Antiresorptive Medikamente wie Bisphosphonate und der monoklonale Antikörper Denosumab sind wirksam in der Osteoporosetherapie und bei malignen Knochenerkrankungen (ossäre Metastasen, Multiples Myelom), können aber Antiresorptiva-assoziierte Kiefernekrosen (AR-ONJ) auslösen. Obwohl der genaue Mechanismus der AR-ONJ-Entstehung noch unklar ist, existieren zuverlässige Behandlungsstrategien zur ONJ-Vermeidung, da die Assoziation mit lokalen Infektionen beziehungsweise bakteriellen Eintrittspforten klinisch und wissenschaftlich gesichert ist. Die steigende Zahl betroffener Patienten durch eine alternde Bevölkerung, eine Ausweitung der Indikation und steigende Anzahl an Verordnungen rechtfertigt sich aus dem gesamtskelettal überwiegenden Nutzen für die Allgemeinheit. Gleichsam bleibt die AR-ONJ eine Herausforderung für den interdisziplinären Behandlerverbund aus Zahnmedizinern, Parodontologen, Mund-, Kiefer-, Gesichts- und Oralchirurgen einerseits und den ärztlichen AR-Verordnern andererseits. Nur durch interdisziplinär abgestimmte individuelle Behandlungsstrategien ist eine wirksame ONJ-Vermeidung sicherzustellen. Einen Überblick über antiresorptive Medikamente und über aktuelle Behandlungskonzepte geben Dr. Dr. Daniel G. E. Thiem und Prof. Dr. Dr. Knut Grötz in ihrem Beitrag für die Parodontologie 1/21.
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Wirkweise und Einsatz von Bisphosphonaten und Denosumab
Trotz ihrer unterschiedlichen Wirkmechanismen eint die Medikamentengruppe der Bisphosphonate und den monoklonalen RANKL-Antikörper Denosumab ihr antiresorptiver Effekt durch Beeinflussung der Osteoklasten. Während Denosumab dies zu einem im Knochenresorptionsprozess frühen Zeitpunkt mittels Aktivierungsblockade der Osteoklasten(-vorläufer) erreicht, lösen Bisphosphonate in Abhängigkeit des Wirkstoffs eine Funktionseinschränkung oder Apopotoseinduktion der Osteoklasten aus. Denosumab bewirkt somit über die antikörpervermittelte Blockade des zur Osteoklastenaktivierung erforderlichen RANK-Liganden (RANK-L) eine Reduktion aktivierter, zur Knochenresorption fähiger Osteoklasten. Aufgrund der angegebenen Halbwertszeit von 24 bis 26 Tagen muss mit einer Wirkung von ca. 100 Tagen nach einmaliger Gabe gerechnet werden1. Demgegenüber stehen die Bisphosphonate mit einer unkalkulierbar langen Halbwertszeit und somit geschätzten Wirkdauer von mehr als 10 Jahren. Grund hierfür ist die hohe Wirkstoffaffinität zum zweiwertigen Kalzium des Knochens bei gleichzeitigem Entzug vor einer hydrolytischen Spaltung als Pyrophosphat. Ihren antiresorptiven Effekt erreichen Bisphosphonate nach phagozytotischer Aufnahme durch die Osteoklasten in Abhängigkeit vom Wirkstoff über eine Inhibition der Farnesyldiphosphat-Synthetase oder über die Apoptoseinduktion als Analogon von Adenosintriphosphat2. Entsprechend ihres Wirkprofils erklärt sich das Haupteinsatzgebiet der beiden Antiresorptiva in der Therapie von Knochenerkrankungen mit gesteigerter Osteoklastenaktivität. Hierzu zählen vornehmlich die fortgeschrittene Osteoporose, die ossäre Metastasierung solider Tumore (insbesondere Mamma- und Prostatakarzinom) und das Multiple Myelom sowie (seltener) die tumorassoziierte Hyperkalzämie, der Morbus Paget oder die Chronische Rekurrierende Multifokale Osteomyelitis (CRMO). Ziel ist dabei die Vermeidung sogenannter „Skeletal Related Events“ (SRE), das heißt, von pathologischen Frakturen, Stabilisationsoperationen frakturgefährdeter Wirbelkörper oder einer Bestrahlung von Knochenmetastasen3.
Nebenwirkungsprofil AR-ONJ
Diesen gut belegten Effekten stehen jedoch zahlreiche ungewollte Arzneimittelwirkungen gegenüber, welche unter sorgfältiger Risikobewertung in Kauf genommen werden. Aufseiten der Bisphosphonate handelt es sich hierbei um die kalziumkomplexvermittelte Hypokalzämie, Mineralisationsdefekte bis hin zur Osteomalazie, Niereninsuffizienz, Ösophagitis und Ösophagusulzerationen, bei Denosumab um Infekte von Harn- und Atemwegen, Ischialgien, Exantheme, Katarakt und Gliederschmerzen. Beiden gemeinsam ist das erhöhte Risiko zur Entstehung der Antiresorptiva-assoziierten Kiefernekrose (englisch antiresorptive agent-related osteonecrosis of the jaw, AR-ONJ). Diese führt bei betroffenen Patienten aufgrund einer regelhaft auftretenden Progredienz der Erkrankung und deren Folgen (Zahn- und begleitende Kieferteilverluste, oroantrale sowie extraorale Fisteln, pathologische Unterkieferfrakturen) in vielen Fällen zu einer schwerwiegenden Einschränkung der Kaufunktion und der allgemeinen Lebensqualität. Die Gründe für die nahezu isolierte Beteiligung des Kieferknochens liegen in der lokalen Häufung von Weichgewebeinfektionen in unmittelbarer Nähe zum Knochengewebe, diese sind aber weiterhin zentraler Bestandteil der Forschung und wissenschaftlicher Diskussionen. Als weitere mögliche Mechanismen in diesem Zusammenhang werden unter anderem eine veränderte Immunabwehr4, ein antiangiogenetischer Effekt mit Ischämiefolge im metabolisch hochaktiven Kieferknochen5 oder die Entstehung reaktiver Sauerstoffradikale mit Proliferationsinhibition der die Wundheilung regulierenden Fibroblasten6 diskutiert.
Die klinische Erfahrung und wissenschaftliche Arbeitshypothese der Weichgewebeinfektion als Hauptauslöser wird durch verschiedene Studien zum Einfluss präventiv-dentaler Maßnahmen auf die Inzidenz der AR-ONJ gestützt. Definiert ist die Diagnose AR-ONJ durch die in einem Positionspapier der Americam Association of Oral and Maxillofacial Surgeons (AAOMS) festgelegte Trias:
- freiliegender und/oder sondierbarer Knochen des Kiefers über einen Zeitraum > 8 Wochen (Abb. 1),
- gegenwärtige oder frühere Behandlung mit Antiresorptiva,
- negative Strahlenanamnese im Bereich des Kiefers ohne offensichtliche Metastasierung der Kopf-Hals-Region.
Eine AR-ONJ kann weiterhin entsprechend ihrem klinischen Erscheinungsbild in vier Stadien unterteilt werden (Tab. 1).
Bedeutung für die Zahnmedizin
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass auch die erfolgreiche Therapie einer manifesten AR-ONJ mit einer langfristigen bis dauerhaften Limitierung der kaufunktionellen Rehabilitation und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität einhergeht, kommt den Maßnahmen zur ONJ-Vermeidung (Prophylaxe vor und Prävention unter/nach AR-Therapie) und der ONJ-Früherkennung eine entscheidende Bedeutung zu. Gleichzeitig rücken aufgrund der anatomischen Zahn-Kiefer-Beziehung die verschiedenen Disziplinen der konservierenden, prothetischen und chirurgischen Zahnmedizin sowie der medizinischen Facharztgruppen mit AR-Verordnung als Behandlungspartner in den Fokus. Der Komplexität von ONJ-Prophylaxe und -Prävention, patientenindividueller Risikobeurteilung und Behandlung der manifesten AR-ONJ wurde mit der Erstellung und der bereits in aktualisierter Form vorliegenden S3-Leitlinie „Antiresorptiva-assoziierte Kiefernekrosen (AR-ONJ)“ (AWMF-Register-Nr. 007-091)7 Rechnung getragen. An dieser Stelle soll auf einen Laufzettel der Arbeitsgemeinschaft für Supportive Maßnahmen in der Onkologie (AGSMO) hingewiesen werden, welcher die Erfassung des patientenindividuellen Risikos, vorgesehene sowie notwendige zahnärztliche Therapiemaßnahmen und empfohlene Recall- Intervalle übersichtlich zusammenfasst (Abb. 4).
Risikobewertung, ONJ-Prophylaxe, -Prävention und -Früherkennung
Die AR-ONJ ist klinisch ein sehr komplexes Krankheitsbild, da sie einerseits, basierend auf einer Arzneimittelnebenwirkung, eine große epidemiologische Bedeutung hat und andererseits die individuelle Wahrscheinlichkeit für die betroffenen Patienten (individuelles ONJ-Risiko) sehr unterschiedlich ist. Die Inzidenzraten lassen es deshalb sinnvoll erscheinen, drei unterschiedliche Risikoprofile zu beschreiben und in die klinische Befunderhebung zu integrieren (Abb. 5). Diese Einteilung ist sowohl theoretisch wie praktisch hochrelevant und sollte am Anfang einer jeden Anamneseerhebung von Patienten „vor“ und „unter/nach“ antiresorptiver Therapie stehen.
Prophylaktische Maßnahmen vor Therapieinitiierung
Grundsätzlich sollte jeder (voll-, teil- oder unbezahnte) Patient vor der Initiierung einer antiresorptiven Therapie beim behandelnden Hauszahnarzt vorgestellt werden8,9. Der behandelnde Hauszahnarzt soll durch den Verordnenden über die für das individuelle AR-ONJ-Risikoprofil relevanten Behandlungsdaten informiert werden. Zu den zahnärztlich-prophylaktischen Maßnahmen zählen insbesondere die Fokussuche, die prothetische Anpassung, inklusive der Beseitigung scharfer Kronenränder oder Druckstellen, sowie die Sanierung von Infektionen und Bakterieneintrittspforten im Mund-Kiefer-Bereich10. Zähne, welche in ihrer Prognose zwar limitiert, aber erhaltungswürdig sind, sollten nicht prophylaktisch entfernt werden. Zähne ohne Hinweis auf Schlupfwinkelinfektionen sollten belassen und eine chirurgische Therapie klinisch asymptomatischer, apikal osteolytischer Zähne sollte unterlassen werden7,11,12. Letztlich bestimmt die Indikation mit der entsprechenden AR-Dosierung die Dringlichkeit der vor Initiation durchzuführenden zahnärztlichen Maßnahmen. So sollte die AR-Initiation aufgrund der niedrigen AR-ONJ-Ereignisrate bei der Osteoporosetherapie durch zahnärztliche Maßnahmen nicht hinausgezögert werden13. Sanierungen von Schlupfwinkelinfektionen durch systematische Parodontaltherapien an erhaltungswürdigen Zähnen können vor der Bisphosphonattherapie begonnen und unter der Therapie fortgeführt werden. Im Gegensatz hierzu sollten die oben genannten Maßnahmen aufgrund des raschen Wirkeintritts und der kurzen Halbwertszeit von Denosumab vor der Therapieinitiierung abgeschlossen sein7,14. Ziel der genannten Maßnahmen ist letztlich die Reduktion des zukünftigen AR-ONJ-Risikos unter gleichzeitiger Eingliederung des Patienten in ein risikoadaptiertes, regelmäßiges Recall-Programm7.
Präventive Maßnahmen unter und nach AR-Therapie
Grundsätzlich ist bei chirurgischen, die Integrität von Schleimhaut und Knochen schädigenden Maßnahmen die Indikationsstellung stets sehr sorgfältig mit Blick auf eine mögliche AR-ONJ-Entstehung zu überprüfen. Daher gelten notwendige, dem Ziel der Beseitigung von kieferassoziierten Infektionsherden dienende zahnärztliche sowie chirurgische Eingriffe nicht als Kontraindikation7. Beachtet werden muss jedoch stets, dass definierte Infektions- und Wundheilungskautelen berücksichtigt werden, wie eine perioperative prolongierte, systemische antibiotische Abschirmung (zum Beispiel durch intravenöses Ampicillin/Sulbactam 1/0,5 g 1-1-1 oder Sultamicillin 375 mg 1-0-1 oder Amoxicillin 1 g 1-1-1 oder Clindamycin 600 mg 1-1-1 ab dem Tag vor der Operation und bis zum Abklingen klinischer Zeichen einer Keimbelastung), eine Abtragung scharfer Knochenkanten, atraumatische Operationen, primär plastische, spannungsfreie Deckungen (subperiostale Präparation bei mittlerer und hoher Risikogruppe überlegen), eine flüssige oder passierte Kostform bei gleichzeitig regelmäßiger Nachsorge bis zur vollständigen mukosalen Abheilung7,15. Eine Empfehlung zur oder gegen die Durchführung eines „drug holidays“ vor zahnärztlich-chirurgischen Maßnahmen wird durch die aktuelle S3-Leitlinie aufgrund der Datenlage nicht ausgesprochen. Ein wichtiger Punkt zur Früherkennung und Senkung der manifesten AR-ONJ ist ein regelmäßiges, risikoadaptiertes Recallverfahren7. Während das Recall-Intervall bei niedrigem Risikoprofil bei 12 Monaten liegen sollte, verkürzt es sich bei mittlerem Risikoprofil auf 6 sowie bei hohem Risikoprofil auf 3 Monate. In diesem Zusammenhang herrscht ein starker Konsens über eine recallassoziierte Empfehlung zur Inanspruchnahme von professionellen Mundhygienemaßnahmen (zum Beispiel professionelle Zahnreinigung) und Unterweisungen zur Verbesserung der häuslichen Mundhygiene sowie die sorgfältige klinische Untersuchung der Mundhöhle zur AR-ONJ-Früherkennung.
Diagnostik der AR-ONJ
Während die klinische Untersuchung obligater Bestandteil bei der AR-ONJ-Früherkennung ist, hat die Anwendung bildgebender Verfahren als Screening-Methode eine nachgeordnete Bedeutung, kann jedoch im Bedarfsfall zur Risikoanalyse ergänzend durchgeführt werden7,16.
Zu den typischen radiologischen Befunden bei manifester AR-ONJ zählen sklerotische Veränderungen des betroffenen Kieferareals, Verdickung von Kortikalis und Kieferhöhlenschleimhaut, Periostanlagerungen, Kortikalisläsionen, Radioluzenzen und Sequestrierungen17. Zur Therapieplanung wird die zweidimensionale Panoramaschichtaufnahme (OPG) im Gegensatz zu dreidimensionalen Bildgebungsmodalitäten (DVT) aufgrund der eingeschränkten Ausmaßanalyse als unzureichend eingestuft. Ebenfalls obligater Bestandteil der Diagnosefindung ist die histologische Sicherung, welche gleichzeitig dem Malignomausschluss dient.
Therapie der AR-ONJ
Die therapeutischen Möglichkeiten der manifesten AR-ONJ beschreiben konservative Therapieversuche, die bei sehr gering ausgedehnten Läsionen und längerer AR-Therapiepause nach Rücksprache von Verordner und Patient angewendet werden können, auch wenn deren Erfolgsaussichten signifikant niedriger sind als die chirurgische Therapie7.
Fortgeschrittene, ausgedehnte und/oder multiple AR-ONJ-Läsionen sollten einem chirurgischen Konzept mit vollständig ossärer Nekrosektomie, Beseitigung scharfer Knochenkanten und mehrschichtigem plastischem, speicheldichtem Verschluss durch einen erfahrenen Spezialisten zugeführt werden. Sämtliche invasive Maßnahmen unter und nach einer AR-Therapie sollen unter systemisch- antibiotischer Abschirmung durchgeführt werden.
Das Ziel der Behandlung sollte patientenspezifisch unter Betrachtung des individuellen Risikos, des Allgemeinzustandes, der Befundschwere und der Gesamtprognose (im Falle einer onkologischen Grunderkrankung) im Sinne des Patienten zur weiteren Therapieplanung definiert werden. Im Zentrum steht hierbei stets die Verbesserung der kaufunktionellen Lebensqualität durch eine möglichst zu erreichende schleimhäutige Abheilung. Die therapeutischen Möglichkeiten reichen dabei von konservativ-minimalinvasiven Maßnahmen, über lokal begrenzte Eingriffe in Lokalanästhesie, hin zur ablativen Chirurgie, gegebenenfalls mit anschließender knöchern-mikrovaskulärer Rekonstruktion (Abb. 6).
Empfehlungen für die Praxis
Aufgrund der perspektivisch steigenden Inzidenz von Patienten vor beziehungsweise unter/nach einer antiresorptiven Therapie empfiehlt sich eine spezifische Anamneseerhebung mit der Frage nach einer geplanten, laufenden oder stattgehabten Therapie mit Antiresorptiva bei allen Patienten. Bei positiver Anamnese gilt es, die betroffenen Patienten einer der drei Risikogruppen zuzuordnen und entsprechende Prophylaxe-, Präventions- und im Bedarfsfall Therapiemaßnahmen durch zielgerichtete Überweisungen zum Spezialisten einzuleiten. Zur Sicherstellung einer bestmöglichen Patientenversorgung sind die interdisziplinäre Zusammenarbeit und der kollegiale Austausch von zentraler Bedeutung und entscheidend für den Behandlungserfolg.
Ein Beitrag von Dr. Dr. Daniel Thiem, Mainz, und Prof. Dr. Dr. Knut Grötz, Wiesbaden
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