Aktuelle Studien befassen sich mit den Zusammenhängen der bakteriellen Mikroflora und der Gesundheit des Menschen. Dabei kommen immer mehr Wechselwirkungen und Konsequenzen zutage, die manche Erkenntnisse untermauern, aber auch Überraschendes zutage bringen. Greifswalder Wissenschaftler haben zum Beispiel eine Gruppe Diabetiker mit starken Gewichtsproblemen (Adipositas) im Rahmen eines dreimonatigen Abnehmprogramms begleitet und dabei Veränderungen der Darmflora im Stuhlgang erfasst.
„Wir konnten zeigen, dass sich die anfängliche Mahlzeitenersatztherapie positiv auf die Zusammensetzung der Darmbakterien auswirkt und wahrscheinlich auch darüber hinaus zu der guten Gewichtsreduktion beiträgt“, erklärte Prof. Markus M. Lerch, Direktor der Klinik für Innere Medizin A an der Universitätsmedizin Greifswald und Teamleiter der Studie. Die Ergebnisse der Studie wurden in der internationalen Online-Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlicht.
In den ersten sechs Wochen bekamen die Teilnehmer im Alter von 18 bis 70 Jahren ausschließlich flüssige Ersatzmahlzeiten mit maximal 800 kcal pro Tag. Diese wurden in vier weiteren Wochen teilweise schon durch gesunde Lebensmittel ergänzt und in den abschließenden fünf Wochen durch eine kalorienreduzierte Kost abgelöst. Die Frauen und Männer nahmen in dem Zeitraum zwischen 11 und 30 kg ab, wobei sich die entscheidenden Werte für Diabetiker wie Blutzucker, Insulinspiegel und Harnsäure stark verbesserten.
Nimmt man ab, nimmt die Artenvielfalt im Darm zu
„Per Sequenziermethoden haben wir die Bakterienzusammensetzung im Stuhlgang der Patienten vor der Ernährungsumstellung, am Ende der sechswöchigen Fastenphase und am Ende des Programms analysiert“, so Erstautor Dr. Fabian Frost. „Nach der Fastenperiode hat sich die Zusammensetzung der Darmbakterien bei allen Probanden deutlich verändert. Wir konnten eine Zunahme der Vielfältigkeit der Bakterien und insbesondere die Abnahme der Bakterienart Collinsella feststellen. Ein erhöhter Besatz mit Collinsella-Bakterien wird mit einer Verschlechterung des Stoffwechsels, einem Anstieg des Gesamtcholesterins und des schlechten LDL-Cholesterins sowie einer verstärkten Gefäßverkalkung in Zusammenhang gebracht.“
Interessanterweise pendelten sich die meisten Veränderungen der Darmbakterien unter der selbst zubereiteten Nahrung fast wieder auf dem Ausgangsniveau ein, allerdings blieb die Menge der Collinsella-Bakterien etwa 8,4-fach unter dem Ausgangsniveau. „Dies kann für uns ein Marker für die durch das Abnehmen verbesserte Gesundheit sein“, konstatierte Frost.
Darmflora und Diäten
In den vergangenen Jahren wurden Zusammenhänge zwischen Darmflora und Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Fettleibigkeit, aber auch Depressionen und Alzheimer-Demenz analysiert. Menschen, die unter Fettleibigkeit leiden, haben nachweislich weniger unterschiedliche Bakterien im Darm als schlankere Zeitgenossen. Bei Patienten mit einer geringeren Vielfalt in den Bakterienarten wurde über einen bestimmten Zeitraum eine höhere Gewichtszunahme beobachtet. „Es muss davon ausgegangen werden, dass bestimmte Bakterien dafür sorgen, dass aus der gleichen zugeführten Nahrung mehr Energie bereitgestellt und in den Körper aufgenommen wird als durch andere Bakterien“, sagte Oberärztin Dr. Antje Steveling, die Leiterin des Greifswalder Adipositaszentrums.
Die Erforschung des Einflusses der Darmbakterien auf das Körpergewicht und die Gesundheit soll künftig an der Greifswalder Unimedizin weiter intensiviert werden. „Dabei ist auch von Interesse, wie eine aktivierende und positive Zusammensetzung der Darmflora nach Auslaufen eines Diätprogramms aufrechterhalten werden kann“, unterstrich Frost.
Originalartikel:
A structured weight loss program increases gut microbiota phylogenetic diversity and reduces levels of Collinsella in obese type 2 diabetics: A pilot study. Fabian Frost, Lena J. Storck, Tim Kacprowski, Simone Gärtner, Malte Rühlemann, Corinna Bang, Andre Franke, Uwe Völker, Ali A. Aghdassi, Antje Steveling, Julia Mayerle, Frank U. Weiss, Georg Homuth, Markus M. Lerch Published: July 18, 2019 https://doi.org/10.1371/journal.pone.0219489]
Übergewicht und Medikamente verändern Mikrobiom
Ein Kieler Forschungsteam konnte zeigen, dass Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmbakterien bei Typ-2-Diabetes vor allem mit Übergewicht und Einnahmen von Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten zusammenhängen und weniger mit der Diabetes-Erkrankung.
Dazu haben sie das Darmmikrobiom aus 1.280 Stuhlproben aus sogenannten Kohortenstudien verwendet, in denen von zahlreichen Probandinnen und Probanden über längere Zeiträume regelmäßig Bioproben, etwa aus Stuhl, Urin und Blut, sowie Informationen über ihren Lebensstil, Krankheiten und Medikamenteneinnahme gesammelt wurden. Für die aktuelle Forschungsarbeit wurden Probandinnen und Probanden aus drei Gruppen ausgewählt: normalgewichtige Menschen, übergewichtige Menschen und übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Übergewicht ist entscheidend
Ihre Untersuchungen zeigen, dass das Mikrobiom bei den übergewichtigen Personen – sowohl mit als auch ohne Typ-2-Diabetes – gegenüber den normalgewichtigen deutlich verändert ist. Der Unterschied zwischen Menschen mit und ohne Typ-2-Diabetes war dabei relativ gering. „Die bisher beobachtete deutliche Verringerung der Artenvielfalt der Darmbakterien hängt bei diesen Menschen also vor allem mit dem Übergewicht und weniger mit dem Diabetes zusammen,“ erklärt Erstautorin Louise Thingholm.
Zusätzlich hat das Team mithilfe der Kohorten untersucht, welchen Einfluss regelmäßig eingenommene Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel auf das Darmmikrobiom haben. Ihr Ergebnis: Sowohl Medikamente wie Blutdrucksenker, Schmerzmittel, Antidepressiva und Antidiabetika, als auch Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium, Vitamine, Calcium und vor allem Eisen verändern das Darmmikrobiom merklich. „Solche Stoffe, von denen sich viele Menschen eine gesundheitsfördernde Wirkung erhoffen, verändern unsere Darmbakterien. Damit beeinflussen sie auch, wie wir unsere Nahrung verarbeiten und könnten möglicherweise auch eine Rolle bei Stoffwechselerkrankungen spielen“, so Franke.
Originalpublikation:
Thingholm et al., Obese Individuals with and without Type 2 Diabetes Show Different Gut Microbial Functional Capacity and Composition, Cell Host & Microbe (2019), https://doi.org/10.1016/j.chom.2019.07.004