„Patientenindividuelle Konzepte“ – das sei einerseits ein hochaktuelles Kongressthema, andererseits auch ein gewisses Eingeständnis, so DGZI-Präsident Dr. Georg Bach in seinem Grußwort zur Kongresseröffnung. Denn über viele Jahr und Jahrzehnte sei es „als selbstverständlich betrachtet worden, dass bewährte und evidenzbasierte implantologische Behandlungskonzepte für alle unsere Patientinnen und Patienten gleichermaßen gültig und anwendbar sind“. Und in der Regel sei dieses Vorgehen ja auch von Erfolg gekrönt worden –in der oralen Implantologie sogar von sehr großem Erfolg.
„Und dennoch zeigen uns jüngere Untersuchungen auf, dass dem eben nicht immer so ist – was bei der einen funktioniert, muss beim anderen nicht sein. Und so gilt: Patientenindividuelle Konzepte sind gefragt!“, so Bach.
Diese Erkenntnis betreffe natürlich nicht nur die zahnärztliche Spezialdisziplin der oralen Implantologie. Die Betrachtung müsse größer erfolgen: Auf keinem Gebiet der Humanmedizin werde momentan derart aufwendig und intensiv geforscht wie auf dem der individualisierten Medizin. Die Fragestellungen seien dabei sehr unterschiedlich und mannigfaltig, und die damit verbundenen Ansprüche an die Therapieschemata ebenso.
Zwei kompakte, anspruchsvolle Tage
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden feuerten die DGZI-Kongressmacher eine kleines Kongress-Feuerwerk ab: Mit mehr als 30 Referenten und gut 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern – 60 Table Clinics und 2 Top-Tutorials standen am ersten Kongresstag im Fokus, der Samstag indes stand ganz im Zeichen der Wissenschaft: Namhafte Referenten präsentierten hier herausragende wissenschaftliche Vorträge, abgerundet mit Kursen für das Praxispersonal und einer begleitenden aktiven Dental-Ausstellung mit gut zwei Dutzend ausgesuchten, quasi „handverlesenen“ Industriepartnern.
Sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf den Ablauf und die Kongressstruktur beschritt die älteste europäische implantologische Fachgesellschaft auch im 54. Jahre ihres Bestehens Neuland, ohne aber bewährte Elemente außer Acht zu lassen. Das „Corona-Loch“ war offensichtlich endgültig überwunden - „wir freuen uns über deutlich gestiegene Besucherzahlen Vergleich zum Vorjahr“, so DGZI-Vize Dr. Rolf Vollmer. Und Vorstandsmitglied Navid Salehi, Vertreter der jüngeren Implantologen, ergänzt: „Gerade der gesamte Freitag zielt klar auf die Bedürfnisse der jungen Kolleginnen und Kollegen ab!“
Zukunftspodium „Young Generation DGZI“
Ein erster Höhepunkt gleich zu Kongressbeginn: Zwei Vorträge mit – zumindest auf der Papierform – gänzlich unterschiedlichen Ausrichtungen, die aber dann in der Gesamtheit betrachtet ein klares Bild von den Zukunftsoptionen des Fachbereichs, ja der gesamten Zahnheilkunde zeichneten. Auch deren Zielgruppe war klar definiert – die jüngere Implantologengeneration!
Dentale Sedierungstechniken
Und so war es nahezu zwingend, mit einem Randgebiet der Fachdisziplin den Reigen der Vorträge zu beginnen – Dr. Joel Nettey-Marbell sprach über „Dentale Sedierungstechniken – Lachgas, orale Sedativa und i.v. Sedierungen. Quo vadis?“ „Ich möchte Sie alle mitnehmen“, so Nettey-Marbell, der – um eine gemeinsame Wissensbasis zu schaffen – auf Grundlagen der oralen Sedierung einging. Er wies auch auf die wesentlichen Unterschiede von Sedierungsoptionen in der Zahnheilkunde in Europa hin. Nettey-Marbell orientierte sich an der jüngst verabschiedeten Leitlinie und wies auf die Bedeutung des Monitorings während der Sedierung hin.
Als gängige Verfahren wertete der Hamburger Oralchirurg die orale Sedierung, die Lachgassedierung und die intravenöse Sedierung. Allerdings sei „die orale Sedierung mit Tablette […] ein absolut nicht steuerbares und damit kein gutes Verahren“, so Nettey-Marbell, „verwenden Sie bitte lieber die praktikable Lachgas- oder die i.v. Sedierung und solche Verfahren mit einer kurzen Halbwertzeit und einer großen therapeutischen Breite!“ Voraussetzung für die Anwendung dentaler Sedierungsverfahren ist eine gute Ausbildung, hier zitierte der Referent die entsprechende DZMK-Empfehlung.
Knochenaugmentation im Fokus –Klinik vs. Praxis
Wenn es zwei verstanden ein Auditorium zur „rocken“, dann waren dies zweifellos PD Dr. Dr. Achim von Bomhard und Prof. Dr. Dr. Andreas Fichter, die über „Knochenaugmentative Maßnahmen – Möglichkeiten und Limitationen“ sprachen. Kollege Fichtner ist der frischgebackene ärztliche Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Leipzig und berichtete aus der Sicht der Klinik. Als sein Gegenpart – Sicht aus der Praxis – fungierte der Kieferchirurg von Bomhard. Und so legte Fichtner den Fokus seiner Ausführungen auf den Eigenknochen und dessen Spenderregionen mit sehr gut dokumentierten Fallbeispielen. Distraktor, Inlay-Plastik, Nervlateralisation, mikrovaskulärer Lappen, i.o. und e.o. Entnahmen – nichts ließ Fichtner unerwähnt und stellte die wesentlichen Vor- und Nachteile der jeweiligen Verfahren dar.
Was in der Praxis möglich ist
PD von Bomhard indes stellte Augmentationstechniken vor, die einen wesentlich geringeren invasiven Ansatz hatten als die, die sein Vorgänger vorgestellt hatte. Aber auch hier lag der Fokus klar auf Verwendung von Eigenknochen, weniger auf die Verwendung von Knochenersatzmaterialien. Basis seiner Ausführungen war die Defektdarstellung nach Terheyden. Von Bomhard wies den verschiedenen Klassen die jeweiligen Augmentationsoptionen zu. Bei ausgedehnten Vertikaldefekten favorisiert von Bomhard die Khoury-Technik, die er vollumfänglich darstellte.
Intensive Diskussion mit der Young Generation
In der anschließenden Podiumsdiskussion hatten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer die Gelegenheit, mit den Referenten zu diskutieren, hier brachte sich intensiv die „Young Generation DGZI“ um Mustafa Baywa und Navid Salehi ein. Die Tiefe der Diskussion und auch die Anzahl der Fragen bestätigten, dass mit den drei Referenten exakt die richtigen für das Zukunftspodium gefunden wurden. Erfreulich in diesem Zusammenhang auch die große Anzahl jüngerer Kolleginnen und Kollegen im Auditorium, die die Podiumsdiskussion mit zahlreichen Fragen befeuerten und sich auch anschließend mit den Referenten fotografieren ließen, um umgehend die ersten Posts des Kongresses abzusetzen.
OP-Tutorials für die praktischen Skills
Nun galt es das Erlernte auch umzusetzen beziehungsweise umgesetzt zu sehen – bereits eine kleine Tradition bei DGZI-Kongressen ist das Vertiefen bestimmter Themata in OP-Tutorials. Dieses Format ermöglicht es den Kongressteilnehmern und DGZI-Mitgliedern, einen einmaligen Einblick in die Arbeit renommierter Kollegen zu erleben. Mit der Einführung dieses Formats beschritt die DGZI (dereinst) Fortbildungsneuland!
Einen furiosen Auftakt liefert hier Prof. Dr. Benedikt Spies (Freiburg), der zum „Update digitale Abformung“ sprach. Und es war ein Update, im wahrsten Sinne des Wortes, denn kaum ein Referent verfügt über ein derartiges Expertenwissen auf dem Gebiet der digitalen Wertschöpfungskette, wie dies der Ärztliche Direktor der Abteilung für zahnärztliche Prothetik der Freiburger Zahnklinik tut.
Das größte Zukunftspotential sieht Spies in den additiven Scanverfahren. Momentan sei die Situation so, so Professor Spies, dass zweimal geplant werden müsse: Einmal bei der chirurgischen und einmal bei der prothetischen Planung; Ziel indes müsse es sein, dass die geplante Insertion derart genau ist, dass auch der Zahnersatz mit der vorhandenen Planung angefertigt werden.
Nachdem der teilbezahnte Kiefer nun zu den gesicherten Indikationen gezählt werden kann, stelle der zahnlose Kiefer sich immer noch als große Herausforderung dar, „hier kämpfen wir digital noch“, so Spies. Als limitierende Faktoren erweisen sich unter anderem die fehlende Kommunikation zwischen Labor und Zahnarzt, Lizenzproblematiken, zahnlose Distanzen und unterschiedliche Programmiersprachen. Zahlreiche Fallbeispiele aus den Bereichen der abnehmbaren und festsitzenden Prothetik in teil- und unbezahnten Kiefern rundeten die Ausführungen des Freiburger Hochschullehrers ab. Die Anfertigung eines Prototypen auf der Grundlage der Daten des Intraoralscans mit anschließendem Reverse Scan minimiere alle beschriebenen Fehlerquellen, zitierte er die Ergebnisse einer jüngsten Studie der Universität Freiburg.
Dauerthema Implantationszeitpunkt
Mit Spannung erwartet wurde das Mainz-Wiesbadener Referententenduo Prof. Dr. Dr. Eik Schiegnitz und Prof. Dr. Dr. Peer Kämmerer, die über ihre Erfahrungen mit Sofortimplantation und Sofortversorgung berichteten. Da wurde es ganz still im Vortragssaal und man sah allenthalben nur gespannte Gesichter. Ihr Eingangsstatement: „Je kompromittierter der Patient, desto eher sollte die Wahl auf Früh- oder Spätimplantimplantation fallen. Je geringer die individuelle chirurgische Expertise ausfällt, desto eher sollte nicht sofort implantiert werden.“
Zahlreiche klinische Tipps wurden vom Auditorium dankbar angenommen, zum Beispiel, dass die „ridge preservation“ keines dichten postoperativen Verschlusses bedarf und dass bei konischen Implantaten bei Feststellen eines hohen Drehmoments über 50 Newtonmetern ein kurzzeitiges Zurück-, Rausdrehen und ein erneutes Eindrehen nach einer kurzen Wartezeit sinnvoll ist. Dies alles kombiniert mit sehr schönen Fallbeispielen belegt, dass Kämmerer und Schiegnitz dem Anspruch des Tutorials mehr als gerecht wurden,
Table Clinics: Experten auf die Finger schauen
Für manche immer noch ein recht ungewohnter, aber sehr sympathischer Anblick – statt der üblichen, auf die Bühne ausgerichteten parlamentarischen Bestuhlung nun runde Tische im Sinne einer Bankettbestuhlung! An diesen fanden in drei Staffeln Tischdemonstrationen zu unterschiedlichsten Spezialthemen der Implantologie statt. Jede ausstellende Firma hatte einen Tisch zur Verfügung gestellt bekommen und Referenten verpflichtet, die die Demonstrationen durchführten. Hier erwiesen sich die unmittelbar zur Demonstration stattfindenden und auch die anschließenden Diskussionen und Austausche als sehr erkenntnisbringend. Ein hochaktuelles Format, welches erneut auf hohe Akzeptanz sowohl der Kongressteilnehmer als auch der Dentalaussteller, stieß.
Der zweite Kongresstag – der „Wissenschaftstag“
Nachdem der erste Kongresstag stark praktisch ausgerichtet war, standen am zweiten Kongresstag speziell die wissenschaftlichen Aspekte im Mittelpunkt. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme zu aktuellen Trends ging es aber auch hier verstärkt um die Frage, wie wird die Implantologie der Zukunft aussehen?
Das Samstagsprogramm des 53. Internationalen Jahreskongresses der DGZI bot somit wissenschaftliche Überblicksvorträge zu allen relevanten Bereichen der oralen Implantologie, wie digitale Implantologie/Prothetik, Knochen und Gewebe und Materialien und Design.
Die DGZI-Kongressmacher verfolgten hier erneut das Ziel, dass es bei diesen Vorträgen vorrangig darum gehen sollte darzustellen, was sein wird, daher nicht um Case-Reports oder Vorstellung einzelner Studien, sondern um die Entwicklungsrichtungen und Visionen. Drei Themenblöcke zogen das Auditorium in den Bann.
Session 1: Knochen und Hartgewebe - Versorgungskonzepte
Mit Professor Dr. Dr. Knut A. Grötz steuerte einer der einflußreichsten deutschen Implantologen und Wissenschaftler den ersten Beitrag zum wissenschaftlichen Programm bei. Der DGI-Past-Präsident widmete seine Ausführungen einem sehr aktuellen Thema, Grötz sprach über „Vitamin D: Klinische Relevanz von der Implantat-Prognose bis zur Krebsvorsorge“. Relevant in der Medizin ist lediglich das physiologisch aktive Vitamin D3. Hochbetagte Patienten, Säuglinge, Kranke und Patienten mit wenig Tageslichtexposition seien oftmals von einem Vitamin-D-Mangel betroffen. Es gibt in der Literatur Hinweise darauf, dass ein suffizienter Vitamin-D-Spiegel zum Zeitpunkt der Implantation sich günstig auf Osseointegration, höhere Primärstabilität und auf die Langzeitprognose auswirkt. Diese Hinweise lassen sich auch auf das Outcome von Augmentationen übertragen.
Eine niedriger Vitamin-D-Spiegel scheint sich indes begünstigend auf die Etablierung zahlreicher tumoröser Erkrankungen auszuwirken. Eine Supplementierung ergab gemäß einer jüngsten Metaanalyse als Ergebnis eine deutlich niedrige Sterblichkeitsrate und niedrige Krebserkrankungsrate. Grötz empfiehlt somit eine tägliche Supplementierung von 500-800 IE in Form von oraler Einnahme von Kapseln. Eine vorgängige Serumbestimmung und ein Monitoring sind aufgrund der Gefahr einer Hypervitaminose geboten. Bei unerklärlichen Frühverlusten von Implantaten empfiehlt der Wiesbadener Kieferchirurg eine entsprechende Abklärung auf Vitamin-D-Mangel.
Lebensdauer von Augmentaten verbessern
Vom Bodensee reiste Professor Dr. Dr. Andres Stricker an. Der Konstanzer Kieferchirurg sprach über „Augmentationskonzepte auf Lebenszeit – welche Faktoren sind entscheidend? „Wenn man einen derartig hohen und für dem Patienten durchaus belastenden Eingriff wie eine Augmentation durchführt, dann müssen wir den Anspruch eines lebenslangen Verbleibes des Augmentats haben!“, so der Konstanzer Kieferchirurg, der zugleich auch an der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Universität Freiburg tätig ist. Knochenersatzmaterialen, so seine Erfahrungen, vermögen diesem Anspruch nicht zu genügen. Der Goldststandard ist nach wie vor der autologe Knochen. Modifikationen wie das Bone-Split-Verfahren haben zwar ihre Tücken, haben sich aber in vielen Fällen als vorteilhaft erwiesen – vor allem bei Fällen mit drei bis vier Millimetern Restknochenhöhe. Vor allem die Stabilisation der bukkalen Lamelle wirkt sich hier günstig aus.
Zahlreiche Fallbeispiele untermauerten die Wertigkeit dieses von Stricker klar favorisierten Verfahrens. Eine Spaltfüllung ist bei der Split-Technik nicht erforderlich, auf ein Abklappen des Periosts ist hier indes unbedingt zu verzichten und eine laterale Stabilisierung ist eine conditio sine qua non.
Bei sehr großen Defekten hat sich der Knochenblock nach wie vor unverzichtbar herausgestellt. Auch wenn die Schalentechnik sich bewährt hat, so bevorzugt Stricker nach wie vor den klassischen Block. Bemerkenswert indes ist hier der Volumenverlust in der dreidimensionalen Betrachtung – bereits nach sechs Monaten ist ein Verlust von mehr als 40 Prozent zu verzeichnen. Deshalb ist eine Stabilisierung erforderlich, auch hier empfiehlt Stricker eine laterale Stabilisation ein Re-Lining mit Knochenersatzmaterial und einer Membran. Mit diesem Vorgehen kann die die Resorption um zwei Drittel gesenkt werden.
Das „Osteo-Immun-System“
Wenn es sich um Fragen zu Knochen und Implantaten und zu speziellen Augmentationstechniken handelt, dann kann es eigentlich nur einen Referenten geben. Dr. Joseph Choukroun sprach über „Enhanced Osseointegration by Osteoimmunology an sticky bone protocols: clinical benefits“. Choukroun ist in Nizza beheimatet und knüpfte direkt an die Ausführungen seiner beiden Vorredner an. Auch er stellte die individuelle Immunantwort in direkten Zusammenhang mit einem implantologischen Langzeiterfolg. Und so präsentierte er den Begriff des Osteo-Immun-Systems. Die Reduktion der Phase der postoperativen Entzündung sollte maximal fünf Tage betragen, dann verläuft der restliche Heilungsprozess unauffällig, so Choukroun. Dauert diese inflammatorische Phase länger ist mit ungünstigen Heilungsverläufen zu rechnen. Und so hat sich die Verfügbarkeit von Antioxidantien als unverzichtbar erwiesen.
Auch Choukroun misst Vitamin D eine extrem hohe Wertigkeit als „Top-Antioxidans“ zu. Im Gegensatz zu Prof. Grötz empfiehlt Choukroun eine systematische Supplementierung, die er als conditio sine qua non für eine spätere Implantation betrachtet. Ohne ein Intervall zwischen 4.000 bis 10.000 IE erreicht zu haben, führt er keine Implantatbehandlung durch. Ferner favorisiert er die lokale Applikation von Antibiotikapulver (Azithromycin) in das Augmentat als antiinflamatorische Hilfsmaßnahme.
Ein gewisses Erstaunen des Auditoriums manifestierte sich, als Choukroun weiterhin ausführte, dass er keine Unterschiede in der Immunantwort zwischen der Verwendung von autologem Knochen und porcinem Knochenersatzmaterial feststellt – dies auch angesichts der Tatsache, dass er den meisten Knochenersatzmaterialien keine hohen Reinheitsgrade zuweist. Die Verwendung von Materialien xenogener Herkunft sollten nach seiner Ansicht unbedingt vermieden werden.
Auch in dieser ersten Session bildete ein Referententalk beziehungsweise eine Podiumsdiskussion den Schlusspunkt einer sehr attraktiven und erkenntnisreichen Morgensession.
Session 2: Prothetische Konzepte zwischen High-end und Troubleshooting
Die zweite Session widmete sich dem implantologischen Spannungsfeld „High-tec“ und „was tun, wenn‘s brennt“: Drei Vorträge mit stark unterschiedlichem Fokus ergänzten sich dennoch in idealer Weise. „Implantatprothetische Konzepte für die Versorgung älterer Patienten“ war das Thema von Professor Dr. Samir Abou-Ayash. „Das Durchschnittalter unserer Implantatnachsorgepatienten liegt bei über 65 Jahren“, so der neue Ärztliche Direktor der Abteilung für zahnärztliche Prothetik in Mainz. Mit steigendem Lebensalter nimmt einerseits die Inanspruchnahme von zahnärztlichen Leistungen ab, bei gleichzeitig ansteigendem Therapiebedarf – das sogenannte geriatrische Paradoxon. Folge dieser Entwicklung ist oftmals eine Proteinmangelernährung.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis, dass Implantate auch im Alter gut funktionieren. Hierbei gehe es, so Abou-Ayash, aber nicht um das reine Implantatüberleben, sondern vor allem um das Funktionieren der Suprakonstruktion. „Und hier sind einfache Konzepte vonnöten“, so Abou-Ayash. Einfache Chirurgie, strategische Pfeilervermehrung, auch mit kurzen und auch mit durchmesserreduzierten Implantaten unter Belassung eines auch pardontal reduzierten Restzahnbestand (aufgrund der eingeschränkten Neuroplasitzität) haben sich hier als erfolgreiche Tools erwiesen.
Die digitale Zahntechnik ermögliche hier ein Set-up, das je nach Fähigkeit des Patienten zur Pflege des Zahnersatzes auch von einstmals festsitzend auf abnehmbar gewechselt werden kann. Eine aktuelle Studie zu Miniimplantaten, denen Professor Abou-Ayash im kompromittierten Kiefer hohe Wertigkeit zuwies, rundeten seine Ausführungen ab.
Wundheilung im Fokus
Vielen aktuellen Aspekten der oralen Implantologie widmete Professor Dr. Dr. Ralf Smeets seien Ausführungen und brannte ein wahres Feuerwerk verschiedener Themenbereiche ab – ob PRP, PRF, PRGF, Hyaluronsäure, nichts blieb unerwähnt. Wichtig hierbei die klinischen Empfehlungen des Hamburger Hochschullehrers: PRF und PRP sind eher für die Weichteilheilung und weniger für die Knochenheilung zuträglich, die Anfertigung von Blutprodukten bedingt eine vorgängig zu absolvierende Schulung. Der Sinuslift benötigt im Grunde genommen keine Optimierung durch Blutprodukte, so Smeets, wohingegen in der Parodontologie und zum Auffüllen der Alveole nach Zahnextraktion als Resorptionsschutz sich deren Anwendung als vorteilhaft erwiesen hat.
Laser in der Implantologie
„30 Jahre Laser in der Implantologie“, dies das Thema des DGZI-Präsidenten Dr. Georg Bach, der zusammen dereinst mit Professor Krekeler für die Inauguration des 810-Nanometer-Diodenlasers in die Zahnmedizin verantwortlich zeichnete. Es war ihm ein Anliegen darzustellen, wo der Einsatz monochromatischen Laserlichts in der Implantologie einen Benefit für Behandler und Patienten darstellt.
Erhebliche Vorteile sind in der deutlich blutungsreduzierten Laserschnittführung festzustellen, was sich vor allem bei Patienten mit hämorrhagischen Diathesen als vorteilhaft erweist. Enormes Potential indes birgt die Möglichkeit der Laserlichtdekontamination keimbesiedelter Oberflächen, wie diese zum Beispiel bei Manifestation einer Periimplantitis typisch sind. Die Laser-Dekontamination ist somit als Domäne der Anwendung von Laserlicht in der Mundhöhle zu werten.
Session 3: Alles rund um Weichteile und neuen Techniken
Zum Kongressausklang gab es nochmals einen echten Höhepunkt: Drei namhafte Referenten beleuchteten aktuellen Techniken und deren Facetten und belegten, welch außerordentlichen Entwicklungsstand auf den jeweiligen Gebieten zwischenzeitlich erreicht worden ist. „Weichgewebsmanagement am Implantat – Ästhetik oder funktioneller Langzeiterfolg?“ war die Frage, die Dr. Jochen Tunkel stellte und beantwortete.
Tunkel war dem Auditorium durch seinen Social-Media-Vortrag beim Vorjahreskongress in allerbester Erinnerung und widmete seine Ausführungen dieses Jahr seinem Lieblingsthema und seiner Paradedisziplin, dem Weichteilmanagment.
„Vermeiden ist die beste Prophylaxe!“, dies das Eingangsstatement Tunkels, der dies nicht als unbedingtes Befürworten der Flapless-Technik verstanden haben wollte, sondern vielmehr als Forderung für eine unbedingte krestale Schnittführung. Als Entlastung habe sich im Seitenzahngebiet die linguale Mobilisation als günstig erwiesen. Diese ermögliche eine Reduktion der bukkalen Entlastung und reduziert gleichzeitig die Gefahr einer Lingualis-Läsion (Kasanijan-Technik). Um einem Misserfolg vorzubeugen, gliedert Tunkel definitiven Zahnersatz frühestens nach drei, besser nach sechs Monaten ein. Dies sei für die Langzeitstabilität überaus vorteilhaft. Ein Langzeitprovisorium kann indes vorher eingegliedert werden.
Individuelle Augmentationschirurgie
Dem Kongressthema voll gerecht wurde Frau PD Dr. Dr. Diana Heimes, die zu „Von der Universallösung zur personalisierten Zahnmedizin – Wie individuell ist die Augmentationschirurgie heute?“ sprach. Die Mainzer Kieferchirurgin präsentierte, ausgehend von der Defektklassifikation nach Terheyden, ausgezeichnet dokumentierte Fallbeispiele und betonte gleich zu Beginn ihrer Ausführungen, dass der Erfolg von Augmentationsmaßnahmen nicht nur vom Ausgangsbefund und lokalen Faktoren , sondern letztlich auch vom Patienten selbst abhängig ist. „Wir müssen individueller werden!“, so Heimes.
Eine Socket preservation kann die Resorption wesentlich geringer ausfallen lassen, ohne jedoch die Knochenqualität zu verbessern, so die aktuelle Datenlage, die Kollegin Heimes präsentierte. Auf alle weiteren Faktoren (Augmentation/ Insertion/ Langzeiterfolg/ Etablierung einer Periimplantitis) habe die Socket preservation indes keinen verbessernden Einfluß.
Maximal drei bis vier Millimeter Knochengewinn lassen sich durch GBR-Maßnahmen erreichen, synthetische Materialien schneiden hier wesentlich schlechter als solche tierischen Ursprungs ab. Wer über diesen kritischen Wert hinaus wolle, müsse auf Blöcke zurückgreifen. Bis auf eine geringfügig höhere Komplikationsrate hätten autologe und allogene Blöcke insgesamt gleich gut abgeschnitten.
Dynamisch navigierte Implantation
PD Dr. Stefan Röhling sind zahlreiche Studien über Keramikimplantate zu verdanken, ihm und seiner Arbeitsgruppe gar wesentliche Teile der momentan verfügbaren Evidenz über keramische Implantate. Dieses Jahr sprach der Münchener Implantologe indes über ein anderes Thema: „Dynamische navigierte Implantation. Der neue Standard?“ Aus seinem breiten Wissensschatz exzerpierte Röhling die wesentlichsten Erkenntnisse und konnte die Bewährtheit dieser neuen Insertionsform nachhaltig belegen.
„Ich hatte bisher zwei Projekte wissenschaftlich begleiten dürfen, die dann letztlich zur Marktreife geführt wurden: Das waren zum einen die ein- und zweiteiligen Keramikimplantate und zum anderen die dynamische navigierte Implantation“, so Röhling. Planungsfehler mit für Patienten gravierenden Folgen können mit Hilfe der dynamischen Navigation ebenso verhindert werden, wie eine Fehlposition von Implantationen. Gerade für wenig beziehungsweise unerfahrene Kolleginnen und Kollegen könne die navigierte Insertion sehr hilfreich sein.
Gegenüber etablierten statischen Systemen haben aktuelle dynamische Verfahren den Vorteil, dass auf eine Insertionsschiene verzichtet werden kann und sie echtzeitorientiert sind. Dennoch ist die wissenschaftliche Akzeptanz momentan noch eingeschränkt, die verfügbare Evidenz weise den dynamischen Systemen deutliche Vorteile gegenüber den statischen zu. Mit technischen Weiterentwicklungen wurden die Kameras der dynamischen Systeme deutlich kleiner und die Systeme an sich wesentlich praxistauglicher.
Im letzten Teil seines Beitrags zum wissenschaftlichen Programm stellte Röhling das Ergebnis der Entwicklung seiner Arbeitsgruppe vor: Ein im Volumen deutlich reduzierter optischer Marker in Verbindung mit einer kleinen, auf dem Handstück montierten Kamera führte zu der miniaturisierten dynamischen Navigation. Dieses System wurde an den zahnmedizinischen Workflow angepasst. Das hierbei entstandene DENACAN-System wurde von Röhling abschließend vorgestellt. Denacam wurde weiterentwickelt und wird kommendes Jahr als FALCON-System von einem namhaften eidgenössischen Implantathersteller auf den Markt gebracht werden.
Der 53. Internationaler Jahreskongress der DGZI– ein kurzes Fazit
Auch beim 53. Jahreskongress der DGZI in Düsseldorf konnten die Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer in der Tat ein herausragendes und innovatives Fortbildungsereignis erleben. Aber nicht nur das: Aus verschiedenen Blickwinkeln von Wissenschaft, Praxis, Standes-Politik und Industrie wurde eine attraktive Ebene der Interaktion erreicht. Mit dem Versuch, der dringenden Frage nachzugehen, wie die Implantologie in fünf oder vielleicht zehn Jahren aussehen wird und wie dann die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sein werden, wurde seitens der DGZI Neuland beschritten und gleichzeitig standen überaus namhafte Referentinnen und Referenten der deutschsprachigen zahnärztlichen Implantologie auf der Bühne!
„Düsseldorf und das Rheinland sind stets ein gutes Pflaster für die DGZI“, so DGZI Präsident Bach. Als Fazit des diesjährigen Jahreskongresses kann festgestellt werden, dass es im Hinblick auf die implantologische Praxis der Zukunft neben wissenschaftlichen und technologischen Gesichtspunkten vor allem um strategische Fragen und deren Beantwortung geht.
2025 in Hamburg
Die DGZI wird an diesem Thema und an diesem Anspruch weiter aktiv bearbeiten und so die Bedeutung und Anziehungskraft dieser Fachgesellschaft auch in den kommenden Jahren unter Beweis stellen. Im nächsten Jahr wird Hamburg im hohen Norden Veranstaltungsort sein. „Wir freuen uns sehr auf die Hansestadt!“, so der DGZI-Vorstand zum Kongressende.
Dr. Georg Bach, Freiburg im Breisgau