Die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheitssektor wird zu Einschränkungen auch in der ambulanten zahnärztlichen und ärztlichen Versorgung führen und die durch die Corona-Pandemie ohnehin schon stark geforderten Arzt- und Zahnarztpraxen zusätzlich belasten. Das zeigen unter anderem die Ergebnisse einer Blitzumfrage des Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) unter Arztpraxen, die am 16. Februar 2022 veröffentlicht wurden. Auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer haben diese Probleme in einem gemeinsamen Brief an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) vom 10. Februar 2022 herausgestellt.
Der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer und BZÄK-Präsident Prof. Dr. Christoph Benz hatten in ihrem Schreiben über die Bedenken aus den Reihen der Zahnärzteschaft berichtet, dass die Impfpflicht zahnmedizinisches Fachpersonal in einer ohnehin schon von Fachkräftemangel betroffenen Situation veranlassen könnte, den Beruf zu wechseln. Das könne aufgrund von Personalmangel vor allem in ländlichen Regionen zu einem reduzierten Praxisbetrieb und damit zu Versorgungsengpässen führen.
Einheitliche Kriterien für Ermessensentscheidungen gefordert
Damit bekomme die „Ermessensentscheidung der Gesundheitsämter nach Paragraf 20a Absatz 5 Infektionsschutzgesetzt (IfSG) über die konkreten Tätigkeits- beziehungsweise Betretungsverbote für nicht-immunisiertes Praxispersonal und sonstige in der Praxis tätige Personen eine besondere Bedeutung.“ Eßer und Benz forderten daher, dass „einheitliche Kriterien für die Ermessensausübung aufgestellt werden, die eine verhältnismäßige, sachgemäße und die jeweilige Versorgungssituation berücksichtigende Entscheidung über den Ausspruch oder den Verzicht auf Tätigkeits- beziehungsweise Betretungsverbote sicherstellen.“ Sie nannten dazu unter anderem die Aspekte Personalsituation und Größe der Praxis, die allgemeine Versorgungssituation in der Region, die Berücksichtigung des in der Zahnarztpraxis allgemein geringen Infektionsrisikos und der in der Regel ebenfalls geringe Anteil besonders vulnerabler Patienten in den Praxen. Außerdem sollte es Regelungen geben, nach denen ein Beschäftigungsverbot automatisch aufgehoben wird, wenn die/der Beschäftigte sich impfen lässt, und aufwendige Verwaltungsakte dafür entfallen.
Keine Reaktion aus dem Ministerium
Wie es aus der KZBV hieß, habe es vonseiten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) bis zum 17. Februar keine Reaktion auf das Schreiben gegeben. Am 12. Februar hatte das BMG eine erweiterte Handreichung zur Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben auf seiner Internetseite eingestellt. Diese wird, so die Info auf dem 24-seitigen PDF, ständig in Absprache mit den Ressorts der Bundesregierung und mit den Ländern beraten und fortgeschrieben werden.
Länder werden das Gesetz umsetzen
Nachdem einige Bundesländer, allen voran Bayern, schon angekündigt hatten, den Vollzug des Gesetzes nach dem 15. März auszusetzen oder es wegen der hohen Belastung der Gesundheitsämter und der möglichen Engpässe in der stationären, pflegerischen und ambulanten Versorgung nur verzögert umzusetzen, hat die Gesundheitsministerkonferenz der Länder in Person ihrer derzeitigen Vorsitzenden Petra Grimm-Benne, Gesundheitsministerin des Landes Sachsen-Anhalt, nun am 14. Februar erklärt, dass man das Gesetz in den Ländern umsetzen werde. Auch Bayern ist inzwischen zurückgerudert und wird das Gesetz umsetzen. Ob es dafür über die Handreichung hinaus bundeseinheitliche Vorgaben und ein gemeinsames Vorgehen geben wird, wie von der GMK Ende Januar noch gefordert, ist derzeit aber offen.
Hoffnung auf eine höhere Impfquote setzen die Gesundheitsminister, aber auch die Vertreter der Ärzte- und Zahnärzteschaft und des Pflegesektors auf den Novavax-Impfstoff (Nuvaxovid®), der Ende Februar/Anfang März verfügbar sein soll. Das könnte es bislang nicht geimpften Beschäftigten im Gesundheitssektor, die die mRNA-Impfstoffe von BioNtech und Moderna ablehnen, erleichtern, sich noch impfen zu lassen. Der Impfstoff soll bevorzugt dem Personal in den Einrichtungen angeboten werden.
Handwerklich schlecht gemachtes Gesetz
Dr. Wolfgang Eßer sieht die Zahnärzteschaft erneut mit einem handwerklich schlecht gemachten und unzureichend durchdachten Gesetz konfrontiert, dessen Umsetzung und Konsequenzen für den Versorgungsalltag nicht geprüft worden seien. Trotz aller Bedenken, Warnungen und Hinweise halte der Minister am Vollzug des Gesetzes fest. Auch nach der ablehnenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Eilantrag gegen die Impfpflicht „müssen wir davon ausgehen, dass das Gesetz nach dem 15. März wirksam werden wird“, sagte Eßer der Redaktion der Quintessence News. Ob es bis dahin die geforderten gemeinsamen Maßstäbe und Vorgehensweisen flächendeckend geben werde, sei derzeit noch völlig unklar.
Appell, sich impfen zu lassen
Dass kurz nach diesem Zeitpunkt viele der Corona-Schutzmaßnahmen und allgemeinen Beschränkungen vermutlich fallen werden und die angekündigte allgemeine Impfpflicht ebenfalls erst im März im Bundestag beraten und nicht vor Herbst kommen wird, mache es nicht einfacher, noch nicht geimpfte Beschäftigte, aber auch die Bevölkerung insgesamt zu motivieren, sich impfen oder boostern zu lassen. „Ich persönlich halte es vor dem Hintergrund unserer ethischen Verpflichtung zum Schutz der Patientinnen und Patienten aber für selbstverständlich, dass sich Zahnärztinnen und Zahnärzte ebenso wie die Praxisteams gegen Corona impfen lassen. Und ich appelliere an alle Ungeimpften, die sich impfen lassen könnten, sich jetzt auch impfen zu lassen“, betonte Eßer. Die Pandemie sei noch nicht vorbei und es müsse mit weiteren Virus-Varianten und neuen Wellen gerechnet werden. Die Impfung sei ein wichtiger Baustein, um die Pandemie zu beenden und sich, die Familie und Freunde, aber auch die Patientinnen und Patienten zu schützen.
Zahlen zum Immunisierungsgrad vermutlich ähnlich wie bei Ärzten
Zahlen zum Grad der Immunisierung unter Zahnärztinnen/Zahnärzte und Beschäftigten in den Zahnarztpraxen liegen nicht vor. Man geht in der zahnärztlichen Standespolitik davon aus, dass sie ähnlich hoch sind wie in der Ärzteschaft – mit ähnlichen regionalen Unterschieden. Dazu ist die aktuelle Umfrage des ZI aufschlussreich. Sie zeigt nicht nur, wie stark die einrichtungsbezogene Impfpflicht und die anhaltende Belastung in der Corona-Pandemie betrifft, sondern gibt auch eine Einschätzung zum Immunisierungsgrad. In die Auswertung der online durchgeführten ZI-Befragung vom 8. bis 14. Februar 2022 konnten mehr als 11.000 Antworten einbezogen werden. Implizit durch die Antworten erfasst seien dadurch 26.745 Ärztinnen/Ärzte und Psychotherapeutinnen/-therapeuten sowie 68.000 Mitarbeitende.
Danach verzeichneten 71 Prozent der teilnehmenden Haus- und Facharztpraxen in Deutschland eine erhöhte Arbeitsbelastung durch das Auftreten der Sars-CoV-2-Variante Omikron. Bei den Hausärztinnen/-ärzten sind es 84 Prozent, bei den Fachärztinnen/-ärzten gut die Hälfte. Als Gründe hierfür werden insbesondere ein höherer Kommunikationsbedarf durch die COVID-19-Schutzmaßnahmen, ein gestiegenes Corona-Testaufkommen sowie der krankheitsbedingte Ausfall von Praxispersonal angegeben.
94 Prozent der Ärzte und mehr als 90 Prozent des Personals mit Immunitätsnachweis
Mit ihrem Impfeinsatz in den Praxen selbst erfüllen die niedergelassenen Haus- und Fachärzte eine wichtige gesellschaftliche Vorbildfunktion, so das ZI: 94 Prozent verfügen über einen aktuellen Immunitätsnachweis (95 Prozent im hausärztlichen und 93 Prozent im fachärztlichen Bereich). Bei den Psychotherapeutinnen/-therapeuten beträgt die Quote 81 Prozent. Auch bei den nicht-ärztlichen Praxismitarbeitenden liegt mit fast 93 Prozent in Hausarzt- und 90 Prozent in Facharztpraxen ebenfalls überdurchschnittlich häufig ein Immunitätsnachweis vor. Beim Immunitätsnachweis bestehen regionale Unterschiede. In Sachsen und Thüringen berichten die Befragten die niedrigsten Quoten, in Nordrhein-Westfalen die höchsten.
Einschränkungen für den Praxisbetrieb erwartet
Trotz der überdurchschnittlich häufigen Immunitätsnachweise erwarten die Praxen spürbare Einschränkungen für den Praxisbetrieb infolge der einrichtungsbezogenen Impflicht. Knapp ein Drittel der Befragten gab an, dass Störungen im Praxisalltag oder gar Versorgungseinschränkungen für die Patienten zu erwarten seien. Im hausärztlichen Bereich erwarten 17 Prozent starke Einschränkungen, im fachärztlichen Bereich sind es 25 Prozent und im psychotherapeutischen Bereich 28 Prozent.
Weniger Impfnachfrage, schlechte Zusammenarbeit mit den Gesundheitsämtern
57 Prozent der Antwortenden bieten weiterhin besondere Covid-19-Impfsprechstunden an. Dieser Anteil ist zurückgegangen. 88 Prozent berichten von einer nachlassenden Nachfrage der Patienten und 28 Prozent von mangelnder Impfstoffverfügbarkeit als Ursachen für reduzierte Impfsprechstunden an. Die Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern wird als unverändert schlecht angesehen. Im Durchschnitt wurde die Schulnote Vier vergeben. Etwa 40 Prozent der Teilnehmenden haben eine Fünf oder Sechs vergeben.
„Die ohnehin angespannte Lage in den Arzt- und Psychotherapiepraxen spitzt sich durch die Omikron-Welle weiter bedenklich zu. Die Arbeitsbelastung in den Praxen ist seit Monaten hoch, der Betriebsablauf auf Kante genäht. Neben den enorm hohen Beanspruchungen seit der Delta-Variante und durch die Impfkampagne 2021 müssen sich die Praxen nun mit zusätzlichen Arbeitsausfällen von Praxispersonal und einer erschwerten Kommunikation mit Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsämtern auseinandersetzen“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried.
Wertschätzung der Politik wird vermisst
Viele der Befragten bekräftigten in Freitextantworten, dass eine Wertschätzung der Politik, insbesondere in Form eines finanziellen Bonus für die Mitarbeitenden, vermisst werde, so von Stillfried weiter: „Unsere Blitzumfrage zeigt zudem, dass auch in den Praxen nicht mit vollständigen Immunitätsnachweisen für alle Beschäftigten zu rechnen ist. Eine rigorose Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zum 15. März 2022 wird dort zu teils erheblichen Einschränkungen in den Praxisabläufen und letztendlich auch in der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung von Patentinnen und Patienten führen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht wird von den niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten wegen befürchteter Personal- und Versorgungsengpässe sehr kontrovers diskutiert. Der Nutzen dieses Vorhabens wird von vielen Teilnehmenden aktuell geringer eingeschätzt als die davon ausgehende Belastung. Insofern sind die Ergebnisse auch ein Weckruf an die politisch Verantwortlichen, den ambulanten Schutzwall für das Gesundheitswesen mit allen Mittel stabil und sicher zu halten und Belastungen, deren Nutzen fraglich ist, so gering wie möglich zu halten.“