Spannendes Format, Pro- und Contra-Diskussion der Referenten zum Thema EFP-Leitlinien und Umsetzung in der Praxis: das erste virtuelle zweitägige DG Paro/CP Gaba-Symposium im vergangenen Jahr bot viele Informationen und Positionen für die Parodontologie.
Das Symposium, das im Zuge der Hybrid-Jahrestagung der DG Paro Mitte September 2020 stattfand, brachte im ersten Teil die ungewöhnlich provokante und selbstkritische Expertendiskussion rund um das Thema Leitlinien und deren Umsetzung in der Praxis. Im zweiten, live aus Stuttgart übertragenen Teil gab es umfassende Informationen über die drei Therapiestufen sowie zur unterstützenden Parodontitis-Therapie der neuen EFP-Leitlinien.
Kontrovers beim Thema Leitlinien in der Praxis
Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Jentsch (Universität Leipzig), Generalsekretär der DG Paro, eröffnete das Symposium mit seinem Vortrag „Ein Muss oder ein Kann in der Praxis? – Was sind Leitlinien?“. Leitlinien sind empfehlende Handlungsanweisungen ohne rechtlich bindenden Charakter, so Jentsch, die ein Sachverständigengutachten nicht ersetzen. Sie geben den aktuellen Erkenntnisstand wieder und sollen bei der Entscheidungsfindung für eine angemessene Versorgung von Patienten helfen. Dementsprechend sind sie als Handlungs- und Entscheidungskorridore zu verstehen. In jedem Fall muss die spezifische Situation einzeln geprüft und eine individuelle Behandlungsentscheidung getroffen werden. Jentsch übernahm auch die Gesamtmoderation des virtuellen Symposiums.
„Muss“ oder „Kann“ für die Praxis?
Die ebenfalls aus dem DG Paro-Umfeld kommenden Referenten Prof. Dr. Peter Eickholz (Universität Frankfurt/Main) und Prof. Dr. Thomas Kocher (Universität Greifswald) diskutierten im Anschluss kontrovers, ob die neuen Leitlinien „ein Muss oder ein Kann in der Praxis“ sein sollten. Eickholz, der die Pro-Position einnahm, erläuterte den Grund für seinen Standpunkt anhand eines konkreten Patientenfalls: Es handelte sich dabei um einen Furkationsbefall Grad III. Anhand der neuen Leitlinien könne man sehr gut herausarbeiten, welche Behandlungsoptionen in Frage kommen, so Eickholz. Er begründete seine Meinung damit, dass die Leitlinien auf Basis der besten verfügbaren Literatur von Experten erarbeitet wurden und somit einen hohen Standard böten. Zahnärzte, Patienten, aber auch politische Entscheidungsträger hätten somit eine gute Grundlage zur Orientierung, bzw. für konkrete Entscheidungen. Eickholz ist überzeugt, dass „klinische Leitlinien praktische, konkrete Antworten auf die Frage geben sollten: Was ist in meinem spezifischen Fall zu tun?”
Probleme mit der Studienlage
Kocher hielt dagegen, dass die neuen Leitlinien auf systematischer Evidenzbasierung gründeten, was für ihn bereits eines der Hauptprobleme darstelle. Laut Kocher seien sich die unterschiedlichen Fachgremien uneinig über die Einschlusskriterien für die Studienauswahl. Einerseits werde eine hohe Studienqualität gefordert, andererseits gebe es aber für den wichtigsten Teil der Parodontitis-Therapie, die subgingivale Instrumentierung, nur Beobachtungsstudien. Viele Themen bleiben für ihn offen, etwa die Fragen nach einer berufsbedingten Befangenheit der Leitlinien-Kommission, nach der ausreichenden Differenzierung der Empfehlungen oder der partnerschaftlichen Einbeziehung der Patienten. Kocher stellte auch in Frage, ob die Leitlinien bei den Kolleginnen und Kollegen in den Praxen oder den Patienten überhaupt angenommen würden. Für ihn „scheint die Umsetzung der Leitlinien in der Praxis … ein schwerer Weg zu sein.”
Die neuen EFP-Leitlinien – drei Therapiestufen
Im zweiten Teil des Kooperationssymposiums gab es umfassende Informationen über die drei Therapiestufen der neuen EFP-Leitlinien. Neben Eickholz und Kocher beteiligten sich noch weitere Experten, wie Prof. Dr. Christof Dörfer (Universität Kiel) sowie Christian Nobmann von der Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV).
Individualisierte Mundhygieneschulungen
Professor Dörfer, der die erste Therapiestufe „Präventive und gesundheitsfördernde Instrumente“ vorstellte, betonte die besondere Bedeutung der individualisierten Mundhygieneschulung und der Kontrolle von Risikofaktoren wie Rauchen oder Diabetes im Zusammenhang mit Parodontitis. Die neuen Leitlinien legen einen besonderen Schwerpunkt auf die Kontrolle von gingivalen Entzündungen in allen Parodontitis-Stadien. Empfohlen werden hier neben regelmäßigem Zähneputzen und der Interdentalraumreinigung auch chemische Adjuvantien.
Biofilmmanagement – was ist nützlich, was richtet Schaden an
In der zweiten Therapiestufe, vorgestellt durch Professor Kocher, geht es um die Beseitigung bzw. Reduktion des Biofilms durch subgingivale Instrumentierung. Diese wird in den Leitlinien als wesentliche Therapiemethode angesehen, allerdings sollte die fallspezifische Auswahl der Technik, ob Hand-, Schall- oder Ultraschall-Instrument oder das fallbezogene Vorgehen, quadrantenweise oder Full-Mouth-Scaling (FMS), den Zahnärztinnen und Zahnärzten vorbehalten bleiben. Antibiotika sollten nicht routinemäßig gegeben werden, so Kocher „es gibt nur wenige Ausnahmen, die die Antibiotikagabe rechtfertigen“. Zu den verwendbaren Antibiotika gehörten lokale Antibiotika, lokale Antiseptika und adjuvante Antiseptika wie CHX. Aufgrund der inhomogenen Literatur seien Probiotika, antiinflammatorische Medikamente, Omega-3-Fettsäuren, Laser- oder photodynamische Therapien ausdrücklich nicht zu empfehlen. Ziel der Leitlinien sei es laut Kocher klar herauszustellen: „Was ist nützlich, was richtet Schaden an“.
Professor Eickholz stellte die dritte Therapiestufe, die Parodontalchirurgie, vor. Wenn nach der ersten und zweiten Therapiestufe eine Resttaschentiefe von ≥ 6 mm bleibt, sollte gemäß den Leitlinien eine chirurgische Behandlung folgen. Allerdings nur, wenn die Patienten eine adäquate Mundhygiene aufrechterhalten können, so die deutliche Empfehlung. Bei Resttaschen von ≥ 3mm bieten die Leitlinien unterschiedliche Behandlungsoptionen an, so Eickholz.
Hauptsache entzündungsfrei
Dörfer erläuterte im Anschluss, was sich bei der Unterstützenden Parodontitis-Therapie (UPT) bewährt hat. Seine Zusammenfassung: „Es geht immer um langfristige entzündungsfreie Verhältnisse“. Auch hier könnten die neuen Leitlinien Orientierung geben. Diese empfehlen die Vorlieben der Patienten für die Mundhygiene zu berücksichtigen. Neben unterschiedlichen Wirkstoffen in Zahnpasten und Mundspülungen, wird auch eine routinemäßige Professionelle Zahnreinigung (PZR) empfohlen. Zudem sollten die individuellen Risikofaktoren der Patienten kontrolliert werden.
Parodontitistherapie lohnt sich
Rechtsanwalt Nobmann stellte in seinem Vortrag klar, warum sich die Parodontitis-Therapie lohne. Die neuen Leitlinien und das Symposium verdeutlichten aus Sicht des KZBV-Experten einmal mehr, wie wichtig das zahnärztliche Gespräch zur Mundhygiene und die UPT für den Erfolg der Parodontaltherapie seien. Über die neue PAR-Richtlinie und die adäquate Vergütung dieser Leistungen wurde zum Zeitpunkt des Symposiums aktuell im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verhandelt. (Die neue PAR-Richtlinie ist am 16. Dezember 2020 vom G-BA beschlossen worden, die Verhandlungen zur Bewertung sollen im April abgeschlossen sein, die neue PAR-Richtlinie dann zum 1. Juli 2021 in Kraft treten und in der Praxis wirksam werden. Anm. d. Red.)
Die Aufzeichnungen beider Teile des Kooperationssymposiums sind in voller Länge verfügbar
Teil 1: Leitlinien und deren Umsetzung in der Praxis
Teil 2: Die drei Therapiestufen der neuen EFP-Leitlinien