Häusliche mechanische und chemische Biofilmkontrolle und adjuvante Antibiotikatherapie – damit befassen sich die neuen S3-Leitlinien, die die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie, kurz DG Paro, am 10. November 2018 in Frankfurt vorstellte. „Wir sind gleich hoch eingestiegen und haben Leitlinien der höchsten Evidenzstufe angestrebt, um das Risiko der Verzerrung der Aussagen so gering wie möglich zu halten“, so DG Paro-Präsident Prof. Dr. Christof Dörfer. Ziel war, die höchste Evidenz aus der Literatur und den breitesten Konsens der Fachwelt für die Leitlinien zu erreichen.
Die neuen Leitlinien sollen Hilfestellung für das ärztliche Handeln geben, sie seien ein Expertensystem, „aber sie haben keine rechtliche Verbindlichkeit“, so Dörfer. Jeder Zahnarzt müsse ausgehend vom individuellen Patienten und seiner Situation die passenden Therapiemaßnahmen wählen und das natürlich auch entsprechend dokumentieren. „Die Aussagen und Empfehlungen der Leitlinien treffen immer für eine sehr große Mehrheit der Patienten zu. Der Arzt muss individuell prüfen, ob sein Patient dazugehört oder nicht“, so Dörfers generelle Erläuterungen zu Leitlinien.
Die Leitlinien sind in Kurz- und Langfassung auf der Internetseite der DG Paro nachzulesen:
LL1: Häusliches mechanisches Biofilm... kurz / lang
LL2: Häusliches chemisches Biofilm... kurz / lang
LL4: Adjuvante systemische Antibiotika.... kurz / langDie Kurzfassungen der Leitinien werden auch in der Ausgabe 4/2018 der Zeitschrift „Parodontologie“ veröffentlicht. Mitgliedern der DG Paro steht die Online-Ausgabe der Zeitschrift kostenfrei zur Verfügung.
Die Putztechnik ist egal
Er stellte die Leitlinie zum häuslichen mechanischen Biofilmmanagement in der Prävention parodontaler Erkrankungen vor. Hier habe man für fast alle Aspekte auf hochwertige Meta-Studien zurückgreifen können. So sei es unerheblich, mit welcher Putztechnik die Zähne geputzt werden, elektrische Zahnbürsten, vor allem solche mit oszillierend-rotierenden Bewegungen, führten zu einer signifikanten, wenn auch geringfügig besseren Reduktion von Gingivitis.
Besser Zahnzwischenraumbürsten nutzen
Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürste? Letztere zeigen einen besseren Effekt und sollten daher bevorzugt werden, zudem sind sie leichter anzuwenden. Voraussetzung sei, dass für jeden Patienten die richtigen Größen bestimmt und die korrekte Handhabung gezeigt wird. Für die neuen Zahnpflegekeile aus Kunststoff fehle es noch an ausreichender Evidenz, entsprechende Studien liefen aber, die Ergebnisse würden dann berücksichtigt.
„Hinsichtlich der empfohlenen Putzdauer von zwei Minuten gibt es keine wirkliche wissenschaftliche Evidenz, aber einen breiten Expertenkonsens“, erläuterte Dörfer. Implantate sollten analog zu natürlichen Zähnen gepflegt werden. Wichtig sei, bei den Patienten früh auf mögliche Putzschäden zu achten und sie gegebenenfalls nachzuschulen.
Befragt nach der älteren S2k-Leitlinie zur Kariesprophylaxe, erklärte Dörfer, die jetzige Leitlinie sei aktueller und widerspreche in den Kernaussagen dieser Leitlinie nicht. Es sei aber sicher sinnvoll, diese später zusammenzuführen.
Chemisches Biofilmmanagement mit hohem Stellenwert
Prof. Dr. Nicole Arweiler stellte die Ergebnisse der langjährigen Arbeit an der Leitlinie zum chemischen Biofilmmanagement in der Prävention und Therapie der Gingivitis vor. Danach besitzt das chemische Biofilmmanagement einen hohen Stellenwert, da das mechanische Biofilmmanagement oft nicht ausreichend sei. Für die Leitlinie konnten ebenfalls Meta-Studien zugrunde gelegt werden.
Kurz- und längerfristiger Einsatz
Mundspülllösungen mit antibakteriellen Wirkstoffen werden in der Leitlinie für zwei Fälle empfohlen: Sei kurzfristig, für etwa zwei bis vier Wochen, das mechanische Biofilmmanagement eingeschränkt oder gar nicht möglich, sollten chlorhexidinhaltige Lösungen (0,1- bis 0,2-prozentige Lösung oder Gel 1 Prozent) eingesetzt werden. Bei Patienten, die längerfristig Unterstützung der Mundhygiene benötigen, seien die im Handel erhältlichen antibakteriellen Lösungen angebracht, auch 0,06-prozentiges CHX.
Über einen Anwendungszeitraum von sechs Monaten liegen für ein Produkt mit einer Mischung aus ätherischen Ölen Daten mit hohem Evidenzgrad vor, aber auch andere Spüllösungen, zum Beispiel mit Zinnfluorid/Aminfluorid oder Cetylpiridiniumchlorid könnten eingesetzt werden. Ein dauerhafter, prophylaktischer Gebrauch antibakterieller Mundspüllösungen sei in der Regel nicht zu empfehlen, da dieser das Biom der Mundhöhle störe, so Arweiler.
Antibiotikaeinsatz nur in wenigen Fällen
Biofilm, Biom und Dysbiose – diese Stichworte gehören auch zur Leitlinie „Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie“, die Prof. Dr. Ulrich Schlagenhauf vorstellte. Mit Blick auf die zunehmende Zahl der Antibiotikaresistenzen sei der Einsatz von Antibiotika in der Zahnmedizin und hier in der Parodontaltherapie besonders kritisch zu prüfen. Zudem habe sich Theorie der Krankheitsgenese der Gingivitis/Parodontitis verändert, weg von spezifischen Keimen hin zum Verständnis einer Dysbiose des Bioms der Mundhöhle.
Mechanische Verfahren für die große Mehrzahl ausreichend
Für die große Mehrzahl der Patienten reichten die etablierten mechanischen Verfahren zur Beseitigung der Dysbiose aus. Es gebe nur zwei kleine Gruppen, die von der begleitenden Antibiose profitierten: jüngere Patienten unter 56 Jahren, bei denen an mehr als 35 Prozent aller Messstellen Taschentiefen von fünf Millimetern und mehr gemessen werden, und Patienten mit einer Parodontitis im Stadium III, die 35 Jahre und jünger sind. Dabei sollte eine Kombination aus Amoxicillin 500 mg und Metronidazol 440 mg dreimal täglich über sieben Tage eingesetzt werden, so Schlagenhauf.
Es sei nicht erforderlich, vorab einen Test auf das vorhandene Keimspektrum durchzuführen, da es keine spezifisch wirksamen Antibiotika dafür gebe und die Tests dafür keine diagnostische Konsequenz haben.
Leitlinienprozess auf europäischer Ebene
Der jetzt in Deutschland angestoßene Prozess mit hochwertigen S3-Leitlinien soll im kommenden Jahr auf europäischer Ebene der European Federation of Periodontology (EFP) fortgesetzt werden, wie Prof. Dr. Moritz Kebschull, Birmingham, berichtete. Der Leitlinienbeauftragte der DG Paro zeigte sich sichtlich stolz, dass die Arbeit der deutschen Fachgesellschaft auf europäischer Ebene solche Wirkung gezeigt hat. Diese europäischen Leitlinien, die in Konsensuskonferenzen abgestimmt werden sollen, folgen dann der neuen Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen, wie sie im Juni dieses Jahres auf der EuroPerio 9 in Amsterdam vorgestellt wurden. Ziel sei es, für alle Grade und Stages wissenschaftlich abgesicherte Empfehlungen für die Behandlungsoptionen zu haben, inklusive der komplexen Nachversorgung mit Prothetik etc. „Diese übergeordneten Leitlinien müssen dann auf die individuellen Gegebenheiten der jeweiligen Länder und das dortige Gesundheitssystem angepasst werden”, erläuterte er.
Patientenversionen folgen noch
Für Deutschland werde es daher bis auf eine noch in der Abstimmung befindliche Leitlinie zum Thema Diabetes vorerst keine weiteren Leitlinienentwicklungen geben. Zu den drei vorgestellten Leitlinien werden nun noch die entsprechenden Patientenversionen erstellt, so Kebschull.
Dörfer begrüßte die europäische Initiative ebenfalls. Die Leitlinienarbeit sei aufwendig und teuer, das sei für die nationalen Gesellschaften allein in dem jetzt geplanten Umfang nicht zu schaffen. Was die Aktualität der Leitlinien angehe, so hätten diese ein „eingebautes Verfallsdatum“ von fünf Jahren. Zudem gebe es die Verpflichtung, neue wissenschaftliche Evidenz sofort in bestehende Leitlinien einzubringen.