Die Frage der Erreichbarkeit von Arbeitnehmern außerhalb ihrer Arbeitszeiten wird seit einiger Zeit immer wieder intensiv diskutiert. Das das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat mit Urteil vom 27. September 2022 – AZ 1 Sa 39 öD/22 entschieden, dass ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit nicht verpflichtet ist, sich zu erkundigen, ob zum Beispiel sein Dienstplan geändert worden ist. Er ist auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese erst bei Dienstbeginn zu.
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Der Fall
Der Kläger war Notfallsanitäter bei der Beklagten, einem Rettungsdienst. Im April 2021 wollte die Beklagte eine kurzfristige Dienstplanänderung für den Folgetag einteilen. Der Kläger war jedoch an diesem Tag weder telefonisch noch per SMS zu erreichen. Er meldete sich erst wieder zu seinem ursprünglich geplanten Dienstbeginn. Die Beklagte wertete dieses Verhalten als unentschuldigtes Fehlen und erteilte dem Kläger eine Abmahnung.
Mit seiner Klage wehrte sich der Kläger gegen den Abzug von Stunden von seinen Arbeitszeitkonten und begehrte die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Das Arbeitsgericht (ArbG Elmshorn, 27. Januar 2022 – AZ 5 Ca 1023a/21) wies die Klage erstinstanzlich ab.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Diese hatte Erfolg und das LAG gab der Klage statt, ließ die Revision aber zu.
Die Gründe
Nach dem Urteil des LAG liegt kein unentschuldigtes Fehlen des Klägers vor, da die Beklagte nicht hat nachweisen können, ob und wann dem Kläger die an ihn gerichtete Mitteilung über die bevorstehende, kurzfristige Änderung des Dienstplans zugegangen ist.
Zwar ist nach Auffassung des Gerichts grundsätzlich davon auszugehen, dass eine SMS auf dem Handy des Empfängers eingegangen ist. Mit der Kenntnisnahme des Inhalts der SMS durfte die Beklagte jedoch nicht vor 7:30 Uhr des Folgetags, dem nach altem Plan angeordneten Dienstbeginn des Klägers, rechnen. Nach dieser Rechtsprechung ist der Kläger nicht verpflichtet, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine möglicherweise geänderte Arbeitszeit zu informieren und damit seine Freizeit zu unterbrechen. Beim Lesen einer SMS, mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handelt es sich um Arbeitszeit. Der Kläger erbringt deshalb mit dem Lesen der SMS eine Arbeitsleistung.
In seiner Freizeit steht dem Kläger das Recht auf Unerreichbarkeit zu. Der Kläger hat sich auch nicht treuwidrig verhalten, indem er auf die Telefonate nicht reagiert, die SMS nicht zur Kenntnis genommen und auch nicht in den Dienstplan im Internet Einsicht genommen hat, um sich über seinen Dienstbeginn zu informieren.
Take-home-message
In seiner Freizeit steht einem Arbeitnehmer das Recht auf Unerreichbarkeit zu. Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht.
Ein Beitrag von Arno Zurstraßen, Köln
Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de