Für den Start seines neuen Venture-Capital-Fonds für digitale Gesundheitsinnovationen konnte sich der PKV-Verband am 15. Januar 2020 in Berlin großer Aufmerksamkeit sicher sein: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) war als Gast gekommen und beim Thema „Digital Health made in Germany“ sichtlich in seinem Element.
Natürlich ging es in seiner Keynote auch um das Thema Datensicherheit und Datenschutz und die vom Chaos Computer Club (CCC) aufgedeckten Sicherheitslücken. „Ich habe den CCC explizit aufgefordert, uns und die TI in diesem Jahr zu challengen. Wohlgemerkt in diesem Jahr, da wir jetzt noch ohne Patientendaten unterwegs sind.“ So könne man Schwachstellen noch vor dem Start der elektronischen Patientenakte zum 1. Januar 2020 beseitigen. Die bisher bestehende Telematikinfrastruktur selbst werde vom CCC als durchaus sicher eingestuft, berichtete der Minister, ein persönliches Gespräch mit dem CCC stehe noch an.
ePA als Leitprojekt
Die elektronische Patientenakte (ePA) werde zum 1. Januar 2021 nicht perfekt sein, so Spahn. Aber man habe vor der Frage gestanden, jetzt nicht perfekt zu starten oder nochmal zu schieben. „Wir warten so lange, bis es perfekt ist“ habe allerdings in den vergangenen 15 Jahren nicht zum Erfolg geführt, so Spahn. Die ePA sei ein Leitprojekt, das man jetzt mit einem Stück mehr Staatlichkeit in den Entscheidungen und einem anderen Denken vorantreiben werde, sagte Spahn. Man setze den Rahmen und die Vorgaben, und gebe dann dem Wettbewerb der Anbieter die Chance, Lösungen zu entwickeln.
Datenschutz: „Irrationale Diskussionen“
Zum Thema Datenschutz und Datensicherheit erklärte er, hier gebe es teilweise irrationale und gespaltene Diskussionen: Wenn Google ein Unternehmen kaufe, das mit seinen Produkten persönliche Gesundheitsdaten erhebe, und diese Daten natürlich kommerziell verwerte, werde das so hingenommen, so Spahn. Wenn es in Deutschland darum gehe, gesetzlich die Nutzung anonymisierter Abrechnungsdaten für die wissenschaftliche Forschung zu regeln, gebe es einen riesen Aufschrei. Hier sei eine Inbalance erkennbar, man vertraue Konzernen, aber misstraue der eigenen Regierung. Spahn brachte mit Blick auf die Bürgerrechte auch den Gedanken eines Grundrechts auf eine eineindeutige digitale Identität für jeden Bürger auf. „Und wir müssen das Debattensetting umdrehen, von einer reinen Risikodebatte hin zu einer Chancendebatte“, so Spahn.
Das Feld nicht den dem Überwachungskapitalismus und China überlassen
Spahn machte sich erneut dafür stark, digitale Gesundheitsanwendungen und die dafür notwendigen Regularien und Standards in Semantik, Schnittstellen und Rahmenregelungen in Deutschland und Europa zu entwickeln und das Feld nicht internationalen Konzernen, dem „Überwachungskapitalismus der USA und dem Überwachungsstaat China“ zu überlassen. Es gebe Länder in der EU, die schon weiter seien. Aber er sehe gute Chancen, dass Deutschland beim Thema Digital Health, auch zusammen mit Frankreich, zu einem Vorbild werden könne. Für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Juli 2020 stehe das Thema Gesundheit und Digital Health jedenfalls ganz oben auf der Agenda. „Wir werden das erste Land sein mit einer geregelten Nutzenbewertung von Gesundheitsapps. Deutschland ist also gar nicht so schlecht, wie immer alle behaupten.“
Spahn sprach im Zusammenhang mit der EU auch von einem „Gesundheitsconduct“ in der Datenschutzgrundverordnung, das einen sicheren europäischen Rahmen geben könnte für den Umgang mit Gesundheitsdaten, dies auch mit Blick auf die Forschung, zum Beispiel für die EU-weite Krebsforschung oder zu seltenen Erkrankungen.
„Datenspende“ für die Solidargemeinschaft
In diesem Zusammenhang und unter Verweis auf die Entscheidung zur Organspende im Deutschen Bundestag am folgenden Tag brachte er den Gedanken einer „Datenspende“ auf. Das System der solidarischen Krankenversicherung biete jedem die Sicherheit einer angemessenen medizinischen Versorgung. Man könne diskutieren, ob sich im Gegenzug dazu eine Solidarität und Grundbereitschaft des Einzelnen gegenüber der Versichertengemeinschaft ableiten lasse, die auch darin bestehen könne, die eigenen Gesundheitsdaten, natürlich pseudonymisiert und anonymisiert und unter geregelten Datenschutzbedingungen, zu „spenden“, um die medizinische Versorgung damit weiterzuentwickeln und zu verbessern. „Diese Debatte sollte geführt werden“, so Spahn.
Neue Wege der Finanzierung vorteilhaft
„Es gibt ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Interesse daran, mit Wagniskapital ein innovatives und digitales Gesundheitswesen mitzugestalten“, erklärte Spahn zu den neuen Möglichkeiten gesetzlicher Krankenkassen, Gelder in Investitionsfonds anzulegen, die solche digitalen Versorgungsinnovationen finanzierten. Dazu habe es einiger Änderungen an den Regularien bedurft, aber es sei aus seiner Sicht absolut gut und sinnvoll, den Kassen jetzt diese Anlageformen zu eröffnen.
Ralf Kantak, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV), erklärte: „Der vom Verband der Privaten Krankenversicherung initiierte Venture-Capital-Fonds heal capital ist jetzt startklar. Er beteiligt sich mit Wachstums-Kapital an jungen Unternehmen, die digitale Innovationen für die Gesundheitsversorgung entwickeln. Innerhalb weniger Wochen ist es gelungen, bei den beteiligten PKV-Unternehmen schon über 80 Millionen Euro für den Fonds zu mobilisieren. Damit wurde in kürzester Zeit das Zielvolumen von 100 Millionen Euro bereits weitestgehend gefüllt.“
Mit diesem Investitionskapital wolle man nun gezielt die Qualität der medizinischen Versorgung und die Digitalisierung vorantreiben, etwa bei digitalen Gesundheitsanwendungen, Telemedizin, digitaler Prävention oder Digitalisierung der Pflege. Der Fonds fördere die Startups nicht nur mit Investitions-Kapital, sondern unterstütze auch mit Knowhow beim Zugang zum medizinischen Versorgungsgeschehen.
Start-ups brauchen langen Atem
In der anschließenden Diskussion wurde von den Vertretern der Unternehmen und Start-ups, die jetzt aus dem Fonds der PKV und der Beteiligungen der Kassen an solchen Investitionsfonds profitieren sollen, dieses Finanzierungsmodell ausdrücklich begrüßt. Es sorge für Unabhängigkeit bei den Entwicklungen von Anwendungen für den gesamten Markt, so Katharina Jünger, Gründerin und CEO von „teleclinic“, einem Start-up für telemedizinische Anwendungen. Auf der anderen Seite profitiere man vom Wissen der Investoren.
Die ersten vier Jahre sei sie weniger in der Entwicklung, als auf der politischen Ebene gefordert gewesen, da viele Rahmenbedingungen für ihre neuen Anwendungen noch fehlten, so sei das Fernbehandlungsverbot erst vor kurzem gefallen, berichtete Jünger. Gerade im Bereich Digital Health seien die Zeiten bis zu einem marktreifen Produkt für Start-ups oft sehr lang, bestätigte auch Dr. Christian Weiß, der als Managing Partner den neuen PKV-Fonds „heal capital“ betreuen wird.
Digitalkompetenz bei Medizinern und Patienten aufbauen
Auf die Frage, ob es nicht auch erforderlich sei, bei Medizinern, Fachpersonal und Patienten eine entsprechende Kompetenz im Umgang mit solchen neuen digitalen Tools zu vermitteln, antwortete Prof. Dr. Dr. Felix Balzer, Facharzt für Anästhesie und studierter Informatiker, absolut zustimmend. Der Experte, auch Vorstandsmitglied des Tagungsorts Einstein Center Digital Future, erklärte, digitale Kompetenz sei für Ärzte wichtig. So forderten zum Beispiel unter anderem die Medizinstudenten sehr berechtigt, dass die Entscheidungen, die auf der Basis von digitalen Anwendungen mithilfe von Künstlicher Intelligenz vorgeschlagen werden, nachvollziehbar und erklärbar sein müssten. Und natürlich sei auch eine Digitalkompetenz der Bürger wichtig. „Open Labs“ und andere Formate könnten dazu beitragen, das Vertrauen in neue Anwendungen und deren Akzeptanz zu fördern.
Die vollständige Veranstaltung inklusive Diskussion steht auf der Internetseite des PKV-Verbands noch als Videomitschnitt zur Verfügung.
Marion Marschall, Quintessence News