In einer am 22. Juli 2020 veröffentlichten Pressemitteilung kündigt die Jameda GmbH, Betreiberin des gleichnamigen und nach eigenen Angaben größten Arzt-Patienten-Portals in Deutschland, eine umfassende Änderung ihres Bewertungssystems an. Das bedeutet für Zahnärzte und Heilberufler aber nicht unbedingt eine Verbesserung.
Nach den Aussagen des Unternehmens sollen ab sofort alle auf Jameda registrierten Ärzte und Heilberufler unabhängig ihres Kundenstatus eine E-Mail über den Eingang und den Inhalt einer neuen Patientenerfahrung erhalten – „bevor diese auf ihrem Profil veröffentlicht wird. Ab Erhalt der Benachrichtigung kann der Arzt innerhalb einer 24-stündigen Frist aus drei Möglichkeiten wählen, um auf den Patientenbeitrag zu reagieren: Der Arzt kann den Beitrag direkt ohne Wartefrist veröffentlichen, diesen kommentieren oder er meldet ihn dem Jameda Qualitätsmanagement zur weiteren Prüfung.“
Die Maßnahme wird vom Unternehmen als Service gegenüber den Bewerteten vermarktet. So heißt es: „Mit dem Angebot, Ärzten schon vor Veröffentlichung eines Berichtes die Möglichkeit zur Reaktion zu geben, möchten wir daher nicht nur die Qualitätsprüfung um eine weitere Instanz verbessern, sondern Ärzten auch das Signal geben, dass wir ihre Anliegen sehr ernst nehmen und – wenn möglich – immer bereit sind, Jameda mit ihrem Feedback weiterzuentwickeln.”
Reaktion auf gesteigerte Datenschutzanforderungen
Ob dies die einzige Motivation ist oder nicht, mag offen bleiben. Jedenfalls aber dürfte Jameda mit der Änderung des Bewertungssystems auch auf gesteigerte Anforderungen des Datenschutzes reagieren und auch eigenen Verpflichtungen, insbesondere der Verpflichtung zur Sicherstellung der „Richtigkeit“ von in eigener Verantwortung verarbeiteten personenbezogenen Daten (Art. 5 Abs. 1 lit. d Datenschutzgrundverordnung – DSGVO), nachkommen wollen. So mag Jameda, wie andere Bewertungsplattformen auch, zivilrechtlich nur nachrangig für den Inhalt einer geposteten Bewertung verantwortlich sein; datenschutzrechtlich indes verarbeitet das Unternehmen mit der Veröffentlichung von arztbezogenen Bewertungen indes personenbezogene Daten (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) in eigener Verantwortung (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) – und zwar mit deren Veröffentlichung.
Eigene Verantwortlichkeit im datenschutzrechtlichen Sinn
Jameda agiert insoweit nicht als Auftragsverarbeiter der Bewerter, sondern stellt diese Bewertungen in eigener datenschutzrechtlicher Verantwortung zum Abruf bereit. Entsprechend lässt sich das Unternehmen in Paragraf 10 der AGB auch Nutzungsrechte an den Bewertungen einräumen. Eine eigene Verantwortlichkeit im datenschutzrechtlichen Sinn dürfte damit kaum ernsthaft in Frage zu stellen sein. Das seit Mai 2018 geltende Datenschutzregime der DSGVO verpflichtet jeden Verantwortlichen dazu, die Richtigkeit der von ihm verarbeiteten personenbezogenen Daten sicherzustellen. Eine falsche Tatsachenbehauptung über eine natürliche Person (hier einen Arzt oder anderen Heilberufler) können insoweit auch unrichtige personenbezogene Daten (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) darstellen, deren Verarbeitung der Verantwortliche über geeignete und zweckmäßige Maßnahmen vermeiden muss. Unrichtige Daten sind zu berichtigen; diese Verpflichtung trifft jeden Verantwortlichen unabhängig von einer hierauf bezogenen Aufforderung der betroffenen Person.
Jameda selbst prüft den Inhalt einer Bewertung nicht; das Unternehmen weist vielmehr ausdrücklich auf die (zivilrechtliche) Verantwortlichkeit des Bewerters für den Inhalt seiner Bewertungen hin. Diese Verantwortlichkeit indes führt nicht zu einer datenschutzrechtlichen „Freizeichnung“, so dass das Risiko einer datenschutzrechtswidrigen Verarbeitung in jedem Fall beim Unternehmen verbleibt. Dabei stellt sich aus hiesiger Sicht vor allem die Richtigkeit (Art. 5 Abs. 1 lit, d DSGVO) als Risiko für jeden Plattformbetreiber dar.
Eingeräumte Reaktionszeit ist zu kurz
Fraglich ist, ob mit der nun ergriffenen Maßnahme diesem Risiko angemessen begegnet werden kann, zumal dem betroffenen Arzt nur ein kurzer Zeitraum verbleiben soll, in dem er auf eine Bewertung vor Veröffentlichung reagieren kann. Aus meiner Sicht zeigt sich der Zeitraum als zu kurz und es kann insbesondere aus einer Nichtreaktion eines Arztes nicht sicher auf die Richtigkeit der Daten geschlossen werden. Denn zum einen kommt dem Schweigen in aller Regel kein Erklärungsgehalt zu; zum anderen fehlt es auch an einer Verpflichtung des Arztes, sich innerhalb der gesetzten und von Jameda willkürlich und eigenständig festgelegten Frist zu erklären.
In vielen Arzt- und Zahnarztpraxen, die nicht über einen Praxismanager oder einen PR-Verantwortlichen verfügen, dürfte es tatsächlich kaum möglich sein, immer binnen 24 Stunden zu reagieren. Zudem wird der Arzt auch nicht darauf hingewiesen, dass die E-Mail der Richtigkeitskontrolle dient, so dass mit Blick auf die datenschutzrechtlichen Transparenzpflichten sicherlich keine Schlussfolgerungen auf diesen Aspekt abgeleitet werden können.
Nicht unter Druck setzen lassen
Was tun Ärzte jetzt also mit dem neuen System? Sollte man sich dem Zeitdruck, der hier aufgebaut wird, unterwerfen und von den Möglichkeiten, die Jameda eröffnet, Gebrauch machen? Meines Erachtens ist hiervon eher abzuraten. Denn oft kann die Berechtigung zur Veröffentlichung einer Bewertung durch den Arzt gar nicht beurteilt werden. Oft sind zudem in tatsächlicher Hinsicht Rückfragen oder Recherchen erforderlich, die kaum in der vorgegebenen Zeit durchführbar wären.
Wer hier vorschnell und „aktiv“ eine Bewertung gegenüber dem Portal freigibt, vergibt unter Umständen die Möglichkeit, diese im Nachgang erfolgreich zu beanstanden. Denn hier läge eine aktive und auf die Einzelbewertung bezogene Erklärung vor, die sicherlich Erklärungswert hat und im Rahmen einer Auseinandersetzung zu berücksichtigen wäre.
Kommentieren Sie also zum Beispiel auf eine Bewertung, so könnte dies in dem Sinne ausgelegt werden, dass etwaige Tatsachen, die sich in der Bewertung finden, als zugestanden oder zumindest im Sinne einer Veröffentlichungs- und Verbreitungsbefugnis von Jameda verstanden werden. Dies kann ebenso problematisch sein, wie der unbedachte Klick auf die Option „Beitrag direkt ohne Wartefrist veröffentlichen“ oder die Beanstandung, die dann gegebenenfalls direkt zu begründen wäre.
Transparenz, aber auch Gefahren
Die Neuerung bringt insoweit sicherlich Transparenz, aber auch Gefahren für Ärzte mit sich. Jameda könnte sich in etwaigen einstweiligen Verfügungsverfahren oder auch in normalen gerichtlichen Auseinandersetzungen zum Beispiel auf die Kenntnis des Arztes von der Bewertung berufen und insoweit einwenden, eine spätere Geltendmachung der Unzulässigkeit ihrer Veröffentlichung sei verwirkt oder verspätetet. Eine Erklärung auf die E-Mail kann ebenso positive Effekte für jameda zeichnen.
Keine Verpflichtung zur Reaktion
Unsere Empfehlung lautet daher: Lassen Sie sich als Arzt oder Zahnarzt nicht zeitlich unter Druck setzen. Sie haben keine Verpflichtung, auf Bewertungen vor ihrer Veröffentlichung in dem gesetzten Zeitrahmen zu reagieren; aus einer Nichtreaktion wird vielmehr kaum eine bestätigende Handlung abgeleitet werden können. Wenn Sie Probleme mit einer Bewertung haben, dann sollten Sie sich vielmehr die Zeit lassen, diese in aller Ruhe und mit etwas Abstand zu bewerten und gegebenenfalls anwaltlichen Rat einzuholen.
Dr. Robert Kazemi, Bonn
Dr. Robert Kazemi ist Partner der Sozietät Kazemi & Partner Rechtsanwälte PartG in Bonn. Er arbeitet seit Jahren auf den Gebieten des Wettbewerbs- und Datenschutzrechts. Er ist Autor des Fachbuches „Das neue Datenschutzrecht in der anwaltlichen Beratung“ sowie zahlreicher weiterer Publikationen zum Thema Datenschutzrecht. Auf Quintessence News ist von ihm 2018 eine Beitragsreihe zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erschienen.
(Foto: Kazemi/Apart Fotodesign – Alexander Pallmer)