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In-vitro-Validierung eines neuartigen Wirkstoffs

(c) Sahrmann, Universität Zürich

PD Dr. Philipp Sahrmann

Zahnhalsüberempfindlichkeit ist ein häufiges Problem, das besonders Parodontitispatienten nach der kausalen Therapie betrifft. Behandelt wird sie üblicherweise zunächst mit sogenannten Desensitizern, deren Aufgabe darin besteht, das Wurzeldentin zu versiegeln oder zu imprägnieren. Trotz eines anfänglich zufriedenstellenden Effekts kommen die Schmerzen beim Einsatz herkömmlicher Präparate nach nur wenigen Wochen zurück. Außerdem werden mit den Desensitizern Wirkstoffe appliziert, die hinsichtlich ihrer Biokompatibilität zu wünschen übrig lassen. Diese Probleme geben Raum für die Entwicklung bioglasbasierter Produkte, deren Inhaltsstoffe unbedenklich sind und die womöglich einen nachhaltigeren Effekt haben. In aufeinander aufbauenden Untersuchungen wurde ein neuartiger Desensitizer auf Bioglasbasis hinsichtlich seines Potenzials zum Verschluss der oberflächlichen Dentinschicht getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass die nach der Applikation vorhandene Matrixschicht über längere Zeit säurestabil bleibt und dass die oberflächennahen Tubulianteile durch den Einbau calcium- und phosphorreicher Verbindungen verschlossen werden.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einführung

Wer kennt das nach dem heißen Sommer in diesem Jahr nicht: Man möchte sich mit einem wirklich eiskalten Getränk oder einem leckeren Eis erfrischen – und im nächsten Moment verharrt man mit schmerzverzerrtem Gesicht, weil die Zahnhälse überempfindlich reagieren.

Selten ist das Problem der überempfindliche Zahnhälse nicht: Offenbar kennen bis zu 98 Prozent der Bevölkerung diese zwar kurzzeitigen, aber doch sehr intensiven Schmerzen13. Insbesondere Parodontitis­patienten, bei denen entzündungsbedingt der marginale Zahnhalteapparat, der letztlich den Zahnhals vor äußeren Reizen schützt, verloren gegangen ist, leiden unter den kurzen, scharfen Schmerzwahrnehmungen auf thermische, taktile, chemische oder osmotische Stimuli. Diese Wahrnehmungen werden, sofern sie durch keine andere erkennbare Ursache erklärbar sind, als Dentinhypersensibilität definiert4. Ursächlich für die unangenehmen Reize sind gemäß der hydro­dynamischen Schmerztheorie Nervenendigungen in den Dentintubuli, welche Flüssigkeitsbewegungen oder Osmolaritätsänderungen registrieren und diesen Reiz zentral als Schmerz weitergeben2.

Wenn die Schmerzen sich durch Hausmittelchen und Zahnpasten nicht unter Kontrolle bringen lassen, wird üblicherweise der Zahnarzt aufgesucht. Die professionelle Behandlung überempfindlicher Zähne sollte mit einem einfachen, nicht oder minimalinvasiven Vorgehen beginnen. Bei persistierendem Schmerz können immer invasivere Maßnahmen wie adhäsive Zahnhalsfüllungen bis hin zur – und das sollte Ausnahmen vorbehalten sein – Devitalisierung und Wurzelkanalbehandlung folgen11.

Für die noninvasive Behandlung stehen in der zahnärztlichen Praxis eine Reihe verschiedenartiger Produkte zum topischen Einsatz zur Verfügung, denen allen zu eigen ist, dass durch die – zum Teil mehrfache und wiederholte – Applikation die Dentinoberflächen oberflächlich versiegelt werden oder leicht visköse Substanzen die poröse Zahnoberfläche infiltrieren3. Diese Materialien präzipitieren auf der Zahnoberfläche bzw. den Dentintubuli in den oberflächlichen Dentinschichten in Anwesenheit von Wasser oder werden mit Polymerisationslampen ausgehärtet9,14. Damit verbleiben in den meisten Fällen synthetische Materialien äußerst unterschiedlicher Zusammensetzung auf oder in der Zahnhartsubstanz. Darunter finden sich Stoffgruppen wie HEMA7, TEGDMA12 und Bis-GMA16, die hinsichtlich ihrer Biokompatibilität nicht über jeden Zweifel erhaben sind: Während Methacrylate wie HEMA und Photoinitiatoren wie Campherchinon15 als potenzielle Allergene bekannt sind, steht TEGDMA nach durchgeführten In-vitro-Versuchen im Verdacht, kanzerogen zu wirken12, und Bis-GMA bereitet aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit mit Östrogen Anlass zu Sorgen über womöglich unüberschaubare und unerwünschte biologische Effekte auf den Hormonhaushalt. Zudem neigen die meisten dieser topisch applizierten Desensitizer dazu, unter dem Einfluss des bakteriellen Säureangriffs und putzbedingter Abrasion relativ rasch ihre Wirkung zu verlieren1,10.

Beides, die Wirkdauer, die zu wünschen übrig lässt, und die potenzielle Gesundheitsgefährdung durch die üblicherweise verwendeten Materialien, lässt Raum für verbesserte Lösungen und Produkte, die auf weniger bedenkliche Weise des lästigen Problems Herr werden könnten. Entsprechend diesem Wunsch wird am Potenzial von Biogläsern als Desensitizer geforscht6. Die Firma BioCer aus dem fränkischen Bayreuth hat ein Produkt mit dem Ziel entwickelt, über eine calcium- und phosphatreiche Bioglasmatrix eine möglichst tiefe Obturation der Dentintubuli zu bewirken. In ersten, aufeinander aufbauenden Laborstudien wurde das Verhalten dieser neuartigen Formel an der Klinik für Präventivzahnmedizin, Kariologie und Parodontologie der Universität Zürich untersucht, um das Potenzial für den Einsatz am Patienten und entsprechende klinische Studien abzuschätzen zu können.

Material und Methode

Für eine erste Laborstudie wurden nach einem standardisierten Protokoll Dentinscheibchen mit einem Durchmesser von 3 mm aus dem koronalsten Teil der Wurzel von bovinen Schneidezähnen gewonnen17. Es schloss sich eine Einfassung dieser Dentinscheiben in Kunststoff an, ohne die Glattflächen mit den Tubuli­ausgängen dabei zu kontaminieren. Die Scheiben wurden durch Schleif- und Polierschritte auf eine Dicke von 1,5 mm gebracht, bevor sie unter Bürsten in einem 10-minütigen Bad in 17 %iger EDTA-Lösung von Polierstaub und Dentindetritus gereinigt wurden. Um das Risiko einer bakteriellen Überwucherung der später für 12 Tage in der Versuchsapparatur platzierten Dentinscheiben zu verringern, erfolgte eine Gamma­sterilisation der Scheiben über 35 Stunden bei 12 kGy.

Versuchsaufbau

Abb. 1 Skizze des Versuchsaufbaus. a = Abdeckung der Druckschläuche, b = Druckschlauch, c = künstliche Pulpenflüssigkeit, d = Solldruck, e = Wasser in Auffangbecher, f = feiner Silikonschlauch, g = Acrylatfassung, h = Dentinprobe
Abb. 1 Skizze des Versuchsaufbaus. a = Abdeckung der Druckschläuche, b = Druckschlauch, c = künstliche Pulpenflüssigkeit, d = Solldruck, e = Wasser in Auffangbecher, f = feiner Silikonschlauch, g = Acrylatfassung, h = Dentinprobe
Zur Simulation des natürlichen Pulpendrucks, der einen ständigen Auswärtsstrom nach peripher bewirkt, wurde gemäß einem Standardverfahren5 künstliche Pulpenflüssigkeit in vertikal hängende PVC-Schläuche auf eine standardisierte Höhe von 0,5 m gefüllt. Das untere Schlauchende wurde mit Hilfe eines Applikators, der das Einbringen ohne Berührung der polierten und gereinigten Oberfläche ermöglichte, mit jeweils einem Dentinscheibchen dicht verschlossen. Diese Schlauchenden wurden in Auffangbecher eingehängt, welche mit exakt 50 ml sterilisiertem Leitungswasser gefüllt waren (Abb. 1).

Um eine Kontamination des Experiments durch Staub oder Bakterien bestmöglich zu vermeiden, wurde der Versuchsaufbau unter eine Glaskuppel gestellt, deren Entfernung nur zur studienspezifischen Bearbeitung und zur Probenentnahme erfolgte. Alle im Versuchsaufbau verwendeten Materialien wurden vorher mit Ethylenoxid (3M) über 24 Stunden gassterilisiert.

Vorbehandlung der Dentinproben

Untersucht wurden insgesamt 60 Dentinscheibchen, die in drei Behandlungsgruppen eingeteilt waren. Während die Proben der Gruppe A (Kontrollgruppe) keine Oberflächenbehandlung erfuhren, erfolgten bei denjenigen der Gruppe B (SPD) unmittelbar nach dem Anschließen an den Pulpendrucksimulator eine oberflächliche Lufttrocknung und der Auftrag von ­Seal&Protect (Dentsply Sirona) mit einem sterilen Microbrush. Nach 20 Sekunden wurde die Probenoberfläche erneut getrocknet und entsprechend den Herstellerangaben lichtgehärtet, bevor eine zweite, identische Applikation und Lichthärtung erfolgte. Die Proben der Gruppe C wurden nach dem Einsetzen in die Apparatur ebenfalls luftgetrocknet, und anschließend wurde ein bioglasbasierter Desensitizer (BGD, BioCer Entwicklungs GmbH, Bayreuth, Deutschland) für 5 Minuten appliziert und nach weiteren 5 Minuten verblasen. Bei den Testflüssigkeiten für die Gruppen B und C erfolgte vor der Verwendung eine Gammasterilisation bei 23 kGy.

Säureexposition

Abb. 2 Studiendesign
Abb. 2 Studiendesign
Um das orale Milieu und den bakterienbedingten pH-Wert zu simulieren, wurde jedes der mit einer Probe verschlossenen Schlauchenden dreimal täglich aus seinem wassergefüllten Auffangbecher entnommen und für 10 Minuten in gepufferter Milchsäure bei einem pH-Wert von 5 eingelegt. Schlauchenden und Scheibchen wurden anschließend abgespült und in ihre Becher zurückgelegt. Fünf Scheibchen jeder Gruppe wurden unmittelbar nach dem Auftragen der Testflüssigkeiten aus dem Versuchsaufbau entfernt und als Baseline-Proben zur Untersuchung verwendet. Fünf weitere Proben jeder Gruppe wurden in der Folge an den Tagen 4, 8 und 12 entfernt (Abb. 2).

Bildgebung

Vor der bildgebenden Untersuchung wurden die Proben 24 Stunden lang in einer phosphatgepufferten Glutaraldehydlösung für die Fixierung vorbereitet, in einer Ethanol-Trockenreihe entwässert und dann über 72 Stunden in lichthärtendem Einkomponentenkunststoff (Technovit 7200 VLC, Kulzer) fixiert. Für die Untersuchung wurden die Scheibchen auf elektrisch leitfähige Probenhalter montiert und goldgesputtert.

Zwei verschiedene optische Untersuchungen wurden vorgenommen: Die Aufsichtsuntersuchung erfolgte im Elektronenmikroskop (Zeiss) vertikal zur Scheibenoberfläche. Es wurden jeweils Bilder mit einer 100-, 1.000- und 5.000-fachen Vergrößerung aufgenommen. Auf diesen Bildern wurde in der späteren semiquantitativen Analyse nach Olley der Verschluss der Oberfläche untersucht8. Für die vertikale Schnittanalyse im rechten Winkel zur Oberfläche nach 12 Tagen wurden Proben, die für die Aufsichtsuntersuchung bereits mit Gold gesputtert waren, mit einer Diamantfräse mittig zerteilt, erneut eingebettet, poliert und im Backscatter-­Modus bei 1.000- und 2.000-facher Vergrößerung untersucht.

Oberflächenanalyse

Die Oberflächenmorphologie und -textur der Aufsichtsaufnahmen und der Vertikalschnitte wurden qualitativ beschrieben. In den Aufsichtsaufnahmen wurde der Grad des Tubuliverschlusses anhand der Olley-Klassifikation quantifiziert.

Spektrometrische Untersuchung

An jedem der 12 Versuchstage wurden 20 ml des Wassers, in dem die mit den Dentinscheiben verschlossenen Schlauchenden lagerten, aus den Becken für die Konzentrationsbestimmung des durch die Proben perfundierten Methylblaus entnommen. Nach Entfernung des restlichen Wassers erfolgten eine Spülung und eine erneute Auffüllung der Becher mit 50 ml Wasser.

Proben desselben Tages aus derselben Gruppe wurden gepoolt. Anschließend wurde die Konzentration von Methylenblau, das aus den Schläuchen durch die Disks penetriert war, in einem Doppelstrahl-­Spektrometer (Portmann Instruments) bei einer Wellenlänge von 664 nm bestimmt. Diese Messungen erfolgten für jede Probe je dreimal.

Statistik

Bei den Daten der spektrometrischen Untersuchung kamen Tests für gepaarte und ungepaarte Stichproben (Wilcoxon-Rangsummentest, Mann-Whitney-U-Test) zum Einsatz, um die Ergebnisse auf Unterschiede innerhalb derselben Gruppe (zu unterschiedlichen Zeitpunkten) und zwischen den Gruppen (zu gleichen Zeitpunkten) zu prüfen. Dabei wurde ein Signifikanz­niveau von 5 Prozent festgelegt.

Ergebnisse

Oberflächenanalyse

Kontrollgruppe

Zu Versuchsbeginn waren in allen Vergrößerungen die freien Eingänge der Dentintubuli erkennbar und stellten sich auch an den Versuchstagen 4, 8 und 12 deutlich dar. Bei höherer Vergrößerung wurden zu den späteren Zeitpunkten durch den Säureangriff freigelegte Kollagenfasern an der Oberfläche sichtbar (Abb. 3a bis d). Die komplett eröffneten Dentintubuli entsprachen einem Olley-Score von 5 (Tab. 1).

Vertikalschliffe nach 12 Tagen wiederholten Säure­angriffs zeigten in den rasterelektronenmikroskopischen (REM)-Bildern hellgraue Dentinareale und angeschnittene Tubuli, wobei sich hellere innere Tubuliwände gegen die mit dem Fixiermedium gefüllten dunklen Lumina absetzten. Zur Dentinoberfläche hin stellten sich die Ausgänge der Tubuli unscharf dar, was die starke Demineralisierung an der Oberfläche widerspiegelt (Abb. 4).

Behandlungsgruppe mit Seal&Protect

Zu Versuchsbeginn zeigten die Proben bei geringer Vergrößerung eine relativ homogene, glatte Oberfläche. Ab 5.000-facher Vergrößerung wurde eine durch kleine Krater charakterisierte Oberfläche erkennbar, die an einigen Stellen durch Areale körnig anmutender Oberflächen mit Poren von ca. 0,1 µm Durchmesser unterbrochen wurde. Auf einigen Proben waren größere Poren sichtbar, die mit ca. 2 µm Durchmesser den Öffnungen von Dentintubuli der unbehandelten Proben entsprachen (Abb. 3a bis d). Während der Milchsäureexposition begannen die glatten Oberflächen mehr und mehr den beschriebenen körnigen Oberflächen zu weichen. Ab Tag 8 waren vereinzelt stäbchenförmige Bakterien erkennbar. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg wurden die Proben mit komplett verschlossenen Dentintubulieingängen mit einem Olley-Score von 1 bewertet.

Behandlungsgruppe mit BGD

Die Aufsichtsaufnahmen der mit BGD behandelten Proben zeigten initial eine glatte und homogene Oberflächenmorphologie, die keine Tubuliöffnungen aufwies. Manchmal waren der Oberfläche kugelige Partikel von 2 bis 3 µm Durchmesser aufgelagert. Bei hoher Vergrößerung wurden außerdem einzelne Risse mit einer Breite von 1 bis 3 µm erkennbar, die nach 4 und 8 Tagen häufiger auftraten. Diese Risse schienen nur innerhalb der aufgelagerte Matrixschicht zu verlaufen und nicht bis zum Dentin zu reichen, so das keine offenen Dentintubuli oder -areale sichtbar waren. Nach 8 und 12 Tagen zeigten sich stäbchenförmige Bakterien an der Oberfläche und flauschig anmutende Oberflächenstrukturen, die sich in der Morphologie deutlich von den demineralisierten Dentinoberflächen der Kontrollproben absetzten. Der Olley-Score betrug für alle Zeitpunkte 1.

Die Schnittbilder (vgl. Abb. 4) ließen eine 2 bis 3 µm dicke, dem Dentin aufgelagerte Schicht aus BGD erkennen. Eine feine helle Linie zeigte in den REM-Aufnahmen die Goldsputterung der Proben, welche die Kunststofffixierung von der BGD-Schicht trennte. Der überwiegende Anteil der Proben wies oberflächlich eine 20 bis 100 µm dicke Dentinschicht mit leicht wolkiger Struktur auf, in der keine Tubuli sichtbar waren. Letztere wurden erst wieder jenseits dieser Schicht im tieferen Dentin erkennbar.

Spektrometrische Untersuchung

Abb. 5 Konzentration von Methylenblau im Wasser des Auffangbechers.
Abb. 5 Konzentration von Methylenblau im Wasser des Auffangbechers.
Die Konzentrationsbestimmung des Methylenblaus aus den Auffangbechern zeigte anfänglich relativ hohe Werte von 0,3 µg/ml in der unbehandelten Gruppe, die ihr Maximum mit 1.400 µg/ml nach 5 Tagen hatte, bevor die Konzentrationen gegen Versuchsende wieder absanken. Für die mit SPD behandelten Proben stieg die Perfusion von 0 zu Versuchsbeginn auf 0,8 µg/ml an Tag 3 und sank für die übrige Beobachtungszeit wieder auf 0. Über den gesamten Untersuchungszeitraum blieben die Werte für BGD mit einem späten Maximum von 0,1 µg/ml an Tag 8 äußerst niedrig (Abb. 5).

Schlussfolgerungen aus dem ersten Versuchsteil

Im ersten Teil des Laborversuchs konnte gezeigt werden, dass Dentinproben, die mit BGD behandelt wurden, durch die beschriebene Applikation komplett mit einer Schicht BGD überzogen blieben. Diese Schicht war auch im Anschluss an einen regelmäßigen Säureangriff über 12 Tage, der die Situation in der Mundhöhle bei abfallendem pH-Wert nach Nahrungsaufnahme simulierte, noch vorhanden, und es wurden weder eine Freilegung des darunter befindlichen Dentins noch offene Dentintubuli sichtbar. Im Schnittbild zeigte sich eine 20 bis 100 µm dicke Dentinschicht, auf der keine Dentintubuli erkennbar waren. Diese Beobachtung unterscheidet die mit BGD behandelten Proben einerseits von den unbehandelten Proben, andererseits aber auch von den Proben, die mit SPD, einem handelsüblichen und klinisch wirksamen Desensitizer, behandelt worden waren.

Zum einen stellen die Resultate aus einem vereinfachten Versuchsaufbau durchaus vielversprechende Ergebnisse dar. Zum anderen wurde die Situation in der Mundhöhle in diesem ersten Proof-of-Principle-­Experiment stark vereinfacht nachempfunden: Das Zähneputzen als einer der vermutlich entscheidenden Faktoren, die zu dem relativ raschen Rebound-Effekt nach anfänglich guten klinischen Ergebnissen bei der Applikation von Desensitizern führte, fand im ersten Experiment keine Berücksichtigung.

Zweiter Versuchsteil

Um das Verhalten von mit BGD behandelten Proben bei einer Exposition der Dentinoberflächen zur täglichen Zahnreinigung zu simulieren, wurde der für den ersten Versuchsteil bereits beschriebene Versuchs­aufbau im Wesentlichen übernommen und wie folgt modifiziert:

Die Proben der drei Versuchsgruppen wurden täglich zweimal in standardisierten Zahnputzzyklen (SZZ) mit zehn gegenläufigen Bürstenbewegungen unter Nutzung einer handelsüblichen Zahnbürste mit abgerundeten, mittelharten Nylonborsten ­(Paro M43, Fa. Esro, Kilchberg, Schweiz) bei einem genormten Anpressdruck von 150 g gebürstet18.

Die Proben wurden unmittelbar nach der Applikation von BGD oder SPD beziehungsweise ohne Applikation in der Kontrollgruppe zu Versuchsbeginn sowie nach 2, 4 und 12 Tagen aus der Apparatur entnommen und im Aufsichtsbild des Elektronenmikroskops untersucht. An Tag 12 erfolgten außerdem die Erstellung vertikaler Schnitte und deren qualitative Analyse (vgl. Abb. 2).

Zusätzlich wurde für die mit BGD behandelten Proben eine energiedispersive Röntgenspektroskopie („energy dispersive X-ray spectroscopy“, EDX) durchgeführt, um die elementare Zusammensetzung im Bereich der Tubuliverschlüsse zu analysieren. Die Auswertung erfolgte für Calcium und Phosphor, die für Dentin bzw. die Bioglasmatrix charakteristisch sind, und für Silicium, das ausschließlich in der Bioglasmatrix vorkommt. Die Werte für Sauerstoff und Kohlenstoff, welche auch mit hohen Anteilen im Fixiermedium Technovit vertreten und daher zur Unterscheidung zwischen den Materialien nicht dienlich sind, werden hier nicht dargestellt.

Der kontinuierliche Pulpendruck und die dreimal täglichen Milchsäureangriffe wurden beibehalten.

Ergebnisse

Oberflächenanalyse

Kontrollgruppe

Die Aufsichtsbilder der Kontrollgruppe stimmten weitgehend mit denen der Vorversuche überein. Neu waren lediglich zu allen Zeitpunkten oberflächliche Kratzer, die auf die Zahnbürstenbewegungen zurückzuführen sind. Diese Kratzer stellten sich umso deutlicher dar, je länger die Proben im Versuchsaufbau der Bürste bzw. der Milchsäure ausgesetzt waren. Die Eingänge der Tubuli waren auf den später entnommenen Proben nicht mehr komplett frei, sondern wiesen vor allem gegen Ende der Studie an den Rändern der Eingänge lose Partikel auf, die hinsichtlich ihrer Textur stark den von der Säure freigelegten Kollagenfasern auf den Dentinproben ähnelten. Der Olley-Score lag für alle Zeitpunkte bei 5 (Abb. 6a bis d sowie 7a und b).

Mit SPD behandelte Proben

Während die Baseline-Proben morphologisch denen des ersten Versuchsteils entsprachen, zeigten sich ab Tag 2 auf der Oberfläche Kratzer. Die Oberfläche verlor ihre charakteristische körnige Struktur und erschien glatter und homogener. Auf einigen Proben wurden ein paar Tubulieingänge erkennbar, ohne dass es zu einer Freilegung des Lumens gekommen war.

Mit BGD behandelte Proben

Zu Versuchsbeginn waren die Proben mit denen des ersten Versuchsteils identisch. Aber bereits ab dem zweiten Versuchstag zeichneten sich die Ränder von Tubulieingängen ab. Das Lumen der Tubuli erschien allerdings über den kompletten Untersuchungszeitraum von 12 Tagen hinweg – wenn auch nicht homogen dicht – verschlossen. Die tubulifreien Oberflächen­areale entsprachen aufgrund exponierter Kollagen­fasern an der Oberfläche den unbehandelten Proben.

Mittels EDX-Analyse wurde aus der Aufsichtsperspektive die elementare Zusammensetzung der die Tubulieingänge verschließenden Plugs untersucht. Es dominierten in diesen Bereichen Calcium und Phosphor, was auch für die tubulifreien Dentinareale zutraf. Nur im Bereich der Plugs fanden sich auch geringe Anteile von Silicium.

In den Vertikalschnitten war ein oberflächlicher, ca. 100 µm dicker Verschluss der Tubuli erkennbar. Die EDX-Analyse zeigte in Übereinstimmung mit der Aufsichtsanalyse vorrangig Calcium und Phosphor im Bereich der obturierten Tubuli sowie kleinere Anteile von Silicium. Allerdings waren bei der Schnittanalyse diese Anteile generell etwas geringer, während die Konzentration von Sauerstoff und Kohlenstoff leicht erhöht war.

Schlussfolgerungen aus dem zweiten Versuchsteil

Innerhalb des zweiten Experiments wurde die aufgelagerte BGD-Schicht durch das Bürsten einer mechanischen Belastung ausgesetzt. Es kam zu einer zügigen Entfernung der Auflagerung aus BGD, während die Eingänge der Tubuli lose verschlossen blieben. Der Vergleich mit den unbehandelten Kontrollproben, die eine minimale und partielle Verlegung der Eingänge aufwiesen, zeigte einen erheblich umfassenderen Verschluss. Entsprechend erscheint es unplausibel, dass es sich bei dem Verschlussmaterial lediglich um abgeriebenen Kollagendetritus handelt. Die EDX-Untersuchungen bestätigten, dass dieses Verschlussmaterial – wie Dentin – hauptsächlich aus Calcium und Phosphor besteht. Siliciumanteile im Bereich der Plugs deuten auf Reste des BGD-Werkstoffs hin und zeigen, dass es zu Versuchsbeginn zu einer Benetzung der tieferen Anteile der Tubuliöffnungen gekommen ist. Die geringeren Calcium-, Phosphor- und Siliciumanteile der Vertikalaufnahmen können auf die Feldgröße des Untersuchungsareals zurückgeführt werden, welches sich bei den Schnitten über die Plugs hinaus in die dunkleren, mit Fixiermedium gefüllten (und damit an Sauerstoff und Kohlenstoff reichen) Tubuli erstreckte (vgl. Abb. 7a und b).

Schlussfolgerungen

Die Resultate der beiden Experimente belegen, dass sich durch die Applikation des BGD eine homogene Schicht über die Dentinoberfläche legt, welche die zunächst komplett geöffneten Tubuli verschließt. Während diese Schicht einen Milchsäureangriff über 12 Tage (und damit über insgesamt 360 Minuten) unbeschadet zu überstehen scheint, wird die Auflagerung binnen 48 Stunden durch zweimal tägliches Zähneputzen weitestgehend entfernt. Die darunterliegenden Tubuli, die durch die Struktur des Dentins mechanisch geschützt sind, bleiben allerdings verschlossen.

Die beschriebenen Laborergebnisse des untersuchten bioglasbasierten Materials machen auf die klinische Leistungsfähigkeit neugierig. Während Off-Label-Anwendungen in der Praxis mit dem Schwerpunkt Parodontitis für kürzere Untersuchungszeiträume zu vielversprechenden Resultaten geführt haben, stehen Ergebnisse randomisierter und kontrollierter Untersuchungen mit möglichst geringem Bias-Risiko noch aus.

Derzeit wird der Bioglas-basierte Desensitizer von der Firma EMS (Nyon, Schweiz) weiterentwickelt, um seine Verwendung in das „Guided Biofilm Therapy“-Konzept zu implementieren.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Ein Beitrag von PD Dr. Philipp Sahrmann, Zürich, Schweiz

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 12/18 Prävention und Prophylaxe Zahnmedizin

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