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Gesundheitswesen braucht praxistaugliche Digitalisierung – Podiumsdiskussion in Münster

Dr. Gordan Sistig (Mitte): „Ich warte noch auf den echten Mehrwert und die Entlastung, die die gesetzlich geforderte Digitalisierung eigentlich bringen soll.“

(c) KZVWL

Überbordende Bürokratie und digitale Pannen – das verbinden viele Zahnärztinnen und Zahnärzte mit der Telematikinfrastruktur (TI), mit Ausnahme des von Zahnärzteschaft, PVS-Anbietern und Krankenkassen gemeinsam entwickelten „Elektronischen Beantragungs- und Genehmigungsverfahrens Zahnärzte (EBZ)“. Mit der „ePA für alle“ steht die nächste per Gesetz als Pflicht einzuführende TI-Anwendung schon im Januar 2025 an. Grund genug, die aktuelle Politik zur TI kritisch zu hinterfragen.

Daher hatten die Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe gemeinsam mit den Schwesterkörperschaften aus Nordrhein für dem 25. September 2024 zu einer Podiumsdiskussion ins Zahnärztehaus in Münster eingeladen. Mit dabei: Der gerade aus dem Amt geschiedene ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Ulrich Kelber. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Zahnärzteschaft, Apothekerschaft und Politik wurde die Frage diskutiert, ob die Digitalisierungsstrategie der Gematik und des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) die Patientenversorgung verbessert oder eher behindert. Technische Störungen wie beim E-Rezept, der elektronischen Patientenakte und der Gesundheitskarte beeinträchtigen zunehmend den Praxisalltag und die Versorgung. Dabei soll die Digitalisierung doch eigentlich die Praxen entlasten.

 

Auf dem Podium (von links): Christine Dedeck, Dr. Holger Seib, Michael Evelt, Dr. Thorsten Flägel, Dr. Gordan Sistig, Dr. Andre Büchter, Prof. Ulrich Kelber, MdL Marco Schmitz, Corinna Ruhland.
Auf dem Podium (von links): Christine Dedeck, Dr. Holger Seib, Michael Evelt, Dr. Thorsten Flägel, Dr. Gordan Sistig, Dr. Andre Büchter, Prof. Ulrich Kelber, MdL Marco Schmitz, Corinna Ruhland.
Foto: KZVWL

 

Kritik an der derzeitigen Strategie

Die Kritiken an der derzeitigen Digitalisierungsstrategie waren deutlich: Die beiden IT-Vorstände der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen in Nordrhein-Westfalen, Michael Evelt (WL) und Dr. Thorsten Flägel (NR), zogen ein ernüchterndes Fazit zu den jüngsten Digitalgesetzen und Entwicklungen, wie das elektronische Rezept oder die elektronische Patientenakte. Evelt betonte: „Wir wünschen uns vor allem, dass die Politik mit uns spricht und uns zuhört. Diejenigen, die die tägliche Arbeit in den Praxen machen, wissen, was sie brauchen, damit die Digitalisierung eine echte Verbesserung in der Versorgung bringt. Digitalisierung mit echtem Mehrwert für die Patientenversorgung, die auch die Versorgungsrealität widerspiegelt, das wollen wir. Und nicht mehr Arbeit durch Software, die vom Gesetzgeber unfertig in die Versorgung gekippt wird. Die Zahnärzteschaft wird dann auch noch gezwungen, halbfertige Lösungen zu nutzen, indem man hohe Strafzahlungen in die Gesetze schreibt. Das führt zu Akzeptanzverlust. Anwendungen, die gut sind, werden freiwillig genutzt. Hierzu bedarf es dann keiner Sanktionen.“

Große Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität

Dr. Thorsten Flägel unterstützte das: „Im Moment haben wir noch eine große Diskrepanz zwischen den Erwartungen an die Digitalisierung und der Realität in den Praxen. Das Einzige, was aus meiner Sicht wirklichen Nutzen bringt, das ist das elektronische Genehmigungs- und Beantragungsverfahren, das die alten Heil- und Kostenpläne auf Papier ersetzt.“

Statt über lange Postwege erhalte man Genehmigungen der Krankenkasse teilweise schon nach wenigen Minuten. „Der Unterschied zu anderen Anwendungen im Gesundheitswesen ist, dass wir hier mitgestaltet haben“, ergänzt Flägel.

Warten auf den echten Mehrwert

Dr. Gordan Sistig, Vizepräsident der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe: „In erster Linie sind wir für den Patienten da. Aber überbordende Vorschriften, dazu technische Störungen, da bekommen wir von unseren Mitgliedspraxen ganz klar das Feedback, dass hier der Versorgungsalltag beeinträchtigt wird. Auch ich warte noch auf den echten Mehrwert und die Entlastung, die die gesetzlich geforderte Digitalisierung eigentlich bringen soll.“

Kelber kritisiert falschen Fokus auf Geschwindigkeit

Prof. Ulrich Kelber, Datenschutzexperte und ehemaliger Bundesdatenschutzbeauftragter, kritisierte den Fokus auf Geschwindigkeit anstelle von Qualität. Seiner Meinung nach ließen sich durchaus Lösungen finden, die sowohl benutzerfreundlich seien als auch hohen Datenschutzanforderungen gerecht würden. Er zeigte sich vor allem enttäuscht über die elektronische Patientenakte. Als Mitglied des Bundestags habe er 2003 für die Einführung gestimmt, heute sei er verwundert, dass die E-Patientenakte nach über 20 Jahren so wenig Funktionalität biete.

Marco Schmitz (CDU), Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen und Sprecher des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Landtag NRW, ergänzte aus seiner Perspektive, wie wichtig es sei, im Gespräch zu bleiben und bürokratische Prozesse zu verschlanken. Auch auf der politischen Ebene nehme man wahr, dass in der Digitalisierung noch nicht alles rund laufe.

Häufige Systemausfälle legen Arbeit lahm

Dr. Andre Büchter, niedergelassener Zahnarzt aus Münster, berichtete, dass es in seiner Praxis erneut zu Ausfällen der Telematikinfrastruktur (TI) gekommen sei. Häufige Systemausfälle würden die Arbeit teilweise lahmlegen und die optimale Versorgung der Patienten erschweren. In solchen Fällen könnten weder Arztbriefe verschickt noch Röntgenbilder heruntergeladen werden. Zusätzlich hob er die zahlreichen bürokratischen Dokumentations- und Prüfpflichten hervor, die regelmäßige Nachweise und Kontrollen durch mehrere Stellen erforderten.

Prozesse nicht zu Ende gedacht

Apothekerin Corinna Ruhland gab aus Sicht der Apothekerschaft mit, dass auch dort Probleme und bürokratische Aufwände mit unausgereifter Digitalisierung vorlägen. Ihr Eindruck sei, dass an vielen Stellen Prozesse nicht zu Ende gedacht seien. Die Idee hinter der Digitalisierung, zu entlasten und Mehrwert in der Versorgung zu schaffen, sei gut, dennoch seien viele Vorgänge sehr kompliziert, vor allem für die Patienten.

Forderung nach einer Neuausrichtung der Digitalisierungsstrategie

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass die derzeitige Digitalisierungsstrategie noch nicht die gewünschten Verbesserungen in der Patientenversorgung bringt. Es bestehe dringender Handlungsbedarf, die Strategie so anzupassen, dass Qualität und Praxistauglichkeit im Vordergrund stehen. Die Digitalisierungsmaßnahmen sollten so gestaltet werden, dass sie die tägliche Arbeit im Gesundheitswesen unterstützen, statt sie zu behindern.

Infostände und Podiumsdiskussionen

Der 25. September ist „Tag der Zahngesundheit“. Die zahnärztlichen Körperschaften in NRW griffen in diesem Jahr am „Tag der Zahngesundheit“ Probleme und Herausforderungen durch die überbordende Bürokratie und unausgereifte Digitalisierung im Gesundheitswesen auf. In insgesamt sechs Regionen in Westfalen-Lippe fanden an diesem Tag Podiumsdiskussionen statt. Mehr Infos auf der Aktionsseite der Zahnärzte in Westfalen-Lippe.

Kammer und KZV Nordrhein nutzten den Tag, um die Bevölkerung über Bürokratielasten zu informieren.

Reference: Politik Telematikinfrastruktur Studium & Praxisstart

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