Die 95 gesetzlichen Krankenkassen haben in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres ein Defizit in Höhe von 3,7 Milliarden Euro erzielt. Die Finanzreserven der Krankenkassen betrugen zum Ende des 3. Quartals rund 4,7 Milliarden Euro. Dies entspricht 0,17 Monatsausgaben. Die gesetzlich vorgesehene Mindestreserve beträgt 0,2 Monatsausgaben. Das geht aus der Berichterstattung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zur Finanzentwicklung in der Gesetzlichen Krankenversicherung hervor.
Dass das BMG bei den (noch vorläufigen) Zahlen zu den Ausgaben für die zahnärztliche Versorgung auf einen Anstieg bei den Ausgaben für Parodontalbehandlungen abhebt, kritisiert die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) mit Blick auf die tatsächliche Situation der PAR-Behandlungen als irreführend. („Die Ausgaben für den Teilbereich der Parodontalbehandlungen stiegen überdurchschnittlich stark um rund 6,1 Prozent beziehungsweise 67 Millionen Euro“, heißt es im Bericht des BMG).
Ein positiver Umkehrtrend bei der Parodontitisversorgung sei nicht erkennbar. Vielmehr sei nach wie vor ein massiver Einbruch bei den Neubehandlungsfällen zu verzeichnen – und dies infolge politischer Fehlentscheidungen mit der Budgetierung auch der Leistungen nach der zum 1. Juli 2021 eingeführten neuen PAR-Richtlinie für die Jahre 2023 und 2024.
Anteil an den Gesamtausgaben sinkt weiter
Die Daten zur GKV-Finanzentwicklung belegten eindeutig, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte keine Kostentreiber im Gesundheitssystem sind, so die KZBV. Bereits seit Jahren sinkt der Anteil für vertragszahnärztliche Leistungen an den GKV-Gesamtausgaben und liegt aktuell bei lediglich 6,1 Prozent. Damit ist er in den vergangenen zwanzig Jahren um rund 2,6 Prozentpunkte gesunken. Für die KZBV ist dies ein klarer Beleg für den Erfolg einer konsequenten Präventionsstrategie im zahnmedizinischen Bereich.
Fehlende Planungssicherheit für die Praxen
Vor diesem Hintergrund weist der KZBV-Vorstandsvorsitzende Martin Hendges auf den Widerspruch hin, dass Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) zunächst dringend erforderliche Mittel für die präventionsorientierte Parodontitistherapie gestrichen hat, jetzt aber verkündet, dass mangelhafte Prävention sehr viel Geld koste. „Die Gesundheitspolitik von Minister Lauterbach hat massive Spuren hinterlassen, vor allem im Teilbereich Parodontalbehandlungen“, kritisiert Hendges scharf. Allein aufgrund der mit den Kürzungen der Mittel einhergehenden fehlenden Planungssicherheit seien die Praxen gezwungen gewesen, sich organisatorisch auf die Mittelbegrenzung einzustellen, was unmittelbar Einfluss auf die Patientenversorgung habe.
Massiver Einbruch bei Neubehandlungsfällen
Als Folge des GKV-FinStG gehe, so die KZBV, die durchschnittliche Zahl der monatlichen Parodontitisneubehandlungsfälle kontinuierlich zurück: „Lag sie im Jahr 2022 noch bei etwa 120.000 und war damit der hohen Krankheitslast endlich angemessen, brach der Monatsdurchschnitt 2023 ein und betrug nur noch etwa 94.000 Neubehandlungen. Im Durchschnitt des ersten Dreivierteljahres 2024 war die Zahl der Neubehandlungen mit etwa 79.000 sogar noch niedriger“, berichtet die KZBV. „Ohne einen politischen Kurswechsel ist ein positiver Umkehrtrend bei der präventionsorientierten Parodontitistherapie nicht absehbar“, mahnt Hendges.
Ausgaben erklären sich aus Therapiestrecke
Seit Juli 2021 ist die präventionsorientierte Parodontitistherapie, die sich über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren erstreckt, eine zentrale Präventionsleistung für die Mund- und Allgemeingesundheit. „Der unlängst vom Bundesgesundheitsministerium kommunizierte ‚überdurchschnittlich starke Anstieg‘ der GKV-Ausgaben im Teilbereich Parodontalbehandlungen bedeutet keineswegs, dass sich die Parodontitisversorgung in Deutschland verbessert hat. Im Gegenteil: Diese Ausgaben lassen sich allein durch Folgeleistungen der Behandlungsfälle aus den letzten zwei Jahren erklären. Ganze 64 Prozent der Leistungen entfallen während der zweijährigen Nachsorgephase auf die Folgeleistungen im Rahmen der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT)“, stellt Hendges klar.
Parodontitis nimmt Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Parodontitis ist eine komplexe Entzündungserkrankung des Menschen, an der jeder zweite Erwachsene leidet. Bei einer unbehandelten, schweren Parodontitis entstehen unter anderem Veränderungen der Arterien, die das Risiko für koronare Herzerkrankungen und Herzinfarkt erhöhen. Zudem treten vermehrt Bakterien in die Blutbahn ein – selbst bei alltäglichen Aktionen wie dem Kauen und Zähneputzen. Bei Patientinnen und Patienten mit entsprechender Veranlagung kann dies zu einer Herzinnenhautentzündung führen.
Hohe Folgekosten bei unbehandelter Parodontitis
Die KZBV verweist in diesem Zusammenhang auf die Auswirkungen der Parodontitis auf die Gesamtgesundheit. Medizinische Prävention dürfe nicht losgelöst von der Parodontitis-Bekämpfung gedacht werden. Durch eine unbehandelte/nicht frühzeitig behandelte Parodontitis entstünden zudem hohe Folgekosten für das Gesundheitssystem, die allein im zahnärztlichen Bereich bei rund 200 Millionen Euro jährlich liegen. Dazu kämen indirekte Krankheitskosten, die eine international vergleichende Studie für Deutschland mit rund 34,79 Milliarden Euro beziffert.
Leistungen endlich vollumfänglich vergüten
„Daher müssen die Leistungen für die präventionsorientierte Parodontitistherapie als Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen anerkannt und wieder vollumfänglich vergütet werden“, fordert Hendges. Denn alles andere koste das System sehr viel Geld.
Kassen rutschen immer weiter ins Defizit
Die Finanzlage der Kassen geht immer stärker ins Defizit. Das zeigen auch die nun veröffentlichten Zahlen des BMG. Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz lag im November 2024 bei 1,83 Prozent. Zu Jahresbeginn lag dieser noch bei 1,70 Prozent. Bis November 2024 haben 34 Krankenkassen ihren Zusatzbeitragssatz unterjährig angehoben. Und ab 2025 werden die Zusatzbeiträge noch einmal deutlich steigen.
Unterschiedliche Finanzentwicklung nach Krankenkassenarten
Die Ersatzkassen erzielten in den ersten drei Quartalen 2024 denmach ein Defizit von 1,3 Milliarden Euro, die Ortskrankenkassen von 1,0 Milliarde Euro, die Betriebskrankenkassen von 859 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen von 409 Millionen Euro und die Knappschaft von 52 Millionen Euro. Die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse verbuchte ein Defizit von acht Millionen Euro.
Ergebnis des Gesundheitsfonds
Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2024 über eine Liquiditätsreserve von rund 9,4 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 ein Defizit von 7,7 Milliarden Euro. Ein Teil des Defizits sei saisonüblich, so das BMG: So fließen die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen, während die Einnahmen unterjährig erheblich schwanken und insbesondere im 4. Quartal aufgrund der Verbeitragung von Jahressonderzahlungen wie dem Weihnachtsgeld höher ausfallen. Ein Teil des Defizits resultiert laug BMG daraus, dass im Jahr 2024 insgesamt 3,1 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve an die Krankenkassen ausgeschüttet werden, um die Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen zu stabilisieren.
Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,6 Prozent. Verantwortlich für die weiterhin gute Einnahmenentwicklung im 1. bis 3. Quartal sind insbesondere die inflationsbedingt kräftigen Tariflohnsteigerungen.
Entwicklungen bei den Ausgaben
Die Krankenkassen verzeichneten im 1. bis 3. Quartal 2024 einen sehr dynamischen Zuwachs für Leistungsausgaben und Verwaltungskosten von 7,5 Prozent. Die Leistungsausgaben stiegen dabei um 7,8 Prozent und damit deutlich stärker als in den vergangenen Jahren. Die Verwaltungskosten erhöhten sich um 1,0 Prozent. In absoluten Zahlen stiegen die Leistungsausgaben der Krankenkassen im 1. bis 3. Quartal um 16,7 Milliarden Euro. Die Verwaltungskosten erhöhten sich nur um 89 Millionen Euro, da rund 403 Millionen Euro weniger an Altersrückstellungen als im Vorjahresquartal gebucht wurden. Der Anstieg der Verwaltungskosten ohne Altersrückstellungen betrug im 1. bis 3. Quartal 5,6 Prozent.
Ausgaben für Zahnärztliche Behandlung weniger stark gestiegen
Die Aufwendungen für zahnärztliche Behandlungen (ohne Zahnersatz) stiegen gegenüber dem 1. bis 3. Quartal 2023 im den ersten neun Monaten des Jahres 2024 um 3,1 Prozent beziehungsweise 317 Millionen Euro. Die Ausgaben für Zahnersatz stiegen im Vergleich 2024 zu 2024 um 3,8 Prozent oder 112 Millionen Euro. Insgesamt liegt der Anteil für die zahnärztliche Versorgung inklusive Zahnersatz an den Gesamtausgaben der GKV weiter bei niedrigen gut 6 Prozent.
Dass die Aussagen des BMG zum Ausgabenanstieg für den Teilbereich Parodontalbehandlungen mit Blick auf das tatsächliche Versorgungsgeschehen bei Parodontitis irreführend sind, kritisiert die KZBV (siehe oben). Wie bei den ambulant-ärztlichen sind aber auch bei den zahnärztlichen Leistungen immer vorläufig, da noch nicht alle Abrechnungen vorliegen.
Krankenhausbehandlungen weiter starker Treiber
Die Aufwendungen für den ausgabenstärksten Leistungsbereich Krankenhausbehandlungen sind in den ersten neun Monaten um 7,8 Prozent bzw. 5,4 Milliarden Euro gestiegen und stellen damit einen maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar. Hierbei ist die sehr dynamische Preiskomponente (die sich aus dem Orientierungswert für die Kosten der Krankenhäuser und der Grundlohnrate ergebenden Veränderungswerte in den Entgeltbereichen DRG und PEPP betragen für 2024 mehr als 5 Prozent) zu beachten.
Gestiegene Pflegepersonalkosten
Äußerst dynamisch sind auch die Pflegepersonalkosten (+12,8 Prozent beziehungsweise 1,9 Milliarden Euro) sowie die Aufwendungen für stationäre psychiatrische Behandlungen (7,2 Prozent beziehungsweise rund 500 Millionen Euro) gestiegen. „Die Aufwendungen für ambulante Operationen nach AOP-Katalog sowie nach den neu eingeführten Hybrid-DRG verzeichneten in Summe Ausgaben von rund 1 Milliarden Euro, von denen 318 Millionen Euro auf die neu eingeführten Hybrid-DRGs entfielen“, so das BMG.
Arzneimittelausgaben steigen weiter
Die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln stiegen im 1. bis 3. Quartal um 9,9 Prozent beziehungsweise 3,7 Milliarden Euro und damit unverändert hoch wie im 1. Halbjahr. Bei der Interpretation dieser äußerst dynamischen Entwicklung ist zu beachten, dass diese in besonderem Maße vom Auslaufen des in 2023 einmalig erhöhten gesetzlichen Herstellerabschlags von 7 auf 12 Prozent durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geprägt ist. Im gleichen Zeitraum nahmen die zugunsten der GKV gewährten gesetzlichen Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer um rund 890 Millionen Euro ab. Ohne Berücksichtigung dieser Rabatte wuchsen die Ausgaben um 7,0 Prozent beziehungsweise 2,8 Milliarden Euro. Äußerst dynamisch entwickeln sich auch die Aufwendungen für Arzneimittel im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, die einen Zuwachs von rund 740 Millionen Euro (entspricht +49,9 Prozent) gegenüber dem Wert des Vorjahreszeitraums aufweisen.
Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen leicht gestiegen
Die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen sind im 1. bis 3. Quartal um 6,4 Prozent beziehungsweise 2,2 Milliarden Euro gestiegen. Damit lag das Ausgabenwachstum rund einen Prozentpunkt höher als in den Rechnungsergebnissen des ersten Halbjahres. Zu diesem dynamischen Aufwuchs tragen auch die Aufwendungen für mit den neu eingeführten Hybrid-DRG abgerechneten ambulanten Behandlungen beziehungsweise Operationen bei, die sich mit 84 Millionen Euro gegenüber dem ersten Halbjahr mehr als verdoppeln. Daneben wachsen auch die Aufwendungen für ambulante Operationen nach AOP-Katalog (+10,0 Prozent beziehungsweise +169 Millionen Euro) sowie für die ambulante spezialfachärztliche Versorgung durch Vertragsärzte und Krankenhäuser (+24,5 Prozent beziehungsweise +84 Millionen Euro) jeweils deutlich stärker als der Gesamtbereich und stärker als im ersten Halbjahr 2024.
Heilmittelausgaben und Vorsorge deutlich im Plus
Stark gestiegen sind die Ausgaben im Bereich Heilmittel (+10,1 Prozent bzw. +915 Millionen Euro), Behandlungspflege und der häuslichen Krankenpflege (+12,3 Prozent bzw. +855 Millionen Euro) sowie bei Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (+10,0 Prozent bzw. +318 Millionen Euro). Letztere wiesen nach den pandemiebedingten Einbrüchen der vergangenen Jahre schon seit 2022 eine überdurchschnittliche Dynamik auf, so das BMG.
Weitere Entwicklung
Das Bundesministerium für Gesundheit hat auf Basis der Prognose des GKV-Schätzerkreises vom 14. und 15. Oktober zum 6. November einen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2025 von 2,5 Prozent bekanntgegeben. Dies entspricht einem Anstieg von 0,8 Prozentpunkten gegenüber dem für 2024 bekanntgegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 1,7 Prozent. Die vorläufigen Finanzergebnisse der GKV für das Jahr 2024 werden Ende Februar 2025, die endgültigen Finanzergebnisse der GKV Mitte Juni 2025 vorliegen.
Lauterbach wiederholt sein Mantra, dass seine Gesetze alles besser machen
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach bringt angesichts der defizitären Situation der GKV und der jüngst angekündigten, drastisch steigenden Kassenbeiträge dazu als Noch-Amtsinhaber die schon für seine Reformvorhaben gebetsmühlenartig angeführten Argumente auch hier an: „Das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen ist insbesondere Ergebnis eines inflationsbedingt hohen Anstiegs der Ausgaben für Personal und medizinische Leistungen. Wichtiger ist aber, dass es in den letzten zehn Jahren versäumt wurde, die ineffizienten Strukturen des deutschen Gesundheitswesens zu modernisieren und für die Zukunft fit zu machen. Das macht sich zum Beispiel in sehr hohen Ausgabenzuwächsen im Krankenhausbereich bemerkbar, der für ein Drittel der Gesamtausgaben verantwortlich ist. Auch die mangelhafte Prävention unseres Systems kostet sehr viel Geld. Während in Skandinavien und dem Vereinigten Königreich (UK) die schweren Herzerkrankungen in zehn Jahren deutlich gesenkt werden konnten, hinken wir hinterher. Um die GKV-Finanzen zu stabilisieren, haben wir daher fundamentale Strukturreformen im Gesundheitswesen angestoßen. Digitalisierung, Krankenhausreform und Maßnahmen zur Herzgesundheit werden die Kosten stabilisieren.“
Die Spitzenvertreter der Krankenkassen sehen das allerdings anders und üben scharfe Kritik an Lauterbach und der Politik. Sie erwarten deutlich stärker steigende Zusatzbeiträge für die Beitragszahler. (Mehr dazu im Beitrag „Deutliche Beitragssatzsprünge: Verantwortung bei der Politik“.)