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DH Birgit Schlee warnt vor der Gefahr, dass sich die Prophylaxe wieder zur „Gießkannenprophylaxe“ entwickelt

Die „Gießkannenprophylaxe“ berücksichtigt nicht die individuellen Bedürfnisse oder Risikofaktoren des Patienten.

(c) ikrolevetc/Shuttestock.com

Die Professionelle Zahnreinigung (PZR) oder Professionelle Medizinische Zahnreinigung (PMZR) ist mittlerweile ein Hauptbestandteil der zahnmedizinischen Prophylaxe und besteht aus verschiedenen Bausteinen, die entweder in Teilen zum Einsatz kommen oder miteinander kombiniert werden, um von Synergieeffekten zu profitieren. Eingeführt wurde die PZR in den späten 1990er-Jahren; um 1998 nahm sie richtig Fahrt auf und etablierte sich immer mehr in viele Praxen.

Zu den Bestandteilen gehörten damals die Entfernung von erreichbaren harten und weichen Belägen, eine Politur und die Fluoridierung – in einem maximalen Zeitfenster von 30 Minuten. Die Kosten betrugen zwischen 25 und 50 DM, abgestimmte Seminare hierfür gab es nur wenige und das Wissen musste sich durch Fachliteratur angeeignet werden.

Der immens große Nutzen war zu dieser Zeit absolut nicht absehbar, deshalb wurde die Prophylaxe von vielen aus der Zahnmedizin kritisch betrachtet und oft sogar belächelt. Jedoch zeigte sich schnell, dass die Prophylaxe einen großen Einfluss auf den Rückgang von Karies und Gingivitis hatte, was schnell in der Praxis klinisch sichtbar war und später auch die offiziellen Mundgesundheitsstudien belegten.

Die ersten Prophylaxegeräte

Schon vor der Einführung der PZR wurden in den 80er-Jahren bereits die ersten Pulverwasserstrahlgeräte entwickelt. Die Auswahl an Produkten, Geräten und Instrumenten war sehr überschaubar und es wurden fast alle Patienten aufgrund des noch nicht besonders umfangreichen Fachwissens absolut gleich behandelt. Man sprach bald auch von der „Gießkannenprophylaxe“.

Gießkannenprophylaxe

Warum Gießkannenprophylaxe? Der Begriff leitet sich von dem Vergleich ab, prophylaktische Maßnahmen ohne Berücksichtigung individueller Bedürfnisse oder Risikofaktoren des Patienten durchzuführen sei ähnlich, wie Wasser aus einer Gießkanne über alle Pflanzen zu gießen, unabhängig von ihren spezifischen Anforderungen. Dieses Vorgehen kann unter Umständen zwar effektiv sein, aber sie berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Risiken und Bedürfnisse jedes Patienten.

Entwicklung der Individualprophylaxe

Mit der Zunahme von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie einer größeren Auswahl an Schulungen, Produkten und Geräten, entwickelte sich die Behandlung jedoch immer weiter hin zur Individualprophylaxe.

Werfen wir einen Blick in den Duden: „Individuell“ bedeutet „auf das Individuum, auf einzelne Personen oder Sachen o. Ä. zugeschnitten“. Also eine Behandlung, die individuell auf den jeweiligen Patienten angepasst ist mit dem Ziel, die Mundgesundheit jedes Einzelnen zu fördern.

Prophylaxe-Trends nicht blind folgen

Und aus diesem Grund ist es in der Prophylaxe absolut wichtig, sich nicht blind nach dem Mainstream oder gewissen Trends zu richten, sondern die komplette Bandbreite der Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Dazu gehört auch, die Geräte und Produkte in der Prophylaxe, wie zum Beispiel Polierpasten, Polierkörper, verschiedene Pulver für PWS-Geräte, genau zu kennen – ihre korrekte Anwendung, Einsatzbereiche, Inhaltsstoffe, Abrasivwerte, Korngrößen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen.

Große Bandbreite an unterschiedlichen Materialien

Wir haben den Luxus, mit einer sehr große Bandbreite an unterschiedlichen Materialien arbeiten und somit auf alle Patienten ganz gezielt eingehen zu können. Und gerade das bringt vielen Mitarbeitern Freude und Motivation. Der Patient wiederum erkennt durch den gezielten Einsatz unterschiedlicher Produkte die Kompetenz der Mitarbeiterin und fühlt sich optimal betreut. Dies bedeutet für die Praxis nicht nur Patientenbindung, sondern auch eine bessere Wirtschaftlichkeit.

Voraussetzung: gutes Fachwissen

Jedoch setzt die Individualprophylaxe immer ein gutes Fachwissen voraus. Dieses können sich Mitarbeiter im Idealfall in Seminaren und Schulungen unabhängiger Fortbildungseinrichtungen aneignen. Gleichzeitig ist es aber auch extrem hilfreich, spezielles Wissen zu den Produkten und Geräten direkt aus erster Hand vom Hersteller einzuholen.

Auch das Bedienen von speziellen dentalen Trends ist legitim, denn das kann unter anderem zur Patientenbindung und -zufriedenheit beitragen, zum Bespiel wenn der Patient gezielt nach einer Behandlungsmethode fragt. Jedoch sollten diese Trends immer kritisch auf ihre Notwendigkeit sowie mögliche Kontraindikationen geprüft werden.

Mangelndes Fachwissen schadet der Praxis

Eine einseitige Behandlungsweise setzt meist weniger Fachwissen voraus. Die Durchführung ist zwar häufig „bedienerfreundlicher“, was Praxen in Zeiten des Fachkräftemangels sicherlich entgegenkommt – aber dieser Ansatz kann den individuellen Therapieerfolg des einzelnen Patienten gefährden und damit der Praxis schaden.

Zu einer langfristigen Patientenbindung trägt stattdessen das Einbinden differenzierter Behandlungsansätze in der Prophylaxe bei. Aus diesem Grund sollte auch vor jeder Behandlung ein individuelles Risikopropfil des Patienten erstellt werden, um über den optimalen Einsatz der Geräte und Produkte entscheiden zu können.

Risikoprofil erstellen

Um dieses Profil zu erstellen, müssen verschiedene Parameter erhoben werden. Das beginnt mit der allgemeinen Anamnese und umfasst auch die Berücksichtigung zum Beispiel von Allgemeinerkrankungen, Medikationen, Tabakkonsum, Stress, Lifestyles, Lebensphasen-Hormonen, Ernährungsgewohnheiten, Vitamin- und Mineralstoffmangel oder akuten Beschwerden im Mundraum.

Des Weiteren sollten die klassischen Befunde erhoben und eine orale Inspektion durchgeführt werden:

  • Infektionen an der Lippe
  • White Spots, Kariesbildung, Erosionen
  • Gingivitis-, PAR-Status
  • Mundtrockenheit, Mundgeruch
  • Pilzinfektionen (Candida albicans)
  • Blutungen der Schleimhäute in Verbindung mit Zahnersatz
  • scharfe Kanten
  • überstehende Füllungen
  • Desquamationen
  • Schleimhautveränderungen

Abschließend sind die Plaque- und Blutungsindizes sowie der PSI zu erheben, um den Entzündungsgrad von Zahnfleisch und Knochen zu ermitteln und die korrekte Umsetzung von Hygienemaßnahmen zu beurteilen. Resultierend aus dieser Anamnese und Diagnostik sollte die Mitarbeiterin die einzelnen Maßnahmen der Prophylaxebehandlung zusammenstellen.

Individuelle Mundhygieneempfehlungen

Und auch die Mundhygieneempfehlungen sollten sich nach der individuellen Situation des Patienten richten: Ist zum Bespiel die Mobilität oder die Geschicklichkeit eingeschränkt? Liegen Sehstörungen vor? Gibt es spezielle Vorlieben für Empfindungen und Geschmack? Hat der Patient spezielle Erkrankungen? All diese Faktoren beeinflussen die Wahl der Bürste und Zahnzwischenraumpflege sowie Empfehlungen für Zahnpasta, Tabs, Pulver oder Öl.

Fazit

Nur eine wirklich individuelle Prophylaxe ermöglicht eine langfristige Mund- und Allgemeingesundheit des einzelnen Patienten. Und genau das sollte in der Zahnmedizin unser Ziel sein. Dafür ist es allerdings notwendig, den großen Spielraum der Behandlungsmöglichkeiten voll auszunutzen. Sonst laufen wir Gefahr, dass sich die Prophylaxe wieder zurück zur „Gießkanne“ entwickelt – nur, weil es vielleicht „leichter“ oder „schneller“ geht. Aber kann das unser Anspruch sein?

Birgit Schlee ist erfahrene Dentalhygienikerin, Referentin und Unternehmerin. Sie schult nicht nur Zahnarztpraxen in den Bereichen (Bio-)Prophylaxe und Nachhaltigkeit, sondern bietet auch spezielle Kurse zur Mundhygiene für Pflegefachkräfte gemäß Expertenstandard an.

Weitere Infos auch unter den Telefonnummern (0 71 31) 40 53 593 und  (01 72) 6 27 68 67 sowie per Mail an info@schlee-dentalhygiene.de

Reference: Team Prävention und Prophylaxe Patientenkommunikation Praxisführung

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