Die geplante Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA für alle) zum 15. Januar 2025 stößt auf scharfe Kritik der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) und der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe (ZÄKWL). Die viel zu kurze Frist für die verpflichtende Einführung und die unzureichende Testphase von nur vier Wochen machen eine sinnvolle Implementierung nahezu unmöglich.
Technische Probleme seien regelrecht absehbar und erinnerten an das Chaos im Frühjahr 2024 rund um das ungetestete elektronische Rezept. „Für die Zahnärzteschaft steht fest: Ein solcher Schnellschuss wird das Gesundheitssystem nicht verbessern“, so die beiden Körperschaften.
Webinar der Gematik mit vielen offenen Fragen
Wer das von der Gematik zum Thema „ePA für Zahnarztpraxen“ am 11. September 2024 gemeinsam mit der Kassenzahnäarztlichen Bundesvereinigung (KZBV) angebotene Webinar verfolgt hat, dürfte diese Einschätzung weitgehend teilen. Abgesehen von den technischen Problemen war das, was von den Experten der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, der Bundeszahnärztekammer und der Gematik den mehr als 7.000 angemeldeten Teilnehmerinnen und Teilnehmern angeboten wurde, in weiten Teilen noch nicht greifbar. Von der ePA existiert derzeit nur ein sogenannter Klick-Dummy, die Praxisverwaltungssysteme sind noch nicht auf das Ablegen von Daten aus den digitalen Patientenakten in der ePA eingerichtet, weil viele Anforderungen noch gar nicht existieren.
Viele Fragen noch nicht konkret zu beantworten
Auch die Fragen, was in den Zahnarztpraxen in die ePA eingestellt werden muss, wie umfangreich und mit welchen rechtlichen Konsequenzen sich Zahnärztinnen und Zahnärzte in die dort gespeicherten Dokumente einarbeiten müssen und was passiert, wenn Patienten für die Behandlung wichtige Informationen nicht freigeben, sind noch nicht konkret beantwortet. Man gehe davon aus, dass die Zahnarztpraxen zunächst überwiegend lesend auf die ePA zugreifen werden, hieß es vonseiten der beiden Referenten der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Die Praxen sollten jetzt die technisch-organisatoren Voraussetzungen schaffen.
Erste ePA-Anwendung ist der dgMP
Aktuell werden ohnehin als erste Anwendung der ePA nur die aus den E-Rezepten generierten Medikationsinformationen als sogenannter dgMP – digital gestützter Medikationsprozess – verfügbar sein. Das erste zahnärztliche Objekt (MIO) für die ePA soll das digitale Zahnbonusheft sein. Dann müsse dies auch den Patienten klar kommuniziert werden, hieß es in vielen Chat-Nachrichten, diese gingen doch davon aus, dass die gesamte Patientenakte in die ePA komme. (Eine Aufzeichnung des Webinars ist auf dem Youtube-Kanal der Gematik verfügbar, allerdings ohne die Fragen und Antworten im Chat.)
Keine ausgereiften Softwarelösungen vorhanden
Angesichts des noch rudimentären Stands der ePA fällt die Kritik der KZVWL und der ZÄKWL deutlich aus: „Es ist eine bodenlose Frechheit, dass die Politik von den Zahnarztpraxen erwartet, bis Mitte Januar bereit zu sein, ohne dass es ausgereifte Softwarelösungen gibt", sagt Michael Evelt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZVWL. „Bislang hat kein einziger Hersteller der Praxisverwaltungssysteme ein funktionierendes ePA-Modul vorgelegt, das den aktuellen Anforderungen entspricht. Doch das Bundesgesundheitsministerium zieht stur seinen Plan durch – ohne Rücksicht auf die Realitäten in den Praxen.“
Leichtfertiger Umgang mit Patientenversorgung
Die Zahnärzteschaft sei sich einig: Die geplante Pilotphase von gerade einmal vier Wochen in Modellregionen vor dem Start der ePA ist viel zu kurz. „Das grenzt an Fahrlässigkeit“, erklärt Dr. Gordan Sistig, Vizepräsident der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe. „Bereits beim E-Rezept haben wir gesehen, wohin eine übereilte Einführung ohne ausreichende Testphase führt: Chaos in den Praxen, Frust bei den Patientinnen und Patienten und massive Störungen im Versorgungsablauf. Es droht, dass bei der ePA genau die gleichen Fehler gemacht werden.“
Unzureichende Testphase und erheblicher Mehraufwand
Evelt betont: „Es ist völlig inakzeptabel, dass die Zahnarztpraxen gezwungen werden sollen, ab dem 15. Januar ein System einzusetzen, das weder technisch ausgereift noch ausreichend getestet ist. Eine vierwöchige Pilotphase ist nichts anderes als ein Feigenblatt, um den Anschein einer Vorbereitung zu wahren.“ Der damit verbundene Mehraufwand, insbesondere durch die Vielzahl an Widerspruchsrechten und Einwilligungspflichten, werde den Praxisalltag zusätzlich belasten und die Akzeptanz der ePA erheblich gefährden. „Diese hastige Umsetzung wird die Versorgungssicherheit gefährden und die ohnehin schon angespannte Situation in vielen Praxen weiter verschärfen, indem neue, administrative Pflichten auf den Bürokratieberg einfach drauf diktiert werden“, so Evelt. Weiterhin sei ein hoher Informationsbedarf bei Patientinnen und Patienten zu erwarten.
Mehr Chaos als Nutzen
Statt einem echten Mehrwert droht die ePA für viele Praxen zur zusätzlichen Last zu werden. „Wenn die elektronische Patientenakte wirklich ein Fortschritt sein soll, dann muss sie von Anfang an durchdacht und praxistauglich sein. Doch was hier geplant ist, bringt mehr Chaos als Nutzen. Unrealistische Fristen, keine Suchfunktion, keine Firewall, eigentlich weiß keiner so richtig, wie diese Akte funktionieren soll“, kritisiert Dr. Sistig scharf. „Die Zahnärzteschaft hat kein Interesse daran, ihren Patientinnen und Patienten ein unfertiges System aufzwingen zu lassen, das im laufenden Betrieb erst mühsam angepasst werden muss.“
Forderung nach echtem Mehrwert
Die Zahnärzteschaft fordert deshalb eindringlich, die Einführung der ePA zu verschieben und eine längere und flächendeckende Testphase durchzuführen. KZVWL und ZÄKWL fordern die Politik auf, Verantwortung zu übernehmen und die gesetzlichen Vorgaben an die Realität in den Praxen anzupassen. „Wenn die ePA verpflichtend eingeführt wird, dann muss sie auch einen tatsächlichen Nutzen für alle Beteiligten bieten – für Patientinnen und Patienten sowie Praxen“, fordert Dr. Sistig. „Es darf nicht noch einmal passieren, dass ein System in den Praxen reift, während die Patientenversorgung darunter leidet.“
Zentrale Podiumsdiskussion am 25. September 2024 in Münster
Für den 25. September 2024 laden Kammer und KZV daher mit der Kammer Nordrhein und der KZV Nordrhein zu einer zentralen Podiumsdiskussion zur ePA ein. Auf Nachfrage hieß es dazu vonseiten der KZVWL, man beschäftige sich bereits seit Monaten mit dem Thema ePA für alle und bemerke auf der einen Seite einen hohen Informations- und Aufklärungsbedarf seitens der Zahnarztpraxen. „Diesen versuchen wir frühzeitig zu bedienen, die Informationslage ist aber immer noch spärlich. Nicht unbedingt, was die Rahmenbedingungen angeht, sondern vor allem die Umsetzung. Alles was die Gematik den Praxen bisher bieten kann, ist ein Klickdummy. […] Das Thema ePA für alle greifen wir daher in unserer Podiumsdiskussion am 25.9. in Münster auf. Die Schwerpunktsetzung der Podiumsdiskussion ist eine direkte Reaktion auf die Fragen und Rückmeldungen, die uns in den einzelnen Bezirksstellen zur TI und deren Anwendungen erreicht haben.“
Die überregionale Podiumsdiskussion in Münster soll Zahnärzteschaft, Politikerinnen und Politiker sowie Vertreterinnen und Vertreter weiterer Gesundheitsberufe zusammen auf das Podium bringen. Sie findet von 15 bis 15.30 Uhr im Zahnärztehaus in Münster statt. Folgende Personen für das Podium stehen bereits fest: Michael Evelt und Thorsten Flägel, TI-Vorstände der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen in NRW, Dr. André Büchter, Zahnarzt, Dr. Gordan Sistig, Vizepräsident ZÄKWL, Datenschutzexperte Prof. Ulrich Kelber und Marco Schmitz (CDU), Sprecher des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Landtag NRW, sowie Corinna Ruhland, Apothekerin.