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Lücken und Verharmlosung – Lungenmediziner fordern konsequenten Jugendschutz

(c) ilkov_igor/shutterstock.com

„Die Tabakindustrie greift mit immer neuen Nikotinprodukten an – die Jugend ist dem nahezu schutzlos ausgesetzt. Damit ziehen wir uns kontinuierlich neue Generationen von Nikotin-Abhängigen heran“, sagt Prof. Wolfram Windisch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Nikotinbeutel drängen auf den Markt. Schon jetzt verursachen rauchbedingte Erkrankungen laut DGP jährlich fast 100 Milliarden Euro an ökonomischen Kosten. „Neueste Untersuchungen zeigen, dass Produkte verharmlost werden, falsche Versprechungen zur Tabakentwöhnung kursieren und Lücken beim Jugendschutz schamlos ausgenutzt werden“, so Windisch.

Kinder und Jugendliche vor dem Suchtpotenzial besser schützen

Die DGP fordert von der sich jetzt bildenden Regierungskoalition: „Sie müssen Kinder und Jugendliche vor dem enormen Suchtpotenzial der bunten Nikotin-Produkte besser schützen.“

Wie die Nikotinindustrie den Einfluss von Influencern und Lieferdiensten nutzt, haben Dr. Claudia Bauer-Kemeny und Matthias Urlbauer untersucht. „Auch wenn das Tabakerzeugnisgesetz konkret Werbung für Tabak und nikotinhaltige elektronische Zigaretten im Internet verbietet, werben Influencer über ihre Social-Media-Kanäle illegal für Tabak- und andere Nikotinprodukte“, sagt Bauer-Kemeny, Leiterin der Abteilung Prävention der Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg.

Werbebeschränkungen werden nicht konsequent kontrolliert und umgesetzt

Zahlen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zeigen: Mehr als 40 Prozent der bekanntesten deutschen Rap-Musiker werben in den sozialen Medien für E-Zigaretten oder Shisha-Tabak. Ihre Zielgruppe sind die unter 20-Jährigen – erreicht werden Millionen von Followern. „Bestehende Werbebeschränkungen für Tabak und E-Zigaretten werden von den Behörden in Deutschland nicht konsequent kontrolliert und umgesetzt“, unterstreicht die Zahnmedizinerin.

Fordern einen konsequenten Jugendschutz (v.o.l.n.u.r.): Prof. Wolfram Windisch (privat), Dr. Claudia Bauer-Kemeny (DGP), Matthias Urlbauer (DGP), Prof. Stefan Andreas (Lungenfachklinik Immenhausen), Magᵃ Waltraud Posch (privat) und Dr. Alexander Rupp (privat)
Fordern einen konsequenten Jugendschutz (v.o.l.n.u.r.): Prof. Wolfram Windisch (privat), Dr. Claudia Bauer-Kemeny (DGP), Matthias Urlbauer (DGP), Prof. Stefan Andreas (Lungenfachklinik Immenhausen), Magᵃ Waltraud Posch (privat) und Dr. Alexander Rupp (privat)
(c) DGP

In Deutschland regelt der Jugendschutz, dass Tabakwaren und andere nikotinhaltige Erzeugnisse und deren Behältnisse an Kinder oder Jugendliche nicht abgegeben werden dürfen. Auch in Automaten – die für Kindern und Jugendlich zugänglich sind – darf es keines dieser Angebote geben. „Wir haben bei unseren Beobachtungen auch Automaten mit verschiedenen E-Zigaretten entdeckt, die keine 30 Meter von einer Schule entfernt stehen“, sagt Matthias Urlbauer, Arzt der Medizinischen Klinik 3 mit Schwerpunkt Pneumologie am Klinikum Nürnberg – Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg.

Alterskontrollen werden zum Teil umgangen

Ganz besonders leicht werde es einem bei Online-Händlern gemacht: „Die Alterskontrolle wird zum Teil umgangen, häufig reicht es, den Button ‚Ich bin über 18‘ für Bestellungen anzuklicken, Altersnachweise wie das Hochladen des Ausweises sind nicht immer erforderlich und Entgegen der Angaben von Lieferdiensten gibt es häufig auch keine Alterskontrolle bei der Auslieferung“, sagt Urlbauer, der in seiner Klinik die Tabakentwöhnung leitet.

Auch Nikotinbeutel seien im Internet problemlos ohne echte Alterskontrolle erhältlich – obwohl das Inverkehrbringen von Nikotinbeuteln in Deutschland derzeit verboten ist. „Der Jugendschutz im Hinblick auf Tabak- und andere nikotinhaltige Produkte wird nicht ausreichend umgesetzt. Notwendig sind eine strengere Regulierung, stärkere Kontrollen und höhere Strafen bei Zuwiderhandlungen“, betont Urlbauer.

E-Zigaretten führt nur selten zur Tabakentwöhnung

Auch auf die Darstellungen der Industrie zur E-Zigarette als hervorragende Möglichkeit zur Tabakentwöhnung hat die DGP eine klare Haltung: „Die E-Zigarette zur Entwöhnung ist nicht wirksamer als eine kombinierte Nikotinersatztherapie, bei der Nikotin über pharmazeutische Nikotinersatztherapeutika wie Pflaster, Kaugummis, Tabletten oder Sprays zugeführt wird, um die Entzugserscheinungen und das Verlangen nach Nikotin zu lindern“, sagt Prof. Stefan Andreas, Sprecher der DGP-Sektion Tabakprävention und Gesundheitsfürsorge. „Unsere Untersuchungen zeigen: 50 Prozent derjenigen, die von der Tabakzigarette auf die E-Zigarette umsteigen wollen, rauchen am Ende beides. Und diese Doppelnutzung führt nur selten zur Entwöhnung“, so der Chefarzt der Lungenfachklinik Immenhausen, Pneumologische Lehrklinik der Universitätsmedizin Göttingen.

„Dual Use“ gefährlicher als Tabakzigaretten allein

Mit Blick auf die Analyse von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und des Stoffwechsels fasst er zusammen: „Nach einer aktuellen Metaanalyse sind E-Zigarette etwa so gefährlich wie Tabakzigaretten. E-Zigaretten sind deutlich gefährlicher als Nichtrauchen. Und die Doppelnutzung, der sogenannte ‚Dual Use‘, wirkt sich auf die Gesundheit gefährlicher aus als Tabakzigaretten allein.“ Einen kritischen Blick wird Andreas auch auf den Einfluss der Nikotinindustrie auf Forschungsarbeiten: „Finanziert die Industrie die Arbeit mit, hat das vielfach Einfluss auf die Ergebnisse: Es wird kaum eine schädliche Wirkung der E-Zigarette angezeigt. Anders bei fast allen wissenschaftlichen Publikationen ohne ausgewiesene Interessenskonflikte mit der Industrie: Diese zeigen die potenziell schädlichen Effekte der E-Zigarette deutlich auf.“

Die Sprache der Tabakindustrie durchschauen und kritisch hinterfragen

Die Nikotinindustrie nutzt Sprache dazu, um ihre neueren Nikotinprodukte zu vermarkten und als relativ harmlos zu charakterisieren. Das Framing der Tabak- und Nikotinindustrie vermeidet dementsprechend Begrifflichkeiten wie „Rauchen“, „Zigarette“, „Schaden“ und „Sucht“. Stattdessen verwendet sie Begriffe wie „risikoreduziert“, „rauchfrei“, „tabakfrei“ „dampfen“ und „alternative Produkte“, welche angenehm und ungefährlicher klingen. Diese Sprache kann als Teil einer gezielten Marketingstrategie der Tabak- und Nikotinindustrie verstanden werden, die das Risiko, das mit dem Konsum von Nikotinprodukten verbunden ist, als gering darstellt.

„Sprache schafft Wirklichkeit. Sie beeinflusst das Denken, die Deutung der Wirklichkeit und wofür wir Handlungen wichtig finden – oder eben nicht“, sagt die Soziologin Waltraud Posch von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention in Graz. Daher brauche es eine klare Nomenklatur, die das Gefährdungs- und Suchtpotenzial von Nikotinprodukten widerspiegeln. „Es ist wichtig, die Sprache der Tabak- und Nikotinindustrie zu durchschauen und kritisch zu hinterfragen. Denn die Tabak- und Nikotinindustrie benennt ihre neuen Produkte mit harmlosen, angenehmen Begriffen und vermeidet damit, Nikotinprodukte und deren Konsum entsprechend ihrem Gefährdungspotenzial zu benennen.“

Weiterführende Informationen:

DGP-Positionspapier „Kodex zum Umgang mit der Tabak- und Nikotinindustrie – Handlungsimpuls für wissenschaftliche Fachgesellschaften“

DGP-Kodex zum Verhalten gegenüber der Tabakindustrie

Weitere DGP-Informationen zur Nikotin- und Tabakentwöhnung

Quelle: DGP Interdisziplinär Patientenkommunikation Team Bunte Welt

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