„Unser Ziel für die nächsten zwei Tage: die Darstellung der oralen Implantologie nicht wie sie ist, sondern wie sie sein wird“ – mit diesem Eingangsstatement eröffnete der Kongresspräsident und Fortbildungsreferent der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Implantologie (DGZI) den 48. Internationalen Jahreskongress der DGZI, der dieses Jahr in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf stattfand.
Die 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern erlebten am ersten Kongresstag 80 Table Clinics und Übertragungen von zwei Live-OPs/Behandlungen via Internet sowie eine vielbeachtete Digitale Poster Präsentation, der Samstag stand ganz im Rahmen der Wissenschaft: Namhafte Referenten präsentierten 20 wissenschaftliche Vorträge, abgerundet mit Kursen für das Praxispersonal und einer großen begleitenden Dental-Ausstellung mit 25 ausgesuchten Industriepartnern.
Neuer Ablauf, neue Inhalte
Sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf den Ablauf und die Kongressstruktur wurde in Düsseldorf Neuland beschritten. Dass der Kongress dabei (vorläufig) etwas kleiner als in den Vorjahren geworden war, wurde von den Kongressmachern bewusst in Kauf genommen – „wir hätten auch andere Teilnehmerzahlen akzeptiert“, so DGZI-Vize Dr. Rolf Vollmer, der erneut eine stattliche Anzahl von ausländischen Gästen und Vertreter befreundeter ausländischer Fachgesellschaften begrüßen konnte, aber – so Vollmer – „unsere zunächst angepeilte Teilnehmerzahl für dieses neue Format wurde sogar deutlich überschritten und hat uns bestätigt, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben!“
Zahnerhalt und Implantologie
Im Rahmen des Zukunftspodiums stellten ein Zahnarzt und Hochschullehrer, ein Zahntechnikermeister und ein Zukunftsforscher ihre Visionen unseres Berufs vor: Mit Prof. Dr. Christian Gernhardt stellte einer der führenden konservierenden Hochschullehrer klar: „Zahnerhalt und Implantologie, einst als Widerspruch empfunden, sind angesichts der gravierenden, demographischen und dentalspezifischen Veränderungen nicht gegeneinander aufgestellt, ganz im Gegenteil, sie weisen erstaunliche Parallelen auf! Auf die Gewichtung kommt es an“, so Gernhardt. Beide Verfahren sollten sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, beide haben ihre Berechtigung und verfügen über hervorragende Langzeitergebnisse. In der patientenindividuellen Beurteilung und Entscheidungsfindung sieht Gernhardt den entscheidenden Ansatz für ein erfolgreiches Miteinander, unabdingbar angesichts der demographischen und standespolitischen Entwicklungen.
Herausforderung ist nicht die Anwendung, sondern die Integration
Zahntechnikermeister Ralph Riquier erwies sich ab dem ersten Satz seines Vortrags nicht nur als Experte seines Fachs, sondern auch als Visionär. Die die Optionen der digitalisierten Zahntechnik schlagen auch ihn in den Bann, dennoch zeigte Riquier auch Limitationen und neue Ausgangsbedingungen auf, die das Berufsbild der Zahntechniker und Zahnärzte verändern werden. Sein Credo: Digitale Kompetenz und Umgang mit Daten und Datenstrukturen als Voraussetzung für eine kontrollierbare und systemunabhängige Zahnmedizin – „die Herausforderung der Zukunft heißt nicht Anwendung, sondern Integration“, so Riquier. Ein digitales Schnittstellenmanagement gehöre zum essenziellen „Handwerkszeug“ einer unabhängigen Zahnmedizin. Riquier betonte, dass oft die Datensätze untereinander nicht kompatibel und damit in der gemeinsamen Anwendung wertlos werden. „Da wird Einiges gemacht, was gar nicht gematcht werden kann!“ Ohne diese unbedingt erforderliche Interoperabilität werde die weitere digitale Entwicklung weder möglich noch sinnvoll sein. Sein Fazit: „Transformieren auch Sie – vom Bediener zum Beherrscher!“
Nach smart kommt intelligent
Prof. Wolfgang Henseler forderte das Auditorium zu einem „Neuen Denken“ auf und nahm das Auditorium mit in das Zeitalter„Zahnarzt 4.0“. Eine zentrale Forderung seines Beitrags war der nach der digitalen Transformation mit dem Ziel, sensorisch an den Menschen (Patienten) heranzukommen und seine Nähe zu suchen. Das von Henseler eingeschlagene Tempo kann man mit Fug und Recht als rasant beschreiben, der Referent stellte klar, dass sich durch die Digitalisierung sämtliche Bereiche des Lebens drastisch verändern, besonders die Arbeits- und Wirtschaftswelt: „Nur smart and robotic (Version 4.0) funktioniert nicht mehr!“, so Henseler „künftig gilt intelligent und singulär (5.0). Um alle diesbezüglichen Potenziale nutzen zu können, sei eine veränderte Art des Denkens vonnöten. Entscheidend für künftigen Erfolg sei die Erlangung von Kenntnis, „was der Patient benötigt, noch bevor dieser das selbst weiß“, so Henseler. Dennoch: „Es geht nicht um Technologie, sondern um den Nutzen der Technologie für den Menschen!“
Dran bleiben heißt, aktiv werden!
In der anschließenden Diskusssion der drei Referenten, zu denen der in eigener Praxis niedergelassene Oralchirurg Dr. Kai Vietor stieß, wurde klar – ein „Weiter so!“ ist nicht möglich, wenn man nicht in Gefahr laufen möchte, den Anschluss zu verlieren. Dies gilt für die gesamte Zahnmedizin, besonders aber auch für die besonders technikaffine orale Implantologie.
Eine Übertragung von zwei Live-Operationen aus Competence Centern in Leipzig und München in den Tagungssaal mit Hilfe der Multi-Channel-Streaming-Technik ermöglichte auch (ausländischen) DGZI-Mitgliedern, die nicht beim Kongress in Düsseldorf anwesend sein konnten, einen einmaligen Einblick in die Arbeit renommierter Kollegen zu erleben – in HD Qualität. Das Kollegentrio Dres. Thomas und Christian Barth und Stefan Ulrici überzeugten mit ihren live übertragenen Eingriffen zum Thema ISY-Lösung – durch Minimalisierung zum Erfolg. Es gelang den Operateuren darzustellen, dass sich der Ansatz der Minimalisierung nicht nur auf die chirurgischen Protokolle bezieht, sondern auch auf weitere Bereiche des digitalen Workflow, so zum Beispiel die digitale Abformung.
Aus Bad Oeynhausen präsentierte PD Dr. Jochen Tunkel in sauber dokumentierten Patientenfällen seine Erfahrungen und Vorgehensweise mit der Schalentechnik und hatte hierbei die sichere und langzeitstabile Anwendung dieses Verfahrens im Fokus. Damit grenzte sich Tunkel von einer Alternative, die jüngst für Aufsehen sorgt, ab: Die allogenen Knochenblöcke werden auf Basis von DVT gewonnenen Daten patientenindividuell hergestellt und eingesetzt. Beiden Verfahren gemeinsam: Sie sind für den Patienten weniger belastend, da eine zweite Entnahmestelle, wie diese bei autologen Transplantaten unvermeidbar ist, entfallen.
Tischdemonstrationen der Aussteller
An runden Tischen fanden in drei Staffeln Tischdemonstrationen zu unterschiedlichsten Spezialthemen der Implantologie statt. Jede ausstellende Firma hatte einen Tisch zur Verfügung gestellt bekommen und Referenten verpflichtet, die die Demonstrationen durchführten – hier erwiesen sich die unmittelbar zur Demonstration stattfindenden und auch die anschließenden Diskussionen und Austausche als sehr erkenntnisbringend. Ein neues Format, welches auf hohe Akzeptanz sowohl der Kongressteilnehmer, als auch der Dentalaussteller stieß.
Digitale Poster Präsentation (DPP)
Die DPP fand an beiden Kongresstagen mit Poster Presentern in der DPP Lounge im Ausstellungsbereich vor dem Tagungssaal statt. Alle Poster konnten auch online über mobile Geräte abgerufen werden. Die DPP ist internetbasiert und interaktiv. Aus den eingereichten Postern wurden die Preisträger gekürt, die ersten drei Preise wurden im Rahmen des Samstagvormittags verliehen. Die Hamburger Arbeitsgruppe um Prof. Ralf Smeets konnte die Plätze 1 bis drei mit in die Hansestadt nehmen.
Am zweiten Kongresstag standen die wissenschaftlichen Aspekte im Mittelpunkt. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme zu aktuellen Trends ging es auch hier verstärkt um die Implantologie der Zukunft. Das Samstagsprogramm des 48. Internationalen Jahreskongresses der DGZI bot somit wissenschaftliche Überblicksvorträge zu digitaler Implantologie/Prothetik, Knochen und Gewebe und Materialien und Design.
Schlüsselelement ist die Membran
Im ersten Vortragsblock ging es um Knochen und Geweberegeneration, GTR/GBR-Techniken, Biomaterialien und innovative Konzepte in der Periimplantitisbehandlung und Bioengineering. Um diesen Themen unter dem Zukunftsaspekt gerecht zu werden, boten die Kongressverantwortlichen auch die Meinungsbildner zu den jeweiligen Fragestellungen auf. Das Hamburger Referentenduo Dr. Elika Madani und Prof. Ralf Smeets referierte zu GTR/ GBR Techniken. Beide stellten zu Beginn fest: „Schlüsselelement ist die Membran!“, vor allem immer dann, wenn Füllmaterialien zum Einsatz kommen sollen. Mit der Membrananwendung verbessert sich das outcome für den Patienten ganz erheblich. Bei der Behandlung periimplantärer Läsionen sollte als Füllmaterial eine Kombination von Emdogain und bovinem Material zum Einsatz kommen.
Prof. Thorsten Auschill wies zu Beginn darauf hin, dass es bei der Periimplantitisdefinition bereits Unklarheiten gebe, „uns fehlt die Baseline“, so der Marburger Hochschullehrer, „definieren wir eine Periimplantitis ab einem Knochenrückgang von mehr als 5 Millimetern, oder ab der 3. Schraubenwindung? Hier gibt es keine einheitliche Nomenklatur!“ In jedem Fall müssen im Mittelpunkt einer Periimplantitisbehandlung die Eliminierung klinischer Entzündungszeichen und die Stabilisierung des Knochens stehen. „Unser Ziel: Regeneration statt Reparation“, war das Statement von Prof. Dr. Werner Götz. Der Bonner Grundlagenforscher nahm das Auditorium mit auf einen hervorragenden Überblickvortrag durch Scaffolds, 3-D-Printing bis hin zur Stammzellenforschung.
Digitaler Workflow und Entwicklungen der Implantologie
Prof. Lorenzoni widmete sich der kompletten Workflow-Kette – nur mit digital unterstützten Verfahren würde die minimalinvasive flappless-surgery und das Sofortversorgungskonzept möglich. Dies ergänzte Prof. Dr. Dr. Piwowarczyk mit Ausführung zum Teilaspekt CAD/CAM in der Implantologie und stellte 10-Jahres-Ergebnisse vor. Prof. Smeets liebte die diskrete Provokation, in dem er zu Beginn seiner Ausführungen die Frage stellte: Immer dünner, immer kürzer, immer weißer? „Wir werden immer biologischer und wir werden immer digitaler – das ist kein Gegensatz!“ In der Verwendung dünner, schmaler Implantate und solcher aus Zirkondioxid sieht Smeets eher eine Option zur Indikationserweiterung und für die Versorgung von speziellen Fällen als einen Anlass zum Paradigmenwechsel.
Materialien und Design
Der argentinische Oralpathologe Prof. Daniel Olmendo berichtete über biologische Effekte von Titaniumpartikeln. Er definierte Korrosionseffekte als Hauptursache für Implantatkomplikationen und stellte die Ergebnisse einer Vielzahl eigener Studien zu diesem Thema vor. In seinemn Ausblick setzte er große Hoffnung in die Verwendung von Zirkonoxidimplantaten.
Dr. Elisabeth Jacobi-Gresser widmete ihre Ausführungen dem Nachweis patientenbedingter Risikofaktoren in der Implantologie. Die Referentin sieht eine Lösung für diese Patientengruppe ebenfalls in der Verwendung von Zirkonoxidimplantaten und präsentierte Fallbeispiele. Laut Prof. Andrea Mombelli ist die Entwicklung im Bereich Titanimplantate abgeschlossen, er sieht die Zukunft der Zahnheilkunde metallfrei und die Zukunft der Implantologie im zweiteiligen Zirkondioxidimplantat.
Zu einem seiner Hauptforschungbereiche konnte Prof. Knut Grötz sprechen, der Ausweitungen der Implantat-Indikationen vorstellte. Zunächst, so Grötz, gelte es indes sich Gedanken über das Implantatdesign zu machen und hier sieht er zweiteilige Tissue-Level-Implantate aus Titan nicht nur als Benchmark, sondern auch für besondere Anforderungen als besonders geeignet an. Ausgehend von dieser Definition ist auch eine Ausweitung der Implantatindikation auf Risikopatienten möglich, die bis dato von Implantatversorgungen ausgeschlossen waren.
Zukunftskongress Implantologie – ein erstes Fazit
Mit dem Düsseldorfer Kongress konnten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Tat ein herausragendes und innovatives Fortbildungsereignis erleben. Als Fazit des ersten Zukunftskongresses kann festgestellt werden, dass es im Hinblick auf die implantologische Praxis der Zukunft neben wissenschaftlichen und technologischen Gesichtspunkten vor allem um strategische Fragen und deren Beantwortung geht.
Die DGZI wird an diesem Thema dranbleiben und so ihre Bedeutung und Anziehungskraft auch im Hinblick auf den 2020 bevorstehenden 50. Jahrestag ihrer Gründung einmal mehr unter Beweis stellen.
Dr. Georg Bach, Freiburg im Breisgau