„Neustart für die Digitalisierung im Gesundheitswesen“, so heißt es in der offiziellen Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums vom 9. März 2023 (Quintessence News berichtete). In der an diesem Tag vorgestellten „Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ steht unter anderem: „Wir treiben die europäische Harmonisierung rechtlicher und technischer Rahmenbedingungen mit Bezug zur Digitalisierung im Gesundheits- und Pflegewesen voran und gestalten diese aktiv mit (zum Beispiel EHDS, eIDAS/Digitale Identität).“
Papiertiger in der Praxis „vergessen“
So schön dies klingt, so schwer scheint es in der Umsetzung zu sein, denn in der Zahnarztpraxis sehen sich „digital kompetente und souveräne Bürgerinnen und Bürger“, wie sie in der Digitalisierungsstrategie beschrieben werden, auch heute noch zahlreichen Papiertigern gegenüber. Dies nicht etwa, weil sich die Zahnärzteschaft gegen die Digitalisierung stellt, sondern weil die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen die Digitalisierung erheblich behindern. Offenbar soll sich hieran – liest man die Digitalisierungsstrategie – nichts wesentlich ändern, denn anstatt bestehende Digitalisierungshürden abzubauen, werden einfach „neue“ Digitalisierungsstrategien entwickelt.
Kleine Änderungen für große Schritte
Dabei wäre es so leicht, mit kleinen Änderungen bereits jetzt einen großen Schritt in Richtung der Digitalisierung zu gehen. Ein wesentlicher Aspekt wird dabei in der Gesundheitsstrategie selbst angesprochen, nämlich die Stärkung der elektronischen Identifizierung und Vertrauensdienste (eIDAS) durch den Einsatz elektronischer Signaturen. Leider scheint das Schlagwort nur zufällig Eingang in die Gesundheitsstrategie gefunden zu haben, denn konkrete Umsetzungs- und Änderungsvorschläge, wie dies geschehen soll, bleiben aus. Stattdessen werden überalterte Schriftformerfordernisse aufrechterhalten, die ersichtlich der Digitalisierung im Wege stehen.
Eigenhändige Namensunterschrift auf Papier?
Denn die Schriftform ist nur gewahrt, wenn das Dokument, welches der Schriftform bedarf, eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet wird (Paragraf 126 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Gemeint ist also mit einem Stift auf Papier, und wie sich aus Paragraf 126a BGB ergibt, eben grundsätzlich nicht – wie zum Beispiel seit Jahren im Paketdienst, bei Autovermietern, im Supermarkt & Co. praktiziert – durch eigenhändige Unterschrift auf einem nur in digitaler Form vorhandenen Dokument (zum Beispiel auf einem Tablet-PC oder am heimischen Rechner). Dort, wo Schriftform vorgeschrieben wird, findet stets ein gesetzlich vorgesehener Medienbruch statt und wird der Digitalisierungsprozess unterbrochen.
Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Unterzeichner über eine sogenannte qualifizierte elektronische Signatur verfügt und dies anstelle seiner eigenhändigen Unterschrift auf einem Papierdokument mit dem digitalen Dokument, welches gezeichnet werden soll, dauerhaft verknüpft. Über eine solche Signatur dürften die wenigsten Patientinnen und Patienten verfügen; auch die so hoch gelobte eGK ist (obwohl dies sicherlich leicht umsetzbar gewesen wäre) nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur ausgestattet.
Schriftliche Einwilligung häufiger gefordert als gedacht
Man kann sich nun fragen, wo ist das Problem und wo brauche ich im täglichen Praxisbetrieb denn eine schriftliche Einwilligung des Patienten? Zum Beispiel immer dann, wenn Versicherte bei Zahnfüllungen eine über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung gegen Mehrkosten wählen möchten. Denn in diesen Fällen ist nach Paragraf 28 Absatz 2 Satz 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Zahnarzt und dem Versicherten zu treffen. Fehlt es hieran oder entspricht eine Vereinbarung nicht dem strengen Formerfordernis, ist sie nicht nur nichtig (Paragraf 125 BGB), sondern der Zahnarzt verstößt gleichsam gegen vertragszahnärztliche Pflichten (Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [11. Senat], Urteil vom 14. November 2018. Az.: L 11 KA 14/16). Dass er dann keinen Anspruch auf die „vereinbarte“ Vergütung hat, versteht sich bei einer nichtigen Vereinbarung von selbst.
Papierflicht bei Vereinbarung nach GOZ und Kostenerstattung
Auch der Vereinbarung gemäß Paragraf 2 Abs. 1 und 2 Gebührenordnung für Zahnärzte – GOZ (Abweichender Gebührenrahmen) liegt ein strenges Schriftformerfordernis zu Grunde. Die Nichteinhaltung führt ebenso zur Unwirksamkeit der Vereinbarung, von der der Zahlungspflichtige einen Abdruck (also ebenso in Papierform) erhalten muss.
In Paragraf 8 Absatz 7 Satz 3 Bundesmantelvertrag Zahnärzte (BMV-Z) heißt es: „Verlangt der Versicherte eine Behandlung auf eigene Kosten, soll hierüber vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Vertragszahnarzt und dem Versicherten getroffen werden; darin soll sich der Vertragszahnarzt den Wunsch des Versicherten, die Behandlung auf eigene Kosten durchführen zu lassen, bestätigen lassen.“
Beim neuen EBZ mehr Spielraum
Für das neue elektronischen Antrags- und Genehmigungsverfahren (EBZ) sieht die Anlage 2 eine Information des Vertragszahnarzt an den Patienten in schriftlicher Form (Formular 3c oder Formular 3d der Anlage 14a BMV-Z) vor; ebenso wird empfohlen, die Behandlung erst nach Unterschrift des Patienten unter die Patienteninformation bei der Krankenkasse zu beantragen.
Während die Bestimmungen im BMV-Z als „Soll“-Bestimmungen unter Umständen noch Raum dafür lassen, auf die Schriftform im Einzelfall oder gänzlich zu verzichten und stattdessen anderweitig (auch elektronisch) zu informieren und eine Vereinbarung zu treffen, zeigen sich die Formulierungen in Paragraf 28 Absatz 2 Satz 4 SGB V und in Paragrf 2 Abs. 1 und 2 GOZ deutlich strikter und sieht auch die Rechtsprechung dementsprechend keine Abweichungsmöglichkeiten als gegeben an.
Kein zwingendes Schriftformerfordernis in der KFO
Dies überrascht auch deshalb, weil zum Beispiel für den Bereich der Kieferorthopädie bei der Mehrkostenvereinbarung kein zwingendes Schriftformerfordernis besteht. So heißt es in Paragraf 29 Absatz 7 SGB V, dass über „Mehr- oder Zusatzleistungen eine schriftliche oder elektronische Vereinbarung zwischen dem Zahnarzt und dem Versicherten zu treffen ist.“ Gründe für die im Vergleich zum Mehrkosten(füllungs)therapie abweichende Formerleichterung sind vom Regelungszweck beider Normen nicht erkennbar; auch das mit den jeweiligen Vereinbarungen für den Patienten einhergehende Risiko der eigenen Kostenbelastung ist identisch. Auch für die Vereinbarungen nach Paragraf 2 Absatz 1 und 2 GOZ erschließt sich nicht, warum diese zwingend in Papierform vorhanden und dort eigenhändig (sowohl vom Zahnarzt als auch dem Patienten) zu unterzeichnen sind.
Insoweit dienen sowohl die Regelungen in der GOZ als auch in Paragraf 28 Absatz 2 Satz 4 SGB V der Dokumentation sowie dem Schutz der Patientinnen und Patienten vor einer übereilten kostenpflichtigen Maßnahme, nehmen also eine Warnfunktion ein: Warum diese nicht auch über ein elektronisches Dokument erfolgen kann, ist nicht erklärlich, zumal es ja bei der Kieferorthopädie ausreicht, eine elektronische Erklärung abzugeben. Soweit man der Schriftform „Beweisfunktion“ zumessen wollte, würde dies sich doch schlussendlich nur auf die Durchsetzbarkeit auf Zahnarztseite auswirken, zudem wäre auch eine einfache elektronische Signatur unter Beachtung der europäischen Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste (eIDAS-VO) hinreichend.
Kleine Änderung, große Wirkung
Dies scheint auch im Interesse des aktuellen Bundesgesundheitsministers zu sein. Er täte gut daran, den bereits für die kieferorthopädische Mehrkostenvereinbarung gemachten Schritt schnell auch für die Füllungsmehrkostenvereinbarung und auf Ebene der GOZ nachzuholen, um den Weg in die Digitalisierung zu beschleunigen. Die wäre mit einer einfachen – es müsste einfach die Einschränkung „schriftlich“ entfallen – Gesetzesänderung sicherlich schnell und ohne zu erwartenden Widerstand der Opposition zu erreichen.
Seit Einführung der Telematikinfrastruktur (TI) und den bereits in der Versorgung befindlichen Anwendungen hebt die Bundesregierung den spürbaren Mehrwert der Digitalisierung immer wieder hervor. In den beschriebenen Punkten am Schriftformerfordernis festzuhalten, steht dem diametral entgegen.
Dr. Robert Kazemi, Bonn
Dr. Robert Kazemi ist Partner der Sozietät Kazemi & Partner Rechtsanwälte PartG in Bonn. Er arbeitet seit Jahren auf den Gebieten des Wettbewerbs- und Datenschutzrechts. Er ist Autor des Fachbuches „Das neue Datenschutzrecht in der anwaltlichen Beratung“ sowie zahlreicher weiterer Publikationen zum Thema Datenschutzrecht. Auf Quintessence News ist von ihm unter anderem 2018 eine Beitragsreihe zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erschienen sowie weitere Fachbeiträge zu aktuellen Themen .
Zum Thema dieses Beitrags, der Aufhebung der Schriftform, hat Kazemi unter Bezug auf die Digitalisierungsstrategie auch dem Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach geschrieben.