Nach Jahren des Stillstands in der Parodontitistherapie können Patientinnen und Patienten, die an dieser Volkskrankheit leiden, in vertragszahnärztlichen Praxen künftig nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zahnmedizinischer Erkenntnisse behandelt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 17. Dezember 2020 eine neue, eigene Richtlinie für die Behandlung von Parodontalerkrankungen beschlossen, die zum 1. Juli 2021 in der Praxis wirksam werden wird.
Dem jetzigen Beschluss gingen jahrelange fachliche Beratungen und intensive Verhandlungen voraus, die die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) gemeinsam mit der Patientenvertretung im G-BA letztlich erfolgreich geführt hatte. Grundlage der Verhandlungen war ein Antrag auf Aktualisierung der systematischen Parodontitisbehandlung, den die Patientenvertretung bereits im Jahr 2013 gestellt hatte. Nach aktuellen Berechnungen sind allein in Deutschland fast zwölf Millionen Erwachsene von einer schweren parodontalen Erkrankung betroffen. Die PAR-Richtlinien waren seit Jahrzehnten weitgehend unverändert, auch bei der Neubewertung des Bema 2004 gab es hier keine entscheidenden Änderungen.
Zahnärzteschaft legte eigenes Konzept vor
Zahnärzteschaft und Wissenschaft hatten sich intensiv in die Beratungen und in die Methodenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eingebracht und den aktuellen, wissenschaftlich gesicherten internationalen Standard in der Parodontologie vertreten. 2017 war anlässlich des Deutschen Zahnärztetags gemeinsam das „Konzept für die Behandlung von Parodontalerkrankungen bei Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung“ veröffentlicht. Das Konzept basiert auf international anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, berücksichtigt den medizinischen Fortschritt und ist eine wesentliche Grundlage für die jetzt überarbeitete Behandlungsstrecke.
„Nachhaltige Versorgung war nicht mehr möglich“
Foto: KZBV/axentis.de
„Schon bald deutliche Fortschritte“ im Kampf gegen Volkskrankheit
„Die nach wie vor hohe Parodontitislast in Deutschland zu senken, ist ein wichtiges Ziel unseres zahnmedizinischen Versorgungskonzepts. Zu Recht wird die Parodontitis als große Volkskrankheit bezeichnet, an der immer noch jeder zweite Erwachsene hierzulande leidet. Unbehandelt hat sie nicht nur schwerwiegende Folgen für die Mundgesundheit, sondern steht auch in direktem Zusammenhang mit anderen chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vieles mehr. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf der Basis der heutigen Entscheidung im G-BA schon bald deutliche Fortschritte im Kampf gegen die Parodontitis werden vorweisen können“, sagte Eßer.
Prof. Eickholz: „Auf dem Stand der Zeit“
Foto: privat
Parodontitistherapie erfolgreich und nachhaltig umsetzen
Foto: DG Paro
Keine Abwertung der Gesamttherapie im Bewertungsausschuss
Jetzt komme es aber noch auf die Verhandlungen im Bewertungsausschuss an, so Dannewitz: „Ob die neue Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen tatsächlich ein großer Wurf werden wird, entscheidet sich aber eben auch in den noch ausstehenden Verhandlungen des Bewertungsausschusses. Wir haben bei der GKV-Reform und der folgenden Umrelationierung des Bema im Jahr 2004 deutlich gesehen, was passiert, wenn zwar neue Leistungen in die PAR-Behandlungsstrecke kommen, das aber insgesamt zu einer Abwertung der Gesamttherapie führt.“
Systematische Behandlung erstmals in eigener Richtlinie
Mit dem Beschluss wird die systematische Behandlung von Parodontitis auch erstmals in einer eigenen Richtlinie geregelt. Die Inhalte setzen auf der aktuellen wissenschaftlichen Klassifikation der Fachgesellschaften auf. Die Erkrankung wird jetzt mit einem umfassenden, am individuellen Bedarf ausgerichteten Maßnahmenprogramm bekämpft. Die systematische PA-Therapie bleibt dabei weiterhin Antragsleistung.
„Sprechende Zahnmedizin“ verankert
So erhalten Versicherte künftig im Zusammenhang mit der eigentlichen Behandlung eine patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung. Dazu wird als eigener Therapieschritt ein parodontologisches Aufklärungs- und Therapiegespräch verankert, um das Verständnis über die Auswirkungen der Erkrankung zu schaffen und die Mitwirkung der Versicherten zu stärken. Damit findet die „sprechende Zahnmedizin“ erstmals Eingang in die Versorgung. Beide Maßnahmen dienen dazu, die eigene Mundhygienefähigkeit und Gesundheitskompetenz zu erhöhen.
Anspruch auf strukturierte Nachsorge mit UPT
Einen bedeutenden Stellenwert hat in der neuen Behandlungsstrecke die Unterstützende Parodontitistherapie (UPT). Versicherte können, ausgerichtet am individuellen Bedarf, künftig zwei Jahre nach Abschluss der aktiven Behandlungsphase eine strukturierte Nachsorge in Anspruch nehmen, um den Behandlungserfolg zu sichern. Die Nachsorge kann – so denn die Voraussetzungen aus vertragszahnärztlicher Sicht vorliegen und eine Genehmigung der Krankenkasse erfolgt – darüber hinaus um in der Regel sechs Monate verlängert werden. Die Frequenz der UPT wird bedarfsgerecht an das individuelle Patientenrisiko angepasst. Damit wird eine entscheidende Lücke in der bisherigen parodontologischen Versorgung in Deutschland geschlossen. Insbesondere Risikogruppen profitieren von dem engmaschigen Nachsorgekonzept, so die KZBV.
Erläuterungen des G-BA zum Beschluss
Systematische Diagnostik und Behandlung
Ziel der Behandlung von Parodontopathien ist es, entzündliche Veränderungen zum Abklingen zu bringen, um ein Fortschreiten der Erkrankung und damit einen Zahnverlust zu verhindern.
In der neuen Richtlinie des G-BA sind die einzelnen Schritte einer systematischen Diagnostik und Behandlung von Parodontopathien detailliert beschrieben. Festgelegt ist, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte vor der Therapieplanung Stadium und Grad der Erkrankung erheben und Risikofaktoren wie Diabetes mellitus oder Rauchen abklären müssen. Im anschließenden Aufklärungs- und Therapiegespräch werden auf Basis der Befunde die weiteren möglichen Schritte besprochen. Ebenfalls soll in diesem Gespräch vermittelt werden, wie notwendig es ist, dass Patientinnen und Patienten den Behandlungsprozess aktiv unterstützen. Dabei geht es neben der Vermeidung bestimmter Risikofaktoren, wie dem Tabakkonsum, insbesondere um eine gute allgemeine Mundhygiene. In Abhängigkeit von Stadium und Grad der Erkrankung sieht die Richtlinie verschiedene Ansätze vor: eine antiinfektiöse Therapie, eine Antibiotikatherapie oder chirurgische Eingriffe. Die Fortschritte in der Therapie und die Mitarbeit der Patientin oder des Patienten müssen zwischenzeitlich überprüft werden, um den Behandlungserfolg auch möglichst langfristig zu sichern.
Für Zahnärztinnen und Zahnärzte wichtig: Wie bisher auch in der Behandlungsrichtlinie bleiben die allgemeinen Regelungen zum Parodontitis-Screening mittels Parodontalem Screening Index (PSI) sowie die Definition des Umfangs der vertragszahnärztlichen Versorgung von parodontalen Erkrankungen, die nicht der systematischen Behandlung zuzuordnen sind, gleich. Hierbei geht es insbesondere um Akutformen der Parodontitis.
Nach Zustimmung des Ministeriums Verhandlungen zur Bewertung
Der heutige Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vorgelegt werden und tritt – im Fall der Nichtbeanstandung – zum 1. Juli 2021 in Kraft. Die nun folgenden Verhandlungen von KZBV und GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss müssen bis dahin abgeschlossen sein. Zum 1. Juli werden die neuen Leistungen zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) dann den Patienten in vertragszahnärztlichen Praxen zur Verfügung stehen und von den Zahnärzten beantragt und abgerechnet werden können.