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Das resorptionsbedingt weite Foramen erfordert ein frühzeitiges, angepasstes Behandlungsprotokoll

Präoperative Ausgangsaufnahme von Zahn 46 vom Juni 2018 mit ausgeprägter apikaler Resorption und deutlicher apikaler Aufhellung an beiden Wurzeln. Die distale Wurzel weist teilweise Füllmaterial auf, vermutlich eine röntgenopake medikamentöse Einlage.

Die endodontische Therapie eines Zahns mit apikaler Wurzelresorption und infolgedessen wei­tem apikalem Foramen erfordert die Anpassung des Behandlungsprotokolls, weil konventionelle Methoden ansonsten zum endodontischen Misserfolg führen würden. In der vorliegenden Fall­darstellung von Dr. Niklas Alexander Burgard und Prof. Dr. Stefan Rüttermann für die Endodontie 3/21 werden die zu erwartenden Komplikationen und die Techniken zu ihrer Vermeidung unter Beachtung der Ätiologie und Pathogenese apikaler externer Wurzelresorptionen beschrieben. Anhand der Behandlung eines ersten Unterkiefermolaren mit ausgeprägten Resorptionserschei­nungen wird das klinische Vorgehen unter Anwendung von Mineral-Trioxid-Aggregat vorgestellt.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Die bakterielle Besiedelung des Wurzelkanals begünstigt eine Entzündungsausbreitung in den periapikalen Raum, woraufhin Entzündungs­mediatoren osteoklastische und odontoklastische Zellen anregen1. Diese führen auf beschädigten Wurzeloberflächen, wie sie infolge mechanischer oder chemischer Traumata entstehen können, zu teilweise schnell voranschreitenden Resorptionsprozessen2,3. Das Behandlungsprotokoll bein­haltet daher ein effektives chemo-mechanisches Debridement zur Auflösung der bakteriellen Infektion4. Andernfalls führt ein anhaltender Entzündungsreiz zu umfangreichen Resorptionserscheinungen mit Beeinträchtigung der ursprünglichen Wurzelkanalanatomie. Gelegentlich fehlt die natürliche apikale Konstriktion bei ausgedehnten Resorptionsprozessen vollständig. Ein weit offener Apex und dünne Wände im apikalen Bereich der Wurzel limitieren die mechanische Erweiterung der Wurzelkanäle und erhöhen zudem die Gefahr der apikalen Drainage5. Gleichzeitig können Sealer und Guttapercha bei Anwendung konventioneller Obturationsmethoden ungehindert in den apikalen Raum transportiert werden5 und umgekehrt kann ein Feuchtigkeitszutritt aus dem apikalen Gewebe die Obturation beeinträchtigen. Diese Komplikationen können zum endodontischen Misserfolg führen und verlangen daher die Anpassung des Behandlungsprotokolls. 

Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden die Wurzelkanalbehandlung an einem ersten Unte­rkiefermolaren mit ausgeprägter, entzündlich bedingter apikaler Wurzelresorption unter Verwendung von Mineral-Trioxid-Aggregat (MTA) vorgestellt.

Falldarstellung

Eine 31-jährige Patientin ohne bekannte Vorerkrankungen stellte sich mit akuten Beschwerden an Zahn 46 und dem Wunsch zur umfassenden Kontrolle im Juli 2018 in der Poliklinik für Zahnerhaltung des Zentrums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) der Goethe-Universität Frankfurt am Main vor.

Diagnostik und Befund

Die Patientin zeigte ein konservierend und prothetisch sanierungsbedürftiges Gebiss mit multiplen kariösen Läsionen und unzureichender Mundhygiene. Zahn 46 wies eine provisorische Füllung auf und zeigte eine deutliche Perkussionsempfindlichkeit, jedoch keine Reaktion auf die Sensibilitätstestung (Pluline, Pluradent). Eine vestibuläre Druckdolenz oder ein erhöhter Lockerungsgrad waren nicht vorhanden. Parodontal wurden zirkulär keine Sondierungstiefen über 3 mm gemessen. In der Panoramaschichtaufnahme imponierte der Zahn 46 mit ausgeprägter apikaler Aufhellung an beiden Wurzeln. In der Ausgangsaufnahme zeigte sich die apikale Wurzelresorption mit fortgeschrittenem Verlust von Zahnstrukturen an der distalen Wurzel und ausgedehnter apikaler Aufhellung im Bereich beider Wurzeln (Abb. 1). Trepanationsöffnung und Fremdmaterial im distalen Wurzelkanal deuteten auf eine Vorbehandlung alio loco hin, welche die Patientin bestätigte.

Diagnose

Aufgrund der durchgeführten Untersuchungen ergab sich die Diagnose einer symptomatischen apikalen Parodontitis mit begleitender entzünd­lich bedingter apikaler Wurzelresorption an beiden Wurzeln nach Einleitung der Wurzelkanal­behandlung alio loco.

Therapie

Trotz eingehender Aufklärung über die Prognose stellte sich die Patientin erstdrei Monate später wegen einer Fistelung auf Höhe der distalen Wurzel und einer dezenten Schwellung vestibulär in Region 46 zur Weiterbehandlung vor. Zunächst wurden die provisorische Füllung entfernt und Dentinüberhänge sorgfältig mit einem Endo-Z Bohrer (Dentsply Sirona, Bensheim) beseitigt. Ein koronales Preflaring aller Kanaleingänge wur­de mit Gates-Glidden Bohrern (Dentsply Sirona) durchgeführt. Die beiden mesialen und der distale Wurzelkanal wurden anschließend bis zur Größe ProTaper X5 (Dentsply Sirona) unter elektrometrischer Längenkontrolle (Root ZX, J. Morita Europe, Dietzenbach) präpariert und die Patientin bis zum nächsten Behandlungstermin entlassen. Diese und jede weitere Behandlungssitzung fand unter Lokalanästhesie (Ultracain D-S forte, Sanofi-Aventis, Frankfurt am Main) und aseptischen Kautelen (Kofferdam) sowie unter Ver­wendung des Dentalmikroskops Leica M400 E (Leica Microsystems, Wetzlar) statt. Darüber hinaus wurden die Wurzelkanäle in jeder Behandlungssitzung ausgiebig schallaktiviert (Eddy-Spülspitze, VDW, München) mit 2,5 Prozent Natrium­hypochlorit gespült und mit Kalzium­hydroxid (Calasept, Nordiska, Gummersbach) medikamentös versorgt. Bei jedem Behandlungstermin wurde der Zahn bis zur endgültigen Deckfüllung abschließend provisorisch mit Cavit (3M, Neuss) verschlossen. 

Die Patientin stellte sich erst wieder aufgrund von Beschwerden im Januar 2019 vor. Sie berichtete über einen vollständigen Rückgang der Beschwerden mit Ausheilung der Fistel innerhalb von zwei Wochen nach dem letzten Behandlungs­termin. Innerhalb der letzten Tage habe sich al­lerdings wieder eine Fistel mit begleitender Schwellung entwickelt. Die Wurzelkanäle wurden daraufhin erneut mit 2,5 Prozent Natriumhypochlorit schallaktiviert gespült und mit Kalziumhydroxid versorgt. In einer weiteren Sitzung Anfang Februar 2019 wurde der distale Wurzelkanal aufgrund der persistierenden Fistel mit K-Feilen (Kerr, Biberach) bis Größe ISO 80 auf Arbeitslänge und im Anschluss jeweils 2 mm verkürzt auf eine ISO-Größe größer − bis ISO 110 − präpariert, wodurch in den apikalen 6 mm ein Taper von 5 Prozent realisiert wurde. Anfang April 2019 stellte sich die Patientin schließlich beschwerdefrei zur Weiter­behandlung vor. Kanalerweiterung und Arbeitslängen wurden abschließend mit der Master­pointaufnahme (Abb. 2) kontrolliert. Vor der Obturation wurden die Wurzelkanäle 120 Sekunden gründlich mit 2,5 Prozent Natriumhypochlorit-Lösung schallaktiviert desinfiziert, 60 Se­kunden mit 17 Prozent EDTA-Lösung behandelt und erneut 120 Sekunden mit Natriumhypochlorit-Lösung schallaktiviert gespült. Die Trocknung der Wurzelkanäle erfolgte zur Vermeidung einer zusätzlichen Manipulation des apikalen Gewebes mit auf die Arbeitslänge angepassten Papier­spitzen. Die mesialen Kanäle wurden mithilfe des SybronEndo- elements-free-Systems (Kerr) warm vertikal in der Continuous-Wave-Technik6 mit Guttapercha und AH Plus (Dentsply Sirona) obturiert, wohingegen der distale Kanal apikal mit MTA (Endo-Eze MTAflow,  Ultradent , Brunnthal) unter Zuhilfenahme von Handpluggern und Papierspitzen verschlossen wurde (Abb. 3). Die vollständige Wurzelkanalfüllung des distalen Wurzelkanals erfolgte nach dem 24-stündigen Abbindevorgang des MTA an einem weiteren Termin. Die apikale MTA-Barriere wurde mithilfe des Root ZX kontrolliert7 und die vollständige Obturation als durchgängiger Backfill mit dem SybronEndo-elements- free-System durchgeführt (Abb. 4). Das koronale Wurzeldrittel wurde mit Smart Dentin Replacement (SDR, Dentsply Sirona) adhäsiv verschlossen und schließlich die gesamte Kavität mit SDR als Unterfüllung und Filtek Supreme XTE als Deckfüllung (3M, Neuss) aufgefüllt (Abb. 5). Als Adhäsivsystem wurde dabei − aufgrund der vorhandenen Kompositfüllung − Clearfil SE Bond zusammen mit dem Silanhaftvermittler Clearfil Porcelain Bond Activator (beide Kuraray, Hattersheim am Main) verwendet.

Ergebnis und Follow-up

Hinsichtlich des anatomisch-funktionellen Zahnerhalts war die endodontische Behandlung zunächst erfolgreich und fast ein Jahr nach Behandlungsabschluss zeigte die Kontrollaufnahme eine deutliche, aber noch unvollständige Regeneration der apikalen Läsion (Abb. 6) gegenüber der Kon­trollaufnahme unmittelbar nach der vollständigen Obturation der Wurzelkanäle (Abb. 5). Darüber hinaus konnte eine vollständige Remission der klinischen Symptomatik aufgrund von Fistelungen und Schwellungen unmittelbar nach der Wurzelkanalbehandlung beobachtet werden. Eine Überkronung des Zahns lehnte die Patienten trotz ausgedehnter Defektkonfiguration ab.

Diskussion

Die ungehinderte, entzündlich bedingte Wurzelresorption kann zum Verlust des Zahnes führen und muss daher von selbstlimitierenden, resorptiven Prozessen diagnostisch unterschieden werden. Ätiologisch führt eine Verletzung der äußeren Präzementschicht, etwa aufgrund von Zahntraumata oder kieferorthopädischen Zahnbewegungen, zur Exposition der freien Wurzeloberfläche, woraufhin Zellen mit klastischer Aktivität migrieren und den Resorptionsprozess initiieren8−10. Ohne bakterielle Stimulation der klastischen Zellen stoppt der Prozess innerhalb kürzester Zeit. Kleinere Defekte werden innerhalb von drei Wochen durch zementähnliches Gewebe repariert. Größere Defekte führen demgegenüber zu einer Anlagerung von Osteoblasten, die eine Ersatzresorption mit ankylotischer Heilung bewirken1

Die entzündlich bedingte apikale externe Resorption zeichnet sich demgegenüber durch eine kontinuierliche Stimulation der klastischen Zellen aufgrund bakterieller Proliferation aus und geht mit einer voranschreitenden irreversiblen Destruktion der Wurzelstrukturen einher1. Die Auflösung der bakteriellen Infektion führt vorhersagbar zum Stillstand der Resorptionsprozesse4, weswegen sich eine frühzeitige endodontische Behandlung der infizierten nekrotischen Pulpa und der bakteriell besiedelten Dentintubuli vorteilhaft auf die Prognose auswirken11. Das endodontische Behandlungsprotokoll sieht daher eine Reduktion der bakteriellen Kontamination durch chemomechanische Präparation und vollständige Obturation der Wurzelkanäle vor12−14.

Ist die mechanische Präparation der Kanäle durch einen weiten Apex und dünne Wurzelwände limitiert, kann eine medikamentöse Einlage mit Kalziumhydroxid die bakterielle Desinfektion zusätzlich fördern1. Die Langzeiteinlage von Kalziumhydroxid verspricht hier gegenüber der kurzzeitigen Anwendung einen größeren antibakteriellen Effekt. Nachteilig wirken sich allerdings die damit assoziierte erhöhte Gefahr von Wurzelfrakturen15 und der nekrotisierende Effekt auf die Zellen des Parodontiums aus16.

Die fehlende natürliche apikale Konstriktion führt außerdem zur unerwünschten Drainage in das apikale Gewebe, sodass trotz sorgfältiger Einhaltung der Arbeitslängen sowohl bei der An­wendung von Spülflüssigkeiten als auch bei der Obturation die Gefahr einer Materialextrusion besteht. 

Die Toxizität der Natriumhypochlorit-Lösung steigt konzentrationsabhängig an, weswegen die Verwendung niedrig konzentrierter Spülflüssigkeiten mit ausreichender Desinfektionswirkung empfohlen wird17. Im vorliegenden Fall wurde daher auf eine niedrig konzentrierte Natrium­hypochlorit-Lösung zurückgegriffen, um unerwünschte apikale Gewebeirritationen bei der schallaktivierten Anwendung zu reduzieren.

Bezogen auf die Wurzelfüllung lässt sich eine Materialextrusion nicht zuverlässig vermeiden, weswegen sich gegenüber den konventionellen Wurzelfüllmaterialien MTA zur Bildung einer apika­len Barriere etabliert hat5. Es zeichnet sich durch seine wirksame Abdichtung von Dentin und Zement gegenüber dem apikalen Gewebe, gute Gewebeverträglichkeit sowie Regenerationsförderung im angrenzenden Parodontium aus18,19. Darüber hinaus überzeugt das Material aufgrund seiner Dimensionsstabilität und seiner Unempfindlichkeit gegenüber Feuchtigkeitszutritt20. Die Applikation unter Längenkontrolle und Sicht durch das Dentalmikroskop hilft bei der präzisen Platzierung des MTA-Plugs. Zusätzlich kann das Material mithilfe von Ultraschallanwendung verdichtet werden, worauf im vorliegenden Fall aufgrund des fehlenden Widerlagers verzichtet wurde. Die Dichtigkeit wurde daher mithilfe der elektrometrischen Längenmessung kontrolliert, nachdem das MTA vollständig abgebunden war7.

Fazit

Der vorliegende Fall zeigt die komplexe endodontische Therapie eines ersten Unterkiefermolaren mit entzündlich bedingter apikaler Wurzelresorption. Die Notwendigkeit der Anpassung des Behandlungsprotokolls zur erfolgreichen Therapie eines Zahnes mit ansonsten hoffnungsloser Prognose wurde aufgrund fortgeschrittener Destruktion der apikalen Wurzel notwendig. Unter Anwendung von MTA konnten innerhalb eines Jahres nach Behandlungsabschluss röntgenologisch der Stillstand der resorptiven Prozesse und eine deutliche apikale Defektausheilung nachverfolgt werden. Weitere Kontrollen sind notwendig, um den weiteren Heilungsverlauf zu kontrollieren.

Ein Beitrag von Dr. Niklas Alexander Burgard und Prof. Dr. Stefan Rüttermann, Frankfurt am Main

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Endodontie 03/2021 Endodontie

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