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Die Heilberufler ziehen ihre Konsequenzen aus den Lauterbachschen Zumutungen – Dr. Uwe Axel Richter mit einer Analyse

(c) ADV images/Shutterstock.com

Der virtuelle Auftritt von Prof. Dr. Karl Lauterbach anlässlich des Deutschen Apothekertags und persönlich nur einen Tag später beim Deutschen Pflegetag machte es zum wiederholten Male deutlich: Es gibt keine belastbare (Kommunikations-)Brücke zwischen der Vorstellungswelt dieses Gesundheitsministers und denen, die die ambulante Versorgung leisten. Von einer gemeinsamen Basis zur Gestaltung einer zukunftssicheren ambulanten Versorgung in Zahnmedizin, Medizin und Pharmazie ganz zu schweigen.

Wenn das Pferd tot ist, steig ab

Natürlich kann man sich mit Blick auf die Leistung und die nicht ganz unbedeutende Größe des ambulanten Systems wieder und wieder an der offensichtlich fehlenden Wertschätzung des Ministers für sämtliche dort tätige Heilberufler abarbeiten. Bei ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening klang es am vergangenen Mittwoch in ihrer Eröffnungsrede zum Deutschen Apothekertag so: „Die verantwortungslose Undankbarkeit von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gefährdet die sichere Arzneimittelversorgung von Menschen.“

Mehr Liberalisierung wagen?

Und diese läuft auch bei den Apothekern in den von Lauterbach gewohnten Bahnen, Überschrift „Liberalisierung“. Hier eine kurze Aufzählung seiner Vorschläge: Lockerung des Mehrbesitzverbots bei Apothekern, Förderung von Filial- und Zweigapotheken, Verzicht auf Rezeptur und Labor, Befreiung von Nacht-und Notdiensten, bei digitaler Anbindung der Zweig- an die Hauptapotheke muss kein Approbierter mehr vor Ort sein, Flexibilisierung der Öffnungszeiten vor Ort. Ein auskömmliches Honorar? Ähm, nein, dafür soll das Apothekenhonorar neu justiert werden, „um einen Honoraranreiz für strukturschwache Standorte zu schaffen“. Das klingt fast wie das Betteln um Großstrukturen. Doch wie sagte Lauterbach in seiner Videoansprache so schön: „Das alles sind nur Vorschläge, Sie müssen diese ja nicht annehmen …“.

Nur für die Galerie reicht nicht mehr

Doch zurück zur „verantwortungslosen Undankbarkeit“! Klingt wie ein Wieselwort, aber immerhin gut gebrüllt. Trotzdem sei die Frage erlaubt, was der Appell an die Wertschätzung der Politiker angesichts der seit Jahren immer wieder gemachten Erfahrungen noch bringen soll. Die politisch differente Bewertung der Leistungen in der ambulanten und stationären Versorgung während und nach der Corona-Krise durch diesen Minister sollte man endlich als Menetekel an der Wand für eine politisch gewünschte Veränderung der ambulanten Versorgung zur Kenntnis nehmen.

Der Koalitionsvertrag weist den Weg in die Zukunft

Und hier erweist sich Karl Lauterbach als fleißiger Abarbeiter der Koalitionsvereinbarung der Ampel. Wobei „fleißig “weder mit „fristgerecht“ noch mit „erfolgreich“ verwechselt werden sollte, und schon gar nicht mit eigenen politischen Akzenten des Ministers. Oder sagen wir „der Gestaltung des Gesundheitswesens unter den sich negativ verändernden wirtschaftlichen Auspizien“. Vor diesem Hintergrund mutet die stereotype öffentliche Wiederholung von Lauterbach und anderen gesundheitspolitischen Akteuren, dass es „mit ihm“ keine Leistungskürzung geben werde, wie das sprichwörtliche laute Singen im dunklen Wald.

Die Achillesverse der Gesundheitspolitik

Denn die politisch frohe Botschaft „keine Leistungskürzungen!“ mutiert zunehmend zur Achillesferse der bestehenden Gesundheitspolitik. Und das bestimmt nicht aus dem Grund, den der sogenannte Oppositionsführer Friedrich Merz, CDU, in einem – wie soll es bei ihm auch anders sein – diskussionswürdigen Spruch zu (abgelehnten) Asylbewerbern rausgehauen hat: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Sondern weil die Versorgungsansprüche und -haltung der Bevölkerung objektiv betrachtet zunehmend weniger erfüllt werden. Für einen mittlerweile vierstelligen Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeitrag gibt es aus der Patientenperspektive bereits jetzt eine zunehmend löchriger werdende hausärztliche Versorgung, fachärztliche Termine nur mit langem Vorlauf, immer mehr icht lieferbare Medikamente, weite Wege oder blutige Klinikentlassungen.

Heilberufler immer weniger bereit, politische Versprechungen aus dem eigenen Säckel zu finanzieren

Dass die Patienten – über alles betrachtet – dieses noch nicht umfänglich spüren beziehungsweise sich bis dato damit noch arrangieren konnten, hat viel zu tun mit der Ethik von Zahnärztinnen und Zahnärzten, Ärzten und Apothekern, die trotz des unverhohlenen politischen Griffs in ihre „Taschen“ die Versorgung bis dato auf dem gewohnten Niveau weitestgehend aufrechterhalten haben. Doch auch hier wird die Zahl derer, die sich die Subvention politischer Versprechungen nicht mehr „hinterrücks“ aus der eigenen Tasche ziehen lassen wollen, nicht nur mehr, sondern auch lauter. Und wahrnehmbarer oder besser spürbarer, da die Anzahl der inhabergeführten Zahnarzt- und Arztpraxen wie auch der Individualapotheken vor Ort allseits im Sinkflug begriffen ist und der real zur Verfügung stehende Nachwuchs in allen Heilberuflerlagern die Abgänge nicht kompensieren kann. Oder will.

Die Unruhe steigt

„Tarifabschlüsse“ bei den niedergelassenen Ärzten wie die jüngst erzielte Erhöhung des Orientierungspunktwerts von 3,85 Prozent für 2024 (bei einer Forderung von 10,2 Prozent), ein strikter Budgetdeckel für Zahnärzte in 2023 und 2024 – der sich im Übrigen auch in den Folgejahren noch auswirken wird – oder die Steigerung des Apothekenabschlags haben das Fass vielerorts zum Überlaufen gebracht. Seit Jahren sinkt die Anzahl der Apotheken, und allein für dieses Jahr geht man von einem weiteren Verlust von rund 600 Apotheken aus. Die nur noch als maßlos und unverschämt zu bezeichnenden Aussagen des Gesundheitsministers zur Einkommenssituation der Heilberufler wirken da wie Brandbeschleuniger.

Lauterbach persönlich beim Deutschen Pflegetag

Nur so nebenbei: Einen Tag nach seinem nur virtuellen Auftritt bei den Apothekern sprach der Gesundheitsminister persönlich auf dem deutschen Pflegetag. Viel Lob, das Versprechen von zusätzlichen Kompetenzen und natürlich steigenden Einkommen, verbunden mit dem Seitenhieb auf die Apotheker und der penetranten Wiederholung des hohen Einkommens vor Steuern bei den Heilberuflern. „Teile und herrsche“ beherrscht der Minister.

Das Verhältnis von Leistungsmenge, Bezahlung und Zeitaufwand

Ich schrieb in einer meiner letzten Kolumnen, dass es eine Metapher für ein „So geht es nicht mehr weiter“ ist, wenn Heilberufler von Streik reden. Und so sickert in immer mehr Köpfe derer, die die Versorgung sicherstellen, die Erkenntnis, dass Leistungsmenge und Bezahlung ebenso wie der dafür nötige Zeitaufwand (vulgo Praxisöffnungszeiten) in einem ursächlichen Verhältnis stehen sollten. Dieses sind die legal steuerbaren Parameter.

Die abnehmende Menge der „Versorger“ durch die altersbedingt steigende Anzahl der Praxisabgeber und einer im Verhältnis dazu zu geringen Zahl von Existenzgründern macht das Problem noch schwerwiegender. Eine Situation, die ursächlich durch politisches Handeln hervorgerufen wurde und eben nicht nur durch den Wunsch nach mehr Work-Life-Balance.

Die Wirksamkeit rückt näher

Mit dem zuvor Beschriebenen erreicht die Situation für immer mehr Beteiligte – Niedergelassene, Apotheker und Patienten – das Stadium der Wahrnehmbarkeit und damit der Wirksamkeit. Dafür braucht man keinen Streik, sondern es reicht die Kraft des Faktischen. (Wie sich das anfühlt, erleben Patienten am heutigen Montag mit den geschlossenen Praxen, die sich an der Aktion des Virchowbunds beteiligen.) Die Politik wäre deshalb gut beraten zu erkennen, dass ihnen die unter der Knute des SGB V sicher geglaubte Bank der niedergelassenen Zahnärzte, Ärzte und auch Apotheker für ein „Weiter so“ an Stabilität verliert.

Hat der Minister Minderwertigkeitskomplexe?

Apropos gut beraten. Das Lauterbach in die für Spitzenpolitiker übliche Gruppe der Beratungsresistenten gehört, darf man getrost annehmen. Auch wenn der Spätapprobierte, aber nie in der Versorgung tätig gewesene „Gesundheitsexperte“ im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern mit einem anderen Maßstab gemessen werden muss, schließlich hat auch er den ärztlichen Eid geleistet. Es mutet schon mehr als „komisch“ an, dass Lauterbach selbst demokratisch gewählte ärztliche Kollegen und Kolleginnen öffentlich in die Lobbyistenschublade schiebt und Gespräche verweigert. Das gilt im Übrigen auch für die Selbstverwaltungen und die Körperschaften. Nur nicht für die Krankenkassen.

Der Fluch der Wieselwörter

Zum Schluss noch die Aufklärung hinsichtlich des Wieselworts „verantwortungslose Undankbarkeit“. Bei Wikipedia findet sich eine schöne Erklärung „Durch hohle Phrasen wird lediglich suggeriert, der Satz habe eine greifbare Aussage. Tatsächlich sind die Behauptungen in solchen Sätzen derart unscharf, dass sie genauso wenig falsch sind wie ihr Gegenteil.“ Womit wir bei der Frage sind, was heutzutage Politiker oder Politikerinnen zu der Bezeichnung Spitzenpolitiker qualifiziert? Zum Beispiel die Erfindung von Wieselwörtern, was in Analogie nichts anderes bedeutet als „die angebliche Fähigkeit von Wieseln, ein Ei so auszusaugen, dass es völlig unbeschädigt wirkt.“

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 
 

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten Praxis

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