Ein besonderes Highlight der EuroPerio10 waren die Nightmare Sessions, jeweils zu implantologischen und zu parodontologischen realen Fällen. In der Session am Donnerstag wurden reale klinische Fälle aus der Praxis und von erfahrenen Klinikern vorgestellt, die während der Implantattherapie bei ihren eigenen Patienten auf unerwartete Schwierigkeiten gestoßen sind. Ernsthafte Komplikationen wie unbeabsichtigte Schädigung der Nachbarzähne, frühzeitiger Implantatverlust direkt nach der prothetischen Belastung, mehrfache Spätschäden, Auftreten schwerer Periimplantitis bei theoretisch gut versorgten Patienten und so weiter dienten als Diskussionsgrundlage für Moderator Lior Shapira, Referenten und Zuhörer, die in Echtzeit Fragen stellen konnten.
Von dem Patientenfall von Øystein Fardal über Tiernan O‘Brien bis zu Luca Landi zeigten sich alle Vortragenden als Profis – auch im Umgang mit eigenen Fehlern. Fardals Fazit: Zähne sind Implantaten überlegen, denn:
- Zähne sind mehr als 35 Jahre in situ, bevor Parodontitis ein Problem werden kann – bei Implantaten entwickelt sich durchschnittlich nach 5 bis 8 Jahren eine Periimplantitis.
- die Verlustrate über zehn Jahre liegt bei Zähnen bei 1,5 Prozent, bei Implantaten zwischen 2 und 15 Prozent.
- bei Recallpatienten tritt Periimplantitis 4 bis 5 mal häufiger auf als Parodontitis.
- Parodontitispatienten haben ein erhöhtes Risiko für implantologische Komplikationen.
So wunderbar die neuen therapeutischen Möglichkeiten sind, die die Implantologie eröffnete, ist laut Fardal ein Implantat dennoch als letzte Option zu sehen und der Zahnerhalt ihr überwiegend vorzuziehen.
Ein einfacher Fall – und 16 Jahre Elend
Dr. Tiernan O’Brien aus Galway (Irland) beschrieb sehr anschaulich seine Vorbereitung auf das Thema „Nightmare Cases“ – seine erste Reaktion war: So was ist mir nicht passiert. Bei näherem Nachdenken tauchte dann doch der ein oder andere Patientenfall wieder auf: „Man kann nicht mehr als 25 Jahre Patienten behandeln, ohne solche Fälle zu erleben.“ Sein erster Fall begann als Routinefall: 44-jähriger Patient mit Diastema bat um Versorgung eines fehlenden seitlichen Schneidezahns. Das Platzangebot war ausreichend – und dennoch zeigte sich im Röntgenbild, dass das Implantat (prothetisch ideal positioniert) in die Wurzel des mittleren Schneidezahns inseriert wurde, die stärker anguliert war, als im derzeit üblichen zweidimensionalen Röntgenbild erkennbar.
„What have we done – and what do we now?“ so O’Brien. Das Implantat wurde entfernt, es folgte eine endodontische Versorgung des 1ers, der langfristig nicht erhalten werden konnte, die neuerliche implantologische Freiendversorgung verzeichnet seit Jahren einen ständigen Knochenverlust, sie wird wohl demnächst entfernt werden müssen: „A Simple Case – and 16 years of misery“, so der Referent. Hier sind Guided Surgery Systeme mit ihrer stets gleichen Genauigkeit ein fantastisches Tool. Doch auch seine Lektionen aus seinen Fällen beinhalten konkrete Vorgaben wie „Vorsichtig agieren – immer! Jeden Schritt prüfen. Die Konsequenzen bedenken“, aber auch die Erkenntnis: „Fehler passieren einfach“. Und eigentlich zeigte sich in dieser wie in der Session zu „parodontologischen Alpträumen“ am Freitag auf sehr erfreuliche Weise, dass trotz aller Optimierung, der Technik und der Wissenschaft in der Zahnmedizin nicht nur im Behandlungsstuhl ein Mensch sitzt, sondern auch auf der Behandlerseite.
Übrigens: Sämtliche Vorträge des mehrzügigen Programms der EuroPerio10 sind noch drei Monate lang on demand für registrierte Teilnehmer abrufbar.
Karen Nathan, Berlin