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Bei gleicher Aufgabe und Ausbildung – was das Urteil für Praxis und Labor bedeuten kann, analysieren Dr. Karl-Heinz Schnieder und Dr. Justin Doppmeier

(c) alterfalter/Shutterstock.com

Spätestens seit der Novellierung des Rechts der geringfügigen Beschäftigung Anfang der 2000er-Jahre hat sich der sogenannte Minijob als fester Bestandteil der Arbeitswelt in der Bundesrepublik etabliert. So liegt die Anzahl der geringfügig Beschäftigten seit dem Jahr 2007 kontinuierlich über einem Wert von sieben Millionen.

Nichtsdestoweniger werden geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht selten als Arbeitsverhältnisse „zweiter Klasse“ behandelt. Insoweit hält sich in einigen Branchen der Irrglaube hartnäckig, Minijobber seien mit einem niedrigeren gesetzlichen Schutz (zum Beispiel betreffend Entgeltfortzahlung, Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch etc.) ausgestattet als Vollzeitbeschäftigte.

Mit seiner Entscheidung vom 18. Januar 2023 (Az. 5 AZR 108/22) ist das Bundesarbeitsgericht dieser Praxis erneut entgegengetreten und hat geurteilt, dass geringfügig Beschäftigte bei gleicher Qualifikation und identischer Tätigkeit im Regelfall keinen geringeren Stundenlohn erhalten dürfen als Vollzeitbeschäftigte. Ein häufig lediglich pauschal ins Feld geführter Mehraufwand bei der Einsatzplanung könne insoweit keinen niedrigeren Stundenlohn bei identischer Tätigkeit rechtfertigen.

Das im zugrundeliegenden Rechtsstreit beklagte Unternehmen setzte neben in Voll- und Teilzeit beschäftigten Rettungsassistenten (dort als „Hauptamtliche“ bezeichnet) auch geringfügig beschäftigte Rettungsassistenten (als „Nebenamtliche“ betitelt) ein. Während die hauptamtlichen Rettungsassistenten durch den Arbeitgeber verbindlich zu Diensten eingeteilt wurden, waren die Nebenamtlichen in Hinblick auf die Lage und den Umfang der Arbeitszeit frei und konnten ihnen angebotene Dienste auch ablehnen. Aufgrund der aus Sicht des Arbeitgebers besseren Personalplanungsmöglichkeiten mit den Hauptamtlichen erhielten diese einen um fünf Euro höheren Stundenlohn als die nebenamtlichen Rettungsassistenten (17 Euro brutto anstelle von 12 Euro brutto) – eine Ungleichbehandlung, die das Bundesarbeitsgericht nicht zu billigen vermag.

Teilzeit- und Befristungsgesetz beachten

Dabei stützt sich das Bundesarbeitsgericht auf einen einfachen, jedoch häufig übersehenen rechtlichen Ansatz. Paragraf 2 Absatz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) stellt ausdrücklich klar, dass auch geringfügig Beschäftigte als teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gelten und somit als „gewöhnliche Teilzeitbeschäftigte“ zu behandeln sind. Die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten ist wiederum von Paragraf 4 Absatz 1 TzBfG vor Diskriminierung geschützt. Danach dürfen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer wegen ihrer Teilzeittätigkeit nicht schlechter behandelt werden als ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Ein erhöhter Personalplanungsaufwand sei jedenfalls kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung, so das Bundesarbeitsgericht.

Unterschiedliche Entlohnung ist weiter möglich

Zwar ist aus der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zu seinem Urteil – anknüpfend an den Wortlaut von Paragraf 4 Absatz 1 TzBfG – zu entnehmen, dass es auch weiterhin gerechtfertigt sein kann, Minijobber (und somit auch andere Teilzeitbeschäftigte) geringer zu entlohnen als Vollzeitbeschäftigte. Dennoch bleibt mit Spannung zu erwarten, ob und inwieweit die bisher noch nicht veröffentlichten Urteilsgründe den arbeitgeberseitigen Gestaltungsspielraum einer differenzierenden Vergütungsstruktur durch konkrete Vorgaben einschränken.

Nachforderungen von Arbeitnehmern möglich

Nicht nur für die Zukunft werden Arbeitgebern aufgrund der wegweisenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erhöhte Personalkosten entstehen. Auch arbeitnehmerseitige Nachzahlungsansprüche seit Januar 2020 dürfte mangels Verjährung noch geltend zu machen sein, sofern diese arbeitsvertraglich nicht ausgeschlossen sind.

Ein Beispiel für die Praxis macht das deutlich: Eine Zahnmedizinische Fachangestellte ist als Aushilfskraft als Stuhlassistenz auf Minijob-Basis (bis September 2022 450 Euro, ab Oktober 2022 520 Euro maximaler Verdienst) beschäftigt und erhielt in den vergangenen Jahren einen stündlichen Lohn von zwölf Euro brutto. Für den Verdienst von 450 Euro musste sie also 37,5 Stunden/Monat arbeiten. Ihre in Vollzeit beschäftigte Kollegin mit der gleichen Tätigkeit bekam hingegen einen durchschnittlichen Lohn von 16 Euro brutto/Stunde.

Bei gleicher Bezahlung, so wie es das Bundesarbeitsgericht nun ausgeurteilt hat, hätte auch der geringfügig beschäftigten ZFA ein Anspruch auf 16 Euro brutto/Stunde zugestanden. Durch die geringere Vergütung gegenüber ihrer Kollegin sind ihr 150 Euro brutto im Monat entgangen (vier Euro brutto/Stunde x 37,5 Stunden).

Auf den regelmäßigen Verjährungszeitraum von Lohnansprüchen (36 Monate, Paragrafen 195, 199 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) gerechnet, ergäbe sich hieraus ein Nachzahlungsanspruch von 5.400 Euro brutto (150 Euro/Monat x 36 Monate).

Probleme mit Geringfügigkeit und nachträglicher Sozialversicherungspflicht

Hinzu stößt das Problem, dass nicht wenige geringfügig Beschäftigte durch die Nachzahlungsansprüche nachträglich über die Wertgrenze der geringfügigen Beschäftigung „rutschen“ könnten, verbunden mit einer nachträglichen Sozialversicherungspflicht. Dies wiederum könnte Arbeitgeber ganz erheblich mit nachträglich zu entrichtenden Sozialabgaben (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) belasten.

Arbeitsverträge und Vergütungen prüfen

Arbeitgeber dürften daher gut daran tun, ihre Arbeitsverträge kurzfristig auf Wirksamkeit ihrer arbeitsvertraglichen Verfallsklauseln zu prüfen, um das Risiko rückwirkender Ansprüche überblicken und gegebenenfalls ausschließen zu können. Zudem ist zu prüfen, ob aktuelle Minijob-Arbeitsverhältnisse angepasst werden müssen und wie künftig mit der Vergütung von Minijobbern in der Praxis/im Labor umgegangen werden sollte.

Dr. Karl-Heinz Schnieder, Dr. Justin Doppmeier, Münster

Dr. Karl-Heinz Schnieder ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Mediator (cfm). Nach seinem Studium war er zwei Jahre als Referatsleiter Recht der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe tätig, seit 1994 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Schnieder ist Geschäftsführender Partner der Rechtsanwaltskanzlei „KWM LAW“ mit Standorten in Münster, Berlin, Hamburg, Hannover, Bielefeld, Essen. Er ist Lehrbeauftragter der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der privaten Hochschule für Logistik und Wirtschaft, SRH Hamm. Schnieder ist auch als Autor und Referent tätig mit zahlreichen Publikationen zum Arzt-, Zahnarzt- und Tierarztrecht und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltsverein; der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen.
Neben seiner juristischen Tätigkeit ist er auch Initiator und Gründer der Gesundheitsregion-Stadt e.V., medizinische Netzwerke in Deutschland mit zurzeit zehn Gesundheitsregionen in Deutschland www.gesundheitsregion-deutschland.de. Kontakt zum Autor unter schnieder@kwm-law.de. (Foto: kwm)

Dr. Justin Doppmeier ergänzt das Beratungsspektrum von KWM LAW als Fachanwalt für Arbeitsrecht, der aufgrund seiner Erfahrung im medizinrechtlichen Bereich die Bedürfnisse seiner Mandantinnen und Mandaten genau kennt. Seine Schwerpunkte liegen insbesondere in den Bereichen Kündigungsschutzes, Vergütungsfragen, Arbeitsverträge und dem kollektiven Arbeitsrecht. Er zeichnet sich durch eine lösungsorientierte Mandatsführung aus, bei der er die Interessen seiner Mandantinnen und Mandanten stets optimal umzusetzen weiß. Neben arbeitsrechtlichen Fragestellungen berät Dr. Justin Doppmeier auch zu allgemein-zivilrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Themen. Kontakt zum Autor unter doppmeier@kwm-law.de. (Foto: kwm)

Quelle: KWM Law für Quintessence News Praxisführung med.dent.magazin Team

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