Ein Stimmen- und Sprachengewirr wie in alten Zeiten, Gäste und Aussteller aus aller Welt in den Hallen – es war fast das IDS-Gefühl von früher. Fast. Zum einen war es zwar gut voll, aber das Gedrängel und Geschubse früherer Zeiten gab es nicht. Ein Grund: Die breiteren Gänge zwischen den Ständen. Alles wirkte luftiger, leichter als bei den Messen früherer Jahre. Und die Corona-Pandemie mit ihren Abstandsregeln trug sicher ebenfalls dazu bei, dass man sich nicht so eng auf die Pelle rückte.
Entspannte und fokussierte Besucher
Aber das Verhalten der Messebesucher war insgesamt anders. Das bestätigten auch die Aussteller. Die früheren Pröbchen-, Testkit- und Giveaway-Jäger waren kaum anzutreffen, dafür viele interessierte Entscheiderinnen und Entscheider. Es wurden gezielt die Unternehmen und Produkte angesteuert, die man sich vorher herausgesucht hatte oder die empfohlen worden waren. Man nutzte die Gelegenheit, sich fachlich beraten und informieren zu lassen – an großzügig gestalteten Ständen mit ausreichend Platz dafür. War es mal etwas voller, dann wurde gerne gewartet. Die Stimmung war entspannt – bei Besuchern wie Ausstellern.
Ebenfalls angenehm: Auf laute Show-Acts oder Standaktionen hatten die Aussteller weitgehend verzichtet, es standen wirklich Information und Produkte im Fokus. Der eine oder andere hätte sich noch mehr Besucher, vor allem Zahnärztinnen und Zahnärzte, aus dem deutschsprachigen Raum gewünscht – hier waren wieder die Zahntechnikerinnen und Zahntechniker messeaffiner.
Digitale Produkte und Cloudlösungen treffen auf deutsche TI
Und zu sehen und zu entdecken gab es genug. Der Trend heißt nach wie vor Digitalisierung – in der Praxis wie im Labor. Digital vernetzt arbeiten – das Buzzword dafür ist „Cloud“. Fast alle Anbieter digitaler Workflows zwischen Zahnarzt und Zahntechniker setzen auf Cloud-Lösungen. Allerdings trifft diese Digitalisierung vor allem in Deutschland auf eine in der Fläche noch immer nicht ausreichende Anbindung an schnelle Datenleitungen und eine Parallelwelt, genannt Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen. Die TI leistet es im Augenblick noch nicht, auch große Bilddaten zu versenden, und wie genau das Ablegen großer Datenmengen zur elektronischen Patientenakte funktionieren soll, ist ebenfalls nicht final geklärt.
Je nach Herkunft und Lokalisierung der Cloud-Server stehen in Sachen Datenschutz und Datensicherheit große Fragezeichen vor dem Einstieg in eine solche Lösung. Schließlich müssen Vertragszahnärzte die entsprechende, gesetzlich vorgeschriebene IT-Sicherheitsrichtlinie der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung beachten. Für die gewerblichen Labore sind Datenschutz und Sicherheit ebenfalls ein Thema, zumal sie 2024 in die TI eingebunden werden sollen. Ideal wäre, einen sicheren TI-Zugang (ohne den veralteten Hardware-Konnektor) auch für den Zugriff auf sichere Cloud-Lösungen der Industrie für den Datenaustausch nutzen zu können.
Innovationen kommen „dank MDR“ später oder nie im europäischen Markt an
Was sich zu einem wirklichen Problem für die Hersteller – am Ende auch für die Zahnärztinnen und Zahnärzte, Zahntechnikerinnen und Zahntechniker – auswachsen kann, ist die neue Medical Device Regulation, kurz MDR, in der Europäischen Union. Diese IDS war die erste große Dentalfachmesse in Europa nach Inkrafttreten der neuen Regelung im Mai 2021. Die MDR erweist sich schon jetzt als Hemmschuh für Innovationen. Bei vielen Ausstellern, gerade im Bereich 3-D-Druck, Materialien (Stichwort druckbare Keramiken oder dauerhafte Kronen aus dem Drucker), aber auch bei digitalen Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz, hieß es: Dieses Produkt/Material/diese Anwendung ist auf dem europäischen/deutschen Markt vorerst nicht verfügbar. „Wir streben zunächst die Zulassung bei der FDA in den USA an, da haben wir schon positive Signale bekommen“, hieß es zum Beispiel zu einer druckbaren Keramik und dem zugehörigen Drucker. Dabei galt die amerikanische Food- and Drug-Administration immer als die strengste Zulassungsbehörde im Markt, die Regel lautete: Erst Europa, dann USA. Nun ist es genau umgekehrt.
Produkte verschwinden, Probleme mit KI-Anwendungen
Viele Unternehmen haben ihr Produktportfolio bereits bereinigt, um für wenig nachgefragte oder ältere Produkte den hohen Dokumentationsaufwand nicht mehr betreiben zu müssen. „Wir entscheiden nicht nach Umsatz oder Stückzahl, sondern danach, ob ein Produkt für einen Workflow, den wir anbieten, wichtig ist“ – das ist die andere Variante des Umgangs mit der MDR.
Noch problematischer wird es auf Dauer mit KI-Anwendungen, hier sind die europäischen Regularien noch im Entstehen begriffen und man muss befürchten, dass auch hier überreguliert werden wird. Am Ende wird das zum Wettbewerbsnachteil für die Industrie, die immer höhere Summen für die MDR aufwenden muss. Die Zeit bis zur Marktreife und Marktzulassung neuer Produkte wird immer länger. All das erhöht am Ende die Kosten für die Endkunden. Und so manches Produkt wird den europäischen Markt gar nicht erst erreichen.
Bürokratische Auswüchse nicht ausgeschlossen
Die Übergangsfristen für die MDR sind gerade noch einmal verlängert worden. Ihre Anwendung und Überwachung in Deutschland stehen noch am Anfang, und beim typischen Hang der deutschen Behörden, bei der Auslegung überkorrekt zu sein und über das Ziel hinaus zu schießen (Stichwort Europäische Datenschutzgrundverordnung), steht zu befürchten, dass es noch unliebsame Überraschungen geben wird, gerade im Bereich Zahntechnik.
Die Leitmesse und den deutschen Markt nicht abhängen
VDDI und Koelnmesse werden alles daransetzen, den IDS-Standort Köln attraktiver zu machen, denn der Wettbewerb schläft nicht. Die IDS hat zu ihrem 100. Jubiläum bewiesen, dass sie auch nach der Corona-Pandemie die Leitmesse des weltweiten Dentalmarkts ist, und hat Deutschland als ihren Standort bestätigt. Die Politik ist nun gefordert, dafür zu sorgen, dass sie es auch mit der MDR bleiben kann.
Dr. Marion Marschall, Berlin