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Uniklinikum Heidelberg nutzt neue statistische Verfahren für komplexe medizinische Fragen

Ob ein Ereignis x – beispielsweise die Geburt eines Kindes – mit einem gesundheitlichen Problem y – wie späterem Zahnverlust – ursächlich zusammenhängt, ließ sich bisher kaum überprüfen: Denn wie bei vielen komplexen Fragestellungen der Gesundheitsforschung ist die Durchführung klinischer Studien mit zufälliger Einteilung in Vergleichsgruppen aus praktischen wie ethischen Gründen nicht möglich.

Neue statistische Werkzeuge für knifflige Fragen

Um dieses Problem ein Stück weit zu lösen, haben Wissenschaftler aus Heidelberg, Wuppertal, München, Worms und Nijmegen (Niederlande) nun in einem neuen Ansatz statistische Methoden aus der Ökonometrie auf die medizinische Forschung übertragen. Beispielhaft wollten sie wissen, was dran ist an der Redensart „Jedes Kind kostet die Mutter einen Zahn“. Nach Auswertung von Daten von mehr als 34.000 Personen aus dem „Survey of Health, Ageing, and Retirement in Europe“, einer Datenerhebung in 14 europäischen Ländern und Israel, kamen sie zu folgendem Ergebnis: Offensichtlich kann die Geburt eines Kindes tatsächlich zu überdurchschnittlich häufigem Zahnverlust führen. Die Ergebnisse der Auswertung sind nun im Journal of Epidemiology & Community Health erschienen.

„Den Ergebnissen unserer Untersuchung lässt sich entnehmen, dass zusätzliche Schwangerschaften tendenziell einen Effekt auf die Mundgesundheit der Mütter haben können“, erläutert Seniorautor Prof. Stefan Listl, Leiter der Sektion Translationale Gesundheitsökonomie an der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde des Universitätsklinikums Heidelberg. „Das ist medizinisch plausibel. Wir wissen zum Beispiel, dass während der Schwangerschaft das Risiko für Zahnfleischerkrankungen steigt. Über die genauen Ursachen für das erhöhte Risiko des Zahnverlusts lassen unsere Untersuchungen allerdings keine Aussage zu. “

Hilfreich für Fragen zur Mund- und Zahngesundheit

Viel wichtiger ist den Forschern allerdings der Beweis, dass man sich bisher unlösbaren epidemiologischen Fragestellungen mit diesen statistischen Werkzeugen sinnvoll nähern kann. „Mit diesen sogenannten quasi-experimentellen Methodenkann man kausale Zusammenhänge untersuchen, auch wenn randomisierte klinische Studien beziehungsweise Längsschnittstudien nicht möglich sind. Gerade in Bezug auf die Mund- und Zahngesundheit könnte das ein hilfreiches Werkzeug sein – zählen Erkrankungen der Zähne doch weltweit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen überhaupt, mit gravierenden Auswirkungen auf die Lebensqualität“, so der Zahnmediziner und Ökonom.

Um zweifelsfrei herauszufinden, ob Kinderkriegen tatsächlich das Risiko der Mutter für Zahnverlust erhöht, ist der Vergleich mit einer Kontrollgruppe nötig. Im üblichen Studiendesign würden dazu die Probandinnen zufällig in zwei oder mehr Gruppen eingeteilt: Das Los würde darüber entscheiden, wer kinderlos bleibt oder ein, zwei oder mehr Kinder bekommt. Eine solche Studie ist nicht umsetzbar.

Die Wissenschaftler arbeiteten daher mit einem Trick: Sie suchten im umfangreichen Datensatz des Surveys nach sogenannten naturgegeben Zufallsvarianten, also Anhaltspunkten nach mehr oder weniger „zufällig zustande gekommenen“ Kindern. Die erste Variante liegt auf der Hand: Der Vergleich von Einzel- und Zwillingsgeburten. Einen Unterschied im Zahnbestand der Mütter im Alter 50 plus fanden die Forscher allerdings nicht. „Es könnte sein, dass Zwillingsmütter von Natur aus gesünder und daher weniger anfällig für Zahnprobleme sind“, kann sich Listl vorstellen. Darüber hinaus nahm das Team Familien in den Blick, bei denen auf zwei Kinder desselben Geschlechts noch ein drittes folgte. Denn es ist statistisch erwiesen, dass bei dieser Konstellation die Wahrscheinlichkeit für ein drittes Kind steigt: Häufig steht dahinter die Hoffnung, nach zwei Jungs doch noch ein Mädchen oder umgekehrt zu bekommen. Als Vergleich dienten Mütter mit zwei Kindern unterschiedlichen Geschlechts. Hier fiel der Unterschied beachtlich aus: Mütter mit drei Kindern hatten in ihrer zweiten Lebenshälfte im Durchschnitt rund vier Zähne weniger als Mütter mit zwei Kindern.

Väterliche Mundgesundheit korreliert nicht

Welchen Nutzen können werdende Mütter trotz aller Einschränkungen aus diesen Ergebnissen ziehen? „Sich des Risikos bewusst sein, während der Schwangerschaft auf sorgfältige Mundhygiene achten und regelmäßig zum Zahnarzt gehen.“, rät Listl. Übrigens prüften die Forscher auch den Zahnbestand der Väter. Hier fanden sie keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl von Kindern und Zähnen.

Literatur:


Gabel F, Jürges H, Kruk KE, Listl S. et al. Gain a child, lose a tooth? Using natural experiments to distinguish between fact and fiction. J Epidemiol Community Health Published Online First: 13 March 2018. doi: 10.1136/jech-2017-210210


Titelbild: Universitätsklinikum Heidelberg
Quelle: idw online Nachrichten Bunte Welt

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