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Brennglas „Frühjahrsfest“ – Dr. Uwe Axel Richter über zehn Hygienegebote, Kopfkino, entlarvende Worte der Politik und die Notwendigkeit eines Plans B

Im Gespräch mit Politik, Lobbyisten und Verbänden bleiben – das Frühjahrsfest von KZBV und BZÄK in der Landesvertretung Baden-Württemberg.

(c) Quintessence News

Erinnert sich noch jemand an das Wahlkampfmotto der CDU zur Bundestagswahl 2017? „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Das klingt so, als ob Bevölkerung und Partei gemeint gewesen sein könnten. Sicher bin ich mir da heute nicht mehr. Anlässlich der Feiern zum 30-jährigen Bestehen der deutschen Einheit klang das beim Bundespräsidenten Frank Walther Steinmeier bereits so: „Wir leben im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat”.

Bleibt die Frage: Wen meint er bloß mit „wir“? Die Betrachtung der mittlerweile typischen Politikerattitüden aus dem gesamten Parteienspektrum gibt eine klare Antwort: „Wir“ bedeutet „die Partei“, gerne umschrieben mit „die Politik“. Die letzteren beiden Worte haben zudem den Vorteil, dass diese auch die ungenannten Legionen von Lobbyisten und vonseiten der Politik beauftragten Beratungsunternehmen einschließt.

Das Credo: im Gespräch bleiben

Wer die sprichwörtlichen „Hosen“ im Gesundheitswesen anhat, machte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit, Sabine Dittmar (SPD), – wenn auch in nett klingende Worte verpackt – auf dem diesjährigen Frühjahrsfest der Zahnärzteschaft sehr deutlich. Wobei das mit den politischen Hosen je nach Farbe so eine Sache ist. Dennoch führt kein Weg daran vorbei – selbst wenn einem die Hosen im wahrsten Sinne des Wortes nicht passen wollen –, dass die zahnärztliche Professionspolitik mit den Parteien, Ministerien, Verbänden und der Wissenschaft im Gespräch bleibt oder ins selbige kommt.

Und so gehören Abendveranstaltungen der Verbände zum üblichen Armamentarium des politischen Berlins, um das Netzwerk zu pflegen. Oft sind diese – gemessen an dem dafür zu betreibenden zeitlichen (für die Reden) und finanziellen (für den Veranstaltungsort und das Catering) Aufwand – politisch beim ersten Eindruck meist erkenntnisarm oder gar langweilig. Was natürlich zuvörderst an den gehaltenen Reden liegt, sind doch die vorgetragenen Argumente viel zu häufig sattsam bekannt. Doch manchmal kommt es auch anders.

Der Berg Sinai kreißte nicht

So verdanken wir dem diesjährigen Frühjahrsfest der Zahnärzteschaft und dem Präsidenten der Bundeszahnärztekammer, Prof. Dr. Christoph Benz, die Erkenntnis, was überbordende Hygienevorgaben für deutsche Zahnarztpraxen mit dem Berg Sinai zu tun haben. Laut Benz würden statt den vielfach unsinnigen Hygienevorschriften auch zehn Hygienegebote reichen. Falls Fragezeichen vor Ihrem inneren Auge aufkommen sollten: Zur Gründung einer Weltreligion reichten zwei Steintäfelchen mit zehn Geboten.

Und nun stelle man sich vor, Mose wären die deutschen Hygieneregeln in Stein gemeißelt übergeben worden. Nun denn, das wäre eine (gute) Erklärung dafür gewesen, warum Mose die ersten beiden Steintafeln zerschmiss. Oder: Wie lange hätte wohl Mose gebraucht, tausende Steintafeln mit einzelnen Hygienevorschriften vom 2.300 Meter hohen Berg Sinai hinabzuschleppen? Richtig: Obwohl die Menschen in biblischen Zeiten wesentlich älter wurden, hätte seine Lebenszeit wohl nicht ausgereicht …

Gesundheitspolitisches Kopfkino

Nun ist es solchen Metaphern eigen, dass man mit ihnen nicht nur auf dem berühmten schmalen Grat wandelt (und schon mal abstürzt), sondern manche auch das Kopfkino beflügeln. Vor meinem inneren Auge stand so zum Beispiel unser aller Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach als Mose und erklärte dem Volke seine zukunftsverbessernden Revolutionen. Dass zwei Steintafeln dafür keinesfalls ausreichen können, liegt angesichts seiner permanenten Änderungen, Überarbeitungen und Kehrtwendungen auf der Hand. Man denke hier nur an die aktuellen Volten beim GVSG, dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, welches mittlerweile in seiner vierten Fassung (diesmal ohne Primärversorgungszentren und Gesundheitskioske) vorliegt. Nebenbei bemerkt: Zahnmedizin kommt darin nicht vor! („Nur“ die Körperschaften und die neu zu etablierenden Prüfrechte des Bundesrechnungshofs.)

Oder an die Krankenhausreform namens „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KKVVG)“, die mittlerweile entgegen allen Lauterbach‘schen Versprechungen so aufgebaut ist, dass die Zustimmungspflicht seitens der Länder möglichst unmöglich wird. Immerhin wären die vielen, ständig neu zu meißelnden Steintäfelchen ein nachvollziehbarer Grund für das viele zusätzliche Personal, welches die Ampelkoalitionäre in dieser Legislatur benötigen.

„Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung“

Doch zurück vom Gedankenflug in der Steinwüste am Berg Sinai in die Realität der deutschen Gesundheitspolitik und des Frühlingsfests der Zahnärzteschaft, welches in der Berliner Vertretung des Landes Baden-Württemberg stattfand. Angesichts der akuten und in der Höhe heftigen Budgetprobleme sowie der Rückzahlungsforderungen der Kassen aus angeblichen Überzahlungen der TI-Pauschale für die Ärzteschaft im „Ländle“, wäre der Veranstaltungsort für eine entsprechende Wortwahl von Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) durchaus passend und einer entsprechenden Metapher wert gewesen. Immerhin reüssiert der baden-württembergische „Landesfürst“ Winfried Kretschmann mit sinnvollen Sparvorschlägen für seine Landeskinder, denen er angesichts steigender Energiekosten statt zu duschen zum vermehrten Einsatz von Waschlappen riet. Doch trotz freundlicher Worte und einseitiger Sympathiebekundungen wurde deutlich, dass die standes- und berufspolitischen Vorstellungen der Zahnärzteschaft nicht mit denen der Politik in Deckung zu bringen sind. Jedenfalls derzeit nicht.

„Ist der Patient gesund, freut sich der Zahnarzt!“

Vor allem dann, wenn man eine zukunftsfeste zahnmedizinische Versorgung für die Patienten im Blick hat. Wobei „zukunftsfest“ für Zahnmediziner auch eine Bedeutung hat, die sich dem Denken von Politikern und Kassenfürstinnen nicht zu erschließen scheint. Trotz der „nachgewiesenen“ Verbesserung der Mundgesundheit und den damit verbundenen Kosteneinsparungen. Salopp könnte man in Abwandlung eines bekannten Werbespruches formulieren: „Ist der Patient gesund, freut sich der Zahnarzt!“

Budgetierung wirkt auf beiden Seiten

Was die Politik nicht daran gehindert hat, trotz des sinkenden Anteils der Zahnmedizin an den GKV-Gesamtkosten die Zahnärzteschaft zu budgetieren. Eine Budgetierung ist jedoch, so die sehr klaren Ausführungen von Martin Hendges, niemals folgenlos. Es ist und bleibt daher schleierhaft, wieso man seitens der Politik wie auch der Kostenträger seit Jahrzehnten der Idee anhängt, dass eine Budgetierung „nur“ Kosten senkt, also nur die Anbieterseite trifft, aber für die Patientenseite keine Folgen zeitigt. Dabei sind diese faktisch erheblich, entziehen sie doch einerseits der zukünftigen Versorgung vor Ort durch nachlassende Niederlassungsbereitschaft den Boden und betreffen andererseits die Gesundheit der Patienten direkt.

Besonders deutlich wird dies für die präventionsorientierte Zahnmedizin am Beispiel der modernen Parodontitistherapie, deren Behandlungszahlen nach erfolgreicher Einführung seit der Budgetierung aufgrund der ausgelösten Budgetängste nur eine Richtung kennen – gen Abgrund. Selbst der Nachweis dieser direkten Folge des GKV-FinStG im Herbst vergangenen Jahres führte bei der Politik nicht zu einem Umdenken. Es hätte ja, so der KZBV-Vorsitzende, sehr wohl die Möglichkeit bestanden, wenigstens die PAR aus der Budgetierung zu nehmen (die Zahlen der Kassen hätten dieses hergegeben – denn im Jahr 2022 fiel statt des vorhergesagten Minus ein deutliches Plus an).

Das Primat der Politik, oder: Patienten sind nicht so wichtig

Warum die Politik nicht entsprechend handelte und wenigstens die Situation für die Parodontitispatienten entscheidend verbesserte, erscheint angesichts der vielen lobenden Worte für die Initiativen der deutschen Zahnärzteschaft in der Rede der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Sabine Dittmar, nicht wirklich nachvollziehbar (hier der Bericht auf Quintessence News). Bis die praktische Ärztin aus dem unterfränkischen Maßbach erklärte, dass sie den von der Zahnärzteschaft beschriebenen Niedergang in ihrer Interpretation der Zahlen nicht erkennen könne, und den letzten, den decouvrierenden Satz in ihrer Rede aussprach: „Wichtig ist, dass Sie wissen, wir haben einen Blick auf die Themen und wo wir Veränderungsbedarf sehen, werden wir handeln.“

Heißt im Klartext: Mit der Parodontitis ist das doch alles nur halb so schlimm. Sollte das die Perspektive von Frau Dittmar oder Karl Lauterbach sein, wäre der Umkehrschluss: Die Patienten sind nicht so wichtig.

Was ist mit der „versprochenen“ Regulierung der iMVZ?

Gleiches gilt auch für die Zahnärzteschaft. Denn das immer wieder angesprochene Thema „Regulierung der iMVZ“ fand auch bei Sabine Dittmar überhaupt keine Erwähnung. Warum auch. Die diesbezügliche Regierungslinie der drei Koalitionäre, insbesondere der FDP („es gibt kein schlechtes Kapital“), der Grünen und der SPD wird zwar unterschiedlich intoniert, ist aber dennoch einheitlich. Schließlich sitzt der größte Unterstützer und Türöffner für Fremdkapital im Gesundheitswesen derzeit als Minister im Gesundheitsministerium. Und Karl Lauterbach von der SPD handelt nicht erst seit Ministertagen nach dem Motto: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“.

„Ideologische Leitplanken“ und das „Geschwätz von gestern“

Wen wundert es, dass er (und seine Vorgänger) den Zahnärztefunktionären über Jahre hinweg etwas anderes versprochen hatte. Deshalb sei an dieser Stelle nochmals an das vollständige Zitat von Konrad Adenauer erinnert: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden.“ Und da sehe ich bei Karl Lauterbach unüberwindbare „ideologische“ Leitplanken.

Nun gehört es zum politischen Geschäft, Forderungen möglichst lange „am Leben“ zu halten, auch wenn diese über Jahre hinweg außer warmen Worten kein Ergebnis gezeitigt haben. Es könnte sich ja in der Zukunft bei Verzicht dafür ein guter Preis herausschlagen lassen. Das setzt jedoch voraus, dass man einen wenigstens einen Plan B und C entwickelt und konsentiert hat.

Staats- oder Investorenmedizin?

Was mich in Bezug auf die zunehmende Anzahl von Investoren im Gesundheitssystem zu folgender Frage führt: Gibt es hinsichtlich der Folgen für die derzeitige Versorgung einen relevanten Unterschied zwischen der von Lauterbach verfolgten Staatsmedizin im Vergleich zu einer Investorenmedizin? Und zwar für Leistungserbringer, Angestellte und Patienten?

Wenn es keinen wesentlichen Unterschied geben sollte – nämlich „Dritte“ entscheiden über Art und Weise und den Umfang der Versorgung – dann wird es höchste Zeit für eine Überprüfung der bisherigen Position und die Formulierung eines Plans B.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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