgemäße dentale Implantologie unterscheidet sich deutlich hinsichtlich der Techniken, der therapeutischen Strategien und der Selektion des Patientenguts von der Art und Weise, wie sie vor einer oder zwei Dekaden praktiziert wurden. Als Folge des medizinischen Fortschritts ist die Lebenserwartung gestiegen und es sind wirksame Therapien für einige ernsthafte akute und chronische Erkrankungen verfügbar. Aufgrund der zunehmenden Anzahl von zahnärztlichen Patienten mit schwerwiegenden medizinischen Konditionen muss der Implantologe über ein medizinisch-internistisches Basiswissen verfügen. So erfordern einige rheumatische Erkrankungen fundierte Grundkenntnisse über ihre Diagnostik und Therapie im Hinblick auf eine bevorstehende orale implantologische Behandlung. Die Vorstellung von betroffenen Patienten bedeutet auch für den Praktiker, dass er mögliche Komplikationen in Verbindung mit dentalen Implantaten erkennen und verhindern muss. Spezifische systemische oder lokale orale Bedingungen beeinflussen die initiale Osseointe­gration bzw. den weiteren Verlauf nach der Implantatinsertion. Eine erfolgreiche dentale Implantattherapie bei Rheumapatienten verlangt eine gründliche Untersuchung und Risikobewertung zur Vermeidung von Misserfolgen, zum Beispiel in Form von Wundheilungsstörungen, einer eingeschränkten Angiogenese/Neovaskularisation und/oder eines verringerten Remodellings. Die Risikoabschätzung bei Rheumatikern berücksichtigt 4 Aspekte: (I) die medizinische Anamnese des Patienten, (II) die Medikation, (III) den psychischen Zustand und (IV) Art und Umfang des geplanten Eingriffs (invasiv/nichtinvasiv). Diese Faktoren müssen für jeden Patienten sorgsam gewichtet werden.

In keiner anderen Disziplin der Zahnmedizin schreitet die Entwicklung so schnell voran wie in der Implantologie. Ziel der Zeitschrift „Implantologie“ ist es, dem Fortbildungsangebot im Bereich der Implantologie durch die Veröffentlichung praxisbezogener und wissenschaftlich untermauerter Beiträge neue und interessante Impulse zu geben und die Zusammenarbeit von Klinikern, Praktikern und Zahntechnikern zu fördern. Weitere Informationen und die Möglichkeit, ein aktuelles Probeheft kostenfrei anzufordern, finden Sie hier.


Einleitung

„Rheuma“ ist ein Sammelbegriff für über 450 verschiedene Erkrankungen, die den sogenannten rheumatischen Formenkreis bilden1. Dieser umfasst alle Störungen des Stütz- und Bindegewebeapparates, die mit chronischen und schmerzhaften Bewegungseinschränkungen einhergehen2. Die Einbeziehung des Bindegewebes kann zu einer Organbeteiligung in Form von rheumatischen Augen-, Rippenfell,- Herzbeutel-, Herzklappen-, Herzmuskel-, Nieren-, Darm-, Gefäß-, Nerven- oder Gehirnentzündungen führen. Diese können vital bedrohlich sein, sodass frühzeitig und präzise diagnostiziert und in der Folge ­zielgerichtet therapiert wird. Die Ätiologie vieler rheumatischer Erkrankungen ist nicht bekannt, wobei Patienten in jeder Lebensdekade vom Kleinkind bis ins hohe Alter betroffen sein können. Die Diagnose und Klassifikation orientieren sich an der Ursache (zum Beispiel septische Arthritis durch bakteriellen Infekt) auf der Grundlage einer Zusammenführung von klinischen, röntgenologischen und ­laborchemischen Befunden. Manche Patienten zeigen charakteristische Symptome verschiedener Erkrankungen, sodass die eindeutige Eingrenzung einer rheumatischen Erkrankung nicht möglich ist. So können bei der Oligoarthritis (2 bis 4 Gelenke sind betroffen) anamnestische und klinische Komponenten zu unterschiedlichen Diagnosen wie reaktive Arthritis, seronegative Spondylarthropathie, Sarkoidose, Morbus BEHÇET oder Kollagenosen [(Synonym: Konnektivitiden), Systemischer Lupus erythematodes, Systemsklerose, SJÖGREN-Syndrom, Mixed connective tissue disease u. a.] führen3.

Präzise Kenntnisse der einzelnen Krankheitsbilder sind wegen der speziellen systemischen und intra­oralen Komplikationsmöglichkeiten erforderlich, damit der Patient im Rahmen eines unter Umständen invasiven Therapieablaufs nicht gefährdet wird. Insbesondere müssen die Folgen der rheumatologischen Pharmakotherapie für die Regenerationsfähigkeit der lokalen Hart- und Weichgewebe berücksichtigt werden.

Ziel dieser allgemeinen Übersicht soll sein, anhand der zum Thema zur Verfügung stehenden Literatur in einer fachübergreifenden Darstellung zwischen der oralen Implantologie und der internistischen Rheumatologie diejenigen Aspekte herauszustellen, die eine Indikationsstellung für eine implantatvermittelte Therapie erlauben oder andererseits Risikofaktoren darstellen, die zusammen mit den lokalen und weiteren systemischen Konditionen das individuelle Risikoprofil bei dentalen Implantaten erhöhen.

Einteilung der Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Die vielen verschiedenen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises werden in 4 Hautgruppen unterteilt3,4:

1. Hauptgruppe

Entzündliche-rheumatische Erkrankungen [z. B. juvenile idiopathische Arthritis, rheumatoide Arthritis (RA, auch: chronische Polyarthritis), Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans), Psoriasis-Arthritis (Arthritis psoriatica), Kollagenosen, ANCA-assoziierte Vaskulititden].

Diese Erkrankungen besitzen eine autoimmune entzündliche Pathogenese5,6. Oft sind spezifische serologische Marker (Rheumafaktoren, antinukleäre oder anticytoplasmatische Antikörper) nachweisbar. Aufgrund ihrer Nebenwirkungen werden Steroide in der Induktionstherapie oder zur passageren Behandlung von Krankheitsschüben eingesetzt. Die immunsuppressive Basistherapie besteht in der Gabe von Methotrexat (MTX), einem Folsäure-­Antagonisten. Alternativ werden bei Unverträglichkeiten oder Wirkverlust Leflunomid, Azathioprin und Antimalariamittel, auch in Kombinationsbasistherapien verwendet. Bei schweren Verlaufsformen hat sich die Kombinationstherapie von MTX und sog. Biologika („Biologics“, „Biologicals“) bewährt. Sie greifen selektiv in den antiinflammatorischen Prozess ein, indem Zytokine wie der Tumornekrose-Faktor(TNF)-alpha durch Infliximab, Etanercept, Adalimumab, Golimumab und Certolizumab oder IL-6 durch Tocilizumab und IL-1 durch Anakinra inhibiert werden. Weitere medikamentöse Optionen sind die Depletion von B-Zelllinien durch Rituximab beziehungsweise die Modulation der T-Zellantwort durch Abatacept.

2. Hauptgruppe

Degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen (Arthrose und Spondylosen).

Die Therapie der Arthrosen besteht in allgemeinen Maßnahmen [Körpergewichtabnahme (Indikation!), Belastungsreduktion, Ergonomie, Muskelbalance, Muskelkräftigung, aerobes Training, Wassertherapie], lokalen Maßnahmen (Schienenversorgung, Einlagenversorgung, topische Medikationen, Visko­supplementation), einer medikamentösen analgetischen Therapie und chirurgischen Interventionen wie Injektionen. Zuletzt kann ein Gelenkersatz (Prothese, Arthrodese) indiziert sein.

3. Hauptgruppe

Weichteilrheumatismus (Fibromyalgie-Syndrom).

Verschiedene entzündliche und nicht-entzündliche rheumatische Erkrankungen erfassen die Gelenkkapseln, Bänder, Sehnen und Muskulatur oder das Unterhautfettgewebe. Generalisierte Schmerzen und assoziierte Störungen wie Leistungsminderung, Müdigkeit, Schlafstörungen, funktionelle Störungen und Depression kennzeichnen die Klinik bei der Fibromyalgie. Bei unbekannter Ursache der primären ­Fibromyalgie steht derzeit eine kurative Therapie nicht zur Verfügung. Sekundäre Formen können bei fast allen rheumatischen Erkrankungen auftreten. Dabei sind Übergänge zu psychosomatischen Krankheitsbildern häufig zu beobachten. Neben ­dezidierter Patientenaufklärung (gutartig, keine psychiatrische und letale Krankheit) sind gesundheitsfördernde Maßnahmen und medikamentöse Therapien (Antidepressiva mit analgetischer Wirkung) unter Umständen in Kombination mit Paracetamol oder NSAR mögliche Behandlungsstrategien.

4. Hauptgruppe

Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden (Osteoporose, Gicht, Diabetes).

Zu den Risikofaktoren der Osteoporose gehören vor allem neben der Gabe systemischer Kortikosteroide eine Reihe von Medikamenten (Antiepileptika, hochdosierte Schilddrüsenhormone, Heparin-Langzeittherapie, GnRH-Analoga) und den Knochenstoffwechsel beeinflussende Erkrankungen (Morbus Crohn, Colitits ulcerosa, Hyperthyreose, Malabsorption, Chronische Niereninsuffizienz, Rheumatoide Arthritis, Hyperparathyreoidismus). Die primäre Osteoporose (altersbedingt, postmenopausal, idiopathisch) wird von einer sekundären Osteoporose (endokrine und gastrointestinale Ursachen, multiples Myelom, Knochenmetastasen, rheumatologische und Systemerkrankungen, Immobilisation, Alkohol­abusus, chronische Niereninsuffizienz) unterschieden. Die Übergänge zur Osteomalazie sind oft fließend. In der Therapie der Osteoporose5 werden neben der Vitamin D Gabe (1000–2000E täglich) orale Bisphosphonate als Leitsubstanz eingesetzt. Nach dem Dachverband Osteologie (DVO) wird mit Bisphosphonaten ab einem Zehnjahresfrakturrisiko von 30 % behandelt6. Die Risikoreduktion für die oft schicksalhaft verlaufenden Schenkelhals- und Wirbelkörperbrüche kann dabei über 50 % betragen. Bei oraler Unverträglichkeit (z. B. Reflux) kann auch eine Infusion durchgeführt werden. Als therapeutische Alternative wird Denosumab gegeben. Dies ist ein IgG2-anti-RANKL-Antikörper, der mit sehr hoher Affinität an RANKL (Receptor Activator of Nuclear Factor Kappa B Ligand) bindet und so dessen Interaktion mit RANK hemmt7. Bisphosphonate werden auch in einer ca. 10-fach höheren Dosierung zur Hemmung einer ossären Metastasierung in der Onkologie eingesetzt. Gerade in der Hochdosistherapie ist ihr Einsatz mit dem Risiko der Entstehung einer Kiefernekrose assoziiert8,9.

Die Gicht ist eine mikrokristalline Arthropathie, bei der sich durch einen gestörten Purinmetabolismus Uratkristalle in verschiedenen Geweben wie den Gelenken, der Haut, den Nieren und anderen Organen ablagern. Die medikamentöse Therapie besteht in der Verabreichung von harnsäuresenkenden Medikamenten (v. a. Allopurinol) und im Anfall in der Gabe von NSAR, Colchicin oder Kortikoiden.


Tab. 1 Orale Symptome bei rheumatischen Erkrankungen (überarbeitet nach Gromnica-Ihle10). *, ** Diese beiden Eponyme sind nicht mehr gebräuchlich12.

Rheumatische Erkrankungen mit Beteiligung der Mundhöhle

Rheumatische Erkrankungen entwickeln eine Vielzahl von Symptomen (Tab. 1), die sowohl im Rahmen der Differenzialdiagnostik als auch des implantatchirurgischen und prothetischen Vorgehens Berücksichtigung finden müssen. Neben oralen und/oder nasopharyngealen Ulzerationen können sich orale Aphthen, intraorale Teleangiektasien und Einschränkungen in den Zungen-, Schluck- und Kieferbewegungen manifestieren10. Das ­SJÖGREN-Syndrom (primär und sekundär), die Systemsklerose und der systemische Lupus erythematodes werden den Kollagenosen (Konnektivitiden) zugeordnet. Hierzu gehören außerdem die Polymyo­sitis, die Dermatomyositis und das Sharp-Syndrom (Mixed Connective Tissue Disease = MCTD). Kollagenosen können sich symptomatisch mit Mundschleimhautveränderungen, einem Sicca-Syndrom, einer Refluxsymptomatik, einem Gesichtsrash, einer Foto­sensitivität, einem Haarausfall, dem RAYNAUD-Phänomen, Myalgien, Polyarthralgien und Thoraxschmerzen (pleural oder perikardial) präsentieren. Die Riesenzellarteriitis, das KAWASAKI-Syndrom, die ANCA-assoziierte Vaskulitis (ehemals WEGENER Granulomatose) und der Morbus BEHÇET werden in die heterogene Krankheitsgruppe der Vaskulitiden, denen die Entzündung der Blutgefäße gemein ist, eingefügt. Im differenzialdiagnostischen Spektrum wird zwischen den Vaskulitiden der großen Arterien (Riesenzellarteriitis, TAKAYASU Arteriitis), den Vaskulitiden der mittelgroßen und kleinen Arterien und Venen (Panarteriitis nodosa, Morbus KAWASAKI, primäre Vaskulitis des ZNS, Thrombangitis obliterans) und den Vaskulititden der Arteriolen, Kapillaren und Venolen, den ANCA(Anti-Neutrophile Cytoplasmatische Antikörper)-positiven Vaskulitiden (ANCA-assoziierte Vaskulitis, Mikroskopische Polyangiitis, CHURG-STRAUSS-Vaskulitis) und den ANCA-negativen Vaskulitiden (Leukozytoklastische Vaskulitis, Purpura SCHÖNLEIN-HENOCH, Morbus BEHÇET, Kyroglobulinämie, Hypersensitivitätsvaskulitis) unterschieden. Der Morbus BEHÇET wird diagnostiziert, wenn rezidivierende orale Aphthen mindestens dreimal pro Jahr und wenigsten zwei der Symptome „rezidivierende genitale Ulzera“, „Augenbefall“ (anteriore oder posteriore Uveitis, retinale Vaskulitis) und „Hautveränderungen“ (Erythema nodosum, Pseudofollikulitis, akneiforme Knötchen) auftreten. Die Varianz der allgemeinen Symptome, der System-/Organbefall und immunologische Alterationen begründen die Schwierigkeiten in der Diagnostik, Differenzialdiagnostik und Prognose von Kollagenosen (Konnektivitiden) und Vaskulitiden. Auch nicht entzündliche rheumatische Erkrankungen können zu oralen Symptomen führen. Das Fibromyalgie-Syndrom ist eine nicht entzündliche Erkrankung mit unbekannter Genese. Neben einem diffusen, chronischen Schmerzsyndrom mit charakteristischen Druckschmerzpunkten (tender points) treten unter anderem begleitende Symptome wie Müdigkeit, Schlafstörungen, Leistungsminderung und Depression auf. Es werden Anspannungen der Gesichtsmuskulatur, unspezifische Schmerzen im Kiefergelenk, unklare Zahnschmerzen und Mundtrockenheit meist ohne fassbare pathologische Ursachen beschrieben11. Eine reaktive Arthritis (ehemals REITER-Syndrom) beginnt oft mit einer asymmetrischen Oligoarthritis (2–4 Gelenke sind betroffen). Es entwickelt sich eine Trias aus Arthritis, Urethritis und Konjunktivitis. In der Pathogenese von reaktiven Arthritiden stellt die sterile Arthritis eine Autoimmunreaktion auf einen lokalen urogenitalen oder gastrointestinalen Infekt dar. Zusätzlich können sich Dermatosen mit psoriasiformen Hautveränderungen, orale Aphthen und palmoplantare erythemato-squamösen Läsionen ausbilden3.


Tab. 2 Symptome, rheumatologische Differenzialdiagnosen und Relevanz für die Implantologie.

Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises stellen eine große therapeutische Herausforderung dar, da orale Begleitsymptome bei den einzelnen Entitäten Probleme im Verlauf der chirurgischen und prothetischen Implantattherapie hervorrufen können (s. Tab. 1). In Tabelle 2 werden spezifische Probleme aufgeführt, die verdeutlichen, dass Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises überwiegend konsumierende Prozesse zur Folge haben, die eine Osseointegration von Implantaten beeinträchtigen und die Wundheilung verzögern können. Eine eingeschränkte Mundöffnung oder Mikrostomie können die Implantatinsertion, die Abdrucknahmen und die Ein- bzw. Ausgliederung von Zahnersatz erschweren oder unmöglich machen. Diese potenziellen krankheitsassoziierten Komplikationen sollten bei der individuellen Risikobewertung durch den Implantologen Berücksichtigung finden. Eine durch die Mikrostomie bedingte eingeschränkte Mundöffnung13 erschwert das Eingliedern und Herausnehmen von konventionellem Zahnersatz (Abb. 1 bis 4). Die Insertion von Implantatkörpern wird durch die Mikrostomie kompliziert und führt unter den regionären Bedingungen zu einer Ausrichtung von Implantaten, die eine funktionsfähige prothetische Versorgung nicht mehr ermöglichen. Bereits vor dem chirurgischen Eingriff muss ohne Zweifel feststehen, dass nach Erreichen der langzeitstabilen Verankerung eines Implantats in seinem Knochenlager mit Beginn des prothetischen Behandlungsabschnitts auch Abformungen mit konfektionierten und individuell hergestellten Abdrucklöffeln (Abb. 5) durchgeführt werden können, ohne an Präzision in der Darstellung der Alveolarfortsätze mit den Vestibula (Funktionsrand), der Textur der bedeckenden Weichgewebe und der Mukosa an der Implantatdurchtrittsstelle einzubüßen. Blutungsneigungen bei Thrombozytopenie10 und Sekundärinfektionen bei Leukopenie10 stellen potenzielle postoperative Komplikationen dar. Eine durch die Sklerodaktylie (Abb. 6), digitale Ulzerationen (Abb. 7) oder das RAYNAUD-Phänomen bedingte manuelle Limitation14 bei der Eingliederung und ­Herausnahme vom implantatvermitteltem Zahnersatz (Abb. 8) erfordert hygienegünstige Suprastrukturen und die Nachsorge in sehr kurzen Zeitintervallen. Die fehlende antibakterielle, antivirale und antifungale Wirkung des Speichels15,16 sowie der Verlust der biologischen Selbstreinigung der Mundhöhle als Folge einer Xerostomie müssen bei der Risikoabschätzung einer Implantattherapie ebenfalls berücksichtigt werden.

Rheumatische Erkrankungen mit Beteiligung der Kiefergelenke

Bei Patienten mit chronischer Polyarthritis kann sich eine Kiefergelenkarthritis entwickeln17,18. Bei noch ungeklärter Ätiologie dieser Gelenkentzündung proliferiert zunächst die Synovialmembran mit Pannusbildung von der Knorpel-Knochen-Grenze her. Die dann fortschreitende Destruktion der chondralen und subchondralen Anteile eines Gelenks und seines angrenzenden Knochens einschließlich der umgebenden Muskulatur muss durch Autoimmunprozesse initiiert und unterhalten werden. Die B- und T-Zellaktivierung und Bewegung von Makrophagen in die Synovialmembran und die Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, wie Interleukin-1 und TNF-α (Tumornekrosefaktor-alpha), sind für den Zerstörungsprozess mitverantwortlich19. In den meisten Fällen sind beide Kiefergelenke betroffen. Nach dem Übergang von der proliferativen in die destruktive Phase entwickelt sich eine Sekundärathrose (degenerative Phase), die zu einer fibrösen oder knöchernen Ankylose (stabilisierte Phase) führen kann. Die Bewegungsfähigkeit des Unterkiefers ist schmerzhaft eingeschränkt. Symptomatisch können die bei vielen Patienten permanenten Schmerzen in die Kau- und/oder Nackenmuskulatur ausstrahlen20–22.


Tab. 3 Intraorale Symptome unter rheumatologischer Pharmakotherapie (überarbeitet nach Gromnica-Ihle10).

Orale Nebenwirkungen durch nicht-steroidale Antirheumatika, Glukokortikoide, Immunsuppressiva, Biologika und Bisphoshonate

Die medikamentöse Therapie rheumatischer Erkrankungen erfolgt über die symptomatische, antiphlogistische und analgetische Behandlung mit nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) und Kortikosteroiden sowie über die sogenannte Basistherapie, die den Krankheitsprozess positiv beeinflussen soll4,23–25. Basistherapeutika werden in der angelsächsischen Fachliteratur als DMARD (Disease modifying antirheumatic drugs) bezeichnet3,26. Die medikamentöse Therapie soll die Lebensqualität so beeinflussen, dass eine Schmerzreduktion erzielt, die Bewegungsfähigkeit verbessert oder wiederhergestellt und eine Destruktion in den Gelenken verlangsamt bzw. verhindert wird. Einige dieser Medikamente führen zu unerwünschten Nebenwirkungen in der Mundhöhle, die sich sowohl an den Schleimhäuten als auch im enossalen Bereich manifestieren können. Neben einem allgemein erhöhten Infektionsrisiko werden Gingivahyperplasien, Osteo­porosen, Kiefernekrosen und Blutungsneigungen diagnostiziert. Die in früheren Jahren bei der rheumatoiden Arthritis angewandte Goldtherapie führte bei manchen Patienten zu einem metallischen Geschmack im Mund (Tab. 3).

Die nicht-steroidalen Antirheumatika (NSRA) zeichnen sich durch einen schnellen Wirkungseintritt aus, lindern effizient Schmerzen und hemmen Entzündungen. Als Nachteile werden die nur wenige Stunden anhaltende Wirkung sowie gastrointestinale Probleme angeführt. Zudem werden Leberschädigungen, Nierenfunktionsstörungen, Hypertonie und Ödembildung in den unteren Extremitäten bei Patienten mit einer Herz-Kreislauf- oder Nieren-Anamnese beobachtet3,4,24,25. Im Rahmen der implantologischen Chirurgie müssen durch NSRA verursachte Blutungsneigungen berücksichtigt werden10.


Tab. 4 Prozentualer Anteil verschiedener Medikationen in der Therapie von Patienten mit systemischem Lupus erythematodes in den Jahren 2005 bis 2010 (modifiziert nach31).

Glukokortikoide hemmen die Migration von Leukozyten zum Entzündungsbereich, verändern die unterschiedlichen Funktionen der immunkompetenten Effektorzellen und verringern die Produktion von Entzündungsmediatoren27. Diese entzündungshemmenden Effekte werden in der Therapie von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises genutzt, wobei der Wirkmechanismus dosisabhängig ist. Bei einer Dauermedikation von über 5 mg Prednison/Tag über mehr als 3 Monate ist die Entstehung einer glukokortikoidinduzierten Osteoporose möglich28. Bartl et al. gehen davon aus, dass sich bei einer Therapiezeit von mehr als 6 Monaten und einer Dosis von mehr als 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent/Tag ein solcher Knochenschwund entwickelt, der eine Bisphosphonat-Therapie sinnvoll erscheinen lässt29,30. Untersuchungen im Rahmen einer Lupus-Langzeitstudie haben ergeben, dass im Jahre 2010 in der Therapie von Patienten mit systemischem Lupus erythematodes der verordnete Anteil an Steroiden bis zu 7,5 mg/d 51,4 % und an Steroiden über 7,5 mg/d 11,3 % betrug (Tab. 4)31. Glukokortikoide induzieren die Verringerung von Wachstumsfaktoren (IGF-1 = insulin-like growth factor 1) mit einer Abnahme von Osteoblasten-Differenzierungen. Zusammen mit einer gesteigerten Osteoblasten-Apoptose wird die Knochenformation quantitativ so verändert, dass die Zahl und die Größe der spongiösen Trabekel abnimmt und sich die Dicke der Kortikalis verringert. Die zusätzliche Reduktion von luteinisierendem und follikelstimulierendem Hormon (LH und FSH) führt zu einer Abnahme von Sexualhormonen, die in Verbindung mit einer Drosselung der Synthese von Osteoprotegerin, das eigentlich die Osteoklastentätigkeit hemmen soll, zu einer erhöhten Knochenresorption führt29,32. Die Osteoporose ist charakterisiert durch einen unveränderten Mineralisationsgrad ossärer Strukturen bei gleichzeitig verminderter Knochendichte33. Abgeleitet aus dem Experiment kann für die Implantatchirurgie ein modifiziertes Vorgehen durch ein non-ablatives Aufbereitungsprotokoll der Implantatkavitäten empfehlenswert sein34.

Rheumapatienten haben durch ihre Erkrankung, die Immobilität, eine frühere oder aktuelle Steroidtherapie ein deutlich höheres Osteoporoserisiko, weshalb Bisphosphonate und Denusumab als Inhibitoren der Osteoklastenfunktion eingesetzt werden. Eine Insertion von dentalen Implantaten nach oder unter einer laufenden Bisphosphonat-Therapie ist in Abhängigkeit von der Grunderkrankung und Art, Dauer und Dosierung der Bisphosphonat-Medikation nur nach sorgfältiger Bewertung des individuellen Risikoprofils möglich. Grötz et al.35 haben auf der Grundlage eines systematischen Literaturreviews einen Entscheidungsalgorithmus für die Risikofaktoren einer Implantation bei Bisphosphonat-Therapie entwickelt. In diesen fließt eine Bewertung des Risikos für eine bisphosphonatassoziierte Kiefernekrose (niedrig, mittel, hoch) ein. Zusätzlich werden die Implantatindikation mit den potenziell hieraus folgenden Risiken und die Augmentationsnotwendigkeit beurteilt.


Abb. 9 Manifestation einer ausgedehnten Schleimhautläsion im Gaumenbereich unter MTX-Therapie.

Methotrexat (MTX) wird in niedriger Dosierung (7,5 bis 25 mg/Woche) aufgrund seiner immunsuppressiven Wirkung mit Beeinflussung der Expression von Adhäsionsmolekülen und Zytokinen als Basismedikament in der Therapie von rheumatischen Erkrankungen zur Unterdrückung von Gelenkentzündungen eingesetzt. Die mittlere Anfangsdosis beträgt 15 mg/Woche. Bei älteren Patienten, eingeschränkter Nierenfunktion oder pulmonalen Vorerkrankungen wird eine niedrigere Anfangsdosis mit 5 bis 10 mg wöchentlich empfohlen, die bei entsprechender Indikation kontrolliert erhöht werden kann36. Der Vorteil einer MTX-Therapie liegt in der hohen Ansprechrate, der Wirkungseintritt kann zwischen 8 und 12 Wochen betragen. Daher werden in der Induktionstherapie zusätzlich auch Kortikosteroide gegeben, um die Zeit bis zum Wirkungseintritt zu überbrücken. Die Absetzung von Methotrexat bei erkennbar klinischer Besserung oder Remission führt in vielen Fällen umgehend zu einer Aktivierung der Erkrankung4. Durch die Inhibition der Dihydrofolsäurereduktase können sich unter anderem eine Makrozytose, Leberwerterhöhung und Stomatitis (Abb. 9) entwickeln. Daher wird eine Folsäuresubstitution mit 5 bis 10 mg wöchentlich vorgeschlagen37. Bei anderen Geweben mit hohen Proliferationsraten (blutbildendes Knochenmark, Gonaden, Tumoren) wird das Zellwachstum gehemmt. Ein zytostatischer Effekt tritt bei hoher Dosierung ein27.

Azathioprin gehört zur Gruppe der Immunsuppressiva und hemmt insbesondere das Wachstum von T-Zellen27. Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen werden so Immunreaktionen, die für Entzündungen und Gewebedestruktionen verantwortlich sind, abgeschwächt.

Cyclophosphamid, ein sehr wirkungsvolles Immunsuppressivum, bewirkt eine funktionelle Hemmung und eine Reduktion der Zellzahl sowohl bei den B- als auch den T-Zellen. Bei einer Langzeittherapie mit entsprechend hoher Kumulativdosis steigt das Risiko für Blasenkarzinome27. Die Indikation zu einer Therapie mit Substanzen, die zu einer Alkylierung von Basen in der DNA und RNA führen, ist auf Patienten mit systemischen Verlaufsformen ausgerichtet. Cyclophosphamid wird z. B. beim systemischen Lupus erythematodes mit fortgeschrittener Hautvaskulitis, pulmonaler Vaskulitis, Glomerulo­nephritis oder ZNS-Befall eingesetzt3.

Die immunsuppressive Wirkung von Ciclosporin beruht auf einer Hemmung der Zytokinproduktion, insbesondere von IL-2 in der frühen Aktivierungsphase von T-Zellen. Ciclosporin A und Cyclophilin inhibieren gezielt Calcineurin, das als Proteinphosphatphosphatase den Transkriptionsfaktor NF-AT (nukleärer Faktor aktivierter T-Zellen) aktiviert. Die Transkription des IL-2-Gens wird verhindert, da aktives NF-AT aufgrund fehlender Dephosphorylierung nicht in den Zellkern übertreten kann27.

Sulfasalazin gehört zur Gruppe der Antiphlogistika und hier speziell zu den Aminosalicylaten. Dieser Wirkstoff wird im Colon durch Darmbakterien in seine aktiven Bestandteile 5-Aminosalicylsäure (Mesalazin) und Sulfapyridin gespalten. Die antiinflammatorische Wirkung von 5-Aminosalicylsäure beruht auf der Blockade des Enzyms Lipoxygenase, das für die Bildung von Leukotrienen notwendig ist. Leuko­triene sind körpereigene Stoffe, die Entzündungen im Gewebe unterhalten. Daneben greift 5-Aminosalicylsäure auch in die Bildung und den Abbau von Prostaglandinen ein, die bei Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Bei den entzündlich-­rheumatischen Erkrankungen führt die Entzündungshemmung zu einer Verringerung oder Verzögerung von Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und des Gewebeumbaus (z. B. an der Synovialis)27,38.

D-Penicillamin gehört in der medikamentösen Therapie rheumatischer Erkrankungen zu den langwirksamen Antirheumatika. Aufgrund seiner möglichen Nebenwirkungen und im Vergleich dazu nur begrenzten Wirksamkeit wird es heute in der rheumatologischen Pharmakotherapie kaum noch eingesetzt. Es wird als ein Ausweichpräparat bei Versagen anderer Medikamente angewendet4.

Biologika wie TNF-α- oder IL6-Blocker sind gentechnologisch hergestellte Präparate und hochwirksame Therapeutika zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA) und weiteren Indikationen, wie der Ankylosierenden Spondylitis, der Juvenilen Idiopathischen Arthritis, der Psoriasis-Arthritis sowie der Plaque-Psoriasis und der Juvenilen Plaque-Psoriasis. Eine Biologikatherapie, je nach Zulassungsauflage in Kombination mit MTX, wird empfohlen, wenn nach 6 Monaten und Ausschöpfung der klassischen DMARD-Mono- und Kombinationstherapie keine ausreichende Kontrolle der Krankheitsaktivität erreicht wird. Es werden dann die TNF-α-Inhibitoren Adalimumab, Certozilumab, Etanercept, Golimumab oder Infliximab, sowie Abatacept oder Tocilizumab eingesetzt. Die Auswahl ist abhängig von individuellen Kriterien des Patienten unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen, Begleitmedikation und Komorbidität36. Da das Immunsystem durch Biologika noch stärker als durch eine klassische Basistherapie gedämpft wird, ist eine Steigerung der Anfälligkeit gegen Infektionen auch im intraoralen Bereich zu berücksichtigen39,40.

Tabelle 3 zeigt eine Übersicht über die wesentlichen in der Rheumatologie angewandten Medikamente. Hier wird deutlich, dass als Nebenwirkungen einer Dauermedikation mit Kortikosteroiden oder kortisonsparenden Immunsuppressiva ein erhöhtes Infektionsrisiko und/oder Wundheilungsstörungen zu erwarten sind, die der Implantologe in die individuelle Risikoabschätzung für die geplante chirurgische und prothetische Versorgung einbeziehen muss. Exemplarisch verdeutlicht Tabelle 4 am Beispiel von Patienten mit systemischem Lupus erythematodes (SLE), dass unterschiedliche Medikationen in Abhängigkeit von Schüben der Erkrankung und langfristig nach der Organbeteiligung und potenziellen Krankheitsrisiken verordnet werden. Temporär kann die Kombination von mehreren Medikamenten, die sich an vorhandenen Symptomen und möglichen Komplikationen orientiert, indiziert sein, um die Remission der Erkrankung zu erreichen und/oder zu erhalten. Daher sind auch für den Implantologen Kenntnisse aktueller medikamentöser Therapieschemata zur Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises erforderlich, die in die Bewertung des individuellen Risikoprofils mit einbezogen werden müssen.

Chirurgische und prothetische Implantologie bei Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Buser et al.41 teilen im Rahmen der Risikoeinstufung einer Implantattherapie bei allgemeinmedizinischen/systemischen Risikofaktoren die rheumatoide Arthritis als schwere systemische Erkrankung der Gruppe mit sehr hohem Risiko zu. Nach Maloney und Weinberg42 scheint unter Zugrundelegung der ASA-Klassifikation bei schweren systemischen Erkrankungen mit funktioneller Einschränkung der Einsatz dentaler Implantate unter strenger Indikationsstellung begründbar zu sein. Von Mombelli und Cionca43 werden die Systemsklerose, das Sjögren-Syndrom, die Osteoporose und die Bisphosphonat-Therapie bei Abwägung zwischen Risikofaktor und Implantaterfolg einer „Positiv“-Liste zugeordnet.

Auf der Grundlage von Einzelfallberichten und Fallserien ist die Implantatinsertion bei Patienten mit Systemsklerose keine Kontraindikation13,44–49. Payne et al.50, Isidor et al.51 und Binon et al.52 berichteten anhand eines Einzellfalls und zweier Fall­serien über erfolgreiche implantologische Versorgungen bei Patienten mit SJÖGREN-Syndrom. Eder und Watzek53 stellten die gelungene Implantattherapie bei einer Patientin mit schwerer Osteoporose und chronischer Polyarthritis vor. Holahan et al.54 und Slaghter et al.55 bewerteten die Osteoporose nicht als eine Kontraindikation in der oralen Implantologie. Ergun et al.56 beschrieben den bisher komplikationslosen Verlauf einer Implantattherapie bei einem Patienten mit systemischem Lupus erythematodes. Bencharit et al.57 versorgten komplikationslos eine an Polymyalgia rheumatica erkrankte Patientin mit enossalen Implantaten. Weinländer et al.58 interpretierten die von Ihnen vorgenommen Implantat­versorgungen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und Bindegewebserkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis als erfolgreiche Versorgungsstrategien. Die Ergebnisse verschiedener Studien (Jeffcoat59, ­Fugazotto et al.60, Grant et al.61, Bell und Bell62, Kasai et al.63 und Gross et al.64) mit enossalen Implantaten bei Bisphosphonat-Patienten weisen ­darauf hin, dass auch bei BP-Patienten grundsätzlich eine Implantatversorgung möglich ist.


Tab. 5 Kontraindikationen aus allgemeinmedizinischen/medikamentösen Gründen (überarbeitet nach Cacaci et al.65).

Die Risikobewertung für eine implantatvermittelte Therapie berücksichtigt immer den Schweregrad vorhandener Grunderkrankungen und die komplexen, individuell angepassten medikamentösen Konzepte. Ein langzeitstabiles Behandlungsergebnis ist abhängig von einem ausreichenden Knochen-Implantat-Kontakt über die gesamte Oberfläche eines Implantatkörpers. Zudem erfordert es an der Pfeilerdurchtrittsstelle im Bereich der Implantatschulter eine adäquate Stabilität der epithelialen und bindegewebigen Strukturen. Eine Einschätzung möglicher lokaler Konsequenzen, die durch eine Implantatinsertion bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises ausgelöst werden können, ist nur durch die Identifikation medizinischer Risiken und der sich hieraus ergebenden Probleme möglich (Tab. 5).

Schlussbetrachtung

Der Wandel der demographischen Struktur in unserer Gesellschaft führt zu einer Behandlungsnotwendigkeit von Patienten mit verschiedenen Systemerkrankungen. Bei den chronischen Erkrankungen stehen die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises in Europa an erster Stelle und im Vergleich mit der restlichen Bevölkerung ist die Erwerbsunfähigkeit bei Rheumapatienten deutlich höher. Sie steigt mit fortschreitender Erkrankungsdauer überproportional an67. Für Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) wird eine Erwerbsunfähigkeitsrate von 20 bis 30 % innerhalb der ersten 3 Jahre68 und von 29 bis 50 % im Verlauf der ersten 5 Jahre angegeben69. Beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) sind nach 10 Jahren Krankheitsdauer 39 %, beim Psoriasis-Arthritis-Patienten 29 % und bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis 27 % nicht mehr erwerbsfähig70. Für die Betroffenen bedeutet dies in der Regel den Verlust der sozialen und finanziellen Selbstständigkeit. Trotz diagnostischer Fortschritte und effizienter therapeutischer Strategien ist eine Heilung nach derzeitigem medizinischem Wissen nicht möglich.

Verschiedene Studien13,41–64 zeigen trotz schwieriger lokaler und/oder systemischer Konditionen, vor allem aber angesichts der durch Antirheumatika und andere Medikationen verursachten oralen Nebenwirkungen, erfolgversprechende Ergebnisse beim Einsatz von dentalen Implantaten. Trotz der Klientel-spezifischen operativen und prothetischen Risiken kann zum Teil eine mittel- bis langfristige Verweildauer von Implantaten und prothetischen Suprakonstruktionen beobachtet werden. Von evidenzbasierten Behandlungskonzepten kann zum heutigen Zeitpunkt allerdings noch nicht gesprochen werden. Wenn unter der Bisphosphonat-Therapie einer manifesten Osteoporose eine chirurgisch-implantologische Behandlung nach genauer Risikobewertung indiziert ist, dann sollte diese Versorgung bis auf weiteres in speziellen Zentren erfolgen.

In der wissenschaftlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) zur zahnärztlichen Betreuung von Patienten unter/nach Bisphosphonat-Medikation wird auf die Versorgung mit Implantaten eingegangen9. Danach ist eine Implantation unter einer laufenden BP-Therapie in Abhängigkeit von dem bestehenden Risikoprofil (Grunderkrankung, Art, Dauer und Dosierung der Medikation, Cofaktoren u. a.) individuell abzuwägen. So lange alternativ suffiziente Versorgungsmöglichkeiten bestehen, sollte zur Zeit bei Hochrisikopatienten, die eine intravenöse BP-Gabe aufgrund einer malignen Grunderkrankung erhalten, auf Implantate verzichtet werden. Bei einem Patienten mit oraler Bisphosphonat-Therapie aufgrund einer Osteoporose und unbezahntem Unterkiefer kann bei insuffizientem Prothesensitz mit wiederkehrenden Druckstellen die Insertion von 2 intraforaminalen Implantaten die Therapie der Wahl sein, da sie als Prophylaxe gegen die Entstehung von Druckstellen bewertet werden kann. Unter oraler BP-Therapie ist bei präparierten Nachbarzähnen die brückenprothetische Rehabilitation einer Lücke immer als gleichwertige therapeutische Alternative in Erwägung zu ziehen. Eine Implantation für einen Einzelzahnersatz bei lückenbegrenzenden Zähnen und eventuell notwendigen augmentativen Maßnahmen (An-/Auflagerungsplastiken, interne/externe Sinusbodenaugmentation) ist nicht indiziert, wenn nach onkologischer Grunderkrankung eine i. v. BP-Therapie erfolgt. In der Leitlinie „Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose (BP-ONJ) und andere Medikamenten-assoziierte Kiefernekrosen“ wird die Rehabilitation der Kaufunktion vor allem durch implantatvermittelten Zahnersatz nicht abgehandelt. Im Sinne eines Expertenkonsens werden aber für operative Eingriffe (und damit auch Implantationen) bei Patienten unter oder nach einer BP-Therapie folgende Konditionen formuliert:

  1. prolongierte perioperative, systemische antibiotische Abschirmung (z. B. 1 g Amoxicillin 1-1-1 oder 0,6 g Clindamycin 1-1-1 oral ab dem Tag vor der Operation und bis zum Abklingen klinischer Zeichen einer Keimbelastung),
  2. atraumatische Operation mit sparsamer Denudierung des Periosts,
  3. sorgfältiges Abtragen scharfer Knochenkanten und
  4. primär plastische Deckung.

Auch bei Eingriffen im unbezahnten Areal sollte auf eine antibiotische Abschirmung nicht verzichtet ­werden8.

Die implantatvermittelte Therapie ist eine mögliche Behandlungsoption zur Rehabilitation des stomatognathen Systems bei Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Die entscheidende Voraussetzung für den Therapieerfolg ist allerdings die verantwortungsvolle Patientenselektion mit detaillierten Überlegungen zu individuellen krankheitsassoziierten Risikoprofilen.

Ein Beitrag von Prof. Dr. med. dent. Jochen Jackowski, Witten/Herdecke, Dipl.-Biol. Dr. med. Elmar Schmitz-Bortz, Hattingen, und Prof. Dr. med. Hendrik Terheyden, Kassel

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Reference: Implantologie, Ausgabe 4/12 Implantologie Zahnmedizin Chirurgie Interdisziplinär

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