Die Gestaltung einer therapeutischen Schiene ist traditionell mit einem möglicherweise abschreckenden Aufwand verbunden. Sie beginnt mit der Herstellung von Meister- und Arbeitsmodellen, auf welchen einerseits die Apparaturen für die Registrierung der Artikulationsparameter und andererseits die Schiene selbst gefertigt werden müssen. Einiges an Aufwand lässt sich mit der konsequent digital gehaltenen Arbeitsweise einsparen. Die Autoren Dr. Andres Baltzer und ZTM Vanik Kaufmann-Jinoian zeigen in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahntechnik 2/2017 die CAD/CAM-gestützte Fertigung einer solchen Schiene in drei Schritten.
Die Quintessenz Zahntechnik, kurz QZ, ist die monatlich erscheinende Fachzeitschrift für alle Zahntechniker und zahntechnisch interessierten Fachleute, die Wert auf einen unabhängigen und fachlich objektiven Informationsaustausch legen. Im Vordergrund der Beiträge und Berichterstattung steht die Praxisrelevanz für die tägliche Arbeit. In dieser Zeitschrift finden sich Zahntechniker, Dentalindustrie und die prothetisch orientierte Zahnarztpraxis mit ihren Anliegen nach einer hochwertigen Fortbildung gleichermaßen wieder. Zur Online-Version erhalten Abonnenten kostenlos Zugang. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.
Die Herstellung einer Michigan-Schiene (beziehungsweise Knirschschiene, Zahnschiene, Aufbissschiene etc.) mit konventioneller Zahntechnik ist sowohl in der Praxis als auch im zahntechnischen Labor mit Arbeitsprozessen verbunden, die aufwendiger ausfallen im Vergleich zum rein CAD/CAM-basierten Herstellungsprozess. Konventionelle Abformungen, Modellherstellungen, Artikulationsregistrierung mittels Gesichtsbogen, labortechnische Einartikulierung, Gestaltung der Schiene, Einbettung und Pressen der Schiene in Kunststoff, Ausbettung und Endverarbeitung stehen EDV-technischen Bildschirmarbeiten mit wesentlich einfacherem Vorgehen gegenüber.
Die gesamte CAD/CAM-Arbeit lässt sich in drei Schritte aufteilen:
1. Klinik
- Digitale Abformung der Zahnreihen und Verschlüsselung der zentralen Okklusion
- Erhebung der Artikulationsparameter am 3-D-Facescan oder mittels Vermessung einer DVT-Aufnahme
2. Labor
- Import der digitalen Modelldatensätze
- Einlesen der Artikulationsparameter im virtuellen Artikulator
- Einstellung der Bisshöhe nach Angaben des Behandlers
- Ausblockung der Zonen unter den Zahnäquatoren (ein Befehl)
- Einzeichnen des vorgesehenen Schienenrands im dentalen Bereich
- Funktionelles Einschleifen der Artikulation (free in centric, ein Befehl)
- Physische Herstellung der Schiene: auftragend mittels 3-D-Drucker oder abtragend mittels 3-D-Fräsgerät
3. Klinik
- Anprobe und eventuell kleine Retuschen
- Eingliederung und planungsgemäße Betreuung
Im folgenden Anwenderbericht sollen die einzelnen Arbeitsschritte einer solchen CAD/CAM-Fertigung einer Michigan-Schiene dokumentiert und illustriert werden. in diesem Beitrag werden keine Bewertungen von Programmen und Geräten vorgenommen. Die Autoren haben die gängigsten Programme, mit denen solche Arbeiten vorgenommen werden können, eingesetzt und dürfen feststellen, dass erwartungsgemäß kein Programm besonders auffiel und alle anderen an Qualität übertraf.
Klinik: Digitale Abformung der Zahnreihen
Wie der Behandler zu den digitalen Datensätzen der oberen und unteren Zahnreihe kommt, ist eine weniger wichtige Frage. Die Aufnahme mit einer Intraoralkamera ist grundsätzlich möglich, sollte aber in puncto Aufwand nicht unterschätzt werden. Die Aufnahmetechnik ist oft weniger einfach als angepriesen und weist eine nicht zu unterschätzende Lernkurve auf. Häufig erweist sich die konventionelle Abformung mit anschließender direkter Digitalisierung oder indirekter Digitalisierung über ein Gipsmodell als effizienter.
Die Abbildungen 1 und 2 zeigen den intraoralen Scan der Zahnreihen und die Bildschirmansicht der hochgerechneten Modelle. Sofern die Erhebung der Artikulationsparameter nicht in einer DVT, sondern mittels eines Facescans erfolgt, wird der Datensatz der Modelle in das Programm für den Facescan exportiert. In diesem Programm werden Modelle in den Patientenkopf einkorreliert. Das Vorgehen wird weiter unten beschrieben.
Parameter für die Kausimulation im Artikulator
Das Verständnis des Bewegungsprinzips der Artikulation und die Messungen von Parametern für die Kausimulation im Artikulator basieren auf Forschungen, die vor mehr als 100 Jahren begonnen haben. Bekannte Namen aus jener Zeit sind unter anderem Bonwill, Balkwill, Christensen, Spee, Angle, Bennett und Gysi. Nach wie vor gelten deren Grundsätze der Funktionslehre mit der Zielvorgabe der individuellen Rekonstruktion der Okklusion. Und nach wie vor werden deren grundlegende Parameter erhoben, ganz gleich, ob mechanische Geräte oder digitale Programme damit konfiguriert werden (Abb. 3).
Es kann durchaus berechtigt sein, die Gültigkeit der traditionellen Parameter zu hinterfragen. Im Rahmen der individuellen Rekonstruktion der Okklusion werden sie aber in der Praxis noch immer mit guten Ergebnissen eingesetzt. Bei der Beurteilung des okklusalen Geschehens während des Zahnkontakts Eckzahn–Prämolar darf beispielsweise die Bedeutung der Gelenkbahnneigung durchaus bezweifelt werden, denn es ist zu bedenken, dass der arbeitsseitige Kondylus unter Zahnkontakt Eckzahn–Prämolar bereits im Innenbereich der Fossa liegt. Eine weit nach vorn verlaufende kondylenbahngeführte Protrusionsbewegung über die Frontzähne hinaus hat mit ihrer Wegstrecke von mehr als 10 mm sicher keinen Bezug mehr zum okklusalen Geschehen.
Erhebung der Artikulationsparameter am 3-D-Röntgenbild (DVT)
Alle DVT- und CT-Programme erlauben die Vermessung von Raumdistanzen und Winkeln am Bildschirm. Zur Messung beispielsweise der Interkondylardistanz reicht die Markierung des linken und des rechten Kondylus (Abb. 4). Entsprechend können die Längen der Schenkel des Bonwill-Dreiecks (Abstand vom Incision inferius zum Kondylus) gemessen werden (Abb. 5 und 6). Der Balkwill-Winkel beziehungsweise die Lage des Bonwill-Dreiecks zur Okklusalebene wird mit der Winkelmessfunktion erhoben (Abb. 7 und 8). Normalerweise genügt die einseitige Messung, korrekter wäre die Berechnung des Mittelwerts aus den Messungen beider Seiten.
Das am Bildschirm mögliche direkte Ablesen von Raumdistanzen und Winkelverhältnissen ermöglicht die Positionierung der digitalen Zahnreihen im virtuellen Artikulator ohne Umweg über den Einsatz eines Gesichtsbogens. Die Individualisierung des okklusalen Geschehens ist somit sehr effizient und mit geringstem Zeitaufwand zu bewerkstelligen. Allerdings braucht es eine Röntgenaufnahme mit Strahlenbelastungen, welchen die Patienten nicht unbedingt ausgesetzt werden sollten.
Erhebung der Artikulationsparameter am 3-D-Facescan
Auf die Erstellung eines 3-D-Röntgenbilds (DVT) kann verzichtet werden, wenn es lediglich um die Erhebung der individuellen Artikulationsparameter geht. Eine Dreidimensionalisierung einer Gesichtsaufnahme (3-D-Facescan) mit anschließender Einkorrelierung der Zahnreihen ist in puncto Erhebung der Artikulationsparameter der Methode mittels DVT gleichwertig. Abbildung 9 zeigt die 3-D-Digitalisierung des Patientenkopfs.
In den 3-D-Patientenkopf werden die obere und untere Zahnreihe im Schlussbiss (Abb. 10) einkorreliert. Diese Einkorrelierung erfolgt durch die deckungsgleiche Positionierung der Modelle auf den Patientenzähnen, indem mindestens drei Korrelationspunkte am Modell und am Patientengebiss definiert und markiert werden.
Nach Einkorrelierung der oberen und unteren Zahnreihe in den 3-D-Patientenkopf werden die Zahnreihen sichtbar gemacht, indem die Transparenz der Hautschicht sukzessive erhöht wird (Abb. 11). Damit kann auf die Kauflächen die Okklusalebene gelegt werden. Die Lage der beiden Kondylen wird palpatorisch bestimmt und beidseitig auf der Außenhaut markiert. Eine weitere Ebene ist somit durch diese zwei Punkte und durch das Incision inferius definiert, und in dieser Ebene liegt das Bonwill-Dreieck (Abb. 12). Die Erhebung der Artikulationsparameter erfolgt auf einfachste Weise am Bildschirm.
Messung der Gelenkbahnneigung
Am mittels Facescan generierten 3-D-Patientenkopf lässt sich die Gelenkbahnneigung nicht messen. Hierfür wäre der Einsatz eines Gesichtsbogens nötig oder, wie oben beschrieben, die Fertigung eines Röntgenbildes. Grundsätzlich genügt eine normale 2-D-Orthopantomographie. Diese kann separat erstellt oder aus der Volumentomographie berechnet und dargestellt werden.
Die Abbildungen 13 und 14 zeigen die Bildausschnitte des linken und rechten Kiefergelenks. Das entsprechende Gesamtbild wurde als Panaoramabild aus dem 3-D-Datensatz der DVT hochgerechnet. Da die Okklusalebene in dieser DVT horizontal eingestellt wurde, sind die Neigungswinkel der Gelenkbahnen problemlos als Winkel zwischen der im Panoramabild nachgezeichneten Gelenkbahn und der Horizontalen abzulesen.
Mit der Erstellung der virtuellen Modelle und der Erhebung der Artikulationsparameter sind die ersten Schritte in der Klinik erledigt. Die Datensätze gehen inklusive Angaben zur Artikulation in das zahntechnische Labor mit dem Auftrag, eine Michigan-Schiene mit individueller Rekonstruktion der Okklusion und Artikulation herzustellen.
Labor: CAD-Fertigung der Michigan-Schiene im Labor
Das Prozedere im zahntechnischen Labor beginnt mit der Datenübernahme in das CAD-Programm KaVo multiCAD (Exocad-Version). Die weiteren Arbeitsschritte der CAD-Fertigung zeigen die Abbildungen 15 bis 29.
3-D-Druck der Schiene
Ausgangsbasis der generativen Fertigung ist ein mit flüssigem, auf Methacrylat basierendem Photopolymer (Imprimo LC Splint, Scheu-Dental, Iserlohn) gefülltes Becken. Dieser Kunststoff hat die Eigenschaft, nach einer gewissen Belichtungszeit zu polymerisieren beziehungsweise zu erstarren. Um ein Objekt (Werkstück) zu erzeugen, werden die ersten Schichten eines 3-D-Modells mithilfe eines Projektors auf die Oberfläche des flüssigen Materials projiziert. Unter dessen Oberfläche ist eine bewegliche Bauplattform positioniert, und sobald diese erste Schicht erstarrt ist, ist sie an der darunterliegenden Bauplattform befestigt. Danach zieht eine Mechanik die mit der ersten Schicht des Werkstücks verbundene Bauplattform um die Höhe einer Schicht nach unten, womit sich darüber wieder flüssiges Material sammeln kann. Auf dieses flüssige Material wird die Maske der nächsten Schicht projiziert. Das gesamte 3-D-Modell wird somit schrittweise Schicht um Schicht abgearbeitet, bis schließlich das physische Werkstück generiert wurde.
Der 3-D-Drucker Imprimo 90 (Scheu-Dental) arbeitet grundsätzlich nach dem gleichen Prinzip. Allerdings liegt der Projektor unter und nicht über der Bauplattform, die sich somit nicht schrittweise nach unten, sondern nach oben verschiebt (Abb. 30).
Beim 3-D-Drucker Imprimo 90 dient als Projektor (Beamer) eine LED-Lichtquelle mit einer Wellenlänge von 385 nm (Licht im Bereich UV-A) (Abb. 31 und 32). Technologisch ist er somit in die Kategorie der DLP-Drucker einzureihen (DLP: Digital Light Processing).
Für die Herstellung der Werkstücke wurde das auf Methacrylat basierende Kunstharz Imprimo LC Splint verwendet. Verfärbungen und Fehldrucke können damit verhindert werden. Im Vergleich zu anderen Verfahren ist diese generative Fertigungslösung in Bezug auf die Materialkosten absolut wettbewerbsfähig und ermöglicht eine sehr hohe Druckqualität. Die vertikale Auflösung (z-Auflösung) liegt bei 25 bis 100 μm und die laterale Auflösung (xy-Auflösung) bei 94 μm. In der eingebauten Software ist eine Vielzahl an manuellen und automatischen Supportfunktionen wie Reparaturfunktionen für fehlerhafte Dateien (STL, SLC, PLY) etc. eingebaut. Die Bedienung ist sehr nutzerfreundlich gestaltet und die Überwachung des gesamten Bauprozesses erfolgt vom Start bis zum Ende über das integrierte Farb-LCD. Nach dem Datentransfer arbeitet das Gerät selbstständig und braucht keine Computerverbindung mehr.
Als Baustützen (Supports) müssen nadelförmige Strukturen hinzugefügt werden, die nach dem Druck mechanisch entfernt werden. Es empfiehlt sich, diese Baustützen in Bereiche außerhalb funktioneller Passung zu legen. Dies verlängert zwar oft die Dauer des Druckvorgangs, erleichtert aber wesentlich die Endausarbeitung des Werkstücks (Abb. 27 bis 29).
Nach Abschluss des Druckvorgangs wird das gehärtete Objekt aus der Baukammer mit flüssigem Polymer genommen und die Baustützen werden entfernt. Zur Verhinderung der Bildung einer oberflächlichen Schmierschicht (smear layer) wird das Objekt anschließend in ein Glycerinbad getaucht, womit die Oberfläche gegen Sauerstoffkontakt isoliert wird. Anschließend erfolgt die Endaushärtung in einer Belichtungskammer. Mit dem Lichtpolymerisationsgerät LC-6 Light Oven (Scheu-Dental) dauert die Endaushärtung 5 Minuten. Eine Endaushärtung kann natürlich in jeder Belichtungskammer erfolgen. Allerdings sollte die lichtleistungsabhängige Belichtungszeit für das Kunstharz Imprimo LC Splint den Werkangaben entsprechend eingestellt werden, was sich bei Geräten mit unbekannter Lichtleistung oft nicht einfach gestaltet.
Beim gesamten Herstellungsprozess bewahrheitet sich die alte Erfahrung: Je sorgfältiger die Konstruktion geplant und gezeichnet wird, desto weniger muss nachträglich die Schiene bearbeitet werden. Die Nachbearbeitung beschränkt sich dann weitgehend auf die Entfernung der Baustützen und Politur mit Bimsstein. Die Hochglanzpolitur erfolgt abschließend mit einer Schwabbelscheibe. Nachträgliche Okklusionsanpassungen und Verbesserungen der Randgestaltung lassen sich durch Exaktheit bei der Konstruktion weitgehend vermeiden.
Klinik: Eingliederung der Schiene
Die Erfahrung zeigt, dass die Eingliederung der Schiene nur sehr selten mit einer Nachbearbeitung verbunden ist. Im beschriebenen Fall wurde die retentive Passung auf die obere Zahnreihe gelegt. Bei der Gestaltung des antagonistischen Reliefs wurde auf die Minimierung des Höckerreliefs geachtet. Der Patient empfindet dies als angenehme Befreiung aus einem apparativ eingebrachten Schlussbisszwang, was die Eingliederung der Schiene stark erleichtert und einen problemlosen Tragekomfort gewährleistet (Abb. 33 bis 36).
Literatur
1. Dedem P, Türp JC. Die digitale Michigan-Schiene – Vom intraoralen Scan zur gipsfreien Herstellung. Int J Comput Dent 2016;19:63–76.
Ein Beitrag von Dr. med. dent. Andres Baltzer, Rheinfelden, Schweiz, und ZTM Vanik Kaufmann-Jinoian, Liestal, Schweiz