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Vorhandene Risikofaktoren auch bei älteren Senioren über Jahre gut kontrollierbar – wenn die Compliance stimmt


Brigitte Strauß, Universität Frankfurt am Main

Anhand eines Patientenfalls beschreibt Autorin Brigitte Strauß von der Universität Frankfurt am Main in einem Beitrag für die Zeitschrift Parodontologie die systematische Parodontitistherapie bei älteren Senioren. Das Vorgehen zeigt, das mit diesem Vorgehen bestehende Risikofaktoren gut kontrolliert werden können.

Der Patient war zu Beginn der parodontalen Therapie knapp 72 Jahre alt (jüngerer Senior) und besaß noch 23 Zähne. Damit lag er im Jahr 2007, zwei Jahre nach Erhebung der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV), deutlich über dem Durchschnitt in den alten Bundesländern (14,6 Zähne). In den zehn Jahren seit Beginn der systematischen parodontalen Therapie, bestehend aus nichtchirurgischer antiinfektiöser Therapie, Prämolarisierung 36 und unterstützender Parodontitistherapie (UPT), hat sich an der Zahnzahl nichts geändert. Der Patient hat in dieser Zeit keinen Zahn verloren und liegt damit im Alter von 82 Jahren (älterer Senior) im Vergleich zu den 75- bis 100-Jährigen mit hohem Sozialstatus immer noch deutlich über dem Durchschnitt (15,2/18,2 Zähne). Der geringe Zahnverlust kann mit verschiedenen, gut kontrollierten Risikofaktoren erklärt werden: Der Patient nimmt regelmäßig an der UPT teil, er ist Nichtraucher und betreibt eine effektive individuelle Plaquekontrolle. Er leidet zwar aktuell an Diabetes mellitus, dieser ist aber metabolisch gut eingestellt.

Die Zeitschrift „Parodontologie“ vermittelt dem interessierten Zahnarzt in Praxis und Klinik die neuesten Erkenntnisse, Entwicklungen und Tendenzen auf dem Gebiet der Parodontologie. Die hochwertige Ausstattung mit vielen, meist farbigen Abbildungen und der ausgeprägte Fortbildungscharakter sprechen für diese Fachzeitschrift. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.


Einleitung

Im Jahr 2006 wurde die Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV) vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) veröffentlicht. In diese Studie wurde als höchste Altersstufe die Gruppe der 65- bis 74-Jährigen aufgenommen und untersucht. Im Jahr 2005, dem Erhebungszeitraum der DMS IV, waren noch 22,6 Prozent (etwa jeder vierte bis fünfte Bundesbürger) in dieser Altersgruppe zahnlos1. Die Bundeszahnärztekammer definierte anschließend das Ziel, dass bis 2020 die Zahnlosigkeit in dieser Altersgruppe 15 Prozent nicht überschreiten sollte2.

Die demografische Entwicklung zeigt, dass die Bevölkerung immer älter wird. In der Kariesprävention wurden große Fortschritte insbesondere bei ­Kindern und Jugendlichen erzielt. Die eigenen Zähne können durch moderne und verbesserte konservierende Therapien bis ins hohe Alter erhalten werden3. Durch den langen Erhalt der eigenen Zähne muss aber mit einer Zunahme parodontaler Erkrankungen mit steigendem Alter gerechnet werden4,5.

Im August 2016 wurde die Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) veröffentlicht. Es wurden erstmals die 75- bis 100-jährigen, sogenannten älteren Senioren untersucht. Bei den jüngeren Senioren (65–74 Jahre) zeigen sich große Erfolge in der zahnmedizinischen Versorgung. Heute sind nur noch 12,4 Prozent, das heißt, jeder achte Patient, von Zahnlosigkeit betroffen6.

Die Gruppen der 75- bis 100-Jährigen und der älteren Menschen mit Pflegebedarf zeigen eine schlechtere Zahn- und Mundgesundheit3. Die Resultate der Fünften Mundgesundheitsstudie belegen, dass aufgrund des demografischen Wandels mit ­einem hohen Aufkommen an Zahn- und Mund­erkrankungen gerechnet werden muss. Gleichermaßen besteht mit ansteigendem Lebensalter auch das hohe Risiko, an Parodontitis zu erkranken. 

Wie kann sich die parodontale Situation heute bei den älteren und sehr alten Patienten darstellen, die in der neu aufgenommenen Gruppe der 75- bis 100-jährigen Patienten der Fünften Mundgesundheitsstudie erfasst wurden? Dies soll anhand eines Fallbeispiels dargestellt werden.


Abb. 1  Panoramaschichtaufnahme vom 8. Dezember 2005.

Ein Fallbericht über zehn Jahre

Der Patient wurde am 17. April 1935 geboren. Er ist Arzt. Zum Zeitpunkt der Erfassung der Vierten Mundgesundheitsstudie war er 70 Jahre alt und praktizierte damals noch. Am 5. April 2007 suchte er erstmalig die Poliklinik für Parodontologie des Zen­trums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK Carolinum) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main auf. Bei der Erstvorstellung ­äußerte er den Wunsch nach einer systematischen Parodontitistherapie. Er gab an, 2006 eine Implantatversorgung zum Ersatz der Zähne 11 und 21 erhalten zu haben. Der Patient brachte zur ersten Sitzung eine Panoramaschichtaufnahme vom 8. Dezember 2005 (Abb. 1) mit: Es zeigt sich ein generalisierter horizontaler Knochenabbau, der im Unterkieferseitenzahnbereich etwa 20 Prozent, im Oberkieferseiten- und -eckzahnbereich sowie an den Zähnen 32 und 31 etwa 50 Prozent, an den Zähnen 41 und 42 etwa 75 Prozent und im Schneidezahnbereich des Oberkiefers etwa 80 Prozent der Wurzellänge beträgt. An Zahn 36 lässt sich im Bereich der Furkation eine hypodense Zone erkennen. Der Zahn 45 zeigt intrakanalikulär eine hyperdense Zone im Sinne einer Wurzelkanalfüllung.

Anamnese bei Erstvorstellung

Allgemeine Anamnese

Bei der Erstvorstellung in unserer Poliklinik war der Patient 72 Jahre alt. Er war und ist Nichtraucher. Auf die Frage nach wichtig erscheinenden Erkrankungen nennt er eine Neigung zu vasovagalen Synkopen, Hypertonie und eine Leberzyste. Er litt bis vor zehn Jahren unter Migräne und hat manchmal Würgereiz. 2007 nahm er regelmäßig folgende Medikamente ein: ­CoDiovan (Wirkstoffe: Valsartan [Angiotensin-II-Rezeptorantagonist], Hydrochlorothiazid [Diuretikum]; Novartis Pharma) gegen Hypertonie und Proscar (Wirkstoff: Finasterid;  MSD Sharp & Dohme) gegen gutartige Prostatavergrößerungen. Auf die Frage nach jemals aufgetretenen Komplikationen bei zahnärztlichen Behandlungen nannte er einen orthostatischen Kollaps.

Spezielle zahnmedizinische Anamnese

Der Patient weist ein konservierend und prothetisch versorgtes Gebiss auf. Bisher erfolgte keine systematische Parodontitistherapie, aber in Regio 11 und 21 wurde im Oktober 2006 von seinem damaligen Zahnarzt je ein Implantat inseriert.

Intraoraler Befund

Im Unterkieferfrontzahnbereich und an Zahn 17 fand sich Zahnstein, interdental generell weiche bakterielle Beläge (Abb. 2). Es fehlten alle Weisheitszähne und die Schneidezähne des Oberkiefers. Die Zähne 12 und 22 waren durch eine auf den Implantaten und Oberkiefereckzähnen abgestützte keramikverblendete Brücke und Zahn 26 durch eine Brücke auf den Zähnen 25 und 27 ersetzt. Die Zähne 16, 35 und 45 waren mit keramikverblendeten Metallkronen und 15, 14, 37, 36, 44, 46 sowie 47 mit Füllungen versorgt. Der Zahn 45 hatte eine Wurzelkanalfüllung. Alle Zähne (außer 45) reagierten positiv auf den Sensibilitätstest (Test mit Kältespray; Abb. 3).

Es wurde ein ausführlicher Parodontalstatus mit sechs Messstellen pro Zahn erhoben (Abb. 3). Im Jahr 2007 wurden an Implantaten nicht routinemäßig Sondierungstiefen (ST) erhoben. Die erste ST-Messung an den Implantaten fand am 7. Mai 2008 statt und ergab Werte bis maximal 4 mm. Die parodon­talen Befunde im Detail sind Abbildung 3 zu entnehmen. Das Bluten auf Sondieren (BOP) lag bei 15 Prozent.

Diagnose und Therapieplan

Es wurde folgende Diagnose gestellt:generalisiert moderate, lokalisiert schwere chronische Parodontitis. Der Therapieplan sah folgende Schritte vor:

  1. Anfertigung eines Röntgenstatus (Zahnfilm­status)
  2. Systematische Parodontitistherapie:
  3. a. antiinfektiöse Therapie (Full-Mouth-Disinfection),

    b. Reevaluation,

    c. gegebenenfalls Parodontalchirurgie,

    d. unterstützende Parodontitistherapie (UPT).

Die Ätiologie der Parodontitis und die daraus resultierende Therapie wurden dem Patienten ausführlich erläutert und mit ihm erörtert. Zu diesem Zeitpunkt bestand für Zahn 27 im Vergleich zu Molaren mit Furkationsbeteiligung Grad I und II eine schlechtere Prognose hinsichtlich des Erhalts aufgrund der durchgängigen Furkation7–12.

Therapiealternativen

Die Alternativen lauteten:

  • Extraktion Zahn 27 und gegebenenfalls Implantation Regio 26 und 27,
  • Wurzelkanalbehandlung und -amputation Zahn 27,
  • palliative Therapie Zahn 27.

Der Patient war mit dem Therapievorschlag und den Therapiealternativen einverstanden. Es folgt die chronologische Vorgehensweise bei der systematischen antiinfektiösen Parodontitistherapie.


Abb. 4 Röntgenstatus vom 30. November 2007.

Röntgenbefund (Röntgenstatus)

Am 30. Mai 2007 wurde in Ergänzung zur Panoramaschichtaufnahme vom 8. Dezember 2005 ein Röntgen­status aus zehn Einzelzahnaufnahmen erstellt (Abb. 4): Es zeigte sich ein generalisierter horizontaler Knochenabbau, der im Unterkieferseitenzahnbereich und an 16–13 sowie 23–25 etwa 20 Prozent, an 17, 27 sowie an den Zähnen 32 und 31 etwa 50 Prozent, an den Zähnen 41 und 42 etwa 75 Prozent und im Schneide­zahnbereich des Oberkiefers etwa 80 Prozent der Wurzellänge betrug. An Zahn 36 ließ sich im Bereich der Furkation eine hypodense Zone erkennen. Der Zahn 45 zeigte intrakanalikulär eine hyperdense Zone im Sinne einer Wurzelkanalfüllung. In Regio 11 und 21 waren intraossäre Schraubenimplantate inseriert.

Therapieverlauf

Am 30. Mai 2007 fand das erste Mundhygienetraining (MHT) statt. Der Gingival-Bleeding-Index (GBI)13 lag bei 8 Prozent, der Plaque-Control-Record (PCR)14 bei 35 Prozent.

Der bakterielle Biofilm wurde angefärbt (Mira-2-Ton, Fa. Hager & Werken, Duisburg). Der Patient benutzte zur täglichen Zahnreinigung eine Handzahnbürste. Es wurde ausführlich die Reinigung mit der Bass-Technik erklärt, am Modell demonstriert und intraoral mit einer Einmalzahnbürste geübt. Weiterhin wurden eine Anpassung und Übung mit den Interdentalraumbürsten Curaprox orange (CPS 14, Curaden) für die Seitenzähne und Curaprox grün (CPS 11) für die Frontzähne vorgenommen. Eine wöchentliche häusliche Fluoridierung mit elmex gelée 1,25 Prozent ( CP GABA) wurde empfohlen. Der Patient erhielt nochmals Hinweise zur Entstehung der Parodontitis.

Die Zähne 17, 16, 27, 37–47 wurden professionell gereinigt und poliert (Zircate Prophy Paste, Dentsply De Trey). Alle Zähne wurden mit elmex gelée fluoridiert.

Am 2. Juli 2007 folgte das zweite MHT. Der GBI betrug 3 Prozent, der PCR lag bei 7 Prozent. Wegen der nahezu perfekten häuslichen Zahnreinigung waren keine weiteren Instruktionen notwendig, es wurde aber angeraten, nicht mit der regelmäßigen guten Mundhy­giene nachzulassen. Die Zähne 17, 27, 36 sowie 31–42 erhielten eine professionelle Zahnreinigung mit Politur. Alle Zähne wurden mit elmex gelée fluoridiert.

Subgingivale Instrumentierung

Am 8. August 2007 erfolgte eine modifizierte Full-Mouth-Disinfection im ersten und vierten Quadranten (Chlorhexidin-Gel, CHX, GlaxoSmithKline) mit subgingivaler Instrumentierung unter Lokalanästhesie der Zähne 17, 16, 14, 13 und 47–42 in Kombination von Schall- und Handinstrumenten (Sonicflex paro, KaVo Dental; Gracey-Küretten, Hu-Friedy)15–17. Dabei spülte der Patient zu Beginn zweimal etwa eine Minute mit 10 Millilitern einer 0,12-prozentigen Chlorhexidin­diglukonat-­Lösung und gurgelte anschließend. Als besonders schwierig erwies sich die Bearbeitung der Zahnwurzeloberflächen der Zähne 17 und 16 aufgrund der Grad-II-­Furkationen. An allen subgingival instrumentierten Zähnen wurde einprozentiges Chlorhexidin-Gel dreimal in zehn Minuten subgingival instilliert. Der Patient bekam Erklärungen und Hinweise zum postoperativen Verhalten. Er sollte für zwei Wochen mit 10 ml einer 0,12-prozentigen CHX-Mundspül­lösung zweimal täglich für zwei Minuten spülen und gurgeln. Die individuelle Plaquekontrolle sollte er mit Zahn- und Zahnzwischenraumbürste fortsetzen und dabei anstatt mit Zahnpasta mit dem 1%igem CHX-Gel zweimal täglich die Zähne putzen. Am folgenden Tag wurden entsprechend im zweiten und dritten Quadranten die Zähne 24, 25, 27, 37, 36, 34, 33 und 31 subgingival instrumentiert, wobei Zahn 27 mit der durchgängigen Furkation besonderes ­Augenmerk verlangte.

Sechs Tage später, am 15. August 2007, erfolgte eine Kontrolle und Nachbehandlung in allen Quadranten. Die Wundheilung war gut, und an allen behandelten Zähnen in allen Quadranten wurde einprozentiges CHX-Gel dreimal innerhalb von zehn Minuten subgingival instilliert. Am 11. September 2007, nach Einstellung der Anwendung der CHX-Mundspüllösung und des einprozentigen CHX-Gels, wurden alle Zähne im Ober- und Unterkiefer nachgereinigt (Verfärbungen durch die Anwendung von CHX), poliert und mit elmex gelée fluoridiert. Der Patient erhielt die Anweisung, mit der erlernten Putztechnik, in Verbindung mit einer fluorid­haltigen Zahnpasta und der Anwendung der ausgewählten Interdentalraumbürsten, wieder zu beginnen.

Unterstützende Parodontitistherapie (UPT)

Am 18 September 2007 erfolgte die erste unterstützende Parodontitistherapie (UPT I). Der GBI betrug 7 Prozent und der PCR lag bei 13 Prozent. Nach einer kurzen Remotivation (Besprechung zur Ausübung der täglichen Mundhygiene) und Reinstruktion (Übung mit der Handzahnbürste und die Anwendung der angepassten Interdentalraumbürsten) wurden die bakteriellen Zahnbeläge entfernt (professional mechanical plaque removal: PMPR) mit Politur und Fluoridierung der Zähne.


Abb. 5 Parodontalstatus vom 7. November 2007 (Reevaluation 1).

Am 07.11.2007 stellte sich der Patient zur UPT II und Reevaluation 1 nach geschlossener Therapie vor. Der GBI betrug 7 Prozent, der PCR lag bei 30 Prozent. Wieder wurde eine Remotivation und Reinstruktion vorgenommen. Erneut wurde die Anwendung von Interdentalraumbürsten und Superfloss zur Reinigung der Implantate 11 und 21 trainiert. Die Zähne wurden professionell gereinigt, poliert und fluoridiert. Anschließend wurden der zahnärztliche Befund und ein Parodontalstatus (Sondierungstiefen und Attachmentlevel) mit Messungen an sechs Stellen pro Zahn erhoben (Abb. 5).

Die Zähne 17 und 27 zeigten erhöhte Sondierungstiefen (≥ 4 mm mit BOP und ≥ 5 mm). Beide Zähne wurden subgingival nachinstrumentiert und mit einprozentigem CHX-Gel instilliert18. Das individuelle Parodontitisrisiko wurde bestimmt. Es ergab ein mittleres Parodontitisrisiko, welches vorerst eine halbjährliche UPT vorsah18,19.

Die Prognose für Zahn 27 war ungünstig. Der Patient gab an, dass es auf der linken Seite beim Zubeißen „gedrückt“ hat. Dieser Zahn wies eine durchgängige Grad-III-Furkation auf. Die Beratung über das weitere Vorgehen ergab folgende Alter­nativen:

  • palliative Therapie Zahn 27 sowie
  • bei Verschlechterung Extraktion Zahn 27 und Implantation.

Diagnose nach systematischer Parodontitistherapie

Die Diagnose lautete nun: Zustand nach antiinfektiöser Therapie einer generalisiert moderaten, lokalisiert schweren chronischen Parodontitis mit persistierenden Taschen an 17 und 27.

Weiterer Therapieverlauf im Rahmen der UPT

Da sich die Inhalte und die angewendeten Therapieschritte in der UPT meist wiederholen, wird der Therapieverlauf zusammengefasst. Weiterführende, ergänzende und außergewöhnliche Maßnahmen werden zusätzlich örtlich und zeitlich benannt und beschrieben. 


Tab. 1 Veränderungen in der Anamnese während der UPT.

Vom 18. Februar 2008 bis heute befindet sich der Patient in der UPT. Alle UPT-Termine wurden vom Patienten eingehalten. Regelmäßig einmal jährlich wurde die Anamnese komplett überprüft und ­dokumentiert (Tabelle 1). In einem Abstand von sechs Monaten wurden ein Zahnhartsubstanz­befund und ein ausführlicher Parodontalstatus mit Messungen an sechs Stellen pro Zahn erhoben. In der Zeit vom 7. Mai 2008 bis zum 5. April 2017 wurden insgesamt 16 allgemeinzahnärztliche Unter­suchungen aufgenommen. 

Befunde und entsprechende Therapiemaßnahmen

  • 20. November 2008 Zahn 37: Höckerfraktur distolingual, Sensibilitätsprobe (positiv) und Füllungstherapie
  • 5. Mai 2010 Zahn 37: Restaurationsfraktur distolingual, Füllungstherapie
  • 14. Oktober 2011 Zahn 36: wegen einer durchgängigen Furkation (Grad III) Durchführung einer Wurzelkanalbehandlung beim Hauszahnarzt Dr. Püllen. Im weiteren Verlauf wurde eine Über­kronung vorgesehen.
  • 25. April 2012 Zahn 36: Prämolarisierung
  • 24. Oktober 2012 Zähne 16, 25: Verdacht auf Pulpanekrose. Beide Zähne reagierten avital auf die Testverfahren Kältespray und elektischer Reiz (Digitest, Fa. Parkell Electronics Division, Farmingdale, USA). Eine Wurzelkanalbehandlung sollte ggf. vorgenommen werden.
  • 10. Dezember 2014 Implantatkrone 11: Keramikchipping an der Schneidekante
  • 4. August 2016 Regio 31: vestibuläre Fistelöffnung, aus der ein scharfkantiger Festkörper entfernt wurde. Die histopathologische Abklärung ergab eine pflanzliche Herkunft (Fragment eines Obstkerns, -steins).

Für den wiederholt frakturierten Höcker an Zahn 37 wurde eine Überkronung vorgeschlagen. Dieser Zustand und die abgeplatzte Keramik der Implantatkrone 11 wurden vom Patienten als nicht störend im Sinne einer Einschränkung der Kaufunktion und Ästhetik empfunden. Die Situation besteht bis heute und wurde so belassen. 

Im gleichen Zeitraum, das heißt, zwischen 7. Mai 2008 und 5.April 2017, wurde insgesamt 16-mal der Parodontalstatus erhoben. Jedes Mal wurden die Sondierungstiefen an sechs Stellen pro Zahn gemessen (zweimal/Jahr), die Erhebung des Attachmentlevels erfolgte nur bei jedem zweiten Termin (einmal/Jahr). Nach jeder Erhebung des Parodontalstatus wurde das individuelle Parodontitisrisiko neu ermittelt. Dazu wurden folgende Parameter hinzugezogen und ausgewertet: Bluten auf Sondieren (BOP) in Prozent, Zahl der Stellen mit ST ≥ 5 mm, Zahl der verlorenen Zähne (ohne 8er), Knochenabbau in Prozent der Wurzellänge an dem Seitenzahn mit dem stärksten Knochen­abbau dividiert durch das Lebensalter, Zigaretten­konsum, systemische/genetische Faktoren19.

Vom 7. November 2007 bis zum 10. Dezember 2014 blieb es konstant bei einem mittleren Parodontitisrisiko (PRA)20,21. Am 17. Juni 2015 wurde ein hohes PRA bestimmt, da der BOP mit 26 Prozent und die Zahl der Stellen mit ST ≥ 5 mm mit 13 Zähnen im hohen ­Risiko lagen, was ein vierteljährliches UPT-Intervall zur Folge hatte. Ansonsten wurde für die Zeit bis zum 25. April 2012 nach antiinfektiöser Parodontitistherapie ein halbjährliches Recallintervall im Rahmen der UPT festgelegt. Der Patient ist am Erhalt seiner Zähne sehr interessiert, daher wurde auf seinen Wunsch von Beginn an (ab Reevaluation am 07.11.2007) ein vierteljährliches Recallintervall vereinbart (partizipative Bestimmung des UPT-Intervalls). Am 25.04.2012 gab er in der Anamnese erstmalig Diabetes mellitus an. Da mit Ausnahme des 17. Juni 2015 alle anderen Risikofaktoren immer im niedrige nbeziehungsweise mittleren Risiko lagen, blieb das parodontale Gesamtrisiko im mittleren Bereich. Am 12. Februar 2014 ergab sich aber eine hohe Zahl von ­Stellen (zehn) mit ST ≥ 5 mm, sodass das parodontale Risiko als hoch eingestuft wurde und bis zum 14. Januar 2016 aufgrund der ST beziehungsweise eines BOP > 24 Prozent hoch blieb. Am 4. August 2016 lagen die ST ≥ 5 mm (8) und BOP (21 Prozent) wieder im mittleren Bereich, sodass ein mittleres Risiko bestimmt wurde.

Nach der antiinfektiösen Parodontitistherapie wurden vom Patienten insgesamt 29 Recallsitzungen wahrgenommen. Über diesen Zeitraum lagen der GBI im Durchschnitt bei 4 Prozent und der PCR bei 25 Prozent. Bei jedem UPT-Termin wurden eine Remotivation, ggf. ein Mundhygienetraining und eine PMPR durchgeführt. Besondere Aufmerksamkeit richtete sich dabei auf die Reinigung der Interdentalräume, deren Hilfsmittel zur Reinigung immer überprüft und eventuell neu angepasst wurden. Die Inter­dentalbürstchen sollen bei der Einführung in den Zwischenraum einen ausreichenden Druck ausüben, eine Verletzung der Hart- und Weichgewebe bei zu strammer Vorgehensweise muss aber vermieden werden. 

Ab 2. Dezember 2009 wurde eine periimplantäre Mukositis an den Implantaten 11 und 21 diagnostiziert.

Therapiemaßnahmen im Rahmen der UPT

Ab 17. Juni 2010 reagierten die Zähne im Oberkiefer von 16–27 auf den Sensibilisierungstest mit verschiedenen Testverfahren (Kältetest mit CO2-Spray und Digitest) schwach positiv.

Zum Zeitpunkt der ersten UPT mit Erhebung des Parodontalstatus am 7. Mai. 2008 bis heute zeigen sich nach jeder Erfassung eines Parodontalstatus an verschiedenen Zähnen erhöhte Sondierungstiefen (≥ 4mm und BOP sowie 5–7 mm). 

Alle Zähne und ggf. die Implantate, die erhöhte Sondierungstiefen aufwiesen, wurden in den jeweiligen UPT-Sitzungen maschinell mit Airscaler und zahnbezogenen Küretten subgingival instrumentiert. Der Biofilm an den Implantaten und den Zähnen bis 5 mm Sondierungstiefe wurde mit einem Luft-­Wasser-Pulverstrahlgerät (AIR-FLOW Handy, Fa. EMS, Nyon, Schweiz) und niedrigabrasivem Glycin Prophy Powder (Clinpro, Fa. 3M Espe, Seefeld) entfernt22. Abschluss bildeten immer die Instillation des einprozentigen CHX-Gels und gegebenenfalls weitere chemotherapeutische beziehungsweise antibiotische Maßnahmen. 

Eine Bearbeitung der pathologisch vertieften ­Taschen mit dem Luft-Wasser-Pulverstrahlgerät (AIR-FLOW) am Implantat 11 erfolgte 14-mal und am Implantat 21 insgesamt 11-mal.

Adjuvante chemotherapeutische und antibiotische Maßnahmen

Am 27. Mai 2009 wurden am Implantat 11 ST von 6 mm und am Implantat 21 ST von 5 mm mit BOP gemessen. Deshalb wurde zusätzlich zur subgingivalen Reinigung mit Kunststoffküretten Arestin (Wirkstoff: Minocyclinhydrochlorid; Orapharma, Inc. NL-Amstelveen) subgingival appliziert. Am 2. Dezember 2009 persistierte am Implantat 11 die ST von 6 mm mit BOP. Deshalb wurde nach subgingivaler Reinigung mit niedrigabrasivem AIR-FLOW erneut Arestin appliziert. Am 17. Juni 2015 wurden mesio- und distopalatinal von Zahn 27 ST von 7 mm mit BOP gemessen. Nach subgingivaler Instrumentierung erfolgte deshalb die Applikation von zwei PerioChip (Wirkstoff: Chlorhexidinbis[D-gluconat]; Dexcel Pharma, Alzenau). Schließlich ließ sich am 14. Januar 2016 distopalatinal des Implantats 11 eine ST von 9 mm messen, sodass dort eine subgingivale Instrumentierung mit Applikation von einem PerioChip erfolgte23,24.


Abb. 6 Röntgenstatus vom 25. April 2012.

Röntgenbefund (Röntgenstatus)

Am 25. April 2012 wurde zur Kontrolle der parodontalen Verhältnisse erneut ein Röntgenstatus aus zehn Einzelzahnaufnahmen erstellt (Abb. 6). Im Vergleich zu Abbildung 4 (Röntgenstatus vom 30. Mai 2007) zeigen sich wenige Veränderungen: Zahn 36 weist intrakanalikulär hyperdenses Material im Sinne einer Wurzelkanalfüllung auf, mesial des Implantats 11 ist ein geringer Knochenabbau eingetreten.

Epikritische Betrachtung

Seit dem 5. April 2007 befindet sich der heute 82-jährige Patient in der Poliklinik für Parodontologie des Zentrums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) in parodontaler Behandlung. Bei der Erstvorstellung wurde eine generalisiert moderate, lokalisiert schwere chronische Parodontitis diagnostiziert. Der Patient wies an > 30 Prozent der Stellen moderate (3–4 mm) sowie an ≤ 30 Prozent der Stellen schwere (≥ 5 mm) Attachmentverluste auf. Die Parodontitis ist zwar zum Teil sehr weit fortgeschritten, geht man aber davon aus, dass die Erkrankung im mittleren Alter begonnen hat, hätte es 20 Jahre gedauert, um diesen Zustand zu erreichen, was keiner raschen Progression entspräche. Dem Patienten ist keine familiäre Häufigkeit von Parodontitis bekannt, und die Erkrankung korreliert mit lokalen Faktoren wie Plaque und Zahnstein.

Der Patient unterzog sich daraufhin einer systematischen Parodontitistherapie im Sinne einer modifizierten Full-Mouth-Disinfection (FMD)15–17. Warum FMD und nicht quadrantenweises Scaling? Ein systematisches Review zum Vergleich von Full-Mouth-Scaling (FMS) und FMD mit quadrantenweisem Scaling zeigte 2008 signifikante, wenn auch geringe Vorteile der FMD gegenüber quadrantenweisem Scaling25. Dieses strukturierte Review wurde inzwischen unter Einbeziehung aktueller Studien überarbeitet und zeigt jetzt keine signifikanten Vorteile der FMD gegenüber FMS beziehungsweise quadranten­weisem Vorgehen mehr, sodass auf die subgingivale Instillation von CHX heute verzichtet wird26. Das FMS hat aber große organisatorische Vorteile: Der Patient ist mit der subgingivalen Instrumentierung in ein bis zwei aufeinanderfolgenden Tagen fertig. Beim quadrantenweisen Scaling zieht sich dieser Teil der Therapie über einen Zeitraum von bis zu drei ­Wochen.


Tab. 2 Die Anzahl der während der UPT subgingival nachinstrumentierten Zähne in absteigender Reihenfolge der Frequenz.

Im Anschluss daran folgte die Eingliederung in die UPT. Nach jeder halbjährlichen Erhebung des Parodontalstatus und im weiteren Verlauf dieser Recallsitzungen erfolgte die Nachinstrumentierung der pathologisch vertieften Zahnfleischtaschen (ST = 4 mm mit BOP, ST ≥ 5 mm) mit z. T. adjuvanten, chemotherapeutischen und antibiotischen Maßnahmen. Wegen der Grad-III-Furkationsbeteiligung wurde Zahn 36 wurzelkanalbehandelt und anschließend prämolarisiert (Abb. 7). Obwohl für Zahn 27 langfristig aufgrund der Grad-III-Furkationsbeteiligung eine fragliche Prognose gestellt wurde, befindet sich dieser Zahn nach zehn Jahren palliativer Furkationstherapie27 immer noch in situ und in Funktion. Weder Attachmentverlust noch Knochenabbau an Zahn 27 haben sich während der UPT nennenswert verschlechtert. Bei der Eingangsuntersuchung am 5. April 2007 war eine Aufklärung über eine Wurzelkanalbehandlung mit anschließender Wurzelamputation oder Extraktion als Alternativen zur palliativen Therapie erfolgt. Allerdings ist die Furkation von 27 dem Patienten zumindest teilweise für individuelle Plaquekontrolle zugänglich (Abb. 8), und dieser Zahn verursachte die höchste Frequenz subgingivaler Reinstrumentierungen während der UPT (Tabelle 2). Die Implantate 11 und 21 sowie der erstgradig bewegliche Zahn 31, die Zähne 17, 16, 41 mit einer Lockerung ersten Grades wurden erfolgreich therapiert.


Abb. 10 Parodontalstatus vom 5. April 2017.

In einigen Aspekten hat sich die parodontale Situation verschlechtert. Gegenüber dem Ausgangsbefund hat sich die Furkationsbeteiligung an Zahn 36 von Grad II auf III und an Zahn 46 von I auf III erhöht. Allerdings liegen die ST generell bei bis zu 4 mm, nur an Zahn 27 finden sich zwei Stellen mit 5 mm und BOP (Abb. 9 und 10).

Der Patient hatte zu Beginn der parodontalen Therapie im Alter von knapp 72 Jahren noch 23 Zähne. Damit lag er im Jahr 2007, zwei Jahre nach Erhebung der DMS IV, deutlich über dem Durchschnitt in den alten Bundesländern (mittlere Anzahl vorhandener Zähne bei bezahnten Senioren [65–74 Jahre] inklusive der Weisheitszähne: 14,6 Zähne)1. In den zehn Jahren seit Beginn der Therapie hat sich an der Zahnzahl nichts geändert. Er verlor in dieser Zeit keinen Zahn und liegt damit im Vergleich zu den 75- bis 100-Jährigen mit hohem Sozialstatus immer noch deutlich über dem Durchschnitt (mittlere Anzahl vorhandener Zähne bei allen bzw. bezahnten älteren Senioren inklusive der Weisheitszähne: 15,2 beziehungsweise 18,2 Zähne)3. Der geringe Zahnverlust kann mit verschiedenen Risikofaktoren korreliert werden: Der Patient nimmt regelmäßig an der UPT teil, er ist Nichtraucher und betreibt eine effektive individuelle Plaquekontrolle21. Er leidet zwar an Diabetes mellitus, dieser ist aber metabolisch gut eingestellt.


Tab. 3 Erfolgskriterien der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft zur Einschätzung des Behandlungserfolgs (Mombelli et al. 2014)28.

Wenn der aktuelle Befund nach den Erfolgskriterien der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft beurteilt wird, entspricht er einem Standard A (Tabelle 3)28: An Zahn 27 sind jedoch noch Taschen < 4 mm, die regelmäßig bluten. Dies ist durch die nicht zugängliche durchgängige Furkation zu erklären. Aktuell besteht ein Plaqueindex von 30 %. Diese drei Kriterien weisen auf einen Standard B hin. Sonst bestehen keine ST > 5mm, kein Pusaustritt, wenige Stellen, die beim Sondieren bluten, Schmerzfreiheit und eine stabile Okklusion (fünf Kriterien für Standard A). Der Patient ist mit seiner ästhetischen Situation zufrieden und Nichtraucher (zwei Kriterien für Standard A+). Unter der Voraussetzung, dass diese Rahmenbedingungen stabil bleiben, darf damit gerechnet werden, dass der Patient seine Zähne und damit seine Kaufähigkeit erhalten kann.

Ein Beitrag von Brigitte Strauß, Frankfurt am Main, Dr. med. dent. Frank Püllen, Neu Isenburg, und Prof. Dr. med. dent Peter Eickholz, Frankfurt am Main

Literatur


1. Kerschbaum T. Krankheits- und Versorgungsprävalenzen bei Senioren (65–74 Jahre). Zahnverlust und prothetische Versorgung. In: Micheelis W, Schiffner U (Hrsg). Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV). Köln: Deutscher Ärzteverlag (DÄV), 2006:354–374.


2. Ziller S, Oesterreich D, Micheelis W. Mundgesundheitsziele für Deutschland 2020 – Zwischenbilanz und Ausblick. In: Kirch W, Hoffmann T, Pfaff H (Hrsg). Prävention und Versorgung. Stuttgart: Thieme, 2012:1002–1023.


3. Nitschke I, Stark H. Krankheits- und Versorgungsprävalenzen bei Älteren Senioren (75- bis 100-Jährige). Zahnverlust und prothetische Versorgung. In: Jordan AR, Micheelis W (Hrsg). Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V). Köln: Deutscher Ärzteverlag (DÄV), 2016:517–548.


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Reference: Parodontologie, Ausgabe 1/18 Parodontologie Zahnmedizin

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