Es passiert Zahnärzten leider immer wieder, dass sie apikale Parodontitiden übersehen. Diese sind in vielen Fällen auf Röntgenbildern nicht so ohne weiteres zu erkennen. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden (OLG) macht deutlich, dass ein solches Übersehen nicht immer einen Behandlungsfehler bedeutet (Beschluss vom 9. Dezember 2020, Az.: 4 U 1777/20).
Ein Zahnarzt hatte auf einer OPT-Röntgenaufnahme eine apikale Parodontitis am Zahn 47 übersehen. Der gerichtliche Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass keine vorwerfbare Fehlinterpretation vorliege. Zu diesem Schluss kam er, obwohl er selbst auf dem ihm vorgelegten OPT die apikale Aufhellung schon bei der ersten Durchsicht gesehen hatte.
Selbst in Gutachten nicht sofort erkannt
Allerdings war es so, dass der MDK-Gutachter und die nachbehandelnde Zahnärztin die Aufhellung ebenfalls nicht erkannt hatten. Hinzu kam, dass der Zahn bei der Vitalitätsprüfung positiv war und der Zahnarzt deshalb eher nicht mit einer apikalen Parodontitis rechnen musste.
Leitsatz
1. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt die vorwerfbare Fehlinterpretation erhobenen Befunde oder die Unterlassung der für die Diagnosestellung oder ihre Überprüfung notwendiger Befunderhebungen in ex-ante Sicht voraus.2. Unterliegt der Arzt einem vertretbaren Diagnoseirrtum und klärt er den Patienten deshalb unzureichend über mögliche Behandlungsoptionen auf, kommt eine Haftung wegen eines Aufklärungsmangels nicht in Betracht.
OLG Dresden, 4. Zivilsenat, Beschluss vom 9. Dezember 2020, Az.: 4 U 1777/20
Diagnosefehler, kein Befundungsfehler
Diese Entscheidung zeigt, dass die Rechtsprechung bei so genannten Diagnosefehlern, also der falschen Beurteilung erhobener Befunde, eher großzügig ist. Anders sieht es bei sogenannten Befundungsfehlern aus: Hätte der Zahnarzt gar kein Röntgenbild angefertigt oder ein qualitativ schlechtes nicht wiederholt, wäre die Entscheidung vermutlich anders ausgegangen.
Nicht an ausreichender Befundung sparen
Ein Zahnarzt sollte daher keineswegs an einer ausreichenden Befundung sparen (sorgfältige Sondierung, Vitalitätsprüfung, Röntgen etc.). Sollte ihm bei der Auswertung der Befunde ein Fehler unterlaufen, sollte er begründen können, dass ein solcher Fehler leicht passieren kann.
Dr. med. dent. Wieland Schinnenburg, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Hamburg
Dr. Wieland Schinnenburg studierte Zahnmedizin und Jura und war bis Ende 2017 als Zahnarzt in eigener Praxis in Schleswig-Holstein tätig. Parallel arbeitete er als Rechtsanwalt und Mediator in Hamburg und ist in diesem Bereich weiter aktiv. Schinnenburg ist FDP-Mitglied und war unter anderem Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit der Bundestagswahl 2017 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags. Er ist Mitglied des Gesundheits- und des Rechtsausschusses und Drogenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. (Foto: Burgis Wehry/Schinnenburg)